Prof. Schuppan: Bei Zöliakie-Patienten entsteht durch Glutenproteine in Weizenprodukten eine Entzündung im oberen Dünndarm. Diese Proteine können eine Dünndarmentzündung mit entsprechenden Beschwerden induzieren.
Prof. Schuppan: Typische Symptome der Zöliakie sind vor allem Bauchschmerzen, Durchfälle, kolikartige Beschwerden und Blähungen. Atypische Beschwerden können jedoch auch Gelenkschmerzen sein, sowie Störungen der Aufmerksamkeit oder Konzentrationsfähigkeit und der körperlichen Leistung. Ärzte müssen an Zöliakie denken, wenn sie keine andere klassische Ursache für die Beschwerden finden.
Prof. Schuppan: Das ist richtig. Viele Patienten zeigen atypische Symptome, die nicht nur den Bauch betreffen, und manche haben relativ leichte Symptome. Wenn man genauer hinschaut, können Laborwertveränderungen wie Anämie, Vitaminmangelzustände und fehlende Gewichtszunahme vorliegen. Bis zu 30% der erwachsenen Zöliakie-Patienten leiden an Autoimmunerkrankungen an anderen Körperstellen. Dazu gehören rheumatoide Erkrankungen, Typ-1-Diabetes und autoimmune Schilddrüsenerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow. Häufig führen erst diese Erkrankungen zur Diagnose einer Zöliakie.
Bis zu 30% der erwachsenen Zöliakie-Patienten leiden an Autoimmunerkrankungen an anderen Körperstellen.
Prof. Schuppan: Das ist nicht die Regel. Zum Beispiel bleibt eine Hashimoto-Thyreoiditis, bei der die Entzündung bereits ausgebrannt ist, oder ein manifester Typ-1-Diabetes, der insulinpflichtig ist und nicht mit Typ-2-Diabetes zu verwechseln ist, bestehen. Eine Zöliakie-Behandlung kann jedoch andere entzündliche Erkrankungen bremsen, wenn sie noch aktiv sind, da der Darm eine wichtige Rolle in der Regulation des gesamten Immunsystems spielt und andere Erkrankungen verstärken kann, wenn er entzündet ist.
Prof. Schuppan: Der häufigste Mangel ist Eisenmangel, der sich durch verminderte Leistungsfähigkeit bemerkbar macht. Bei älteren Patienten tritt häufig Osteoporose auf, auch bekannt als Knochenschwund, verursacht durch verminderte Aufnahme von Calcium und Vitamin D. Weitere häufige Mangelerscheinungen umfassen Zink, welches eine wichtige Rolle in vielen körperlichen Enzymen spielt, Vitamin B12 und Folsäure, als wichtige Bestandteile für die Blutbildung. Auch andere Vitamine der B-Klasse sind oft erniedrigt.
Selbst relativ asymptomatische Patienten können unter diesen Mängeln leiden und erst bei genauerer Untersuchung Anzeichen wie Knochenschwund oder Anämie bieten. Eine frühzeitige Diagnose und eine glutenfreie Diät können die Lebensqualität insgesamt erheblich verbessern.
Der häufigste Mangel ist Eisenmangel, der sich durch verminderte Leistungsfähigkeit bemerkbar macht.
Prof. Schuppan: Die Zöliakie ist eine der am besten verstandenen entzündlichen Erkrankungen, die zudem durch definierte Lebensmittelproteine (Gluten) ausgelöst wird. Man weiß viel über die immunologischen Mechanismen, was zu einem tieferen Verständnis der Erkrankung geführt hat. Dieses Wissen ermöglicht es mittlerweile, Medikamente zu entwickeln, was wichtig ist, da die glutenfreie Diät allein nicht immer effektiv oder einfach ist.
Prof. Schuppan: Die aktuelle Behandlung besteht hauptsächlich darin, auf Gluten zu verzichten. Gluten ist der Auslöser und eine genetische Voraussetzung muss vorhanden sein, damit Zöliakie entstehen kann. Etwa 30-40% der Bevölkerung haben diese genetische Voraussetzung, aber nur ein Teil entwickelt tatsächlich Zöliakie. Weitere Triggerfaktoren, u.a. bestimmte Darm-Infektionen sowie Nahrungsmittelgewohnheiten in der frühen Kindheit können ebenfalls eine Rolle spielen.
Obwohl die glutenfreie Diät sehr wirksam ist, reagieren etwa 30% der Patienten, die streng glutenfrei leben, immer noch auf kleinste Glutenmengen und haben weiterhin leichte bis mittelgradige Beschwerden, da eine vollständig glutenfreie Ernährung schwer umsetzbar ist.
Eine italienische Studie zeigte, dass Patienten, die sonst glutenfrei leben, durch eine kleine Menge Gluten, wie z.B. eine Oblate beim Abendmahl, wieder entzündliche Veränderungen und Beschwerden entwickeln konnten. Eine gezielte Untersuchung fand, dass selbst 50 mg Gluten täglich (weniger als ein halbes Prozent der üblich verzehrten täglichen Glutenmenge) über 6 bis 12 Wochen bei etwa 30% der Patienten zu deutlichen entzündlichen Veränderungen im Darm führten.
Gemeinsam mit Zedira und Falk Pharma haben wir ZED1127 entwickelt, das spezifischste und wirksamste Medikament gegen Zöliakie bislang. Es hemmt die Transglutaminase, ein körpereigenes Enzym, das eine entscheidende Rolle in der Aktivierung von Gluten und der daraus resultierenden Entzündung spielt. In einer Phase-2-Studie zeigten wir, dass ZED1127 die Darmschleimhaut vor Gluten-induzierten Entzündungen schützt. Die Studie umfasste 160 Patienten, die über 6 Wochen 3 g Gluten als Keks einnahmen und von denen 120 drei verschiedene Dosen des Medikaments als Tablette erhielten und eine Gruppe von 40 ein Placebo.
Die Patienten, die das Medikament erhielten, zeigten dosisabhängig weniger Beschwerden und Schleimhautschäden bis zur Normalisierung und ohne Nebenwirkungen. Weitere umfangreiche Studien sind im Gange, einschließlich einer Phase-3-Studie in Zusammenarbeit mit Takeda, die 2025 weltweit durchgeführt werden soll und dann ggf. zur Zulassung führen wird.
Gemeinsam mit Zedira und Falk Pharma haben wir ZED1127 entwickelt, das spezifischste und wirksamste Medikament gegen Zöliakie bislang.
Prof. Schuppan: In den meisten Ländern ist das Vermeiden glutenhaltiger Nahrungsmittel heutzutage nicht mehr so problematisch. Das Medikament richtet sich primär an die 30% der Patienten, die weiterhin Beschwerden haben. Es kann jedoch auch nützlich sein für Zöliakie-Patienten, die an sozialen Essen teilnehmen oder auch auf Reisen gehen und nicht sicher sein können, dass angebotene Speisen glutenfrei sind, wie auf Geschäftsreisen. Sie könnten das Medikament prophylaktisch für ein oder zwei Wochen einnehmen, um sich zu schützen, obwohl es nicht so preiswert sein wird wie eine Aspirin.
Prof. Schuppan: Die Übernahme durch Krankenkassen wäre hauptsächlich für die 20 bis 30% der Patienten relevant, die trotz ihrer Diät noch Beschwerden haben.
Prof. Schuppan: Das Medikament ist nicht dazu gedacht, auf die glutenfreie Diät zu verzichten, sondern als präventive Maßnahme auf Reisen oder für Patienten, die sehr empfindlich auf kleinste Mengen Gluten reagieren. Das primäre Ziel ist nicht, Patienten so zu behandeln, dass sie wieder unbegrenzt Gluten zu sich nehmen können. Der durchschnittliche Glutenkonsum liegt bei etwa 15 g pro Tag, was 150 g Mehl entspricht.
In manchen Ländern ist der Konsum noch höher. Das Medikament zielt darauf ab, etwa 3 g zu neutralisieren, was 20% des normalen Konsums entspricht. Patienten sollten weitgehend glutenfrei leben und das Medikament zusätzlich nutzen, da es schwierig ist, in Restaurants und selbst in als glutenfrei deklarierten Orten sicherzustellen, dass keine Glutenkontamination stattfindet. Das ist die Hauptbelastung für die Patienten.
Das Medikament ist nicht dazu gedacht, auf die glutenfreie Diät zu verzichten...
Prof. Schuppan: Basierend auf den bisherigen Daten bietet das Medikament über mehrere Stunden Schutz. Wir testen derzeit verschiedene Dosisverteilungen in der abgeschlossenen Studie: drei kleine Dosen über den Tag verteilt (morgens, mittags, abends) versus eine größere Dosis am Morgen. Die Ergebnisse werden zeigen, welches Schema wirksamer ist. Es ist nicht notwendig, das Medikament in direktem Zusammenhang mit den Mahlzeiten einzunehmen, was eine Erleichterung darstellt.
Prof. Schuppan: Es gibt andere Medikamente in Entwicklung, darunter systemisch verabreichte antientzündliche Antikörper, die entweder intravenös oder subkutan alle zwei bis vier Wochen gegeben werden. Diese zielen auf entzündliche Faktoren wie Interleukin 15 ab. Ein neuer Ansatz versucht, die Dichtigkeit der Darmbarriere zu verbessern, z.B. durch einen oral verfügbaren Wirkstoff der Firma Immunic.
Zudem gibt es Enzyme, die zu Mahlzeiten mit potenziellem Glutengehalt eingenommen werden müssen. Diese waren in der Vergangenheit wenig wirksam, doch neuere, halbsynthetische Enzyme können Gluten vor dem Erreichen des Dünndarms effektiv abbauen, lassen jedoch immer noch relevante Mengen Gluten übrig. Diese könnten in Kombination mit einem Transglutaminase-Hemmstoff interessant sein.
Prof. Schuppan: Die Heilung der Zöliakie wird durch Toleranzinduktion angestrebt, ähnlich einer Hyposensibilisierung gegen Allergien. Dies geschieht durch nanopartikuläre Therapien, die intravenös alle zwei bis vier Wochen verabreicht werden und Substanzen enthalten, die eine Immuntoleranz erzeugen könnten. Diese Nanopartikel richten sich primär an Organe wie die Milz oder die Leber, um Toleranzmechanismen für den Darm gegen Gluten zu induzieren. Eine solche Toleranz könnte dauerhaft sein, könnte jedoch auch durch eine Infektion schnell unterbrochen werden. Diese Ansätze sind noch weit entfernt von einer erfolgreichen klinischen Anwendung.
Die Heilung der Zöliakie wird durch Toleranzinduktion angestrebt, ähnlich einer Hyposensibilisierung gegen Allergien.
Prof. Schuppan: Ein neues Medikament könnte entscheidend dazu beitragen, dass Zöliakie-Patienten auch kleinste Mengen Gluten mit einer gewissen Sicherheit ausschließen können. Dies würde nicht nur die psychische Belastung erheblich reduzieren, sondern auch die soziale Interaktion verbessern, die oft durch die ständige Sorge um Glutenkontamination gestört wird.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 10.10.2024.