Magersucht und Schwangerschaft ist für die Forschung ein junges Thema, dabei ist es gar nicht so selten. Die Magersucht kann sich auf die werdende Mutter und das ungeborene Kind auswirken. Bereits vor einer Schwangerschaft kann es zu Schwierigkeiten kommen.
Rund 1,1 Prozent der Frauen in Deutschland leiden an Magersucht. Bei den meisten beginnt die Krankheit in der Pubertät. Je länger sie andauert, desto tiefgreifender sind die gesundheitlichen Folgen. Eine Auswirkung ist, dass durch die langen Hungerperioden der Hormonhaushalt nachhaltig gestört wird. Ein deutliches Anzeichen dafür ist, dass die Menstruation ausbleibt. Von einer Amenorrhoe spricht man, wenn die Magersüchtige länger als drei Monate keine Monatsblutung mehr hat – eine gängige Folge des Untergewichts.
Selbst wenn die Essstörung behandelt wird und sich das Körpergewicht normalisiert, kann es Monate dauern, bis der Zyklus einsetzt. Nicht wenige Frauen müssen Östrogene und Gelbkörperhormone nehmen, um wieder fruchtbar zu werden. Aufgrund des gestörten Hormonhaushaltes können magersüchtige Frauen – auch Jahre später, wenn die Erkrankung nicht mehr akut ist – oft nur schwer schwanger werden. Manchmal ist eine Hormontherapie oder eine künstliche Befruchtung die einzige Möglichkeit für eine Schwangerschaft.
Das Thema Magersucht und Schwangerschaft ist vor allem durch die sozialen Medien in den Brennpunkt des Interesses gelangt. Der Begriff „Pregorexie“ wurde geprägt, eine Zusammensetzung aus dem englischen „pregnancy“ (Schwangerschaft) und dem medizinischen Ausdruck für Magersucht (Anorexie, Anorexia nervosa). Ist die Krankheit Magersucht für Betroffene ohnehin mit Scham und Schuldgefühlen besetzt, gilt das für Schwangere mit Anorexia nervosa umso mehr. Sie machen sich viele Gedanken und stehen vor dem Zwiespalt, ob sie nicht besser genesen, für zwei essen, die Verantwortung für ihr Ungeborenes übernehmen sollten.
Magersucht ist in der Schwangerschaft selten eine Neuerkrankung. Die meisten Frauen waren bereits vorher von der Krankheit betroffen. Wissenschaftliche Studien zu dem Thema sind rar und die Grenzen zwischen Schlankheitswahn und Magersucht sind fließend. Wird eine Magersüchtige schwanger, ist sie meist nicht in einer akuten Phase der Essstörung und kann durchaus normalgewichtig sein. Andererseits muss eine schlanke Schwangere keine Essstörung haben. Für Ärzte ist eine Pregorexie daher nicht leicht zu diagnostizieren und lässt sich erst durch weiteres Nachfragen aufdecken.
Selbst wenn die Anorexie bereits als geheilt galt, wenn die Betroffene viele Jahre stabil war, kann eine Schwangerschaft die alten Ängste wieder auslösen. Allen voran steht die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, die damit zwangsläufig verbunden ist: Durchschnittlich sind es zwischen 11 und 16 Kilo. Während ein Teil der Magersüchtigen den Bauch als das akzeptiert, was er ist – gesund und berechtigt –, wollen andere unbedingt schlank bleiben. So kann eine Schwangerschaft bei einer Anorektikerin eine neunmonatige Krise auslösen: ein Hin- und Hergerissensein zwischen „Ich muss essen für das Baby“ und „Ich will nicht zunehmen“.
Neben der sich verändernden Körpersilhouette können auch die typischen Schwangerschaftsprobleme wie Übelkeit, Erbrechen oder Geruchsempfindlichkeit die Magersucht triggern. Lebensmittel lösen plötzlich Widerwillen aus und es kostet zeitweise Überwindung, überhaupt zu essen.
Eine Schwangerschaft ist auch für gesunde Frauen mit Unsicherheiten verbunden:
sind ganz normale Bedenken. Für eine Magersüchtige, die psychisch nicht stabil ist, können solche Ängste einen Rückfall in alte Essensmuster auslösen. Hungern vermittelt den Betroffenen das Gefühl der vermeintlichen Kontrolle.
Für magersüchtige Schwangere kann es hilfreich sein, sich bewusst zu machen, dass es sich bei der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft zum geringsten Anteil um Fett handelt, sondern um:
Allein diese Veränderungen bedeuten einen Gewichtszuwachs von circa sieben Kilo. Der Anteil der zusätzlichen Fettreserven beträgt durchschnittlich nur zwei oder drei Kilo. Eine ausreichende Gewichtszunahme ist notwendig, damit sich das Kind gut entwickeln kann.
Einer magersüchtigen Schwangeren bereitet es große Sorge, ob ihr Essverhalten die Gesundheit des Babys beeinträchtigt. Die meisten Magersüchtigen bringen ein gesundes Neugeborenes zur Welt, denn das Baby im Mutterleib holt sich alles, was es kriegen kann. Die meisten Babys sind allerdings kleiner und leichter als der Durchschnitt und kommen häufig zu früh zur Welt.
Die Unterversorgung während der Schwangerschaft kann die Hirnentwicklungdes Babys beeinflussen. Kinder von magersüchtigen Müttern zeigen im ersten Jahr oft eine Entwicklungsverzögerung und haben im Vergleich zu Babys von Frauen ohne Essstörung verschlechterte motorische und sprachliche Fähigkeiten. Ob die Magersucht der Mutter auch langfristig Folgen für die geistige Entwicklung des Kindes hat, ist noch nicht ausreichend erforscht.
Schwere Folgen hat eine Magersucht während der Schwangerschaft für die Mutter. Das Ungeborene holt sich die Nährstoffe bei der Mutter. Isst die Mutter zu wenig, baut sie Muskelmasse ab, auch Herz-Kreislauf-Beschwerden und Herzrhythmusstörungen können auftreten. Durch den Calciummangel entsteht eine Osteoporose. Schwangere Magersüchtige müssen deshalb häufig mit einem Kaiserschnitt entbinden, weil es aufgrund der geschädigten Knochen bei der Geburt zu einem Bruch der Beckenknochen kommen kann.
Eine Schwangerschaft ist vor allem gegen Ende auch für gesunde Frauen eine körperliche Belastung. Für eine Frau, die keine Reserven hat, stellt sich viel schneller ein Gefühl der Überforderung ein, das in eine Depression führen kann.
Häufig kommt es zu Problemen beim Stillen, weil nicht genug Muttermilch gebildet werden kann.
Für Magersüchtige, die schwanger werden wollen, kann es hilfreich sein, sich rechtzeitig psychotherapeutische Unterstützung zu suchen. Auch eine Ernährungsberatung ist oft eine gute Idee. Ein fester Essensplan kann während der Schwangerschaft Struktur geben und nach der Schwangerschaft helfen, das Gewicht auf gesunde Art zu regulieren.
Außerdem sollten Frauen ihre Essstörung, auch wenn sie schon einige Jahre zurückliegt, mit ihrem Gynäkologen besprechen. Gerät die Magersucht während der Schwangerschaft außer Kontrolle, kann die betroffene Frau zu ihrer eigenen Sicherheit und der ihres Kindes im Notfall künstlich ernährt werden.
Deutschlandfunk Kultur, Tabea Grzeszyk – Ein neunmonatiger Kampf - Wenn magersüchtige Frauen schwanger werden: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-neunmonatiger-kampf-wenn-magersuechtige-frauen-100.html (online, letzter Abruf: 04.03.2022)
PubMed.gov,
– Risk of major adverse perinatal outcomes in women with eating disorders: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17329747/ (online, letzter Abruf: 04.03.2022)Netmoms, Mareike Freudenberger – Magersucht in der Schwangerschaft: Risiken und Folgen: https://www.netmoms.de/magazin/schwangerschaft/ernaehrung-in-der-schwangerschaft/magersucht-in-der-schwangerschaft/ (online, letzter Abruf: 04.03.2022)
Tagesspiegel, Nana Heymann – Essstörung Pregorexie - Dünn bis zum neunten Monat: https://www.tagesspiegel.de/themen/gesundheit/essstoerung-pregorexie-duenn-bis-zum-neunten-monat/7112834.html (online, letzter Abruf: 04.03.2022)
aktualisiert am 04.03.2022