Wenn der Zahn schmerzt, ist der Gang zum Zahnarzt unausweichlich. Ziel einer zahnärztlichen Behandlung ist es, einen kranken Zahn nach Möglichkeit zu erhalten. Befindet sich eine Entzündung des Zahnhalteapparates (Parodontitis) bereits in einem fortgeschrittenen Stadium, stellt sich die Frage, ob der Erhalt des Zahnes nicht rasch zu weiteren Komplikationen führen könnte. Ähnliches gilt für Karies, eine Erkrankung, welche unbehandelt im Spätstadium zu einer Entzündung des Zahnmarks führt. In manchen Fällen hilft es nur, den Zahn zu entfernen. Das gilt auch für schwerwiegende Verletzungen am Zahn und einige weitere Störungen und Erkrankungen.
Das Ziehen eines Zahnes, auch Zahnextraktion genannt, wird heute deutlich seltener praktiziert, als es noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Dennoch ist die Angst vor dem Ziehen eines Zahnes und den damit verbundenen Schmerzen weit verbreitet. Schmerzen sind aufgrund moderner Verfahren zur Schmerzausschaltung heute kein Grund, einen notwendigen Zahnarztbesuch zu vermeiden. Eine schwere Zahnbehandlungsangst kann dennoch das Zahnziehen in Vollnarkose rechtfertigen. Andere Gründe für eine Allgemeinnarkose können fehlendes Mitmachen (etwa bei Kindern oder Menschen mit geistiger Behinderung), Erkrankungen, bei denen ein Stillhalten nicht möglich ist, oder Allergien gegen Mittel zur örtlichen Betäubung sein. Darüber hinaus kann eine Zahnextraktion auf Wunsch in Vollnarkose durchgeführt werden, wenn diese selbst gezahlt wird.
Medikamente zur Schmerzausschaltung dienen gleichermaßen dem Patienten wie dem Zahnarzt. Die Medizin unterscheidet dabei die Allgemeinanästhesie und die Lokalanästhesie.
Die Lokalanästhesie (auch: örtliche Betäubung) umfasst Maßnahmen, mit denen in bestimmten Bereichen unseres Körpers, zum Beispiel den Zähnen, Schmerzen ausgeschaltet werden. Die Allgemeinanästhesie wird umgangssprachlich meist als Vollnarkose bezeichnet. Je nach verwendeter Methode ist hierbei das Ziel, Schmerzen zu unterbinden, das Bewusstsein auszuschalten sowie eine Entspannung der Muskeln zu erreichen. Daher wird überwiegend eine Kombination verschiedener Medikamente (Anästhetika) verabreicht. Sedativa wirken auf das zentrale Nervensystem und fördern den Schlaf. Zur Ausschaltung der Schmerzen werden hochwirksame Schmerzmittel wie Opioide verwendet. Ist darüber hinaus eine Wirkung erwünscht, welche die Muskulatur entspannt, werden gleichzeitig sogenannte Muskelrelaxanzien eingesetzt.
Die Entscheidung, einen Zahn unter Vollnarkose zu ziehen, sollten sich weder der behandelnde Zahnarzt noch der Patient leicht machen. Dabei kommen unterschiedliche Aspekte zum Tragen, welche sich nicht immer leicht vereinbaren lassen. Von den Krankenkassen wurden aus diesem Grund bestimmte Vorgaben festgelegt, bei welchen die Übernahme einer Vollnarkose im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung gegeben ist. Inwieweit diese im Einzelfall vorliegen, beurteilt der Zahnarzt – nötigenfalls unter Hinzuziehung anderer Fachärzte.
Je nach Studie geben zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung an, Angst vor einer Zahnbehandlung zu haben. Etwa jeder Zwanzigste gilt gar als so ängstlich, dass er es vorzieht, den Zahnarztbesuch zu vermeiden. In vielen Fällen mögen negative Erfahrungen die Ursache für die Angst darstellen. Schmerzen bei früheren Behandlungen dürften hierbei im Vordergrund stehen. Mitunter genügt bereits die Angst vor der Erwartung, es könnten Schmerzen auftreten. Gefördert wird die Erwartungsangst durch das Gefühl, die Selbstkontrolle zu verlieren. Zahnärzte greifen dabei nicht nur auf körperlicher Ebene in die Verletzlichkeit des Patienten ein. Der Mund zählt überdies zu den empfindlichsten intimen Zonen des Menschen und weist verschiedene Schutzreflexe auf. Der Würge- und Hustenreflex sind selbstständig ablaufende Reaktionen, um das Eindringen von Fremdkörpern zu vermeiden. Viele Patienten berichten zudem über Angst vor einem langen und weiten Öffnen des Mundes. Die Kieferklemme wirkt dabei als Reflex, welcher sich durch eine Verkrampfung der Kaumuskulatur kennzeichnet. Damit soll eine lange und übermäßige Dehnung und damit verbundene Schmerzen vermieden werden. Eine Vollnarkose kann hier helfen, die Angst vor dem Eingriff zu nehmen. Außerdem bekommt der Patient die grenzwertige Öffnung des Mundes nicht mit.
Die Angst vor einer Zahnbehandlung wird von den gesetzlichen Krankenkassen als psychische Krankheit anerkannt. Die Diagnosestellung und Behandlung der Angst erfolgt bei einem Facharzt – etwa einem Psychiater, Psychotherapeuten oder einem Arzt mit entsprechender zusätzlicher Ausbildung. Inwieweit die Extraktion eines Zahnes bei Angststörungen unter Vollnarkose bezahlt wird, sollte indes vorab mit der eigenen Krankenkasse geklärt werden. Gute Chancen auf Übernahme der Kosten bestehen bei Eingriffen, die zeitnah erforderlich und aufgrund einer diagnostizierten Zahnbehandlungsangst nicht in einer örtlichen Betäubung möglich sind.
Lange und komplizierte Zahnextraktionen, wie sie zum Beispiel bei den Weisheitszähnen vorkommen können, sind ein möglicher Anlass, eine Vollnarkose anzuwenden. Jedoch ist eine Allgemeinanästhesie nicht in jedem Fall erforderlich. Müssen mehrere Weisheitszähne entfernt werden, erfolgt dies überwiegend an verschiedenen Behandlungsterminen. Auf diese Weise kann oft eine Vollnarkose umgangen werden. Sind die Weisheitszähne jedoch beispielsweise schwer zugänglich, kann der Arzt eine Vollnarkose empfehlen.
Die Patienten sollten sich vor der Entscheidung für eine Vollnarkose von ihrem Zahnarzt beraten lassen. Auch eigene, frühere Erfahrungen sollten mit einfließen. Eventuelle Komplikationen bei früheren Vollnarkosen oder schlecht vertragene Narkosemittel können eine Rolle spielen. Der Narkosearzt klärt in einem Gespräch mit dem Zahnarzt und dem Patienten abschließend, inwieweit eine Allgemeinanästhesie im vorliegendem Fall sinnvoll erscheint.
Patienten, welche aufgrund einer bekannten Allergie zu einer Verengung der Luftwege (Bronchospasmus) neigen, bedürfen bei der Vollnarkose einer besonderen Beobachtung. Zudem können allergische Reaktionen durch die Narkosemittel oder verwendeten Materialien ausgelöst werden. Sind dem Patienten solche Risiken bekannt, sollten diese dem Zahnarzt und Anästhesisten im Aufklärungsgespräch angezeigt werden. Gefährliche Situation entstehen dennoch kaum. Der Narkosearzt kann auf solche Zwischenfälle mit der Gabe von antiallergischen Medikamenten sofort reagieren.
Das Vorhandensein von Allergien kann indes auch eine Vollnarkose erforderlich machen. So sind Auswirkungen wie allergisch bedingte Kontaktekzeme und Bronchospasmen bei der Verabreichung von Lokalanästhetika (örtlichen Betäubungsmitteln) bekannt. Reaktionen nach der Injektion von Lidocain oder Procain beispielsweise werden einer Typ-IV-Allergie zugeschrieben, welche vielfach erst mit einer Verzögerung von mehreren Stunden auftritt. Umso wichtiger ist es, den Zahnarzt vorab über die Allergie zu informieren. Dieser kann gegebenenfalls rechtzeitig die Durchführung der Zahnextraktion unter Vollnarkose planen.
Gerade bei kleineren Kindern kann das Zahnziehen in Vollnarkose angebracht sein. Ihnen fehlt oft noch das Verständnis, dass es sich um eine wichtige Maßnahme handelt, bei der sie stillhalten sollen. Kinder fallen nicht selten durch eine motorische Unruhe auf, einige leiden an einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS). Dies kann, ebenso wie psychologische Faktoren (Trotzphase), beim Ziehen eines Zahnes zu erheblichen Problemen führen. Ein weiteres Problem kann die Angst des Kindes vor dem Zahnarzt sein. Vielfach existiert ein negatives Bild vom Zahnarzt. Dieses ist geprägt durch ein unbeabsichtigtes Verängstigen („du musst keine Angst haben“) oder durch das eigene Angstverhalten der Eltern. In der ungewissen Situation mit den unangenehmen Geräuschen und Vorgängen kann es nicht selten dazu kommen, dass das Kind nicht mit dem Zahnarzt zusammenarbeitet.
Eine örtliche Betäubung allein kann für eine risikolose Behandlung nicht mehr ausreichend sein. Die gesetzlichen Krankenkassen gewähren daher Kindern unter zwölf Jahren mit entsprechend fehlender Einsicht, mangelnder Mitarbeit oder Ängsten die Behandlung unter Vollnarkose.
Inklusion, also die Einbeziehung von Menschen mit einer Behinderung in das gesellschaftliche Leben, ist ein viel diskutiertes Thema. Doch stellt die Zahnbehandlung vor allem von Personen mit geistiger Behinderung die Zahnärzte immer wieder vor Probleme. Entscheidend sind, wie bei allen Patienten, der Wille und die Fähigkeit der Zusammenarbeit. Dies sollte indes vor Beginn der Behandlung schrittweise abgeklärt werden. Ist die Selbstverantwortung aufgrund einer geistigen Behinderung nicht oder nur eingeschränkt gegeben, steht die Entscheidung für eine Vollnarkose an. Die Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung hat ein Konzept für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung entwickelt. In diesem wird auch auf eine notwendige Vollnarkose eingegangen.
Grund für eine Vollnarkose bei der Zahnextraktion können auch Bewegungsstörungen, übermäßige Bewegungen oder eine körperliche Unruhe sein. Diese würden den problemlosen Behandlungsablauf erheblich stören und können durch die Narkose umgangen werden.
Im Sozialgesetzbuch sind die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen sowohl für den Zahnarzt sowie auch für den Patienten definiert. Demnach müssen sie zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Überschreiten Behandlungsmaßnahmen diese Vorgaben, werden diese den Versicherten nicht erstattet.
Nur wenn eine medizinisch erforderliche Notwendigkeit besteht, wird sich eine gesetzliche Krankenkasse zur Übernahme der Kosten bereiterklären. Möchte ein gesetzlich versicherter Patient eine Zahnextraktion ohne eine solche Notwendigkeit dennoch unter Vollnarkose durchführen lassen, muss er dies aus eigener Tasche bezahlen. Bei Eingriffen unter einer Stunde werden circa 250 bis 300 Euro berechnet. Die Kosten hängen vom Narkoseverfahren sowie den verwendeten Medikamenten ab. Ebenso müssen die Narkoseärzte, abhängig von ihrer Arbeitszeit, bezahlt werden.
In jedem Fall sollte vor Beginn der Behandlung ein Behandlungsplan vom Zahnarzt erstellt werden. Dieser wird dann bei der jeweiligen Krankenkasse eingereicht. Sinnvoll kann ein persönliches Gespräch mit der Krankenkasse sein, bei dem ausdrücklich auf die gewünschte Vollnarkose verwiesen wird.
Zahnzusatzversicherungen sowie private Krankenversicherer haben die mögliche Kostenübernahme einer Vollnarkose in ihren Vertragsbedingungen aufgeführt. Eine Rückfrage im Vorfeld kann hier vor Überraschungen schützen.
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aktualisiert am 15.06.2021