Kinder entwickeln innerhalb des ersten Lebensjahres das sogenannte Milchgebiss. Der medizinische Fachbegriff, Dens deciduus, weist bereits auf die Besonderheit der Milchzähne hin. In der Übersetzung bedeutet Dens deciduus der herausfallende Zahn. Genau das passiert bei Kindern im Alter von fünf bis neun Jahren. Am Ende dieses einmaligen Vorganges ist das erste Gebiss komplett durch bleibende Zähne ersetzt worden. Während beim Kind 20 Milchzähne vorhanden sind, werden diese durch 28 bis 32 bleibende Zähne ersetzt. Wenngleich die ersten Zähne früher oder später ausfallen, kommen ihnen dennoch wichtige Aufgaben zu. Neben ihrer Funktion, die Nahrung zu zerkleinern, sind die Milchzähne für die Entwicklung der Sprache von hoher Wichtigkeit. Zudem dienen sie als Platzhalter für die bleibenden Zähne. Dies sind Gründe genug, die Milchzähne zu pflegen und sie möglichst lange und gesund zu erhalten. Dennoch ist in manchen Fällen die Entfernung von Milchzähnen erforderlich.
Die Milchzähne machen im Laufe der Kindheit den größeren, bleibenden Zähnen Platz, indem sie in der Regel ohne äußeres Zutun ausfallen. Milchzähne besitzen ebenso wie ihre „erwachsenen“ Nachfolger eine Wurzel. Diese werden beim Zahnwechsel durch die neuen Zähne aufgelöst und aufgenommen (resorbiert). Der Milchzahn beginnt zu wackeln und fällt in den meisten Fällen von selbst und ohne Schmerzen aus.
Gesunde Milchzähne sind für die Entwicklung des bleibenden Gebisses ein wichtiger Grundstock. Milchzähne weisen im Vergleich zum bleibenden Gebiss eine deutlich dünnere Schmelzschicht und einen geringeren Mineralgehalt auf. Karies hat daher eine größere Chance, bis in die tiefer gelegenen Schichten des Zahnes vorzudringen. Zuckerhaltige Speisen und Getränke (wie gesüßte Tees) stellen in Kombination mit einer unzureichenden Mundhygiene die häufigste Ursache für die Entstehung von Karies dar. Wird Karies nicht rechtzeitig behandelt, greift die Zahnfäule die tieferen Zahnschichten an. Eine derartig fortgeschrittene Karieserkrankung kann dazu führen, dass sich die Wurzel nicht komplett auflöst. Der Zahn lockert sich nicht von selbst und bleibt im Zahnfach verankert. Um dem nachwachsenden Zahn Platz zu verschaffen, muss der Milchzahn mit der Zange herausgelöst werden.
Eine regelmäßige zahnärztliche Untersuchung im Kindesalter ist unerlässlich, um dem vorzeitigen Verlust des Milchzahnes vorzubeugen. Die klinische Untersuchung der Zähne sollte von einem Röntgenbild begleitet werden, da erst auf diese Weise eine Ausbreitung der Karies nachgewiesen werden kann. Eine bereits beim Milchzahn vorhandene Erkrankung kann auf den nachrückenden Zahn übergreifen. Gerade bei den Milchzähnen kann sich die Karies rasch Richtung Zahnwurzel ausbreiten. Füllungen bei Milchzähnen sind nicht in allen Fällen durchführbar, sodass dann nur noch eine Kinderkrone den Erhalt des Zahnes ermöglicht. Die moderne Zahnmedizin und die Erfahrung spezieller Kinderzahnärzte macht den Erhalt von Milchzähnen vielfach möglich. Dennoch machen eine tief in den Zahn hineinreichende Karies und damit verbundene entzündliche Prozesse um die Zahnwurzel eine Zahnentfernung (Extraktion) bisweilen erforderlich.
Aufgrund der wichtigen Funktionen der Milchzähne, insbesondere der Aufgabe als Platzhalter, sind nach dem Ziehen eines Zahnes Prothesen auch bei Kindern angezeigt. Ist ein Lückenschluss durch den bleibenden Zahn nicht zu erwarten und wird ein Zahnersatz abgelehnt, rücken die verbliebenen Zähne in diese Lücke vor. Somit steht für den später durchbrechenden neuen Zahn weniger Platz zur Verfügung, was eine Zahnschiefstellung und einen Engstand verursacht.
Die Extraktion eines Milchzahnes ist zudem ohne einen krankhaften Hintergrund denkbar. Erweist sich ein Milchzahn beim Zahnwechsel als hartnäckig und will nicht weichen, bleibt für den nachrückenden Zahn nicht genug Platz, sodass er möglicherweise schief in das Gebiss hineinwächst. Ein Milchzahn muss jedoch nur selten aus diesem Grund gezogen werden. Die Entscheidung bedarf einer eingehenden Untersuchung hinsichtlich des Platzbedarfs der nachrückenden Zähne. Besteht für die bleibenden Zähne nicht genügend Raum, werden häufig zuerst die Backenmilchzähne gezogen. Der behandelnde Zahnarzt überweist das Kind auch an einen Kieferorthopäden. Neben der eigentlichen Behandlung gehört zu einer solchen Maßnahme stets, das Kind entsprechend seinen Fähigkeiten in die Behandlung einzubeziehen. Nicht selten resultiert eine Zahnbehandlungsangst aus negativen und schmerzhaften Erfahrungen im Kindesalter.
Von wesentlicher Bedeutung für den Zahnwechsel ist die Resorption, also die Auflösung der Zahnwurzel bei den Milchzähnen. Dies geschieht üblicherweise durch den an dieser Stelle nachrückenden Zahn. Um ein Ungleichgewicht im Kiefer zu vermeiden, fallen gegenüberliegende Zähne in einem engen zeitlichen Zusammenhang aus.
Doch können auch benachbarte Zähne vorzeitig eine Milchzahnwurzel auflösen. Das kann zu einem zu frühen Ausfallen des Milchzahnes führen und somit ein Ungleichgewicht im Kiefer bewirken. Ein solches, unterminierende Resorption genanntes, Geschehen wird vor allem bei den zweiten Milchbackenzähnen beobachtet. Während sich diese üblicherweise gleichzeitig lockern, hat die einseitig stattfindende unterminierende Resorption erhebliche Folgen für den Biss. Die Backenzähne sind Teil der Stützzone, welche auf diese Weise beeinträchtigt wird. Ist die Stützzone unsymmetrisch, führt dies zu Störungen in der Bisshöhe, beim Kauen sowie beim Atmen und Sprechen. Daraus können sich Muskelverspannungen und ein frühzeitiger Verschleiß des Kiefergelenks ergeben. Die Therapie beinhaltet sowohl zahnerhaltende Maßnahmen als auch die mögliche Entfernung des gegenüberliegenden Zahnes.
Ein Platzproblem besonderer Art tritt bei der sogenannten Hyperdontie auf. Dies bezeichnet die über die normale Anzahl eines Milch- oder Erwachsenengebisses hinausgehende Anzahl von Zähnen. Ein erster Hinweis auf eine Hyperdontie des bleibenden Gebisses kann bereits beim Zahnwechsel auftreten. Im Röntgenbild klärt sich die Verzögerung beim Durchbruch der bleibenden Zähne rasch. Meist handelt es sich dabei um überzählige Schneidezähne. Um späteren Komplikationen wie einem Engstand und Veränderungen des Zahnhalteapparates vorzubeugen, werden die Zähne chirurgisch entfernt.
Bleibt darüber hinaus der Milchzahn im Gebiss bestehen, konkurrieren zwei Zähne um denselben Platz. Nach eingehender Überprüfung unter anderem durch ein Röntgenbild kann die Extraktion des Milchzahnes notwendig werden.
Manche Zähne können außerdem von Geburt an nicht angelegt sein. Dies fällt häufig dann auf, wenn die Milchzähne nicht ausfallen wollen. Ein solcher Milchzahn kann statt des fehlenden Erwachsenenzahnes über viele Jahre bestehen bleiben und seine Aufgaben gut erfüllen. Es ist also Vorsicht angesagt. Ein derartiger Milchzahn sollte möglichst lange erhalten werden.
Verletzungen der Milchzähne treten gehäuft im ersten und zweiten Lebensjahr auf. Sind hier noch die ersten Gehversuche maßgeblich für das Verlieren der Frontzähne, überwiegen später Spiel- und Sportverletzungen. Nicht selten handelt es sich hierbei nur um ein kosmetisches Problem. Allerdings können auch der Zahnkeim des bleibenden Zahnes oder die Milchzahnwurzel beteiligt sein. Handelt es sich um einen Bruch der Zahnkrone, kann der Zahn erhalten bleiben. Besteht seitens des Kindes keine Möglichkeit, eine entsprechende Behandlung durchzuführen, muss an das Ziehen des Zahnes gedacht werden. Ist das Zahnmark (Pulpa) betroffen und der Zahn bereits in seinem Zahnbett beweglich, ist die Extraktion des Zahnes nicht zu vermeiden.
In einigen Fällen wie einem Bruch der Zahnwurzel wird erwogen, lediglich die Zahnkrone zu entfernen. Die Zahnwurzel indes wird nicht entfernt, da dies zu einer Verletzung des Zahnkeims führen kann. Die verbliebene Wurzel wird im späteren Verlauf durch den nachkommenden Zahn resorbiert.
Eine Verletzung des Zahnkeims ist ebenso zu erwarten, wenn ein Milchzahn durch äußere Einwirkung aus seinem Zahnfach (Alveole) verlagert wurde und versucht wird, den Milchzahn wieder in seine ursprüngliche Lage zu drücken. Das Risiko für einen Schaden des Zahnkeims ist ebenfalls sehr hoch, wenn der Zahn tief in die Alveole getrieben wurde. Besteht die Wahrscheinlichkeit einer Berührung der Milchzahnwurzel mit dem Zahnkeim, muss der Zahn entfernt werden.
Ein gänzlich aus dem Zahnbett herausgeschlagener Zahn wird aufgrund einer möglichen Zahnkeimverletzung nicht wieder eingepflanzt.
Veränderungen am Zahn, vor allem eine Verfärbung, sollten unbedingt vom Zahnarzt abgeklärt werden. In diesem Fall wird erst einmal abgewartet, inwieweit sich weitere Symptome zeigen. Treten entzündliche Veränderungen wie Fisteln (Gewebegänge) oder Abszesse (Eiterkammern) auf, muss der Zahn für gewöhnlich gezogen werden. Dies kann vor allem deshalb erforderlich sein, da Kinder nur in wenigen Fällen ausreichend Akzeptanz für eine lange und aufwendige Behandlung aufbringen können.
aktualisiert am 31.05.2021