Wenn Kinder im Alter von etwa zwei bis zwölf Jahren abends, nachts oder in Ruhe über Schmerzen klagen, kann die Ursache dafür in Wachstumsschmerzen liegen. Andere Bezeichnungen unter Medizinern sind gutartige nächtliche Gliederschmerzen in der Kindheit oder wiederkehrende Gliederschmerzen in der Kindheit. Typische Schmerzorte sind Oberschenkel (besonders die Vorderseiten), Kniekehlen, Waden oder Unterschenkel. Seltener sind die Arme betroffen. Dabei treten die Schmerzen eher beidseitig, in der Muskulatur oder tief in den Gliedmaßen und nicht in den Gelenken auf. Die Schmerzen können als dumpf, mitunter auch als ziehend, brennend oder pochend empfunden werden. Entzündungszeichen sind keine sichtbar.
Ungefähr ein Drittel aller Kinder klagt im Wachstum über solche Schmerzen. Dabei sind die Beschwerden nicht konstant vorhanden. Tagsüber sind die Kinder normalerweise schmerzfrei. Durchschnittlich zweimal bis dreimal pro Woche treten Beschwerden auf. Das Auftreten ist allerdings uneinheitlich. Zwischen den einzelnen Schmerzphasen können schmerzfreie Intervalle von Wochen, Monaten oder Jahren liegen. Mit Abschluss des Wachstums hören auch die Wachstumsschmerzen auf.
Trotz intensiver Forschung ist die Ursache für das Beschwerdebild der Wachstumsschmerzen bislang ungeklärt. Es werden aber unterschiedliche Faktoren diskutiert, die bei der Entstehung von Schmerzen im Wachstumsalter anscheinend eine Rolle spielen.
Knochen wachsen schneller als die umgebenden Weichteile, insbesondere die Knochenhaut. Das könnte ein Grund sein, warum Kinder bei Wachstumsschüben immer wieder über Schmerzen klagen. Wenn der Knochen wächst, wird die ihn umgebende Knochenhaut gedehnt und kommt auf Spannung. Diese Spannung der empfindsamen Knochenhaut kann schmerzhaft sein.
Bei einigen Kindern mit Wachstumsschmerzen wurde in der Ultraschalluntersuchung festgestellt, dass die Knochenstruktur nicht im normalen Ausmaß verdichtet war. Dadurch ergibt sich eine reduzierte Belastbarkeit des Knochens. Diese Ergebnisse deuten auf eine lokal begrenzte Überbeanspruchung mancher Knochen hin und wären auch eine Erklärung dafür, warum die Schmerzen am Ende eines Tages auftreten und morgens nach dem Ausruhen wieder verschwunden sind.
Vitamin D hat eine wichtige Bedeutung für die Stabilität der Knochen. Ein Vitamin-D-Mangel oder niedrige Vitamin-D-Werte können dazu beizutragen, dass keine ausreichende Knochenstabilität und Knochendichte vorliegen. Studien konnten zeigen, dass eine Vitamin-D-Gabe über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten bei Kindern mit bekanntem Vitamin-D-Mangel oder niedrigen Vitamin-D-Spiegeln die Wachstumsschmerzen reduziert.
In manchen Familien konnte ein gehäuftes Auftreten von Wachstumsschmerzen gefunden werden. Daraus kann geschlossen werden, dass genetische Faktoren am Auftreten von Wachstumsschmerzen beteiligt sein können.
Eine weitere Vermutung ist, dass manche Kinder aufgrund einer verminderten Schmerzschwelle Wachstumsschmerzen empfinden. Reize, die für andere Kinder unproblematisch sind, können bei ihnen Schmerzen auslösen. Bei solchen Kindern finden sich oft auch vermehrt Tenderpunkte (Tender Points). Dies sind spezielle Punkte an Muskel-Sehnen-Übergängen, die bei Druck schmerzhaft sind. Bei diesen Kindern könnten die Wachstumsschmerzen Teil eines nicht entzündlichen Schmerzsyndroms sein.
Eine weitere Ursache für Wachstumsschmerzen scheint die Überbeweglichkeit von Gelenken zu sein. Durch die Mehrbeweglichkeit müssen die Weichteile wie Kapseln, Bänder und Muskeln im Alltag und bei Belastung stärker zur Stabilisierung der entsprechenden Gelenke beitragen. Dadurch sind Überlastungen und Schmerzen an diesen Strukturen möglich.
Manche Studien zeigen auch einen Zusammenhang zwischen Wachstumsschmerzen und Kindern, die eher ängstlich sind und emotional schneller aus dem Gleichgewicht geraten. Auch Albträume und nächtliches Einnässen traten bei diesen Kindern häufiger auf. Es wird daher vermutet, dass Kinder mit einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur anfälliger für Wachstumsschmerzen sind.
Nicht um Wachstumsschmerzen handelt es sich bei Beschwerden, die durch eine andere Erkrankung verursacht werden. Die Diagnose Wachstumsschmerzen kann nur dann gestellt werden, wenn die Untersuchungen keine andere mögliche Erklärung für die Symptome zulassen (Ausschlussdiagnose). Als Auslöser für Schmerzen in den Gliedmaßen bei Kindern kommen unter anderem in Frage:
Schmerzen unklarer Ursache sollten abgeklärt werden, wenn ein Kind länger als drei Wochen und mehrmals in der Woche über Schmerzen klagt. Wenn die Schmerzen auch in den Gelenken spürbar sind, die täglichen Aktivitäten des Kindes einschränken oder mit zusätzlichen Symptomen wie Fieber, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Rötung oder Schwellung an einem Bein oder einem Arm auftreten, sollte ebenfalls ein Arzt aufgesucht werden. Gleiches gilt für Schmerzen, die an einer bestimmten Stelle immer wieder auftreten oder bestehen bleiben. Es ist in diesen Fällen wichtig, Erkrankungen wie Ermüdungsbrüche, Rheuma, Knochentumore oder Infektionen im Knochen auszuschließen.
Zunächst einmal verschafft der Arzt sich in einem ausführlichen Gespräch mit dem Kind und den Eltern (Anamnese) einen Eindruck von der Schmerzsymptomatik. Hierbei geht es um Fragen wie:
Im Anschluss an die Anamnese führt der Arzt normalerweise eine körperliche Untersuchung durch. Das Augenmerk liegt hierbei auf Auffälligkeiten wie Schwellungen, Rötungen, Druckschmerzhaftigkeiten oder Bewegungseinschränkungen.
Da die Diagnose von Wachstumsschmerzen über den Ausschluss anderer möglicher Erkrankungen erfolgt, werden noch weitere Untersuchungen durchgeführt. Hierzu zählen:
Wenn sich aus diesen Untersuchungen keine Hinweise auf eine andere zugrundeliegende Erkrankung ergeben, kann die Diagnose Wachstumsschmerzen gestellt werden.
Wachstumsschmerzen sind harmlos und verschwinden nach Abschluss des Wachstums von selbst. In der Zwischenzeit können einfache Maßnahmen helfen, die Symptome zu lindern. Hierzu zählen:
Wachstumsschmerzen sind Beschwerden, die in einem bestimmten Lebensabschnitt auftreten können. In dieser Zeit sind die hier aufgeführten Maßnahmen gute Möglichkeiten, die Schmerzen positiv zu beeinflussen. Eine spezielle ärztliche Therapie ist normalerweise nicht nötig.
AOK – Wenn das Großwerden wehtut: https://www.aok-bv.de/presse/medienservice/ratgeber/index_23797.html (online, letzter Abruf: 07.02.2022)
Kinder- und Jugendärzte im Netz, Ann-Katrin Döbler; Lisa Ströhlein – Wachstumsschmerzen bei Kindern sind eine Ausschlussdiagnose: https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/wachstumsschmerzen-bei-kindern-sind-eine-ausschlussdiagnose/ (online, letzter Abruf: 07.02.2022)
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V., Thomas Menge – Wachstumsschmerz bei Kindern: https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/besonderheiten-bei-schmerz/wachstumsschmerz-bei-kindern (online, letzter Abruf: 07.02.2022)
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aktualisiert am 07.02.2022