Dr. Keller: Bei einer veganen Ernährung werden alle Lebensmittel ausgeschlossen, die von Tieren stammen. Dazu zählen Fleisch, Fisch, Milch und Milchprodukte, Eier sowie meistens auch Honig. In der vegetarischen Ernährung werden hingegen nur die Lebensmittel gemieden, für die Tiere getötet wurden, also Fleisch und Fisch, einschließlich daraus hergestellter Produkte wie beispielsweise Gelatine.
Dr. Keller: Die meisten Veganerinnen und Veganer geben in Befragungen ethische Gründe als das Hauptmotiv für ihre Ernährungs- und Lebensweise an. Sie wollen generell keine Ausbeutung von Tieren und das damit verbundene Tierleid unterstützen. Das bedeutet dann meist auch, dass nicht nur vom Tier stammende Lebensmittel ausgeschlossen werden, sondern auch andere Produkte wie Leder, Seide, Federbetten, Reinigungsmittel und Kosmetika mit Molke oder auch Fruchtsäfte und Weine, die mit Eieiweiß oder Gelatine geklärt wurden. Weitere Beweggründe für eine vegane Ernährung sind gesundheitliche Motive, Umweltschutz, Welternährung oder auch religiöse Motive.
Die meisten Veganerinnen und Veganer geben in Befragungen ethische Gründe als das Hauptmotiv für ihre Ernährungs- und Lebensweise an.
Dr. Keller: Vegan ist nicht automatisch gesund, es kommt immer auf die Zusammenstellung der Ernährung an. Aus den vorliegenden Studien geht jedoch hervor, dass Veganer im Vergleich zu Mischköstlern schlanker sind, niedrigere Blutdruckwerte haben sowie seltener an Typ-2-Diabetes, Herzkrankheiten und auch Krebs erkranken. Das niedrigere Erkrankungsrisiko bleibt auch dann bestehen, wenn der insgesamt gesündere Lebensstil der Veganer bereits herausgerechnet wurde.
Es liegt also nicht nur daran, dass Veganer seltener rauchen, weniger Alkohol trinken und körperlich aktiver sind als die Allgemeinbevölkerung. Tatsächlich nehmen sie mit pflanzlichen Lebensmitteln auch viele gesundheitsfördernde Antioxidantien, Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe auf. Gleichzeitig ist die Zufuhr von teilweise eher ungünstigen Inhaltsstoffen tierischer Lebensmittel, wie gesättigte Fettsäuren, Cholesterin, Hämeisen oder Nitritpökelsalz deutlich niedriger oder sogar null. Dies Kombination sorgt offenbar dafür, dass Veganer im Durchschnitt weniger Risikofaktoren für ernährungsmitbedingte Krankheiten aufweisen als Fleischesser.
Dr. Keller: Die Grundlage einer vollwertigen pflanzlichen Ernährung sind Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sowie hochwertige pflanzliche Öle. Neben den Hülsenfrüchten können auch weitere Eiweißlieferanten wie Tempeh, Seitan, Soja- und Lupinenprodukte ergänzende Proteinquellen darstellen. Dabei sollten wenig verarbeitete Produkte mit geringem Salzgehalt bevorzugt werden, am besten in Bio-Qualität. Letztere enthalten nur wenige oder gar keine Zusatzstoffe und meist auch keine Aromen.
Dr. Keller: Wenn ich eine vegane Ernährung richtig durchführe, habe ich, wie eben geschildert, viele gesundheitliche Vorteile gegenüber einer üblichen Mischkost, die ja meist durch ein Zuviel an Fleisch und Wurst und zu wenig Gemüse, Obst und Ballaststoffen gekennzeichnet ist. Außerdem zeigen Studien, dass eine vegane Ernährung deutlich nachhaltiger ist. Sie verbraucht weniger Energie, Rohstoffe und Wasser, es wird weniger Landfläche benötigt und der ökologische Fußabdruck ist insgesamt kleiner. Eine Herausforderung der veganen Ernährung ist hingegen, dass die Versorgung mit verschiedenen kritischen Nährstoffen unbefriedigend sein kann. Hierzu zählen vor allem Vitamin B12, Kalzium, Eisen, Zink, Jod, Vitamin B2 und die langkettigen Omega-3-Fettsäuren.
Wenn ich eine vegane Ernährung richtig durchführe, habe ich...viele gesundheitliche Vorteile gegenüber einer üblichen Mischkost...
Dr. Keller: Mit einer vollwertigen und abwechslungsreichen pflanzlichen Lebensmittelauswahl können die meisten kritischen Nährstoffe ausreichend zugeführt werden. Vitamin B12 ist in pflanzlichen Lebensmitteln praktisch nicht vorhanden und muss dauerhaft und zuverlässig supplementiert werden. Erfreulicherweise zeigen die Daten aus neueren Studien, einschließlich unserer eigenen, dass die meisten Veganer das inzwischen gut umsetzen und ein Vitamin-B12-Mangel daher nur noch selten vorkommt.
Die Versorgung mit Jod sollte, wie auch für die Allgemeinbevölkerung empfohlen, über Jodsalz verbessert werden, zusätzlich bieten sich Algen mit moderatem Jodgehalt an, beispielsweise Nori. Und die langkettigen Omega-3-Fettsäuren können über angereicherte Pflanzenöle zugeführt werden. Hier wird weiterhin diskutiert, ob das unbedingt notwendig ist, denn unser Körper kann diese Fettsäuren aus pflanzlichen Vorstufen, etwa aus Leinöl, selbst herstellen – allerdings nur in geringen Mengen.
Wer ganz sicher gehen möchte, kann die Versorgung mit kritischen Nährstoffen etwa alle ein bis zwei Jahre anhand von Blut- bzw. Urinuntersuchungen bestimmen lassen.
Dr. Keller: Der Speiseplan sollte möglichst abwechslungsreich gestaltet sein. Täglich sollten vollwertige pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sowie hochwertige pflanzliche Öle auf den Teller kommen. Vollwertig bedeutet möglichst frisch und gering verarbeitet. Die saisonale und regionale Vielfalt von Gemüse und Obst, einschließlich alter Arten und Sorten, kann die Auswahl nochmal erweitern. Wie eine vollwertige vegane Ernährung in der Praxis umgesetzt werden kann, zeigt unsere Gießener vegane Lebensmittelpyramide.
Dr. Keller: Die in Soja enthaltenen Isoflavone zählen zu den Phytoöstrogenen, einer Gruppe von sekundären Pflanzenstoffen. Da sie dem menschlichen Östrogen in der Molekülstruktur etwas ähneln, können sie beispielsweise an die Östrogenrezeptoren auf der Oberfläche unserer Zellen andocken. Sie haben jedoch eine deutlich schwächere Wirkung als das menschliche Östrogen, weshalb sie in der Praxis eher anti-östrogene Wirkungen entfalten. Das ist ein Grund dafür, dass Frauen in Asien, die viel Soja konsumieren, ein viel niedrigeres Brustkrebsrisiko aufweisen als Frauen in westlichen Ländern.
Insgesamt zeigen die vorliegenden Studien, dass Sojakonsum mit verschiedenen positiven Gesundheitswirkungen einhergeht, beispielsweise einem verringerten Risiko für koronare Herzkrankheiten und Schlaganfall. Vermeintlich gesundheitsschädigende Wirkungen von Soja, etwa auf die Schilddrüse oder den Hormonhaushalt, konnten hingegen bei normalem Sojakonsum nicht bestätigt werden. Um die gesundheitlichen Vorteile nutzen zu können, sollten bis zu drei Portionen Sojaprodukte pro Tag verzehrt werden. Da Soja ein sehr günstiges Aminosäureprofil aufweist, kann es besonders bei veganer Ernährung als besonders hochwertige pflanzliche Eiweißquelle dienen.
Da Soja ein sehr günstiges Aminosäureprofil aufweist, kann es besonders bei veganer Ernährung als besonders hochwertige pflanzliche Eiweißquelle dienen.
Dr. Keller: Grundsätzlich kann eine vegane Ernährung in allen Lebensphasen bzw. von allen Personengruppen durchgeführt werden. Bei Personen mit erhöhtem Nährstoffbedarf, wie Schwangere, Stillende und Kinder, muss besonders auf eine bedarfsgerechte Lebensmittelzusammenstellung und Nährstoffzufuhr geachtet werden. Für diese sogenannten Risikogruppen empfehle ich, sich von speziell in veganer Vollwert-Ernährung fortgebildeten Ernährungsfachkräften beraten zu lassen.
Dr. Keller: Leider gibt es nur wenige aussagekräftige Studien zu veganer Ernährung bei Kindern. Jedoch kann man aus den bisherigen Studien ableiten, dass sich vegane Kinder normal entwickeln, beispielsweise was Größe und Körpergewicht betrifft. Auch unsere beiden VeChi-Studien haben bestätigt, dass auf die Zufuhr bestimmter kritischer Nährstoffe bei vegan lebenden Kindern besonders geachtet werden muss.
Neben der obligaten Vitamin-B12-Supplementierung zählen hierzu Kalzium, Eisen, Zink, Jod, Vitamin B2 und die langkettigen Omega-3-Fettsäuren. Interessanterweise waren die meisten dieser Nährstoffe auch bei den gleichaltrigen Mischkost-Kindern kritisch. Hier besteht also bei allen Ernährungsformen Beratungs- und Optimierungsbedarf. Umgekehrt zeigten die vegan ernährten Kinder meist eine deutlich gesundheitsfördernde Lebensmittelauswahl, hatten ein günstigeres Fettsäuremuster mit weniger gesättigten und mehr ungesättigten Fettsäuren, eine höhere Ballaststoffzufuhr sowie eine hohe Zufuhr verschiedener Vitamine und Mineralstoffe, wie Vitamin C, Kalium oder Magnesium.
Dr. Keller: Insgesamt hat sich gezeigt, und das ist auch meine Einschätzung, dass die gesundheitlichen Vorteile einer gut durchgeführten veganen Ernährung größer sind als die potenziellen Risiken. In letzter Zeit wird viel über Substanzen, die überwiegend in tierischen Produkten vorkommen, diskutiert. Hierzu zählen beispielsweise Cholin, Arachidonsäure, Taurin oder Kreatin. Um die Frage zu beantworten, ob diese Stoffe möglicherweise kritisch bei veganer Ernährung sind und welche Handlungsempfehlungen daraus abgeleitet werden können, haben wir ein Forschungsprojekt gestartet.
Das Projekt wird ausschließlich durch Spenden finanziert und dank der Unterstützung zahlreicher Menschen haben wir inzwischen etwa drei Viertel des benötigten Budgets zusammen. Wer uns dabei helfen möchte, auch noch die restlichen Mittel zusammen zu bekommen, kann uns gerne mit einer steuerlich absetzbaren Spende unterstützen unter: https://www.betterplace.org/de/projects/133792-vegane-ernaehrung-bewertung-von-cholin-arachidonsaeure-taurin-kreatin
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 01.07.2024.