Als Ulcus cruris wird eine tiefe, über längere Zeit schlecht heilende Wunde am Unterschenkel oder Fuß bezeichnet. Auf Deutsch wird es auch Unterschenkelgeschwür genannt. Laien sprechen oft von einem „offenen Bein“. Einem Ulcus cruris liegt eine andere Erkrankung zugrunde. Meist ist dies eine Gefäßerkrankung wie eine Venenschwäche, Krampfadern oder eine Arteriosklerose (Verkalkung der Beinarterien). Von einem Ulcus cruris betroffen sind mehr Frauen als Männer, es tritt vor allem ab einem Alter von 75 Jahren auf. Die Therapie eines Unterschenkelgeschwürs ist in der Regel eine langwierige Angelegenheit und erfordert Geduld.
Ein Ulcus cruris entsteht über einen längeren Zeitraum hinweg. Der Auslöser dafür, dass sich ein Ulcus cruris bildet, ist meist eine schlechte Durchblutungssituation im Bein. Hierdurch wird die Haut dünner und es kommt leichter zu Verletzungen. Wunden heilen schlechter oder gar nicht ab, weil die notwendige Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen fehlt. Heilt eine Wunde für länger als acht Wochen nicht ab, gilt sie als chronisch.
Eine schlechte Durchblutung kann durch vielfältige Ursachen entstehen. Häufig sind:
Außerdem kann ein Unterschenkelgeschwür entstehen durch:
Die häufigste Venenerkrankung, bei denen ein Ulcus cruris entstehen kann, ist die Venenschwäche (chronisch-venöse Insuffizienz = CVI). Dabei schließen die Venenklappen nicht mehr richtig. Die Klappen in den Venen sorgen normalerweise dafür, dass das sauerstoffarme Blut nicht wieder nach unten sackt. Bei der Venenschwäche staut sich daher das Blut in den Beinvenen. Diese erweitern sich mit der Zeit. Außerdem tritt Flüssigkeit ins umliegende Gewebe aus und drückt dort kleinste Gefäße ab. Das erschwert die Versorgung des Gewebes mit sauerstoff- und nährstoffreichem Blut. Übergewicht, viel und langes Stehen im Beruf, schwaches Bindegewebe oder Schwangerschaften sind mögliche Auslöser für eine Venenschwäche.
Seltener führt eine durchgemachte Thrombose (Gefäßverschluss durch ein Gerinnsel) zu einer Venenschwäche. Dies wird als postthrombotisches Syndrom bezeichnet. Die Folge kann ein Ulcus cruris postthromboticum sein.
Hier steht die Arteriosklerose (Verkalkung der Arterien) im Vordergrund. Ablagerungen an der Gefäßwand verengen die Bein- und Beckenarterien. Es kommt zu einer schlechteren Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff. Diese Erkrankung heißt am Bein auch pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) oder Schaufensterkrankheit. Risikofaktoren für die Entwicklung einer Arteriosklerose sind Rauchen, Übergewicht, Stress, hohe Blutfette, die Zuckerkrankheit oder ein erhöhter Blutdruck.
Neben den allgemeinen Symptomen bei einem Unterschenkelgeschwür gibt es auch einige Beschwerden, die abhängig von der auslösenden Ursache sind.
Unabhängig vom Auslöser treten bei einem Ulcus cruris meist folgende Symptome auf:
Eine Venenschwäche besteht meist schon viele Jahre, bevor ein Ulcus cruris auftritt. Daher gibt es im Vorfeld oft verschiedene Anzeichen (und Risikofaktoren) für die Entstehung eines Unterschenkelgeschwürs. Hierzu zählen:
Bei einer nicht behandelten chronisch venösen Insuffizienz entsteht das Ulcus cruris in den meisten Fällen im Bereich des Innenknöchels. Oft breitet es sich ringförmig um den Unterschenkel herum aus. Die Wunde nässt häufig und die Wundränder sind nicht klar begrenzt.
Üblicherweise besteht die schlechte Durchblutungssituation auch bei arterieller Entstehung lange bevor ein Ulcus auftritt. Typische Anzeichen einer arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) sind:
Ein Ulcus cruris arteriosum tritt vermehrt am Außenknöchel, am äußerem Unterschenkel, an der Fußsohle oder den Zehen auf. Seine Grenzen sind klar. Die Form ist oft rund. Die Wunde wirkt wie ausgestanzt.
Bei der Mischform liegen dem Unterschenkelgeschwür Venen- und Arterienerkrankungen zugrunde. Die Symptomatik ist demzufolge gemischt. Es treten beide Arten von Wunden auf beziehungsweise das Erscheinungsbild kann Merkmale von beiden Arten aufweisen.
Wird ein Ulcus cruris nicht frühzeitig behandelt, können schwerwiegende Komplikationen wie eine bakterielle Infektion oder eine lebensgefährliche Blutvergiftung (Sepsis) die Folge sein. Ebenso kann eine Amputation notwendig werden.
Wunden, die über mehrere Wochen nicht verheilen, sollten ärztlich abgeklärt werden. Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt oder der Hautarzt. Er kann, je nach vermuteter Ursache, an den entsprechenden Facharzt überweisen. Der Facharzt für Venenerkrankungen ist der Phlebologe. Experte für Arterienerkrankungen ist der Angiologe (Gefäßspezialist).
Am Beginn der Diagnostik steht die Anamnese, das ausführliche Gespräch zwischen Arzt und Patient. Folgende Fragen sind üblich:
Anschließend folgt die körperliche Untersuchung. Beim Sichtbefund werden Auffälligkeiten wie Hautverfärbungen, Größe und Aussehen der Wunde festgestellt. Häufig erfolgt auch eine Fotodokumentation. Damit lässt sich der Krankheitsverlauf beurteilen.
Je nach vermuteter Ursache werden weitere Untersuchungen vorgenommen. Hierzu zählen:
Damit ein Ulcus cruris bestmöglich behandelt werden kann, ist die Bestimmung der zugrundeliegenden Ursache von entscheidender Bedeutung.
Beim Ulcus cruris werden sechs Schweregrade unterschieden. Dabei ist der jeweilige Grad abhängig von der Ausdehnung des Geschwürs in die Tiefe der Gewebeschichten:
Ein Unterschenkelgeschwür oder eine offene Wunde am Bein lässt sich normalerweise zweifelsfrei erkennen. Die häufigsten Ursachen (circa 75 Prozent) eines Ulcus cruris liegen in den Gefäßkrankheiten chronisch venöse Insuffizienz oder periphere arterielle Verschlusskrankheit. Davon müssen weitere Auslöser abgegrenzt werden. Dies können Gefäßentzündungen (Vaskulitiden), ein Pyoderma gangraenosum (schmerzhafte Hauterkrankung mit Geschwürbildung), Lymphödeme, Infektionen, Folgen von Unfällen oder Bissverletzungen (Traumata), Autoimmunerkrankungen (Sklerodermie, Lupus erythematodes), bösartige Erkrankungen des Knochenmarks und der Blutbildung (myeloproliferative Erkrankungen), Nebenwirkungen von Medikamenten sowie Hautkrebs sein.
Die Behandlung eines Ulcus cruris erfordert Geduld und dauert oft mehrere Wochen bis Monate. Entscheidend ist neben der Therapie der Wunde die Behandlung der Grunderkrankung. Ein geschultes Team aus Ärzten, Pflegepersonal oder speziellen Fachkräften für Wundversorgung arbeitet hier interdisziplinär zusammen.
Das Hauptziel ist, den Rückstau in den Venen zu verringern und somit die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen im Wundgebiet zu verbessern. Das Mittel der Wahl ist hier die Kompressionstherapie (Behandlung durch Druck von außen). Individuell angepasste Kompressionsstrümpfe oder -strumpfhosen oder das Wickeln der Beine mit elastischen Binden kommen zur Anwendung. Die Kompressionstherapie muss für einen Behandlungserfolg konsequent und dauerhaft durchgeführt werden, was gerade in der warmen Jahreszeit viel Disziplin erfordert. Zusätzlich kann die Entstauung der Beine durch eine begleitende Lymphdrainage-Therapie (eine spezielle Beinmassage) unterstützt werden. Regelmäßige Bewegung wie Gehen oder Radfahren fördert den venösen Rückstrom ebenfalls. Häufig muss die Kompressionstherapie ein Leben lang beibehalten werden, um die Entstehung neuer Unterschenkelgeschwüre zu verhindern.
Wenn zusätzlich Krampfadern (Varizen) vorliegen, können diese verödet werden (Sklerosierungstherapie) oder chirurgisch entfernt werden.
Zur Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) stehen mehrere Bausteine zur Verfügung. Mit Hilfe eines speziellen Gehtrainings wird das Gefäßsystem angeregt, Umgehungskreisläufe (sogenannte Anastomosen) um die Verengung herum zu bilden. Außerdem können Medikamente eingesetzt werden, die die Durchblutung verbessern. Als Eingriff über einen Katheter kann eine Aufweitung des verengten Gefäßes mit Einlegen eines Metallimplantates (Ballondilatation mit Stent) erfolgen. Der Stent hält das geweitete Gefäß offen. Manchmal wird auch eine Bypass-Operation durchgeführt. Ein Bypass stellt eine Umgehung um die Engstelle herum dar. Bypässe können aus körpereigenen Gefäßen oder aus Kunstgewebe bestehen.
Die korrekte Behandlung der Wunde spielt eine wichtige Rolle bei der Therapie eines Ulcus cruris. Beim Wundmanagement wird das MOIST-Konzept verfolgt. MOIST steht für:
Exsudatmanagement bedeutet, dass die Feuchtigkeit an der Wunde reguliert wird. Je nach Bedarf werden trockene Wunden befeuchtet (mit speziellen Wundauflagen) und nässende Wunden trocken gehalten. Mit Sauerstoffbalance ist gemeint, dass eine ausreichende Sauerstoffzufuhr im Gewebe gewährleistet wird, um die Heilung optimal zu fördern. Eine Maßnahme ist das Besprühen der Wunde mit einem Hämoglobin-Spray. Das Hämoglobin (ein wichtiger Bestandteil des Blutes) kann Sauerstoff aus der Luft binden und so die Sauerstoffversorgung in der Wunde verbessern. Infektionskontrolle heißt, dass Infektionen vermieden werden müssen. Hierbei hilft eine konsequente Wundreinigung und Wundversorgung mit entsprechenden keimabtötenden Wundauflagen. Maßnahmen zur Unterstützung des Heilungsprozesses sind beispielsweise die Anwendung bestimmter Wachstumsfaktoren (aus Eigenblut oder chemisch hergestellt) oder das Anlegen von Kollagenverbänden. Zum Gewebemanagement zählen sowohl Maßnahmen der Wundreinigung und der Wundbehandlung als auch der Wundabdeckung mit verschiedenen Wundauflagen.
Zur optimal-feuchten Wundbehandlung stehen verschiedene Produkte zur Verfügung, die die einzelnen Wundheilungsphasen optimal unterstützen. Hierzu zählen Hydrogele, Hydrokolloide, Alginate, Wundauflagen mit Silberanteil und spezielle Schaumstoffe. Dabei wirken Hydrogele je nach Zustand der Wunde befeuchtend oder feuchtigkeitsaufnehmend. Sie eignen sich daher zur Behandlung jeglicher Wunden. Alginate und Hydrokolloide bilden durch die Aufnahme der Wundflüssigkeit ein Gel. Dies hilft, die Wunde feucht zu halten. Silber wirkt abtötend auf Bakterien. Wundauflagen mit Silberanteil können sich somit für die Therapie infizierter Wunden eignen oder für solche, die ein großes Infektionsrisiko aufweisen. Schaumstoffe können viel Wundsekret aufnehmen und schützen das empfindliche, sich neu bildende Gewebe.
Die Versorgung einer chronischen Wunde erfolgt in drei Schritten. Zunächst wird die Wunde gereinigt. Meist erfolgt dies durch Spülung mit einer Kochsalzlösung. Anschließend wird entzündetes oder abgestorbenes Gewebe entfernt. In der Fachsprache wird dies als Wundtoilette oder Débridement bezeichnet. Hierfür ist gegen die Schmerzen meist eine örtliche Betäubung nötig. Zum Abtragen des Gewebes kann eine Pinzette, ein sogenannter scharfer Löffel oder ein Skalpell verwendet werden. In manchen Fällen werden auch keimfrei gezüchtete Maden zur Reinigung der Wunde eingesetzt. Im Anschluss an die Wundtoilette wird die Wunde abgedeckt, um das Eindringen von Keimen zu verhindern. Die Wundabdeckung sorgt auch dafür, dass die Wunde weder zu trocken noch zu feucht ist. Ein optimales Wundmilieu können sogenannte hydroaktive Wundauflagen gewährleisten. Wenn eine Wunde nur schwer heilt, kann auch ein Hauttransplantat (beispielsweise vom Oberschenkel) aufgebracht werden.
Liegt eine bakterielle Infektion vor, werden Antibiotika verabreicht. Dies kann in Tablettenform oder über eine Infusion erfolgen.
Da ein Ulcus cruris erst nach und nach aufgrund einer anderen Erkrankung entsteht, gibt es mehrere Ansätze zur Vorbeugung. Die Grunderkrankung muss bestmöglich behandelt werden beziehungsweise sollte verhindert werden, dass diese überhaupt entsteht:
Für die Prognose eines Ulcus cruris spielen die Ursache, die Ausprägung und begleitende Erkrankungen und Faktoren beim Patienten eine Rolle. Prinzipiell ist das Ulcus cruris heilbar, in vielen Fällen ist ein Abheilen bei guter Therapie innerhalb von mehreren Monaten möglich. Dabei hat ein Ulcus cruris venosum eine bessere Prognose als ein Ulcus cruris arteriosum. Wird nach Abheilen der Wunde die Kompressionstherapie nicht konsequent fortgeführt und mangelt es an Bewegung, kehrt das venös bedingte Ulcus häufig wieder (Rezidiv). Liegen mehrere Grunderkrankungen wie eine Venenschwäche und ein Diabetes mellitus vor, verschlechtert sich die Prognose. Gerade bei einem arteriell bedingten Ulcus kann es zum Absterben von Gewebe kommen. Dies kann eine Amputation von Zehen, Fuß oder Unterschenkel zur Folge haben.
Gesundheit.gv.at – Ulcus cruris: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/haut-haare-naegel/ulcus-cruris.html (online, letzter Abruf: 30.03.2023)
Neurologisches Versorgungszentrum Hochsauerland – Sonografie (Ultraschalluntersuchung): https://www.neurologie-hsk.de/diagnostik/dopplersonografie/ (online, letzter Abruf: 30.03.2023)
Thieme, Carmen Klingelhöller; Stefan W. Schneider – Differentialdiagnose Ulcus cruris, Ursachen und Therapie Connect: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-1584-5841.pdf (online, letzter Abruf: 30.03.2023)
DAZ.online – Granulox Hämoglobin-Spraytransportiert Sauerstoff in chronische Wunden: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2012/05/05/granulox-haemoglobin-spray-transportiert-sauerstoff-in-chronische-wunden (online, letzter Abruf: 30.03.2023)
aktualisiert am 30.03.2023