„Jedes Kind kostet die Mutter einen Zahn“ – diese Redensart gehört heute in das Reich der Mythen. Dennoch sind die Zähne der werdenden Mutter besonders anfällig. Die Mundgesundheit während einer Schwangerschaft ist durch unterschiedliche Faktoren belastet. Somit kommt einer guten Mundhygiene eine hohe Bedeutung zu. Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn ein Zahn so sehr geschädigt ist, dass er nicht mehr erhalten werden kann. Röntgenstrahlen und eine Vielzahl in der Zahnmedizin verwendeter pharmakologischer Substanzen besitzen den Ruf, das werdende Kind schädigen zu können. Vor dem Ziehen eines Zahnes (Zahnextraktion) muss daher geklärt werden, welche Behandlungsmaßnahmen medizinisch sinnvoll und unbedenklich sind.
Ist ein Zahn erkrankt, wird in erster Linie darauf geachtet, diesen zu erhalten. Dies gilt im besonderen Maß bei schwangeren Frauen. Muss ein Zahn jedoch gezogen werden, versucht der Zahnarzt meist, die Behandlung in das zweite Schwangerschaftstrimenon (vierter bis siebter Schwangerschaftsmonat) zu verschieben oder die Geburt des Kindes abzuwarten. Problematisch für eine Zahnbehandlung bleiben vor allem die ersten drei Monate sowie der letzte Abschnitt einer Schwangerschaft. Dennoch bleibt auch in der Zeit dazwischen ein gewisses Restrisiko bestehen. Dieses sollte vor einer geplanten Schwangerschaft durch eine ausführliche zahnmedizinische Untersuchung zumindest teilweise verringert werden.
Trotz aller Bedenken sollte ein Zahn, falls nötig, gezogen werden. Die Entfernung (Extraktion) des Zahnes kann einerseits aufgrund von Verletzungen und andererseits aufgrund von Krankheiten am Zahn oder am Zahnhalteapparat erforderlich werden.
Während der Schwangerschaft besteht ein erhöhtes Risiko einer Zahnfleischentzündung (Gingivitis). Nicht selten entsteht aus dieser zunächst ungefährlichen Erkrankung eine Parodontitis, also eine Entzündung des Zahnhalteapparates. Für die schwangere Frau können somit neben der notwendigen zahnärztlichen Vorsorge weitere zahnmedizinische Maßnahmen hinzukommen. Schmerzen im Zahn oder Zahnfleisch sollten rasch von einem Zahnarzt abgeklärt werden. Ein unangenehmer Geschmack oder Mundgeruch kann auf eine bereits fortgeschrittene Entzündung hindeuten. Eine Gingivitis oder Parodontitis fällt durch ein gerötetes und geschwollenes Zahnfleisch sowie Zahnfleischbluten auf. Sitzt ein Zahn aufgrund einer Parodontitis nicht mehr fest in seinem Zahnbett, wird dies meist beim Essen bemerkt.
Unsicherheit hinsichtlich der Behandlung herrscht nicht nur bei den schwangeren Frauen. Auch unter den Zahnärzten gibt es Bedenken hinsichtlich der Durchführung mancher Maßnahmen.
Sowohl aus medizinischer Sicht als auch für das Wohlbefinden der Patientin ist es in vielen Fällen günstig, eine Behandlung beim Zahnarzt über mehrere Termine zu verteilen. Der eigentliche Eingriff beim Ziehen eines Zahnes kann in wenigen Minuten abgeschlossen sein. Kompliziertere Fälle bedeuten für die Patientin indes, dass sie über einen längeren Zeitraum in Rückenlage auf dem Behandlungsstuhl sitzen muss. Hierbei kann die Gebärmutter auf die dahinter liegenden Blutgefäße drücken. In der Folge kommt es zu einer Minderdurchblutung der Plazenta. Das Ungeborene ist durch einen möglichen Sauerstoffmangel gefährdet. Typische Symptome dieses Vena-cava-Syndroms sind Schwindel, Herzrasen sowie ein Abfall des Blutdruckes. Der Zahnarzt kann dem Risiko vorbeugen, indem er die Lage der Patientin von Zeit zu Zeit ändert. Am günstigsten hat sich eine Linksseitenlagerung herausgestellt.
Vor der Durchführung einer Röntgenuntersuchung, wie sie beim Zahnarzt erfolgt, muss besonders darauf geachtet werden, ob sie tatsächlich dringlich notwendig ist. Ist ein Röntgenbild nicht zu umgehen, sind besondere Vorsichtsmaßnahmen erforderlich. Dabei ist insbesondere die auf die Gebärmutter gerichtete Strahlung (Uterusdosis) so gering wie möglich zu halten. Die Strahlenbelastung beim Zahnarzt liegt bei einer üblichen Röntgenuntersuchung (dem sogenannten intraoralen Kleinbildröntgen) bei etwa 0,003 Millisievert (mSv). Unterhalb eines Wertes von 100 mSv ist eine Strahlenbelastung für das Kind als ungefährlich anzusehen. Die Gebärmutter liegt bei einer zahnärztlichen Untersuchung zum einen nicht im bestrahlten Bereich, zudem wird diese durch eine Bleischürze geschützt. Die Strahlendosis für das Kind ist somit mit nahezu Null anzunehmen. Gegen ein aus medizinischer Sicht dringendes Röntgenbild in der Zahnheilkunde gibt es demnach keine größeren Einwände.
Das Ziehen eines Zahnes wird vielfach mit Schmerzen in Verbindung gebracht. Angst vor Schmerzen muss indes heute niemand mehr haben, da wirksame Medikamente zur Schmerzausschaltung zur Verfügung stehen. Allerdings ist Vorsicht angesagt, da nicht alle Substanzen während der Schwangerschaft verwendet werden dürfen. Viele örtlich wirkende Betäubungsmittel sind plazentagängig und können auf diesem Weg zum Kind gelangen und es schädigen. Gerade in den ersten Monaten der Schwangerschaft, in denen die Organe des Kindes angelegt und entwickelt werden, besteht eine erhöhte Anfälligkeit zu Fehlbildungen.
Der in der Zahnheilkunde häufig benutzte Zusatz von Adrenalin in Präparaten zur örtlichen Betäubung beeinflusst bis zu einer bestimmten Verdünnung die Gebärmutter nicht. Zusätze, welche Wehen auslösen könnten, spielen bei der Betäubung heute keine große Rolle mehr. Vor der Behandlung sollte die Patientin auf eine mögliche oder bestehende Schwangerschaft hinweisen. Der Zahnarzt kann dann für das Kind nicht schädliche Substanzen verwenden und ist mit eventuell auftretenden Nebenwirkungen und Risiken vertraut.
Die Extraktion eines Zahnes erfordert nur in seltenen und gut begründeten Fällen den Einsatz einer Vollnarkose. Das häufigste Argument für eine Vollnarkose beim Zahnarzt ist die Zahnbehandlungsangst. Wird eine solche Phobie diagnostiziert, sollte, sofern medizinisch möglich, die Extraktion auf die Zeit nach der Geburt des Kindes verlegt werden. Andernfalls gibt es verschiedene Therapieansätze, welche helfen können, die Angst so weit zu mindern, dass die Patientin eine lokale Betäubung akzeptieren kann.
Schmerzen im Anschluss an eine Extraktion lassen sich nicht vollkommen vermeiden. Wichtig ist es, die Anweisungen des Zahnarztes zu befolgen, um Wundheilungsstörungen vorzubeugen. Treten die Schmerzen erst nach zwei bis drei Tagen auf oder sind sie besonders heftig, kann dies ein Hinweis auf Komplikationen wie eine Entzündung am Zahnfach (Alveolitis sicca, sogenannte trockene Alveole) sein. Dann sollten die Schmerzen vom Zahnarzt abgeklärt werden.
Unmittelbar nach dem Ziehen des Zahnes füllt sich das Zahnfach (Alveole) rasch mit Blut, welches gerinnt und als sogenanntes Koagel die Wunde vor Infektionen schützt. Auf Mundspülungen sowie Essen und Trinken sollte daher unmittelbar nach dem Eingriff verzichtet werden.
Bevor Schmerzmittel zum Einsatz kommen, kann versucht werden, den Schmerz durch Hausmittel wie kalte Kompressen oder das Hochlagern des Kopfes zu lindern.
Schmerzmittel sollten während der Schwangerschaft ausschließlich nach Absprache mit dem Zahnarzt eingenommen werden. Aufgrund ihres Wirkmechanismus sind manche Mittel zur örtlichen Betäubung in der Lage, in wichtige Prozesse der Schwangerschaft, zum Beispiel die Wehentätigkeit, einzugreifen. Als Mittel der Wahl wird Paracetamol verschrieben. Hier ist auch in den ersten Schwangerschaftsmonaten nicht mit einer erhöhten Rate an Fehlbildungem beim Kind zu rechnen. Mittel, die zu den nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) gehören, wie Ibuprofen und Acetylsalicylsäure, sollten aus diesem Grund nicht eingenommen werden.
Treten nach der Entfernung eines Zahnes Infektionen auf, wird dies häufig durch ein Röntgenbild gesichert. Inwiefern dies bei schwangeren Frauen notwendig ist, muss der Zahnarzt anhand der Schwere und der Lage des Infektionsherdes beurteilen. Ziel der Behandlung ist die Linderung der Schmerzen sowie die Beseitigung der Infektion. Hierzu wird die Wunde gesäubert und mit einem scharfen Löffel wieder zum Einbluten in die Alveole angeregt. Da diese Prozedur meist nicht ohne Schmerzen verläuft, kann sich eine lokale Betäubung empfehlen. Infektionen während der Schwangerschaft bedeuten sowohl für die Mutter als auch das Kind ein ernstes Risiko. Daher werden bei schweren Entzündungen nach einer Zahnextraktion auch Antibiotika eingesetzt. Als Mittel der Wahl kommen hier Penicilline und Cephalosporine infrage. Bei beiden Wirkstoffgruppen konnte bislang keine fruchtschädigende Wirkung nachgewiesen werden. Die Verschreibung anderer Antibiotika gilt teils als bedenklich, zumal die toxische Wirkung auf das Kind im Mutterleib nicht ausreichend untersucht wurde.
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aktualisiert am 06.07.2021