Beim Guillain-Barré-Syndrom (GBS) handelt es sich um eine seltene entzündliche Erkrankung des peripheren Nervensystems (Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks). Sie kann sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auftreten. Frauen sind seltener betroffen als Männer.
Beim Guillain-Barré-Syndrom kommt es zu einer Muskelschwäche, die meist in den Beinen beginnt und sich innerhalb von Tagen oder Wochen nach oben hin über den gesamten Körper ausbreiten kann. In seltenen Fällen beginnt die Schwäche auch im Kopf- oder Armbereich und breitet sich Richtung Beine aus. Das Guillain-Barré-Syndrom zählt zu den Autoimmunerkrankungen. Das sind Krankheiten, bei denen sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet. In diesem Fall wird das eigene Nervensystem bekämpft und geschädigt. Kribbeln, Schmerzen oder Taubheitsgefühle können zusätzlich zur Muskelschwäche auftreten. Wenn auch die Atemmuskulatur von der Lähmung mit betroffen ist, kann das Guillain-Barré-Syndrom lebensbedrohlich werden.
Eine schnellstmögliche stationäre Behandlung ist deshalb wichtig. Mit Hilfe von Immunglobulinen (bestimmten Antikörpern) oder einem Plasmaaustausch (Reinigung des Blutes mit Herausfiltern schädlicher Stoffe, die die Nerven angreifen) kann die Erkrankung in der Regel gut behandelt werden. Bei vielen Betroffenen bilden sich die Symptome vollständig zurück. Bei manchen bleibt eine Muskelschwäche. Einige Patienten sterben auch an der Erkrankung.
Wie bei anderen Autoimmunerkrankungen sind die Ursachen des Guillain-Barré-Syndroms nicht vollständig geklärt. Häufig treten die ersten Symptome im Zusammenhang mit einer durchgemachten Infektionskrankheit auf. Das kann beispielsweise eine Magen-Darm-Infektion mit Durchfall durch das Bakterium Campylobacter jejuni, eine Grippe, eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber) oder eine COVID-19-Erkrankung sein. In vereinzelten Fällen kann das Guillain-Barré-Syndrom auch nach einer Grippe-Impfung oder einer Operation auftreten.
In jedem Fall richten sich Antikörper des eigenen Immunsystems (sogenannte Autoantikörper) gegen das periphere Nervensystem des Betroffenen. Ein peripherer Nerv besteht aus der innenliegenden Nervenfaser (Axon) und einer umhüllenden Schicht, der Myelinscheide. Das Axon übermittelt die elektrischen Impulse. Die Myelinscheide ermöglicht eine schnelle Reizweiterleitung. Bei der Autoimmunreaktion werden die Myelinscheiden oder die Axone oder beides vom Immunsystem angegriffen und geschädigt. Dadurch wird die Reizübertragung von den Nerven auf die Muskeln und andere Strukturen beeinträchtigt. Es kommt zu Sensibilitätsstörungen, Schwächen und Lähmungen.
Die Symptome sind beim Guillain-Barré-Syndrom im Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt. Manche Betroffene klagen über Beschwerden wie Gefühlsstörungen, Unsicherheit beim Gehen oder Schwäche in den Beinen. Bei anderen sind ganze Körperabschnitte gelähmt. Typisch ist ein plötzlicher Beginn der Beschwerden, der innerhalb von drei bis vier (maximal acht) Wochen seinen Höhepunkt erreicht. Auf diesem Höhepunkt bleiben die Symptome meist für mehrere Wochen und klingen danach langsam wieder ab. Die Muskelschwäche beginnt häufig in den Beinen und kann über den Rumpf und die Arme bis zum Kopf aufsteigen. Dabei treten die Beschwerden immer auf beiden Körperseiten auf.
In schlimmen Fällen sind auch die Atemmuskulatur und Muskeln des Herz-Kreislauf-Systems (mit Folgen wie Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall) betroffen. Dann können eine künstliche Beatmung und weitere lebensrettende Maßnahmen nötig werden. Auch die Kontrolle von Blase und Darm kann verloren gehen. Außerdem können Sehstörungen auftreten, wenn die Augenmuskulatur mit betroffen ist. Sprechprobleme oder Schluckstörungen sind bei Beteiligung der Hals-, Mund- und Rachenmuskulatur möglich. Gesichtsmuskellähmungen wie eine beidseitige Fazialisparese können ebenfalls auftreten. Begleitend zur Muskelschwäche sind Schmerzen, Kribbeln oder Taubheitsgefühle möglich. Durch die Schädigung der Nerven kommt es auch zur Abschwächung oder zum Ausfall der Muskeleigenreflexe.
Eine Sonderform des Guillain-Barré-Syndroms ist das Miller-Fisher-Syndrom. Hierbei treten Koordinationsstörungen, Gangstörungen, Reflexausfälle und Lähmungen der Augenmuskeln auf.
Zunächst erfolgt die Untersuchung durch den Arzt. Im Gespräch (Anamnese) lässt sich der Arzt die Symptome genau schildern. Er fragt nach zurückliegenden Infektionen und kürzlich erfolgten Impfungen. Anschließend werden das Gangbild (wenn möglich), die Muskelkraft in Armen, Beinen und Rumpf sowie die Reflexe beurteilt. Aus dieser Untersuchung kann ein erster Verdacht auf das Guillain-Barré-Syndrom abgeleitet werden.
Für eine Bestätigung der Diagnose müssen weitere Untersuchungen erfolgen. Gebräuchlich sind:
Eine Magnetresonanztomografie (MRT) dient eher dazu, andere Ursachen wie Rückenmarksschädigungen auszuschließen.
Um die Diagnose Guillain-Barré-Syndrom eindeutig stellen zu können, müssen Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ähnliche Symptome verursachen. Mögliche andere Diagnosen sind:
Durch bildgebende Verfahren und Laboruntersuchungen lässt sich das Guillain-Barré-Syndrom von den oben genannten anderen möglichen Ursachen gut abgrenzen.
Die Therapie von Betroffenen mit Guillain-Barré-Syndrom erfolgt im Krankenhaus. Beteiligungen von Atmung, Schlucken und Herz-Kreislauf-System lassen sich so frühzeitig erkennen. Je nach Ausprägung der Symptomatik ist eine intensivmedizinische Betreuung inklusive künstlicher Beatmung, künstlicher Ernährung und regelmäßiger Umlagerung zur Vermeidung vonDruckgeschwüren (Dekubitus) nötig.
In leichten Fällen kann lediglich eine Überwachung des Patienten notwendig sein. Bei schweren Verläufen stehen zwei Formen der Therapie zur Wahl. Die eine ist die intravenöse Gabe (über Infusion) von verschiedenen Antikörpern über mehrere Tage hinweg. Ziel ist es dabei, die Reaktion des Immunsystems gegen das eigene Nervensystem abzumildern, bestenfalls zu normalisieren. Eine weitere Therapiemöglichkeit ist die Plasmapherese (Plasmaaustausch oder Blutwäsche). Dabei werden die Autoantikörper (Antikörper des Immunsystems gegen das Nervensystem) aus dem Blut gefiltert. Diese Therapie verhindert allerdings nicht, dass der Körper neue Autoantikörper bildet. Deshalb muss die Plasmapherese häufig mehrfach durchgeführt werden. Eine gleichzeitige Anwendung beider Therapieverfahren wird nicht empfohlen. Der Einsatz von Cortison ist beim akuten Guillain-Barré-Syndrom nicht wirkungsvoll.
Begleitend ist eine Thrombose-Prophylaxe sinnvoll. Durch die Schwäche oder die Lähmungen können die Patienten sich oft nicht mehr ausreichend selbst bewegen. Physiotherapeutische Maßnahmen zum Erhalt der Gelenkbeweglichkeit und zur Unterstützung des Genesungsprozesses werden ebenfalls empfohlen. Bei manchen Betroffenen ist auch eine psychologische oder psychotherapeutische Begleitung nötig. Durch die Symptomatik des Guillain-Barré-Syndroms kann es zu Angststörungen oder depressiven Symptomen kommen.
Da die Rückbildung der Symptome mehrere Monate dauern kann, ist eine langfristige ärztliche und physiotherapeutische Nachbehandlung nötig. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus folgt häufig zuerst eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme.
Eine Vorbeugung ist nicht möglich, da die Ursachen und die genaue Entstehung des Guillain-Barré-Syndroms noch nicht geklärt sind.
Eine einheitliche Prognose für das Guillain-Barré-Syndrom kann nicht angegeben werden. Der Verlauf kann stark variieren. Die Prognose ist in der Regel umso schlechter, je älter der Patient ist und je schneller und schwerer die Symptomatik begonnen hat. Die Aussichten sind ebenfalls dann verschlechtert, wenn eine künstliche Beatmung notwendig war. Zwischen drei und sieben Prozent der Betroffenen sterben an der Erkrankung. Bei ungefähr zehn Prozent bleiben ausgeprägte Schwächen oder Gefühlsstörungen auch auf Dauer bestehen. Bei circa 15 Prozent der Patienten bilden sich die Symptome vollständig zurück.
Nach Symptombeginn erreichen die Beschwerden nach drei bis vier Wochen ihren Höhepunkt. In seltenen Fällen kann diese Phase auch bis zu acht Wochen andauern. Danach pendelt sich die Symptomatik meist mehrere Wochen auf diesem Niveau ein, bevor sie sich langsam wieder zurückbildet. Die Rückbildung der Beschwerden kann mehrere Monate dauern. Bei Kindern ist die Prognose besser. Sie entwickeln seltener Folgeschäden als Erwachsene.
AWMF online – Diagnose und Therapie des Guillain-Barré Syndroms im Kindes- und Jugendalter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/022-008.html (online, letzter Abruf: 03.11.2022)
Deutsches Ärzteblatt, Jean-Pierre Malin; Eckhard Sindern – Das akute Guillain-Barré-Syndrom: https://www.aerzteblatt.de/archiv/2213/Das-akute-Guillain-Barre-Syndrom (online, letzter Abruf: 03.11.2022)
Neurologisches Rehabilitationszentrum Quellenhof - Guillain-Barré-Syndrom/Diagnose und Differentialdiagnosen: https://www.sana.de/quellenhof-wildbad/medizin-pflege/guillain-barre-syndrom/krankheitsbild/diagnose-und-differentialdiagnose (online, letzter Abruf: 03.11.2022)
aktualisiert am 03.11.2022