Ein Klinikaufenthalt kann bei Magersucht (Anorexia nervosa) dann notwendig werden, wenn eine akute Gesundheitsgefahr besteht oder wenn mit einer ambulanten Psychotherapie keine Verbesserung erreicht werden kann. Wenn Essgestörte zu Hause nicht die nötige Unterstützung erfahren oder ihr Umfeld nicht gesundheitsfördernd ist, kann die Aufnahme in die Klinik ebenfalls sinnvoll sein.
Auch wenn der Gedanke an einen stationären Klinikaufenthalt zunächst Angst auslösen kann, nehmen die meisten Patientinnen die Klinik als einen geschützten Raum wahr. Hier können sie sich mit anderen Betroffenen offen austauschen und sich gegenseitig unterstützen. Viele erleben es als Befreiung, den Alltag hinter sich zu lassen und sich für eine Weile aus den durch die Magersucht häufig stark belasteten Familienstrukturen zu lösen. In der Klinik lernen sie, sich an feste Mahlzeiten zu halten. Der Tagesplan gibt ihnen Struktur.
Wie lange eine stationäre Therapie dauert, ist abhängig vom Gesundheitszustand der Patientin und den Fortschritten, die sie macht. Ein Aufenthalt in einer Klinik für Essstörungen kann sechs Wochen oder sechs Monate, im Einzelfall auch noch länger dauern. Die Rückfallquote ist hoch. Deshalb ist es essenziell, dass die Betroffenen auch über den Klinikaufenthalt hinaus therapeutische Unterstützung erhalten.
Nach einer Anamnese (Befragung durch den Arzt) und verschiedenen Vorgesprächen erhält die Patientin einen Behandlungsplan, der diverse therapeutische Maßnahmen umfasst. Ziel ist eine Gewichtszunahme von 500 bis 1000 Gramm pro Woche. Zusammen mit einem Ernährungsberater wird ein Essensplan erstellt. Während der Mahlzeiten leisten Therapeuten Unterstützung.
Neben der Normalisierung des Gewichts nehmen Einzel- und Gruppengespräche mit Therapeuten ein großen Raum ein. Je nach Alter der Patientin wird auch die Familie mit in die Gespräche einbezogen. Weitere therapeutische Angebote wie Musik-, Kunst-, Körper- oder Bewegungstherapie runden den Tagesablauf in der Klinik ab.
Auch wenn es im Rahmen der Therapie feste Regeln gibt, so wird die Patientin zu nichts gezwungen. Es steht ihr jederzeit frei, die Therapie abzubrechen. Allerdings sollte die Entscheidung für einen Therapieabbruch sorgfältig abgewogen werden.
Eine Behandlung gegen den Willen der Patientin erfolgt ausschließlich, wenn eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung oder Lebensgefahr drohen. So kann bei Magersüchtigen mit starkem Untergewicht im Einzelfall eine Zwangsernährung erforderlich sein – sofern andere Maßnahmen nicht mehr greifen. Für die Durchführung einer Zwangsbehandlung bestehen strenge gesetzliche Richtlinien, die eine missbräuchliche Anwendung verhindern. Eine Zwangsbehandlung muss immer gerichtlich genehmigt werden und darf nur stationär erfolgen.
Eine Alternative zu einem stationären Krankenhausaufenthalt kann die Behandlung in einer Tagesklinik sein. Der Vorteil ist, dass die Betroffenen nicht komplett aus ihrem Umfeld herausgerissen werden und dass sie das, was sie in der Klinik lernen, unmittelbar in ihrem Alltag umsetzen können. Wenn das häusliche Umfeld eine gute Stabilität und Unterstützung bietet, kann eine Tagesklinik die bessere Wahl sein. Die Behandlung in einer Tagesklinik kommt jedoch nur in Frage, wenn der gesundheitliche Zustand der Patientin es zulässt und sie aufgrund von Untergewicht körperlich nicht zu sehr geschwächt ist.
Eine acht Jahre andauernde Studie namens ANDI (Treatment of childhood and adolescent anorexia nervosa – day treatment vs. inpatient treatment) hat die Erfolge von stationärer Behandlung im Vergleich zur Tagesklinik untersucht. Es zeigte sich, dass die Gewichtszunahme bei der tagesklinischen und der vollstationären Behandlung identisch waren. Auch bei der Nachuntersuchung nach zwei Jahren schnitt die Tagesklinik nicht schlechter ab als die stationäre Klinik.
Manchmal kann ein Aufenthalt in der Tagesklinik sich an einen stationären Aufenthalt anschließen und so den Übergang in den Alltag vereinfachen.
Voraussetzung ist, dass die Patientin die Klinik jeden Tag mit einer nicht zu langen Anreise erreichen kann. Meist ist sie von 8 bis 17 Uhr in der Klinik und verbringt die Abende und die Wochenenden zu Hause. In der Behandlung bestehen zwischen Tagesklinik und stationärer Klinik kaum Unterschiede. Auch in der Tagesklinik gibt es gemeinsame Mahlzeiten. Die Patientin erhält psychotherapeutische Unterstützung in Form von Einzel- und Gruppentherapie und es stehen ihr, je nach Klinik, diverse weitere therapeutische Angebote zur Verfügung.
Ob ein stationärer Aufenthalt oder eine Tagesklinik die bessere Wahl sind, sollte die Patientin mit der Familie und dem Arzt besprechen.
Erkrankte können sich eine oder mehrere Kliniken vorher ansehen und Vorgespräche führen. Die Wartezeit beträgt drei bis sechs Monate. Die Kosten für den Aufenthalt werden von der Krankenkasse übernommen, deshalb muss der Klinik vor Aufnahme der Patientin ein ärztlicher Bericht vorliegen. In Privatkliniken erhalten Betroffene meist sehr viel schneller einen Platz. Die Kosten für den Aufenthalt müssen dann aber selbst getragen werden.
Eine Liste für Spezialkliniken für Essstörungen, psychosomatische und psychiatrische Kliniken findet sich hier:
https://www.weisse-liste.de/de/krankenhaus/krankenhaussuche
https://www.bundesfachverbandessstoerungen.de
Selbstverständlich stehen all diese Angebote auch Jungen und Männern offen. Da sie aber nur zehn Prozent der Betroffenen darstellen, ist hier von Patientinnen die Rede.
Betanet – Essstörungen, Behandlung: https://www.betanet.de/essstoerungen-behandlung.html (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
BZGA Essstörungen (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) – Vollstätionäre Angebote: https://www.bzga-essstoerungen.de/hilfe-finden/welche-therapie-gibt-es/stationaere-behandlung/vollstationaer/?L=0 (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
BZGA Essstörungen (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) – Zwangsbehandlung: https://www.bzga-essstoerungen.de/hilfe-finden/welche-therapie-gibt-es/stationaere-behandlung/zwangsbehandlung/?L=0 (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) – Hilfe bei Magersucht - Weltweit größte Studie zeigt erstmals, dass Psychotherapie bei Magersucht langfristig hilft: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/hilfe-bei-magersucht-weltweit-grosste-studie-zeigt-erstmals-dass-psychotherapie-bei-3189.php (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) – Neue Therapie bei Magersucht - Tagesklinik statt wochenlangen Klinikaufenthalts entlastet Betroffene, Familien: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/neue-therapie-bei-magersucht-tagesklinik-statt-wochenlangen-klinikaufenthalts-entlastet-2735.php (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
AWMF online – Patientenleitlinie: Diagnostik und Behandlung von Essstörungen: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-026p_Essstoerungen_2015-06_01.pdf (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
aktualisiert am 01.03.2022