Prof. Ceballos-Baumann: Tremor ist der medizinische Fachbegriff für das umgangssprachliche Wort "Zittern" und bezeichnet eine regelmäßige, rhythmische Bewegungsstörung. Das bedeutet, dass es sich nicht um ein unregelmäßiges Wackeln oder Zucken handelt, sondern um eine konstante Bewegung mit einer bestimmten Frequenz. Die Frequenz kann charakteristisch für eine bestimmte Erkrankung sein. Der Parkinson-Tremor hat charakteristischerweise eine Frequenz von 4-6 Mal pro Sekunde. Man unterscheidet den Tremor nach seinen Aktivierungsbedingungen: In welcher Situation tritt er auf? In Ruhe, in Bewegung oder beim Halten?
Prof. Ceballos-Baumann: Ein sogenannter Ruhetremor tritt nur in Ruhe auf und ist charakteristisch für die Parkinson-Krankheit. Wenn jemand beim Halten eines Glases oder einer Tasse zittert, handelt es sich nicht um einen Ruhetremor, sondern um einen Haltetremor oder Bewegungstremor. Ein Bewegungstremor zeigt sich zum Beispiel beim Schreiben, wenn die Hand beim Schreiben zittert und wackelt.
Neben dem Ruhetremor und dem Aktionstremor (fasst den Bewegungstremor und Haltetremor zusammen) gibt es noch speziellere Formen, wie den Intentionstremor. Dieser tritt auf, wenn eine Bewegung ausgeführt wird und verstärkt sich, wenn man sich dem Ziel nähert. Ein typisches Beispiel ist, wenn jemand nach einem klingelnden Telefon greift und der Tremor zunimmt, je näher die Hand an das Telefon kommt. Es gibt auch Tremorformen, die bei bestimmten Tätigkeiten auftreten, z.B. eben beim Schreiben oder bei bestimmten Körperhaltungen, z.B. beim Greifen einer Computermaus. Auch Musiker können spezifische Tremorformen entwickeln, wie z.B. der Tremor der Mundmuskulatur bei Bläsern.
Prof. Ceballos-Baumann: Es ist wichtig zu wissen, dass nicht jeder Tremor auf Parkinson hinweist. Der häufigste Grund für einen Arztbesuch wegen Tremors ist der essentielle Tremor, der vor allem durch einen Aktions- oder Haltetremor gekennzeichnet ist. Beim essentiellen Tremor zittern die Hände beim Festhalten oder Bewegen, auch Kopf und Stimme können betroffen sein. Alle Menschen zittern bis zu einem gewissen Grad. Ein Tremor gilt als krankhaft, wenn er mit bloßem Auge leicht zu erkennen ist.
Ein verstärkter physiologischer Tremor kann durch Faktoren wie Aufregung, Hunger oder Kälte ausgelöst werden. Sind solche Ursachen ausgeschlossen, kann es sich um einen essentiellen Tremor handeln. Auch Medikamente, insbesondere Psychopharmaka, können einen Tremor auslösen. Der essentielle Tremor betrifft 1 bis 5% der Bevölkerung. Viele Menschen halten ihn für eine normale Alterserscheinung und suchen deshalb keinen Arzt auf. Es gibt jedoch Behandlungsmöglichkeiten, auf die später noch eingegangen wird.
Der für die Parkinson-Krankheit typische Ruhetremor wird, wie bei der Parkinson-Krankheit üblich, mit einer Dopaminersatztherapie behandelt. In den meisten Fällen ist der Tremor gut behandelbar. Tritt ein Tremor auf, muss auch die Einnahme bestimmter Medikamente überprüft werden. Auch Stoffwechselerkrankungen können einen Tremor auslösen.
Ein Tremor gilt als krankhaft, wenn er mit bloßem Auge leicht zu erkennen ist.
Prof. Ceballos-Baumann: Wir haben viele Patienten, die mit einem Tremor zu uns kommen und denken, dass sie Parkinson haben. Zunächst geht es darum, herauszufinden, wann der Tremor aufgetreten ist und ob es Tremorfälle in der Familie gibt. Typischerweise fragen wir auch, wie der Tremor auf Alkohol reagiert. Das hat nichts mit Alkoholkrankheit oder Alkoholismus zu tun. Eine typische Beobachtung ist, dass bei 50 bis 70% der Patienten mit essentiellem Tremor Alkohol den Tremor vorübergehend vollständig unterdrücken kann.
Außerdem untersuchen wir die Patienten neurologisch. Dabei beobachten wir den Tremor ganz genau: Wann tritt er auf? Ist er da, wenn der Patient ein Glas Wasser hält oder eine archimedische Spirale zeichnet? Diese Spirale hilft uns, die Schwingungen des Tremors zu dokumentieren. Dann folgt eine allgemeine neurologische Untersuchung, bei der wir z.B. den Gang des Patienten beobachten und seine Fähigkeit, schwierige Gehübungen wie den Seiltänzergang auszuführen. Wir lassen den Patienten auch mit dem Finger seine Nase berühren oder den Finger des Untersuchers folgen, um den Tremor besser beurteilen zu können.
Wenn wir feststellen, dass es sich vorwiegend um einen Aktions- oder Haltetremor handelt, überprüfen wir die Medikation des Patienten und fragen nach bestimmten Grunderkrankungen. Gegebenenfalls nehmen wir Blut ab, um z.B. die Schilddrüsenwerte zu überprüfen. Wir beurteilen auch, wie stark der Tremor den Alltag des Patienten beeinträchtigt. Bei Tremorformen, die keine funktionelle Beeinträchtigung darstellen, reicht es oft aus, zu erklären, worum es sich handelt.
Prof. Ceballos-Baumann: Beim Parkinson-Tremor, der typischerweise in Ruhe auftritt, achten wir auf andere Parkinson-Symptome und passen die medikamentöse Einstellung entsprechend an. Für den essentiellen Tremor stehen verschiedene symptomatische Medikamente wie Betablocker (z.B. Propranolol) und Antiepileptika zur Verfügung. Die medikamentöse Einstellung kann jedoch schwierig sein und erfordert Geduld. Manchmal müssen invasive Therapieverfahren wie die Tiefe Hirnstimulation (THS) oder die MRT-gestützte fokussierte Ultraschalltherapie in Betracht gezogen werden.
Wichtig ist die Aufklärung über psychische Folgeerscheinungen. Manche Patienten ziehen sich zurück und werden depressiv, weil sie ihren Tremor nicht in der Öffentlichkeit zeigen wollen. Hier können gesprächstherapeutische Maßnahmen und zusätzliche Medikamente helfen. Bei speziellen Tremorformen wie Schreib- oder Kopftremor kann Botulinumtoxin (Botox) eingesetzt werden. Dies ist vor allem bei unregelmäßigem Tremor hilfreich.
Wichtig ist die Aufklärung über psychische Folgeerscheinungen. Manche Patienten ziehen sich zurück und werden depressiv, weil sie ihren Tremor nicht in der Öffentlichkeit zeigen wollen
Prof. Ceballos-Baumann: Die Erfolgsaussichten der Medikamente schwanken zwischen 30 und 70% und müssen individuell abgewogen werden, ob die Wirkung ausreicht und die Nebenwirkungen tolerierbar sind. Manche Patienten nehmen situationsspezifisch Medikamente ein, um besonders Tremor auslösende Situationen wie Stress oder öffentliche Auftritte besser bewältigen zu können.
Prof. Ceballos-Baumann: Beim essentiellen Tremor ist es sehr wichtig, Entspannungstechniken zu erlernen und den Umgang mit Stress zu verbessern. Typischerweise wird der Tremor, egal ob es sich um einen Parkinson-Tremor oder einen essentiellen Tremor handelt, durch Stress verstärkt. Diese Stresssituation kann psychotherapeutisch und verhaltenstherapeutisch angegangen werden. Ein stressarmer Lebensstil wäre ideal, ist aber für viele Menschen schwer zu erreichen in der heutigen Zeit. Deshalb müssen auch andere Lösungen und Hilfsmittel, wie z.B. Medikamente, in Betracht gezogen werden.
Prof. Ceballos-Baumann: Es ist darauf zu achten, dass keine verstärkenden Faktoren im Hintergrund eine Rolle spielen. Beispielsweise kommt es bei Patienten mit Tremor und Asthma häufig zu einer Verstärkung des Tremors, wenn sie ein Asthmaspray verwenden. In solchen Fällen können andere Asthmamedikamente ausprobiert werden.
Bei Diabetikern kann ein Abfall des Blutzuckerspiegels den Tremor verstärken, was ebenfalls behandelt werden kann. Es ist hilfreich, Situationen zu vermeiden, die das Zittern verstärken können. Zum Beispiel sollte eine Kaffeetasse nur halb voll gegossen werden, da das Füllen bis zum Rand den Tremor verstärken kann. Dies hängt oft mit der Angst zusammen, etwas zu verschütten. Koffein verstärkt im Übrigen den Tremor.
Im Alltag kann man den Tremor lindern, indem man ein Trinkgefäß mit beiden Händen festhält und zum Mund führt. Ist der Tremor sehr stark, kann die Verwendung eines Strohhalms hilfreich sein. Dies zeigt auch das Ausmaß der Beeinträchtigung. Patienten, die berichten, dass sie einen Strohhalm benutzen, machen damit deutlich, wie sehr sie der Tremor beeinträchtigt.
Es ist darauf zu achten, dass keine verstärkenden Faktoren im Hintergrund eine Rolle spielen.
Prof. Ceballos-Baumann: Ein Tremor wie der Parkinson-Tremor oder der essentielle Tremor kann nicht im herkömmlichen Sinne geheilt werden, wie z.B. eine Lungenentzündung durch die Gabe von Antibiotika. Er kann aber behandelt werden. Es gibt bestimmte Situationen, in denen man von "Heilung" sprechen kann. Wenn z.B. eine Person aufgrund einer Lithium- oder Valproattherapie einen Tremor entwickelt hat und diese Medikamente abgesetzt werden, könnte dies als Heilung des Tremors betrachtet werden.
Ebenso kann bei Parkinson-Patienten, die durch Medikamente ein Parkinson-Syndrom entwickelt haben, das Absetzen der auslösenden Medikamente zu einer Situation führen, die einer Heilung ähnelt. Diese Fälle sind jedoch spezifisch und selten.
Prof. Ceballos-Baumann: Die Tiefe Hirnstimulation (THS) ist eine etablierte Therapieform, bei der Elektroden tief im Gehirn platziert und mit einem Impulsgeber verbunden werden. Dieser Impulsgeber wird, ähnlich wie ein Herzschrittmacher, meist unterhalb des Schlüsselbeins implantiert. Dieses Verfahren ist bereits zugelassen und gehört zur Standardtherapie. Bei Parkinson-Patienten ist die THS weit verbreitet, bei essentiellem Tremor weniger.
Ein relativ neues Verfahren ist die MRT-gestützte fokussierte Ultraschalltherapie, auch wenn in Deutschland noch relativ wenige Patienten diese Therapie in Anspruch nehmen. Im Gegensatz zur THS werden hier keine Elektroden implantiert. Stattdessen wird ein betroffener Hirnkern stark erhitzt. Dadurch wird der Regelkreis, der das Zittern verursacht, unterbrochen. Diese Therapie hat sich in den letzten Jahren etabliert und erfreut sich in anderen Ländern großer Beliebtheit. In Deutschland gibt es bisher nur zwei Zentren, die diese Behandlung anbieten, z.B. in Spanien oder den USA, ist diese Methode weiter verbreitet.
Eine weitere Behandlungsmethode ist die Therapie des Kopftremors mit Botulinumtoxin (Botox). Diese Therapie wird schon seit langem angewendet. Anfang dieses Jahres wurde in einer einflussreichen medizinischen Fachzeitschrift eine große Studie veröffentlicht, die die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Methode bestätigt.
Prof. Ceballos-Baumann: Es gibt einige interessante Entwicklungen in der aktuellen Tremorforschung. Die pharmazeutische Industrie ist immer auf der Suche nach häufigen Indikationen und der essentielle Tremor ist weitaus verbreiteter als die Parkinson-Krankheit. Daher gibt es viele Bemühungen, neue Medikamente zur Behandlung des essentiellen Tremors zu finden.
Die derzeit verfügbaren Medikamente sind nicht mehr patentgeschützt und mit Ausnahme von Propranolol nicht speziell für die Behandlung des essentiellen Tremors zugelassen. Dies bietet der pharmazeutischen Industrie ein großes Marktpotenzial, weshalb intensiv geforscht wird. Trotz Fortschritte ist derzeit kein neues Medikament kurz vor der Marktreife. Es wird zwar viel geforscht, aber wir müssen weiterhin geduldig sein und die derzeit verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten effizient und geschickt nutzen.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 22.07.2024.