Eine Mandelentfernung (Tonsillektomie) kann aus unterschiedlichen Gründen in Erwägung gezogen werden. Die häufigsten sind immer wiederkehrende Mandelentzündungen oder Atemprobleme, Schnarchen und nächtliche Atemaussetzer (Schlafapnoe-Syndrom) durch vergrößerte Mandeln. Über die Komplikationen, die direkt nach einer Mandeloperation auftreten können, ist viel bekannt. Was hingegen langfristige Folgen nach einer Tonsillektomie sein können, darüber gibt es erst wenige Untersuchungsergebnisse. Es gibt Anzeichen, dass eine Mandelentfernung im Kindesalter im späteren Leben anfälliger für verschiedene Erkrankungen machen kann.
Die Mandeln (Gaumenmandeln, Rachenmandel und Zungenmandel) sind Teil des Abwehrsystems. Dringen Erreger in den Mund- oder Nasenraum ein, tragen die Mandeln dazu bei, diese abzufangen und zu bekämpfen. Die Ausbildung des Immunsystems hält bis etwa zum zwölften Lebensjahr an. Danach haben die Mandeln keine so große Bedeutung mehr und beginnen kleiner zu werden. Die Hauptfrage ist daher, welchen Einfluss die Tonsillektomie vor dem zwölften Lebensjahr auf die spätere Gesundheit der Betroffenen haben kann.
Ein Grund, Kindern die Mandeln zu entfernen, ist die Hoffnung, dass sich die Anzahl der jährlichen Entzündungen im Rachenraum verringert. Wenn die Kinder bestimmte Kriterien erfüllen, kann eine Tonsillektomie sinnvoll sein. Studien konnten belegen, dass bei diesen Kindern im ersten Jahr nach der Operation durchschnittlich weniger Rachenentzündungen auftraten. Es ist allerdings noch unklar, ob und inwieweit dieser Effekt auch in den Folgejahren anhält. Ein Grund für die fehlenden Daten ist, dass die Nachverfolgung und Befragung der Patienten hinsichtlich dieser Erkrankungen oft nach ein oder zwei Jahren aufhört.
Forscher untersuchten eine Gruppe von über einer Million Menschen bezüglich des Auftretens verschiedener Erkrankungen bis zu ihrem 30. Lebensjahr. Ungefähr bei 60.000 dieser Menschen wurde vor ihrem zehnten Lebensjahr eine Entfernung von Mandeln (Gaumenmandeln, Rachenmandel oder beide) durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen in der Gruppe der Operierten ein erhöhtes Risiko, später im Leben Erkrankungen der Atemwege zu erleiden. Hierzu zählen Infekte mit Hals- undNasennebenhöhlenentzündungen, Lungenentzündungen, Asthma und auch die chronisch obstruktive (verschließende/verengende) Lungenerkrankung COPD. Auch ein vermehrtes Auftreten von Mittelohrentzündungen, Bindehautentzündungen und Allergien wurde in der Gruppe der Menschen festgestellt, die in ihrer Kindheit die Mandeln entfernt bekamen.
Eine weitere Gruppe von Wissenschaftlern stellte fest, dass Personen, bei denen eine Tonsillektomie durchgeführt wurde, ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen aufweisen. Das sind Krankheiten, bei denen sich das Immunsystem gegen körpereigenes Gewebe richtet. Bekannte Autoimmunerkrankungen sind bestimmte Schilddrüsenfunktionsstörungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und Rheuma.
Bei all diesen Ergebnissen kann nicht eindeutig gesagt werden, dass die Mandelentfernung der Grund für die Entstehung der verschiedenen Erkrankungen im späteren Leben ist. Andere Lebensumstände, die auch eine Rolle spielen können, sind schwer auszuschließen. Es wird aber vermutet, dass die Tonsillektomie zumindest einen Teil beigetragen hat.
Überwiegend positive Ergebnisse gibt es bei den Menschen, deren Mandeln entfernt werden, weil sie unter Atemproblemen, Schnarchen oder Schlafapnoe-Syndrom durch vergrößerte Mandeln leiden.
Für eine Verringerung der Häufigkeit von Entzündungen des Rachenraumes nach einer Entfernung der Mandeln gibt es ebenfalls positive Ergebnisse. Wie oben erwähnt ist aber nicht klar, ob diese Verbesserung langfristig anhält.
Die Entscheidung für oder gegen eine Tonsillektomie sollte in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen werden. Neben den möglichen Langzeitfolgen sind auch akute gravierende Komplikationen wie starke Nachblutungen möglich. Es sollte also immer individuell entschieden werden, ob der erhoffte Nutzen der Mandelentfernung die möglichen Risiken überwiegt. Je älter ein Mensch zum Zeitpunkt der Tonsillektomie ist, desto weniger negative Auswirkungen auf das Immunsystem sind anscheinend zu erwarten.
Spiegel Gesundheit, Nina Weber – Schaden Mandel-OPs mehr, als sie helfen?: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/mandel-operationen-schadet-eine-entfernung-langfristig-mehr-als-sie-nutzt-a-1212250.html (online, letzter Abruf: 24.01.2022)
Deutsche Apotheker Zeitung – Mandelentfernung mit Folgen - Infektionsrisiko langfristig erhöht: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2018/daz-29-2018/mandelentfernung-mit-folgen (online, letzter Abruf: 24.01.2022)
Lungeninformationsdienst – Mandeln entfernen - Ja oder nein?: https://www.lungeninformationsdienst.de/aktuelles/news/alle-news-im-ueberblick/aktuelles/article/mandeln-entfernen-ja-oder-nein//index.html (online, letzter Abruf: 24.01.2022)
British Journal of General Practice, Tom Marshall, Dana Sumilo – Long-term effects of Tonsillectomy: https://bjgp.org/content/long-term-effects-tonsillectomy (online, letzter Abruf: 24.01.2022)
American Association for Respiratory Care, Heather Willden – The Long-Term Effects of Tonsillectomies: What RTs Need to Know: https://www.aarc.org/nn19-tonsillectomy-long-term-effects/ (online, letzter Abruf: 24.01.2022)
aktualisiert am 24.01.2022