Angst ist jedem Menschen bekannt, doch lässt sich der Begriff nicht allgemeingültig erklären. Am ehesten kann Angst als ein unangenehmes Gefühl beschrieben werden, wenn etwas als bedrohlich empfunden wird. Die Angst als Reaktion unseres Organismus auf gefährliche Situationen ist ein natürlicher Schutz und soll uns vor größerem Unheil bewahren. Angst kann jedoch auch hinderlich sein, vor allem wenn sie gegen etwas besteht, das mehr nützt als schadet. So haben viele Menschen Angst vor Zahnbehandlungen wie dem Ziehen eines Zahns (Extraktion).
Die Angst beim Zahnarzt beruht insbesondere auf der Befürchtung vor möglichen Schmerzen bei der Behandlung. Sie kann zudem durch Geräusche, Gerüche oder den Anblick der Praxissituation hervorgerufen und verstärkt werden. Von einer Zahnbehandlungsangst (Dentophobie) wird gesprochen, wenn die empfundene Bedrohung Ausmaße annimmt, welche der tatsächlichen Gefahr einer Behandlung nicht mehr entsprechen. Hierdurch kommt es zur weitgehenden Vermeidung von Zahnarztbesuchen.
Eigene negative Erfahrungen, angstauslösende Vorstellungen von Zahnarztbesuchen und beunruhigende Erzählungen von anderen tragen einen großen Teil zur Dentophobie bei. Dies führt zu einer übertriebenen und verzerrten Wahrnehmung der anstehenden Behandlungsmaßnahmen. Auf körperlicher Ebene äußert sich die Angst unter anderem durch
Angst versetzt uns normalerweise in die Lage, vor gefährlichen Situationen zu fliehen und eine direkte Konfrontation zu vermeiden.
Patienten mit einem gesteigerten Angstverhalten fehlt vielfach die Einsicht in ihr übertriebenes Verhalten. Eine Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt erscheint nicht mehr möglich. Ein solches Vermeidungsverhalten kann indes für unsere Zahngesundheit schädlich werden.
Der Anteil an Patienten mit einer stark ausgeprägten Zahnbehandlungsangst liegt in Deutschland zwischen fünf und zehn Prozent. Diese Bevölkerungsgruppe schließt eine zahnmedizinische Behandlung überwiegend aus.
Die Kriterien für die Diagnose einer krankhaften Phobie sind durch den sogenannten ICD-Code F40.2 festgelegt. Die Zahnbehandlungsangst gilt als behandlungsrelevant und findet sich im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen.
Etwa 60 Prozent aller Deutschen geben an, unter einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Angst vor einem Zahnarztbesuch zu leiden. Patienten mit einer bekannten Phobie vor einer zahnärztlichen Behandlung sollten dies bereits im einleitenden Gespräch mit dem Zahnarzt zur Sprache bringen. Anhand einer ausführlichen Anamnese (Befragung des Patienten) verschafft sich dieser einen Überblick über Art und Umfang der Angst.
Als Anzeichen für eine Zahnbehandlungsangst ist ein längerer Zeitraum ohne einen Zahnarztbesuch zu werten. Liegt ein offensichtlich angstbedingtes Vermeidungsverhalten vor, kann der Zahnarzt anhand eines standardisierten Fragebogens (zum Beispiel einer visuellen Analogskala) den Grad der Angst ermitteln. Erhärtet sich der Verdacht auf eine Zahnbehandlungsangst mit eindeutigem Krankheitswert, kann er den Patienten eine Therapie bei einem Psychotherapeuten oder Psychiater empfehlen.
Ziel der Therapie der Zahnbehandlungsangst ist es, die vorgesehene zahnmedizinische Versorgung des Patienten zu gewährleisten. Für die Wahl der Behandlungsmaßnahme wird zwischen einer Zahnbehandlungsangst mit oder ohne Krankheitswert unterschieden. Weiterhin von Bedeutung ist die Dringlichkeit der Zahnextraktion sowie der zu erwartende Umfang der Behandlung.
Patienten, welche lediglich ein geringes Angstgefühl äußern, bedürfen meist keiner psychotherapeutischen oder medikamentösen Behandlung. Bei dieser Angst ohne Krankheitswert können zum Beispiel Entspannungstechniken, aber auch Hypnose oder Methoden aus der traditionellen chinesischen Medizin (Akupunktur) zur Anwendung kommen.
Dagegen wird stark von Ängsten geplagten Patienten zur Durchführung einer Psychotherapie geraten. Eine Empfehlung wird zudem für die Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) ausgesprochen, sofern eine Psychotherapie nicht möglich oder nicht erfolgreich ist. Weniger wirksam gegen die Zahnbehandlungsangst mit Krankheitswert zeigen sich Verfahren, wie sie bei geringgradigen Angstpatienten angewandt werden.
Für verschiedene psychotherapeutische Ansätze konnte eine Wirksamkeit bei der Therapie der Zahnbehandlungsangst nachgewiesen werden. Positiv haben sich insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie, die EMDR und bestimmte Entspannungstechniken erwiesen.
Der kognitiven Verhaltenstherapie liegt die Idee zugrunde, dass bestimmte Verhaltensmuster, wie die Angst vor einer Zahnbehandlung, erlernt werden. In einem ersten Schritt geht es darum, herauszufinden, welche Denkfehler ein nicht sinnvolles Verhalten hervorrufen. Im Anschluss soll der Patient erfahren, in welchem Zusammenhang dieses Verhalten mit seiner Angst und einem möglichen Vermeidungsverhalten stehen. Hat der Patient erkannt, warum er Angst hat, soll er lernen, solche angstauslösenden Gedanken durch ein realistisches Verhalten zu ersetzen. In der kognitiven Verhaltenstherapie kann dies erreicht werden, indem der Patient vorsichtig mit den Reizen konfrontiert wird, welche für seine Angst ursächlich sind.
EMDR ist die Abkürzung für ein Verfahren, welches für die Empfänglichkeit und Verarbeitung der Angst durch Augenbewegung steht. Studien weisen auf eine Wirksamkeit der EMDR bei einer krankhaften Zahnbehandlungsangst hin. In der praktischen Durchführung erkennt man Elemente aus der Verhaltenstherapie (wie kognitive Techniken und Konfrontation) und der Traumabewältigung. Wesentliches Merkmal der EMDR ist eine bestimmte, durch den Therapeuten angeleitete Bewegung der Augen. Währenddessen soll der Patient die angstmachende Situation beim Zahnarzt virtuell durchleben. Insbesondere wird Wert darauf gelegt, dass der Betroffene sich in einem sicheren Rahmen befindet.
Entspannung ist ein wirksamer Gegenspieler der Angst. Das Erlernen von Techniken zur Entspannung oder Ablenkung spielt eine besondere Rolle bei der Verminderung von Stress und Angst. Entspannungstechniken sind in der Lage, den Einsatz an Schmerz- und Narkosemitteln zu reduzieren. Entsprechende Übungen können den scheinbar ausweglosen Kreislauf von Angst, Anspannung und Schmerz durchbrechen. Während Frauen Entspannungstechniken eher zugeneigt sind, sprechen Männern oft eher auf eine Ablenkung an.
Die progressive Muskelrelaxation (PMR) ist bestimmt durch die bewusste An- und Entspannung von Muskelgruppen. Die Technik lässt sich leicht in kurzer Zeit erlernen und zeichnet sich durch eine schnelle Wirksamkeit aus. Mit der PMR lassen sich körperliche Anzeichen von Angst wie ein erhöhter Herzschlag und Blutdruck sowie die Anspannung der Muskeln oder eine Erhöhung des Stresshormons Cortisol vermindern.
Bei der Hypnotherapie wird der Patient in einen tranceartigen Zustand versetzt, wodurch er in die Lage versetzt wird, die Wirklichkeit um ihn herum zu vernachlässigen. Der überwiegende Teil der Menschen kann sich auf eine Hypnose einlassen, sofern ein vertrauensvoller Rahmen und die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, vorhanden ist. Im Verlauf der Trance erlebt der Patient eine sowohl körperliche als auch mentale Entspannung. Ein kritisches Hinterfragen von Gedanken und Gefühlen wird teilweise außer Kraft gesetzt, während gleichzeitig bildhafte Vorstellungen in den Vordergrund treten.
Auch die traditionelle chinesische Medizin bietet mit der Akupunktur eine leicht durchführbare Technik zur Verminderung der Zahnbehandlungsangst. Hervorgetan hat sich die Ohr-Akupunktur, welche von dem Arzt Paul Nogier entdeckt wurde. Verwendet werden hierbei, ähnlich der klassischen Akupunktur, sehr dünne Nadeln, welche an definierten Akupunkturpunkten an der Ohrmuschel angesetzt werden.
Je nach Akzeptanz seitens des Patienten und der Durchführbarkeit vor Ort können ebenso das Autogene Training, Biofeedback-Verfahren, Achtsamkeitstraining oder Meditationsübungen zur Anwendung gegen die Angst vor dem Ziehen eines Zahnes in Frage kommen.
Viele der Entspannungsübungen lenken anfänglich ab, um dann zu einer tieferen Entspannung hinzuführen. Im Gegensatz zu einer tiefen Entspannung hindern Ablenkungstechniken die Anwender lediglich daran, über die akuten Angstgefühle nachzudenken. Bilder, Videos oder bestimmte Musik können die Aufmerksamkeit derart in Anspruch nehmen, dass das Gefühl von Angst in den Hintergrund tritt.
Musik kann sowohl ablenken als auch zur Entspannung führen. Nicht jeder Patient mag Musik vor oder während einer Behandlung, individuell werden Menschen auch nur durch bestimmte Musik angesprochen. Tempo und Rhythmus scheinen einen besonderen Einfluss auf die körperliche und mentale Angstsymptomatik auszuüben. Bei anderen Patienten ist es lediglich wichtig, unangenehme Geräusche (Bohrer) mit Musik zu übertönen.
Inwieweit unter einer Narkose die Angst ausgeschaltet ist, lässt sich schwer überprüfen. Subjektiv jedoch empfindet der Patient während der Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) keine Angst. Die Extraktion eines Zahnes ist durch eine Vollnarkose für den Patienten leichter zu ertragen und zudem für den Zahnarzt leichter durchführbar. Langfristig wird im direkten Vergleich zur Vollnarkose vor allem der kognitiven Verhaltenstherapie eine bessere Verminderung der Angst zugesprochen. Muss ein Zahn akut gezogen werden, wird indes der Vollnarkose ein höherer Nutzen zugesprochen.
Angst vor einem Zahnarztbesuch, insbesondere wenn ein Eingriff wie das Ziehen eines Zahns bevorsteht, ist eine vollkommen gewöhnliche und verständliche Reaktion. Im Vorfeld ist es für die meisten Menschen mit Zahnarztangst bereits hilfreich, die richtigen Informationen über den Eingriff zu erhalten. Dazu sollte ein eingehendes Gespräch mit dem Zahnarzt geführt werden. Dieser erklärt die Vorgehensweise mit der Dauer und den notwendigen Maßnahmen. Das ermöglicht es den Patienten, sich auf den Eingriff gut einzustellen.
Betroffene sollten in einem vertrauensvollen Verhältnis zu ihrem Zahnarzt stehen. Besonders wichtig ist es, vorher mitzuteilen, dass eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Zahnbehandlungsangst besteht. Weiß der Zahnarzt, dass es sich um einen Angstpatienten handelt, wird er keine Maßnahmen ausführen, die nicht abgesprochen sind. Er wird jeden Behandlungsschritt erklären und somit beruhigend einwirken.
Aufgrund der örtlichen Betäubung ist die Zahnextraktion heutzutage kaum mit Schmerzen verbunden. Durch den Wirkstoff wird der Mundbereich für einige Stunden taub und der Zahn kann problemlos gezogen werden. Dies läuft meist innerhalb kurzer Zeit ab.
Entspannungsverfahren helfen Patienten zusätzlich, mit der Situation besser umzugehen. Diese können im Vorfeld und während der Behandlung ausgeübt werden. Hilfreich sind die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, beruhigende Atemtechniken oder auch Autogenes Training oder Meditation.
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aktualisiert am 25.05.2021