Im englischen Sprachgebrauch wird das Gerstenkorn mit dem Begriff „Stye“ bezeichnet, was zu Deutsch auch „Schweinestall“ bedeutet und auf Schmutz und Ansteckung hinweist. Tatsächlich ist ein Hordeolum, wie das Gerstenkorn in der medizinischen Fachliteratur genannt wird, eine ansteckende Krankheit, da die Infektion durch Bakterien hervorgerufen wird.
Einen wichtigen Schutz für unsere Augen vor schädlichen Einflüssen aus der Umwelt stellen die Augenlider und Wimpern dar. Die Tränenflüssigkeit sowie talghaltige Sekrete aus den Meibom-Drüsen und Zeis-Drüsen sowie die Schweiß absondernden Moll-Drüsen (Wimperndrüsen) ergänzen diesen Schutzmechanismus.
Treten Bakterien in diese Drüsen ein, reagiert unser Immunsystem und versucht die Keime abzuwehren. Abgestorbene Zellen rund um dieses Infektionsgeschehen verbinden sich mit den toten Bakterien zu Eiter. Die Farbe des Eiters hängt unter anderem von der Art des Bakteriums ab. Beim Gerstenkorn bildet sich ein abgekapselter, mit gelbem Eiter gefüllter Raum am Lidrand. Als Verursacher stellt sich überwiegend ein Bakterium namens Staphylococcus aureus („die goldene Beere“) heraus. Bei immerhin 90 Prozent aller auftretenden Gerstenkörner wird dieses Bakterium als Auslöser festgemacht. Deutlich seltener sind sogenannte Streptokokken als Grund auszumachen.
Beide Keime sind überall in unserer Umwelt zu finden. Sie besiedeln die Haut oder sind in der Nase und im Darm auch von gesunden Erwachsenen zu finden. Damit sie gefährlich werden, müssen weitere Faktoren zutreffen.
Entscheidend ist, dass sie einen geeigneten Nährboden finden. In den Drüsen des Augenlides treffen sie auf Eiweiße der Moll-Drüsen und Fette in den Meibom- und Zeis-Drüsen. Diese bilden eine hervorragende Nahrungsquelle für die Bakterien. Ein gesunder Organismus kann eine Infektion meist abwehren. Ist unser Immunsystem hingegen durch andere Erkrankungen angeschlagen, genügen die körpereigenen Abwehrkräfte oft nicht mehr. Eine besondere Bedeutung kommt der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) zu. Neben einer Abwehrschwäche ist der hohe Zuckeranteil in der Tränenflüssigkeit als eine zusätzliche Nahrungsquelle für Bakterien zu nennen. Zu all dem kommen noch die üblichen Verdächtigen für eine erhöhte Infektanfälligkeit wie Stress, Alkohol, Nikotin und Bewegungsmangel infrage.
Die Bakterien können sich nicht selbstständig bewegen. Das heißt, es muss Übertragungswege geben, über die Keime an den Lidrand und in die Drüsen gelangen können. Staphylokokken sowie Streptokokken sind bei vielen Menschen Bestandteil der Hautflora oder in deren Nase anzutreffen, ohne jedoch eine Krankheit auszulösen.
Aufgrund der eigenen Hautflora oder bei Kontakt mit anderen Personen sowie über das Berühren von Gegenständen gelangen die Bakterien auf die Hände und von hier in die Augen. Dieser Übertragungsweg wird Schmier- oder Kontaktinfektion genannt und ist für das Gerstenkorn typisch.
Schon die örtliche Nähe von Nase und Augen lässt eine Übertragung der Keime von dort aus wahrscheinlich werden. Über die Hände finden die Bakterien auch von anderen Körperregionen ihren Weg in die Drüsen der Augenlider. Die Hände können somit als der wesentliche Übertragungsweg angesehen werden.
Türgriffe, Telefonhörer, Computertastaturen und andere gemeinsam benutzte Gegenstände führen unbemerkt zur Übertragung von Keimen auf unsere Hände. Von dort ist der Weg zum Auge nicht weit.
Verunreinigungen in Kosmetika oder das Tragen von Kontaktlinsen stellen eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das Einbringen von Keimen in die Augen dar. Eyeliner, Mascara und andere Kosmetika werden bei deren Herstellung auf Keimfreiheit untersucht. Bei der täglichen Anwendung sollten diese einer normalen häuslichen Hygiene unterworfen werden. Viele Kosmetikprodukte sind begrenzt haltbar. Gerade wenn sie mit dem Finger entnommen werden, können sie ein Nährboden für das Wachstum von Mikroorganismen sein.
Beim Tragen von Kontaktlinsen bildet sich zwischen der Linse und der Hornhaut des Auges ein dünner Film aus Eiweißen und Fetten. Dieser bleibt nach dem Entnehmen der Linsen, selbst bei einer fachgerechten Reinigung, auf der Kontaktlinse vorhanden. Zur Reinigung von Kontaktlinsen sollte ausschließlich ein vom Optiker empfohlenes Desinfektionsmittel zur Anwendung kommen. Hier ist das Haltbarkeitsdatum strikt einzuhalten.
Wurden solche Reiniger für Kontaktlinsen oder Augenkosmetika während eines Gerstenkorns verwendet, empfiehlt es sich, diese in jedem Fall auszutauschen.
Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch ist gleichermaßen für möglich zu halten. Nur den wenigsten Menschen wird man jedoch erlauben, das eigene Gesicht anzufassen. Die Augen stehen sogar noch unter dem besonderen Schutz des Lidschlussreflexes. Nur in seltenen Fällen wird eine Schmierinfektion durch andere Menschen das Auge direkt betreffen. Über den Umweg, vor allem der Hände, besteht indes ein hohes Risiko, sich mit den Keimen des Gegenübers anzustecken.
Andere Personen können sich prinzipiell bei einem Betroffenen mit einem Gerstenkorn anstecken. Das Infektionsrisiko ist in diesem Fall allerdings gering. Ob die Staphylokokken oder Streptokokken indes ebenfalls ein Gerstenkorn oder eine der verschiedenen anderen möglichen Erkrankungen verursachen oder ob sie lediglich Teil der Hautflora werden, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.
Ein Hordeolum kann entstehen, wenn die Staphylokokken oder Streptokokken in eine Drüse des Augenlides eindringen. Meist bildet sich das Gerstenkorn dann, wenn der Abfluss aus der Drüse erschwert oder blockiert ist. Die Gefahr ist bei einigen Menschen höher als bei anderen. Maßgeblich ist die Frage, inwiefern das Immunsystem imstande ist, die Eindringlinge abzuwehren. Im Normalfall bilden Haut und Schleimhäute eine äußerst effiziente Hülle, die uns neben Verletzungen unter anderem vor Krankheitserregern bewahrt. Doch können Vorerkrankungen wie Autoimmunerkrankungen (Erkrankungen mit fehlgesteuerter Immunreaktion), Allergien oder Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems unsere körpereigene Abwehr aktiv schwächen. Zudem tragen bestehende Infektionskrankheiten dazu bei, die Fähigkeit zum Widerstand gegenüber anderen Keimen zu verringern.
Die Augen sind stets allen Umwelteinflüssen ausgesetzt und müssen Rauch, Staub oder Sonnenlicht ertragen. Hinzu kommen chemische Reize, wie beispielsweise durch gechlortes Wasser im Schwimmbad. Die natürliche Abwehrfunktion des Auges wird auf diese Weise zusätzlich geschwächt und kann die Entstehung eines Gerstenkorns fördern.
Die Ursachen für eine Schwächung des Immunsystems sind vielfältig. Stress zählt für viele Menschen zum Alltag, gehört indes erwiesenermaßen zu den wichtigsten Risikofaktoren für eine herabgesetzte Immunabwehr.
Das Arbeiten am PC mag einen häufigen Grund für psychische Stresssituationen darstellen. Der andauernde starre Blick auf einen Bildschirm birgt die Gefahr, dass die Augen nicht mehr ausreichend mit Tränenflüssigkeit benetzt werden. Eine ungenügende Versorgung der Augen durch Nährstoffe bietet dem Staphylococcus aureus die Möglichkeit, sich ohne Widerstand vermehren zu können.
Obgleich Staphylokokken und Streptokokken bei vielen Menschen zur normalen Hautflora gehören, darf deren krankmachende Eigenschaft nicht verharmlost werden. Insbesondere Staphylococcus aureus kann gefährliche Krankheiten hervorrufen. Über viele Jahre kann er sich harmlos verhalten. Doch aus dieser Warteposition heraus kann er bei entsprechend herabgesetzter Immunlage zum Verursacher einer Sepsis (Blutvergiftung) oder schweren Entzündungen am Herzen (Endokarditis) und Gehirn (Meningitis) werden. Zudem sind Stämme von Staphylococcus aureus als Krankenhauskeim MRSA bekannt, der sich durch die üblichen Antibiotika nicht mehr bekämpfen lässt.
Auch beim Gerstenkorn darf die Gefahr einer schweren Erkrankung nicht unterschätzt werden. In ungünstigen, allerdings seltenen Fällen können die Bakterien in die Augenhöhle oder die Gehirnhäute (Meningen) streuen. Bisweilen wird eine begleitende Entzündung (Konjunktivitis) oder eine Schwellung (Chemosis) der Bindehaut beobachtet. Zwar beschränkt sich die Infektion bei einem Hordeolum zunächst nur auf ein Auge. Durch eine Schmierinfektion besteht vdie Möglichkeit, das noch gesunde Auge ebenfalls in Mitleidenschaft zu ziehen.
GERSTENKORN.NET, Dr. Jörg Schweikart – Entstehung und Grund, Ursache für Gerstenkorn: https://www.gerstenkorn.net/ursache/ (online, letzter Abruf: 25.05.2020)
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Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – Schmierinfektion - Wie werden Erreger bei einer Kontaktinfektion übertragen?: https://www.infektionsschutz.de/infektionskrankheiten/uebertragungswege/schmierinfektion.html (online, letzter Abruf: 25.05.2020)
R-Biopharm AG – Mikroorganismen in Kosmetik: Make-up als Keimfalle?: https://food.r-biopharm.com/de/news/mikroorganismen-in-kosmetik-make-up-als-keimfalle/ (online, letzter Abruf: 25.05.2020)
Spektrum, Dr. Jan Osterkamp – Immunsystem: Stress öffnet Erkrankungen Tür und Tor: https://www.spektrum.de/news/stress-oeffnet-erkrankungen-tuer-und-tor/1147677 (online, letzter Abruf: 25.05.2020)
Amboss – Erkrankungen durch Staphylokokken: https://www.amboss.com/de/wissen/Erkrankungen_durch_Staphylokokken (online, letzter Abruf: 25.05.2020)
aktualisiert am 25.05.2020