Das chronische Erschöpfungssyndrom wird auch Chronic Fatigue Sydrome (CFS) oder myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt. Ärzte verwenden heute eher die Begriffe CFS oder ME, auch die zusammengesetzte Abkürzung ME/CFS ist gebräuchlich. Bei diesem Syndrom handelt es sich um ein über lange Zeit anhaltendes Gefühl von tiefer Erschöpfung, das auch durch Ruhe und Schonung nicht verschwindet. Zur Erschöpfung kommen häufig weitere Symptome wie Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen oder Verdauungsstörungen hinzu.
Meist kann weder auf körperlicher noch auf psychischer Ebene eine konkrete Ursache gefunden werden, die die Beschwerden erklärt. Dennoch sind die Symptome ernst zu nehmen. Die Lebensqualität der Betroffenen ist erheblich reduziert. Viele sind oder werden arbeitsunfähig. Die Behandlung eines chronischen Erschöpfungssyndroms erfolgt individuell und findet auf mehreren Ebenen statt. Dabei geht es vorwiegend darum, die Symptome zu lindern.
Genaue Zahlen zur Häufigkeit des chronischen Fatigue-Syndroms liegen nicht vor. Für Deutschland wird davon ausgegangen, dass etwa 300.000 Personen an CFS erkrankt sind. Möglicherweise gibt es eine hohe Dunkelziffer an nicht erkannten Fällen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Auch Kinder können an einem chronischen Erschöpfungssyndrom leiden. Das typische Erkrankungsalter liegt zwischen dem 20. und dem 50. Lebensjahr.
Wie genau das chronische Erschöpfungssyndrom entsteht, ist noch nicht geklärt. Die Erkrankung entwickelt sich auf neurologischer (das Nervensystem betreffender) und immunologischer (das Immunsystem betreffender) Ebene und auf der Ebene von Stoffwechsel und Hormonhaushalt. Betroffene bilden sich die Beschwerden nicht ein und täuschen sie auch nicht vor. Forscher gehen derzeit davon aus, dass es sich um eine kombinierte Störung des Immunsystems und des Energiestoffwechsels handelt.
Manche Faktoren scheinen die Entstehung eines CFS zu begünstigen. Hierzu zählt körperlicher und psychischer Stress in Kombination mit einem Infekt. Dies können beispielsweise eine Erkrankung an Pfeifferschem Drüsenfieber (Epstein-Barr-Virus), eine Erkrankung durch das Zytomegalie-Virus und andere Infektionen sein. Auch nach Erkrankung mit dem Coronavirus (COVID-19) werden tiefe Erschöpfungszustände beschrieben. Diese können manchmal im Rahmen von Long COVID (lange anhaltenden Beschwerden durch Corona-Infektion) vorkommen. Des Weiteren kann CFS nach belastenden Lebensereignissen wie schweren Verletzungen, Operationen, Schwangerschaften oder dem Verlust einer nahestehenden Person auftreten. Möglicherweise spielen auch genetische Faktoren eine Rolle.
Neben den begünstigenden Faktoren gibt es auch Einflüsse, die ein chronisches Fatigue-Syndrom aufrechterhalten oder verschlimmern können. Hierzu zählen Stress, Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Infekte, Unfälle und Operationen. Weitere Probleme, die ein CFS begünstigen, sind fehlende soziale Unterstützung oder das Gefühl, mit den Beschwerden nicht ernst genommen zu werden.
Die Beschwerden bei einem CFS sind vielfältig. Sie treten oft plötzlich nach einer Erkrankung oder einem belastenden Lebensereignis auf. Manchmal entwickeln sie sich auch langsam über einen längeren Zeitraum hinweg. Als CFS werden die Beschwerden bezeichnet, wenn eine Erschöpfung länger als sechs Monate besteht. Bei Kindern wird bereits nach einer Zeit von drei Monaten von einem chronischen Erschöpfungssyndrom gesprochen.
Neben der langandauernden tiefen Erschöpfung (Fatigue) kommen folgende Symptome häufig vor, an denen man ein CFS erkennen kann:
Im Gespräch zwischen Arzt und Patient (Anamnese) lässt sich der Arzt die Beschwerden genau schildern. Typische Fragen sind:
Die Diagnose chronisches Erschöpfungssyndrom oder CFS ist eine Ausschlussdiagnose. Sie kann gestellt werden, wenn keine anderen Erkrankungen festgestellt werden können, die die Symptome erklären. Mit Hilfe von Blutuntersuchungen können eine Anämie, Probleme mit der Niere oder der Nebenniere, Störungen der Schilddrüsenfunktion oder des Mineralienhaushaltes als mögliche Ursachen für die Beschwerden festgestellt werden. Im Schlaflabor können Schlafstörungen genauer untersucht werden. Häufig werden Ultraschalluntersuchungen, EKG (Elektrokardiogramm), Lungenfunktionstests und Magen-Darm-Untersuchungen zum Ausschluss anderer Erkrankungen durchgeführt.
Im Jahr 2015 wurden in den USA verschiedene Diagnosekriterien festgelegt, um ein einheitliches Schema zu haben, nach dem Ärzte die Diagnose ME/CFS stellen können. Damals wurde auch der Name SEID (Systemic Exertion Intolerance Disease, übersetzt etwa: Systemische Anstrengungs-Intoleranz-Krankheit) vorgeschlagen. Eine SEID liegt demnach vor, wenn:
Neben diesen drei Punkten muss einer der folgenden zusätzlich zutreffen:
Es gibt weitere Diagnosekriterien, beispielsweise die kanadischen Konsensuskriterien (CCC) oder die internationalen Konsenskriterien (ICC). Beide sind etwas ausführlicher und differenzierter als die oben genannten und weichen teilweise von diesen ab.
Um die Diagnose CFS stellen zu können, müssen Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ähnliche Symptome verursachen können. Hierzu zählen:
Das chronische Erschöpfungssyndrom führt zu Beschwerden, die auch bei einer Depression auftreten können. Dazu gehören Schlafstörungen, Gedächtnisschwierigkeiten und besonders eine ausgeprägte Erschöpfung. Typisch für eine Depression ist, dass sich die Erschöpfungszustände und weiteren Symptome bessern, wenn regelmäßig Bewegung ausgeübt wird. Bei CFS hingegen führt zu viel Aktivität zu einer Verschlimmerung. Eine Depression entsteht üblicherweise langsam, während ein chronisches Erschöpfungssyndrom meist innerhalb kurzer Zeit eintritt. Dabei kommt es oft zu Krankheitssymptomen wie Fieber, Kopfschmerzen, Halsschmerzen oder Beschwerden an den Lymphknoten. Darüber hinaus ziehen sich Betroffene mit einer Depression eher zurück, Betroffene mit CFS wenden sich jedoch normalerweise von selbst an andere Menschen, um ihre Situation zu verbessern.
Die Therapie wird individuell auf den einzelnen Betroffenen abgestimmt. Sie besteht in der Regel aus Bausteinen verschiedener Behandlungsansätze (multimodales Konzept). Eine spezielle Therapie gibt es bislang noch nicht. Ziel ist es, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dabei ist es wichtig, die Aktivitäten des täglichen Lebens an die eigenen Belastungsgrenzen anzupassen (sogenanntes Pacing).
Je nach den Symptomen können folgende Behandlungsmethoden zum Einsatz kommen:
Weiterhin werden ein regelmäßiger Tagesablauf und eine ausgewogene Ernährung empfohlen. Körperlicher und psychischer Stress sind zu vermeiden. Um Stress abzubauen, können Entspannungsverfahren wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Atemübungen und andere Verfahren helfen.
Da die Ursachen weitgehend unbekannt sind, ist das Vorbeugen schwierig. Auch können verschiedene Infektionen an der Entstehung von CFS beteiligt sein. Deshalb sind Maßnahmen allgemein sinnvoll, die das Ansteckungsrisiko senken. Auch die Vermeidung von körperlicher und psychischer Überlastung trägt zur Vorbeugung einer chronischen Erschöpfung bei. Ein gesunder Lebensstil mit einer ausgewogenen Ernährung, ausreichend Bewegung und Entspannung ist für die allgemeine Gesundheit wichtig und kann somit auch für das Verhindern eines Erschöpfungssyndroms nützlich sein.
Der Verlauf der Erkrankung ist individuell sehr unterschiedlich. In manchen Fällen bessern sich die Beschwerden nach Monaten oder Jahren wieder. In anderen Fällen ist die Beeinträchtigung dauerhaft. Oft stellt sich zumindest eine teilweise Besserung ein. Viele Menschen mit chronischem Erschöpfungssyndrom haben so erhebliche Einschränkungen, dass sie den Beruf nicht mehr ausüben können. Manche Betroffene können das Haus nicht mehr verlassen oder sind bettlägerig und pflegebedürftig. Eine Behandlung, die sicher zu einer Heilung von CFS führt, gibt es derzeit nicht. Im Wesentlichen lassen sich durch die Behandlungsmaßnahmen nur die Beschwerden reduzieren. Erkrankungen wie Infektionen oder belastende Lebensereignisse können immer wieder zu Rückfällen und Verschlechterungen des Gesundheitszustandes führen.
Weiterführende Informationen für Betroffene
Fatigatio e.V.: https://www.fatigatio.de/
Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V.: https://www.mecfs.de/
Mediclin Deister Weser Kliniken – Burn-out und Chronische Erschöpfung: https://www.deister-weser-kliniken.de/fachbereiche-krankheitsbilder/krankheitsbilder-a-z/burnout-und-chronisches-erschoepfungssyndrom/ (online, letzter Abruf: 21.02.2023)
MSD Manual, Stephen Gluckman – Chronisches Erschöpfungssyndrom: https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/spezialthemen/chronisches-ersch%C3%B6pfungssyndrom/chronisches-ersch%C3%B6pfungssyndrom (online, letzter Abruf: 21.02.2023)
TK, Salima Coy – ME/CFS: mehr als nur Erschöpfung: https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/neurologische-einschraenkungen/me-cfs-mehr-als-nur-erschoepfung-2016418 (online, letzter Abruf: 21.02.2023)
Fatigatio e.V. – ME/CFS: https://www.fatigatio.de/ (online, letzter Abruf: 21.02.2023)
aktualisiert am 21.02.2023