Während die Zahl der magersüchtigen Erwachsenen seit einigen Jahren konstant ist, steigt Magersucht bei Kindern und Jugendlichen weiter an. Hinzu kommt, dass immer mehr Kinder in jüngeren Jahren erkranken.
Es gibt kaum ein Kleinkind, das nicht in irgendeiner Phase bestimmte Nahrungsmittel verweigert, nur noch ganz bestimmte Dinge essen möchte oder lieber eine Mahlzeit auslässt, als das zu essen, was auf dem Teller liegt. Kinder können phasenweise seltsame Vorlieben entwickeln, wollen dann nur noch grüne Lebensmittel oder jeden Tag das Gleiche essen. Oder sie haben konkrete Abneigungen gegen bestimmte Nahrung, weil sie „eklig aussieht“ oder „komisch riecht“. Das Essverhalten von Kindern kann sehr unterschiedlich sein. Während ein Kind neugierig Dinge probieren will, lässt sich ein anderes unter keinen Umständen dazu bewegen. In den meisten Fällen gehen diese Episoden des unregelmäßigen Essverhaltens so schnell vorbei, wie sie gekommen sind. Anders als eine Magersucht gehen sie auch nicht einher mit der Angst vor Gewichtszunahme oder einer gestörten Körperwahrnehmung. Kinder haben, auch wenn ihre Nahrungsauswahl eingeschränkt ist, normalerweise ein gesundes Hunger- und Sättigungsgefühl. Dass eine solche frühkindliche Nahrungsaufnahmestörung mit der Entwicklung einer Magersucht in Verbindung steht, ist nicht erwiesen.
Nichtsdestotrotz erkranken Kinder in immer jüngeren Jahren an Magersucht (Anorexia nervosa). Vor allem bei Elf- und Zwölfjährigen lässt sich ein Anstieg verzeichnen. Andererseits sind Kinderärzte heute stärker für Essstörungen sensibilisiert, sodass das sie häufiger wahrgenommen werden als früher. Während bei den älteren Jugendlichen nur einer von zehn Betroffenen männlich ist, ist in der jüngeren Altersgruppe jeder fünfte Magersüchtige ein Junge.
Bei Kindern wird das Gewicht nach sogenannten BMI-Perzentilenkurven eingestuft. Ein Perzentil zwischen 10 und 90 bedeutet ein Normalgewicht. Ein Perzentil von 10 heißt, dass 90 Prozent aller Kinder in der Altersgruppe mehr wiegen. Ein Wert unter 10 sollte engmaschig beobachtet werden. Von einer schweren Magersucht bei Kindern spricht man, wenn der BMI unter der 3er-Perzentile liegt.
Sind sich Eltern unsicher, weil ihnen bei ihrem Kind ein merkwürdiges Essverhalten auffällt oder es Gewicht verliert, sollten sie mit dem Kinderarzt sprechen.
Wie auch bei Jugendlichen und Erwachsenen sind die Gründe, die in die Anorexie führen, vielfältig. Folgende Risikofaktoren begünstigen eine Essstörung:
Magersucht zeichnet sich dadurch aus, dass der Betroffene eine Gewichtszunahme vermeiden möchte. Durch Medienkonsum haben heute schon Kinder, bevor sie in die Pubertät kommen, eine Vorstellung von Schlanksein als Schönheitsideal. Sie wissen, dass sich mit der Pubertät ihr Körper verändert, möchten aber keine Rundungen entwickeln oder haben Angst, dass sich ihre Oberschenkel berühren. Kinder setzen sich meist noch nicht näher mit Nährwerten und Kalorientabellen auseinander, aber sie wissen, dass „Süßigkeiten dick machen“. Also lassen sie oft als erstes die Süßigkeiten weg, essen nur noch zu den Hauptmahlzeiten und dann nur wenig. Manchmal entwickeln sie ein auffälliges Essverhalten, indem sie sehr kleine Bissen nehmen, alles klein schneiden oder absichtlich krümeln, um weniger essen zu müssen. Häufig essen sie sehr langsam, damit nicht auffällt, wie wenig sie essen. Kinder mit Magersucht trinken häufig zu wenig, weil sie fürchten, davon zuzunehmen.
Bulimische Magersucht, bei der zur weiteren Gewichtsabnahme selbst Erbrechen ausgelöst wird, setzt meist erst mit der Pubertät ein. Jüngere Kinder kompensieren ihre Nahrungsaufnahme mit Sport. Oft sind es Kinder, die Leistungssport betreiben, die an Magersucht erkranken. Sie fürchten, dass sie, wenn sie in die Pubertät kommen und zunehmen, die sportliche Leistung nicht mehr erbringen können.
Aber auch wenn sie keinen Leistungssport betreiben, quälen sich magersüchtige Kinder oft mit kräftezehrenden Sporteinheiten. Der Sport ist dann längst nicht mehr Spiel oder Spaß, sondern dient allein dazu abzunehmen. Diese Überaktivität nimmt erst ab, wenn das Kind so viel Gewicht verloren hat, dass es zu schwach dafür sind.
„Picky Eating“ ist eine Phase, die vorübergeht, Magersucht nicht. In den seltensten Fällen verschwindet eine Magersucht einfach von selbst wieder. Es ist daher wichtig, dass Eltern auffälliges Essverhalten in Kombination mit einer Gewichtsabnahme ihres Kindes sehr ernst nehmen. Ein charakteristisches Anzeichen ist die sogenannte Körperschemastörung. Magersüchtige Kinder nehmen sich im Spiegel viel dicker wahr, als sie eigentlich sind.
Magersucht kann den Körper eines Kindes wesentlich stärker schädigen als den eines Teenagers oder eines Erwachsenen. Dauert die Krankheit an, kommt es zu Wachstumsverzögerungen, die dazu führen, dass die betroffenen Kinder nie ihre normale Größe erreichen. Wachstumshormone und Sexualhormone fehlen, sodass Mädchen nicht beginnen zu menstruieren und die Knochen sich nicht gesund entwickeln. Auch das Gehirn wird nicht mehr gut versorgt, es kommt zu Konzentrationsstörungen und verlangsamtem Denken. Wenn die Krankheit frühzeitig erkannt wird, können sich die meisten Veränderungen folgenlos zurückbilden. Dauert sie aber drei Jahre oder länger an, ist von bleibenden Schäden auszugehen.
Ein kindlicher Körper verfügt über eine geringere Fettmasse, sodass die Krankheit schneller lebensbedrohlich wird als bei jungen Erwachsenen. Für magersüchtige Kinder ist ein Klinikaufenthalt angeraten. Die Therapie kann stationär oder in einer Tagesklinik erfolgen. Da Kinder noch stärker an ihre Eltern gebunden sind, können diese ihre Kinder in der Klinik mehrmals pro Woche besuchen.
In der Klinik „lernen“ die Kinder wieder zu essen. Zusammen mit Ernährungsberatern und Therapeuten erhalten sie einen Essensplan und Unterstützung bei den Mahlzeiten. Ziel ist es, pro Woche ein halbes bis ein Kilo Gewicht zuzunehmen. In der Tagesklinik oder bei einer ambulanten Therapie sollten es 300 bis 500 Gramm Gewichtszuwachs sein.
Neben der Gewichtszunahme nehmen die Kinder an Gruppen- oder Einzelsitzungen mit Therapeuten teil, die auf Essstörungen spezialisiert sind. Stärker noch als bei Jugendlichen ist wichtig, Eltern und andere Familienmitglieder in die Therapie einzubinden. Ist das Zielgewicht nach mehrwöchigem Klinikaufenthalt erreicht, kann es hilfreich sein, dass das Kind weiter in einer Tagesklinik behandelt wird. Es sollte aber auf jeden Fall weiterhin therapeutisch begleitet werden.
ANAD e.V. Versorgungszentrum Essstörungen – Essstörungen bei Kindern: https://www.anad.de/essstoerungen/essstoerungen-bei-kindern/ (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
Helios Magazin – Magersucht bei Kindern und Jugendlichen steigt rasant. Was Eltern jetzt wissen müssen: https://www.helios-gesundheit.de/magazin/kinder-und-jugendmedizin/news/magersucht-bei-kindern-und-jugendlichen/ (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
Kindermedizin.info – Magersucht: https://kindermedizin.info/magersucht (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
Springer Medizin, Beate Herpertz-Dahlmann – Anorexia nervosa bei Kindern und Jugendlichen: https://www.springermedizin.de/emedpedia/paediatrie/anorexia-nervosa-bei-kindern-und-jugendlichen?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54671-6_290 (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
TCE (Therapiezentrum für Essstörungen) – Essstörungen bei Kindern: https://www.tce-essstoerungen.de/info-hilfe/essstoerungen_kinder.php (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
Zeit online, Nora Burgard-Arp – Essstörungen - Fast immer fängt es damit an, dass Kinder alle Süßigkeiten weglassen: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2019-05/magersucht-bulimie-anorexie-kinder-jugendliche-erkrankung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (online, letzter Abruf: 01.03.2022)
aktualisiert am 01.03.2022