Das deutlichste Anzeichen einer Magersucht (Anorexia nervosa) ist Untergewicht. Doch wenn die Erkrankung auf diese Weise offensichtlich wird, hat sich die Essstörung bereits über viele Monate entwickelt. Angehörige sollten daher bereits vorher sensibel für Anzeichen der Essstörung sein, die im Folgenden aufgeführt sind.
Viele Anorexie-Erkrankungen starten mit einer Diät. Das betroffene Mädchen (nur in einem von zehn Fällen ist es ein Junge) findet sich zu dick. Die Gewichtskontrolle und die Diät werden zum Dauerthema. Täglich oder mehrmals täglich stellt sich das Mädchen auf die Waage oder kontrolliert ihre Figur vor dem Spiegel. Essen stellt keinen Genuss mehr dar, sondern wird nur noch als eine Gefahr zuzunehmen empfunden.
Obwohl Magersüchtige nicht essen, sind sie gedanklich mit fast nichts anderem beschäftigt. Manchmal kochen sie aufwändige Gerichte für ihre Angehörigen, essen aber selbst nichts davon. Manchmal sammeln sie Rezepte oder sie horten Essen, das sie dann aber nicht verzehren, sondern entsorgen. Sie kennen den Nährwert jedes Nahrungsmittels und Essen wird streng eingeteilt in Erlaubtes und Verbotenes. Dabei wird die Liste der erlaubten Dinge immer kürzer, bis nur noch wenige, möglichst kalorienarme Dinge gegessen werden wie Gurken, Äpfel oder Magerjoghurt. Gemeinsame Familienmahlzeiten werden vermieden.
Magersüchtige sind häufig ehrgeizig, streng zu sich selbst und haben eine perfektionistische Ader. Sie setzen sich strikte Ziele, indem sie sich vornehmen, möglichst lange gar nichts essen, oder indem sie sich streng nach Plan täglich nur eine minimale Kalorienzufuhr erlauben. Der sogenannte restriktive Magersucht-Typ will absolute Kontrolle über sein Essverhalten.
„Überflüssige“ Kalorien loswerden geht schneller, wenn man sich sportlich betätigt. Häufig werden mehrere Stunden täglich mit hartem Training verbracht und das, obwohl der Körper durch Mangelernährung geschwächt ist.
Verschwindet das Mädchen (oder der Junge) nach dem Essen regelmäßig auf die Toilette, kann es sein, dass es versucht, die Kalorienzufuhr durch selbst herbeigeführtes Erbrechen zu kompensieren. Man spricht dann von einer bulimischen Form der Magersucht (Purging-Typ).
Magersucht kann mit unkontrollierbaren Heißhungerattacken (Purging-Typ) einhergehen. Verschwinden immer wieder größere Mengen Essen aus Kühlschrank und Vorratskammer, finden sich im Müll Verpackungen von Süßigkeiten und Snacks, können Binge-Eating-Attacken dahinterstecken. Dann werden auf einmal große Mengen kalorienreiches Essen verzehrt, das sonst auf der „verbotenen Liste“ steht. Nach dem Essanfall wird erbrochen.
Mediziner bezeichnen die Anorexie als Körperschemastörung: Das Mädchen, obwohl schlank, nimmt sich selbst im Spiegel ganz anders wahr, findet ihren Hintern oder ihre Oberschenkel zu dick, obwohl sie vielleicht untergewichtig ist.
Bei fortschreitender Magersucht verzichten Betroffene auf körperbetonte Kleidung. Abgesehen davon, dass es zunehmend weniger Dinge in ihrer Größe gibt, möchten sie ihren Körper auch nicht zeigen, sondern verhüllen ihn mit weiter Kleidung. Häufig werden mehrere Schichten übereinander getragen, sodass sich das Ausmaß der Magersucht auf den ersten Blick nicht erkennen lässt. Für Magersüchtige hat die mehrschichtige Kleidung auch einen praktischen Zweck, da sie häufig frieren, selbst wenn es warm ist.
Kinder, die zu jungen Erwachsenen werden, können sich innerhalb von wenigen Monaten stark verändern. Mit einem Wachstumsschub kann aus einem pummeligen Kind ein schlanker Teenager werden. Viele Jugendliche können große Mengen essen, ohne zuzunehmen. Sie haben einfach großen Appetit und erbrechen auch nicht nach dem Essen. Diese Veränderungen sind normale Entwicklungserscheinungen. Geht ein schneller Gewichtsverlust aber mit einer strengen Diät einher, sollten Eltern aufmerksam werden. Ein BMI (Body-Mass-Index/Körpermasseindex) von weniger als 17,5 gilt als Untergewicht.
Magersucht ist eine einsame Krankheit. Die Betroffenen ziehen sich zurück. Sie machen dies nicht nur, weil sie Mahlzeiten mit Freunden und Familie umgehen wollen, sondern weil ihnen die Sucht nicht viel Spielraum lässt und sie Gespräche über Essen und Nichtessen vermeiden wollen. Je nachdem, wie sie ihre selbstgesteckten Abnehmziele erreichen, sind sie Stimmungsschwankungen ausgesetzt und anfällig für Depressionen oder Angststörungen.
Bei Mädchen führen die Mangelernährung und das starke Abnehmen dazu, dass die Periodenblutung ausbleibt. Auch die sexuelle Lust geht verloren. Ein Zeichen fortschreitender Magersucht ist Haarausfall. Andererseits kann sich sogenanntes Lanugohaar bilden, ein Haarflaum im Gesicht und auf dem Rücken.
Durch die Mangelernährung kommt es zu Konzentrationsschwierigkeiten, zu Schlafstörungen und Müdigkeit. Durch Hunger oder Essensattacken können Bauchschmerzen auftreten. Schon kleine Mahlzeiten können beim restriktiven Typ ein unangenehmes Völlegefühl erzeugen. Beim Purging-Typ kommt es durch häufiges Erbrechen zu Kreislaufbeschwerden, schmerzhaften Speiseröhrenentzündungen und einer Schädigung des Zahnschmelzes.
Mit weiter sinkendem Körpergewicht verlangsamt sich der Puls, der Blutdruck sinkt, die Organe werden nicht mehr ausreichend versorgt. Es kommt zu Herzrhythmusstörungen und Störungen der Nierenfunktion. Der Nährstoffmangel verursacht Knochenabbau (Osteoporose), der nicht rückgängig zu machen ist.
Ein lebensbedrohliches Untergewicht (Kachexie) besteht, wenn der Körper nahezu alle Fettreserven aufgebraucht hat und die Muskelmasse größtenteils abgebaut wurde. Dies zeigt, dass eine Essstörung kein Lifestyle-Problem, sondern eine tödliche Krankheit ist.
Angehörige, die sich Sorgen machen, sollten frühzeitig handeln. In den meisten Fällen wird die (oder der) Magersüchtige die Erkrankung leugnen oder herunterspielen. Ein Selbsttest kann Betroffenen helfen, herauszufinden, ob eine Essstörung vorliegt.
Essstörungen-Test auf therapie.de von Pro Psychotherapie e.V.:
https://www.therapie.de/psyche/info/test/sucht-tests/essstoerungen/#_
Egal wie das Ergebnis aussieht, es sollte besorgte Eltern nicht davon abhalten, sich Hilfe bei einer Beratungsstelle zu suchen oder das Thema beim Hausarzt anzusprechen, der weiter verweisen kann. Je kürzer die Essstörung andauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie vollständig überwunden werden kann und dass Folgeschäden ausbleiben. Man schätzt, dass rund die Hälfte aller Magersüchtigen mithilfe therapeutischer Begleitung die Essstörung langfristig vollständig besiegen kann.
MSD Manual, Evelyn Attia; B. Timothy Walsh – Anorexia nervosa: https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/psychische-störungen/essstörungen/anorexia-nervosa (online, letzter Abruf: 28.02.2022)
Schön Klinik – Magersucht: https://www.schoen-klinik.de/magersucht (online, letzter Abruf: 28.02.2022)
t-online – Magersucht und Bulimie - Zehn Anzeichen für Essstörungen bei Jugendlichen: https://www.t-online.de/gesundheit/kindergesundheit/kinderkrankheiten/id_43970312/essstoerung-zehn-erste-anzeichen-fuer-magersucht-und-bulimie.html (online, letzter Abruf: 28.02.2022)
aktualisiert am 28.02.2022