Bei einer Trigeminusneuralgie empfindet der Patient starke Gesichtsschmerzen aufgrund einer Reizung des Trigeminusnervs (Nervus Trigeminus). Dieser Nerv ist ein sensibler Nerv, der dem Gehirn Informationen von Berührungen und Empfindungen der Gesichtshaut liefert. Bei einem Reizzustand des Nerven empfindet der Patient Schmerzen der Haut, ohne dass auf der Haut eine Verletzung oder Krankheit von außen sichtbar wäre.
Für jede Gesichtshälfte gibt es einen Nerven, der sich in die drei folgenden Äste aufteilt:
Bei einer Trigeminusneuralgie ist immer nur ein Nerv betroffen, so dass sich die Schmerzen auf eine Gesichtshälfte beschränken. Häufig ist auch nur einer der Äste betroffen, so dass nur in diesem Gebiet der Haut die typischen Schmerzen auftreten. Der Schmerz entsteht ganz plötzlich und hält nur für eine Dauer von Sekunden an. Viele Betroffene reagieren auf den Schmerz mit einem Verziehen einer Gesichtshälfte. Deswegen wird die Krankheit auch Tic doloreux (schmerzhafter Tic) genannt. Das Erkrankungsalter liegt um das 40. Lebensjahr. Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer.
Man unterscheidet zwei Formen einer Trigeminusneuralgie die hinsichtlich ihrer Ursachen sehr unterschiedlich sind.
Der Begriff "idiopathisch" sagt aus, dass keine verursachende Erkrankung für die Trigeminusneuralgie bekannt ist. Es wird aber vermutet, dass sich bei diesen Patienten ein kleines Blutgefäß um den Nervus trigeminus schlingt. Dieses Blutgefäß versorgt das Kleinhirn mit Blut und sollte eigentlich parallel zum Nerven verlaufen. Schlingt sich das Gefäß um den Nerven, wird die Myelinscheide gereizt. Die Myelinscheide ist für den Nerven so etwas wie die Isolierung für ein elektrisches Kabel. Durch den permanenten Reiz entwickelt sich eine Entzündung und die Myelischeide wird abgebaut. Der Nerv verliert seine Isolierung und leitet eine Schmerzinformation vom Gesicht zum Gehirn.
Der Begriff sekundär sagt aus, dass eine verursachende Krankheit vorliegt. Mögliche Erkrankungen, die eine Trigeminusneuralgie auslösen können sind ein Gehirntumor oder die Multiples Sklerose. Wächst der Gehirntumor in der Nähe des Ursprungsgebietes des Nervus trigeminus, wird dieser gereizt. Die Multiple Sklerose ist selbst eine Autoimmunerkrankung, bei der die eigenen Abwehrzellen die Myelinscheiden der Nerven im ganzen Körper angreifen. Diese entzünden sich und es entstehen Schmerzen. Wegen der permanenten Entzündung werden diese Myelischeiden zunehmend abgebaut. Ein Nerv ohne Myelinscheide kann keine Information mehr leiten. Deswegen haben Multiple Sklerose Patienten Sensibilitätsstörungen und zunehmende Lähmungen.
Das Hauptsymptom der Trigeminusneuralgie sind stärkste Schmerzen, die durch bestimmte Reize wie einem kalten Luftzug, Sprechen oder Kauen ausgelöst werden. Die Schmerzen halten nur für Sekunden an, sie können aber mehrmals am Tag auftreten. Im Anschluss an eine Schmerzepisode treten so genannte vegetative Symptome auf. Vegetativ bedeutet, dass der Patient sie nicht bewusst herbeiführen kann. So rötet sich etwa eine Gesichtshälfte oder ein Auge beginnt zu tränen. Die Schmerzen werden von vielen Patienten als derartige stark und störend empfunden, dass sie es vermeiden die Schmerzen auszulösen. Aus Angst vor einem kalten Luftzug wird das Haus nicht mehr verlassen, die Patienten sprechen nur noch das Nötigste und aus Sorge vor weiteren Schmerzen wird die Nahrungszufuhr auf ein Minimum reduziert. Dieses Vermeidungsverhalten kann soweit gehen, dass die Betroffenen bis auf die Knochen abmagern und aufgrund der selbst gewählten sozialen Isolation Depressionen entwickeln.
Weitere Symptome hängen von der verursachenden Grundkrankheit ab.
Ein Gehirntumor macht häufig über Jahre hinweg keinerlei Symptome. Wenn Symptome vorhanden sind, hat der Gehirntumor bereits eine Größe erreicht, bei der er andere Strukturen im Gehirn schädigt. Mögliche Folgen sind Seh-oder Hörstörung, Übelkeit und morgendliches Erbrechen. Je nach dem an welcher Stelle der Tumor im Gehirn sitzt, und auf welchen Nerv er drückt, verursacht er Lähmungen.
Eine Multiple Sklerose macht sich meistens zuerst am Auge bemerkbar. Genauso wie andere Nerven mit der isolierenden Myelinscheide umgeben sind, ist auch der Sehnerv von Myelin umgeben. Diese wird als erstes angegriffen und der Patient hat eine Sehnervenentzündung (Retrobulbärneuritis). Durch die Sehnervenentzündung ist das Sehen eingeschränkt und die Bewegung des Auges verursacht Schmerzen. Bei einer Sehnervenentzündung sollte immer eine Multiple Sklerose ausgeschlossen werden.
In einem ersten Gespräch (Anamnese) fragt der Arzt genau nach der Art, der Dauer, der Häufigkeit des Auftretens und möglichen Auslösefaktoren. Hierdurch kann er eine Trigeminusneuralgie von anderen Gesichtsschmerzen abgrenzen. Der Arzt erkundigt sich auch nach der Medikamenteneinnahme. Grade die häufige Einnahme von bestimmten Schmerzmitteln kann Schmerzen verursachen, die einer Trigeminusneuralgie sehr ähneln.
Hierbei untersucht der Arzt das Gefühl des Patienten im Gesicht. Liegen Unterschiede im Bereich des Empfindungsvermögens vor, kann es ein Hinweis auf eine Trigeminusneuralgie sein. Die neurologische Untersuchung des restlichen Körpers dient dazu mögliche Lähmungserscheinungen aufzudecken, die auf eine Multiple Sklerose hinweisen könnten.
Im Blut werden die Entzündungswerte kontrolliert.
Eine Magnetresonanztomografie ist eine Untersuchung bei der der Patient durch eine Röhre geschoben wird. Der Körper wird hierbei scheibchenweise, ähnlich einer Röntgenaufnahme, abgebildet. Diese Untersuchung muss immer durchgeführt werden um einen Gehirntumor als verursachende Erkrankung auszuschließen. Eine MRT ist eine Spezialuntersuchung die nicht von jedem Krankenhaus durchgeführt werden kann.
Eine Untersuchung des Gehirnwassers (Liquor) wird nur durchgeführt, wenn der Arzt einen dringenden Verdacht auf eine Erkrankung an einer Multiplen Sklerose hat. Das Gehirnwasser befindet sich nicht nur im Gehirn sondern umspült auch das Rückenmark in der Wirbelsäule. Ganz unten am Rücken, in der Höhe der Beckenkämme kann der Arzt mit einer feinen Nadel in Richtung Rückenmark stechen und etwas Gehirnwasser herausziehen. Bei einem Multiple Sklerose Patienten ist das Gehirnwasser anders zusammengesetzt als bei einer gesunden Person.
Um eine andere Ursache der Schmerzen auszuschließen, wird der Patient auch von einem Hals-Nasen-Ohren- Arzt und von einem Zahnarzt gründlich untersucht.
Differenzialdiagnostisch müssen folgende Krankheiten von einer Trigeminusneuralgie abgegrenzt werden:
Jegliche Formen von Kopfschmerzen können auch Schmerzen der Gesichtshaut verursachen. Bei der Migräne finden sich die Schmerzen meist auch nur auf einer Seite und beim so genannten Cluster Kopfschmerz treten dieselben vegetativen Symptome auf wie bei der Trigeminusneuralgie. Kopfschmerzen dauern aber immer länger als die nur Sekunden andauernden Schmerzen bei der Trigeminusneuralgie.
Der Glossopharyngeusnerv ist auch ein Kopfnerv, der für die Sensibilität im Bereich des Rachens verantwortlich ist. Ähnlich wie bei einer Trigeminusneuralgie kann er im Falle eines Reizzustandes Schmerzen verursachen. Diese Schmerzen befinden sich aber dann nicht in den genau begrenzten Bezirken der Äste des Trigeminusnervs.
Unter diesem begriff werden unterschiedliche Störungen zusammengefasst, die zu einem fehlerhaften Kauen führen. Die Patienten haben beispielsweise Probleme mit dem Kiefergelenk und spannen die Kaumuskulatur zu stark an. Die Schmerzen bei dieser Erkrankung werden auch durch Kauen oder Sprechen verstärkt, sind sie aber in den Muskeln des Gesichts und nicht auf der Haut lokalisiert.
Bei der Therapie der Trigeminusneuralgie werden medikamentöse Maßnahmen von operativen Maßnahmen unterschieden.
Es gibt kein Medikament, das zu Hause eingenommen werden kann und den Schmerz beseitigt. Meist dauert eine Schmerzattacke ja auch nur wenige Sekunden und verschwindet von alleine.
Prophylaktisch können Medikamente aus der Gruppe der Antiepileptika eingenommen werden. Hier ist besonders Carbamazepin wirksam. Antiepileptika können aber nur die Häufigkeit der Schmerzattacken senken und nicht die Schmerzintensität. Bringt die Therapie mit Carbamazepin nicht den gewünschten Erfolg, werden andere Antiepileptika oder eine Kombination von mehreren Medikamenten dieser Wirkklasse gegeben.
Trigeminusneuralgie bei Multiples Sklerose: Diese Patienten können ein Medikament mit dem Wirkstoff Misoprostol erhalten. Misoprostol ähnelt bestimmten körpereigenen Botenstoffen, den so genannten Prostaglandinen. Prostaglandine sind für den Säureschutz des Magens verantwortlich, so dass Misoprostol auch normalerweise zur Prophylaxe eines Magengeschwürs verschrieben wird. Warum Misoprostol den Multiple Sklerose Patienten bei einem Magengeschwür helfen kann, ist bisher noch nicht vollständig geklärt. Bei Patienten mit einer Trigeminusneuralgie ohne einer Multiplen Sklerose ist das Medikament nicht wirksam.
Haben die Medikamente nicht den gewünschten Effekt gebracht, kann eine Operation Erleichterung verschaffen.
Bei dieser Operation wird der Trigeminusnerv von den Gefäßen, die ihn umschlingen befreit. Für diese Operation muss unter Vollnarkose der Schädelknochen geöffnet werden. Der Chirurg versucht dann die Blutgefäße, die das Kleinhirn mit Blut versorgen und Druck auf den Nervus trigeminus ausüben vom Nerven zu lösen. Diese Operation ist schwierig und beinhaltet ein gewisses Risiko. So kann es aus den Blutgefäßen in das Gehirn bluten oder der Nerv kann so sehr verletzt werden, dass die entsprechende Gesichtshälfte taub wird. Aufgrund der schwere der Operation und der Vollnarkose ist diese Therapie nur für jüngere Patienten geeignet.
Bei Patienten, bei denen das Operationsrisiko der klassischen Operation zu hoch ist, kann ein alternatives Verfahren, die so genannte perkutane Thermokoagulation durchgeführt werden. Dieses Verfahren wird unter einer Kurznarkose durchgeführt. Der Schädelknochen muss nicht eröffnet werden. Der Chirurg schiebt unter Röntgenkontrolle einen kleinen Draht unter der Nackenhaut entlang bis er auf das Ganglion des Trigeminusnerves trifft. Ein Ganglion ist eine Ansammlung von Nervenzellen, in dem quasi eine Umschaltung von einem Nervenende auf das nächste erfolgt. Bei diesem Ganglion angekommen, wird der Draht unter Strom gesetzt und die Schmerz verursachenden Nervenzellen werden weggeschmort. Das Problem dieser Methode liegt darin, dass häufig auch andere Nervenzellen weggeschmort werden. Die Folge ist auch hier ein Gefühlsverlust der entsprechenden Gesichtshautpartie.
Seit kurzem gibt es auch die Möglichkeit einer Strahlentherapie. Ein Arzt für Strahlentherapie kann den Trigeminusnerv einmalig mit einer hohen Dosis an radioaktiven Strahlen beschießen. Diese Methode hat die geringsten Nebenwirkungen und auch das geringste Komplikationsrisiko. Leider sind die Erfolgsaussichten auch wesentlich geringer als bei der klassischen Operation oder der Thermokoagulation.
Ein Drittel aller Patienten hat, ohne dass eine Therapie durchgeführt wurde, nur eine einzige Schmerzepisode. Bei weiteren 50 Prozent treten lange Schmerzfreie Episoden auf. Den restlichen Patienten kann eine lange Zeit durch die Gabe der oben genannten Medikamente geholfen werden. Das Problem liegt aber darin, dass sich der Körper an die Antiepileptika gewöhnt, und diese deswegen nach einiger Zeit keine Wirkung mehr zeigen. Meist tritt dieses Problem nach fünf bis sechs Jahren der Einnahme auf. Bei diesen Patienten wird dann versucht durch eine Operation Schmerzfreiheit zu erlangen. In vielen Fällen gelingt das auch. In den Fällen, in denen die Operation nicht den gewünschten Effekt gebracht hat, kann die Operation wiederholt werden. Bei zweiten Operationen sind die Chancen auf Erfolg aber generell kleiner.
Es gibt wenig, was den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen könnte. Der Patient kann sich aber davor schützen durch Vermeidungsverhalten in soziale Isolation und eine Depression zu geraten. Hilfreich ist hier eine Selbsthilfegruppe in der man mit anderen Betroffenen die Ängste und Probleme besprechen kann. Außerdem informieren sich die Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe meist gegenseitig über die neusten Therapiemöglichkeiten.
aktualisiert am 11.03.2022