Schmerzen im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung (bösartigen Tumorerkrankung) oder ihrer Behandlung kommen häufig vor. Ungefähr ein Drittel der Krebspatienten erlebt schon bei einem gering entwickelten Stadium der Erkrankung Tumorschmerzen. In fortgeschrittenen Stadien steigen die Zahlen bis auf 90 Prozent an. Dabei ist die Stärke der Schmerzen kein Gradmesser für die Größe des Tumors oder für ein fortgeschrittenes Stadium der Erkrankung. Welche Schmerzen auftreten, ist vielmehr abhängig von der Krebsart, vom Ort der Erkrankung und den mitbetroffenen Strukturen in der unmittelbaren Umgebung.
Der Begriff Tumorschmerzen schließt verschiedene Ursachen für die Schmerzen mit ein. Das können Schmerzen durch die Tumorerkrankung selbst sein, Schmerzen als Folge der Behandlung oder Schmerzen, die in Verbindung mit der Erkrankung stehen, aber nicht direkt durch den Tumor ausgelöst werden. Tumorschmerzen sind in der heutigen Zeit gut zu behandeln. Es gibt Leitlinien verschiedener Organisationen und ein Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Behandlung dieser Art von Schmerzen. Heute sollte kein Krebspatient mehr davor Angst haben müssen, dass ihm bei auftretenden Schmerzen nicht wirksam geholfen werden kann. Voraussetzung ist, dass die verantwortlichen und beteiligten Berufsgruppen (Pflege, Ärzte, Schmerztherapeuten) die Empfehlungen berücksichtigen und umsetzen.
Unter dem Begriff Tumorschmerzen werden Schmerzen verstanden, die direkt durch die Tumorerkrankung verursacht werden, aber auch solche, die indirekt mit der Tumorerkrankung in Verbindung stehen (tumorassoziierte Schmerzen) und solche, die durch die Behandlung (Chemotherapie, Bestrahlung, Operation) ausgelöst werden.
Tumore und Tochtergeschwülste (Metastasen) können durch ihr Wachstum und den Raum, den sie einnehmen, Nachbargewebe verdrängen. Sie können damit die Funktion dieser Strukturen wie Muskeln, Sehnen, Gefäße, Nerven, Organe, Darmschlingen und Ähnliches beeinträchtigen oder Schmerzen auslösen. Metastasen oder Tumore kommen auch in Knochen vor. Durch Tumore können folglich verschiedene Arten von Schmerzen entstehen und es gibt zahlreiche Ursachen dafür.
Der häufigste bösartige Knochentumor ist das Osteosarkom. Er tritt vor allem an langen Röhrenknochen wie dem Oberarmknochen, dem Schienbeinknochen oder dem Oberschenkelknochen auf. Knochenmetastasen hingegen zeigen sich oft an der Wirbelsäule, an den Rippen oder an den Beckenknochen. Wenn der Tumor oder die Metastase wächst, kommt das Periost, die Knochenhaut, vermehrt unter Spannung. Das kann Schmerzen verursachen, weil das Periost über zahlreiche Schmerzrezeptoren (spezielle Nervenenden zur Schmerzerkennung, Nozizeptoren) verfügt. Außerdem nimmt die Stabilität des Knochens durch das Tumorwachstum ab. Auch das kann zu schmerzhaften Empfindungen führen. Im fortgeschrittenen Stadium sind sogenannte pathologische Frakturen (Knochenbrüche bei geringer Krafteinwirkung oder ohne erklärbaren Anlass) möglich. Zu Beginn der Erkrankung machen sich Knochenschmerzen oft nur unter Belastung bemerkbar. Im späteren Verlauf können sie auch in Ruhe auftreten. Dabei wird die Qualität der Schmerzen oft als bohrend oder dumpf beschrieben.
Bösartige Tumore in den Weichteilen wie Muskeln, Fettgewebe oder Bindegewebe sind selten. Wenn sie von diesen Geweben ausgehen, gehören sie zu den Sarkomen. Typische Symptome sind Dauerschmerzen. Diese lassen sich oft nicht klar abgrenzen, fühlen sich bohrend oder dumpf an. Eine Rötung oder Schwellung in der schmerzhaften Region ist ebenfalls möglich.
Tumore können benachbarte Nerven oder Nervengeflechte komprimieren (Druck auf sie ausüben) oder in sie hineinwachsen. Dadurch können verschiedenartige Nervenschmerzen (neuropathische Schmerzen) verursacht werden. Neuropathische Schmerzen sind sehr unangenehm, treten oft plötzlich und einschießend auf, sind brennend, stechend oder wie elektrischer Strom. Begleitsymptome wie Kribbeln, Taubheit, Muskelschwäche oder Lähmungserscheinungen sind ebenfalls möglich.
Wenn ein Tumor in seiner Umgebung Druck auf Venen oder Arterien ausübt, kann das auch zu Tumorschmerzen führen. Venen führen das Blut zurück zum Herzen. Werden sie abgedrückt, staut sich das Blut. Als Folge kann es zu Schwellungen oder Blutgerinnseln (Thrombenbildung) und entsprechenden Schmerzen kommen. Arterien bringen das sauerstoffreiche Blut zu den verschiedenen Geweben und Zellen. Wird die Blutzufuhr hier durch einen Tumor behindert, können Schmerzen auf Grund von Sauerstoffmangel im Gewebe ausgelöst werden.
Bei den inneren Organen haben nur die bindegewebigen Hüllen um das Organ herum Schmerzrezeptoren. Das eigentliche Organgewebe verfügt über keine Rezeptoren, die Schmerzen aufnehmen und weiterleiten könnten. Deshalb kommt es bei Tumoren in inneren Organen meist erst zu schmerzhaften Symptomen, wenn die Organhüllen durch die Größenzunahme gedehnt oder gespannt werden. Die Art des Schmerzes wird von den Betreffenden als tiefliegend, dumpf und manchmal kolikartig (krampfartig in Wellen kommend) beschrieben. Es gibt Nervenverbindungen zwischen den einzelnen inneren Organen und der Haut des Rumpfes. Dadurch kann es bei Erkrankungen eines Organs dazu kommen, dass Schmerzen in bestimmten Hautarealen auftreten. Diese Gebiete werden auch Head'sche Zonen genannt.
Die sogenannten Durchbruchschmerzen sind eine besondere Form der Tumorschmerzen. Unter Durchbruchschmerzen versteht man plötzlich auftretende, stark ausgeprägte Schmerzspitzen im Rahmen einer Erkrankung. Sie können zwischen wenigen Minuten und einer Stunde andauern. Manchmal gibt es keine bestimmten Auslöser. In anderen Fällen werden sie durch Nahrungsaufnahme, Bewegung, Husten oder andere Tätigkeiten hervorgerufen.
Durch Strahlenbehandlung und Chemotherapie sowie durch Operationen kann es zu sogenannten therapiebedingten Tumorschmerzen kommen. Sie werden nicht unmittelbar durch die Krebsgeschwulst ausgelöst, sondern treten als Nebenwirkung der Therapie auf.
Durch eine Bestrahlung kann das Hautgewebe, das sich im Strahlenfeld befindet, gereizt oder geschädigt werden. Milde Symptome wie eine Art Sonnenbrand sind genauso möglich wie Verbrennungen mit entsprechender Narbenbildung und Schmerzen. Wird im Bereich des Kopfes bestrahlt, können sich auch die Schleimhäute im Mund schmerzhaft entzünden.
Durch die Inhaltsstoffe in den Chemotherapie-Medikamenten können die äußeren Schutzhüllen der Nerven angegriffen werden. Als Folge kommt es zu einer veränderten Reizweiterleitung, auch von Schmerzreizen. Typische Symptome können Nervenschmerzen, Brennen, Kribbeln, Taubheit oder Ameisenlaufen sein. Die Schädigung der Nervenhüllen mit der entsprechenden Symptomatik kann auch nach Abschluss der Krebsbehandlung bestehen bleiben.
Häufig muss im Rahmen einer Tumorerkrankung auch eine Operation erfolgen, um das bösartige Gewebe nach Möglichkeit vollständig zu entfernen. Als Folge der Operation kommt es an der Haut, aber auch in den darunter liegenden Geweben zur Narbenbildung. Narben können ebenfalls zu Schmerzen führen, die therapiebedingt mit dem Tumor zu tun haben.
Neben den direkt durch den Tumor ausgelösten Schmerzen und den Schmerzen als Folge der Behandlung gibt es noch die sogenannten indirekten oder tumorassoziierten Schmerzen. Das sind Schmerzen, die mit dem Tumor in Verbindung gebracht werden, aber nicht direkt von ihm ausgelöst werden. Das können Schmerzen durch Schwellungen wie ein Lymphödem (Ansammlung von Lymphflüssigkeit), durch Thrombosen, durch Infektionen wie Gürtelrose oder durch das Wundliegen der Haut (Dekubitus) in Folge von Bettlägerigkeit sein.
Eine Krebserkrankung stellt für die Betroffenen eine große psychische Herausforderung dar. Manche entwickeln starke Ängste und Sorgen bis hin zu Depressionen. Ängste und depressive Verstimmungen haben einen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung. Häufig werden Schmerzen in solchen Lebensphasen verstärkt wahrgenommen. Es können aber auch neue körperliche Schmerzen als Ausdruck der psychischen Belastung auftreten (psychosomatische Beschwerden).
Bei Angstzuständen, depressiven Episoden oder psychischen Belastungssituationen sollte zusätzlich über eine psychologische oder psychotherapeutische Begleitung des Betroffenen nachgedacht werden. Auch kreativtherapeutische Angebote wie Musiktherapie, Kunsttherapie oder Tanztherapie können bei der Krankheitsbewältigung unterstützend sein.
In der Vergangenheit wurde oft erst spät gegen Schmerzen im Verlauf einer Krebserkrankung vorgegangen. Die Angst vor Nebenwirkungen und Abhängigkeiten von starken Schmerzmitteln war groß. Mittlerweile gibt es gute und wirkungsvolle Medikamente zur Linderung von Tumorschmerzen. Nebenwirkungen der Schmerztherapie wie Verstopfung können durch entsprechende Gegenmaßnahmen gut beherrscht werden. Abhängigkeiten sind bei Einhalten der Vorgaben zur Medikamenteneinnahme nicht schnell zu befürchten.
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat eine Empfehlung zur Behandlung von Tumorschmerzen herausgegeben, die drei Stufen vorsieht:
Wenn alle Maßnahmen des Stufenplans nicht den gewünschten Erfolg bringen, können gemeinsam mit einem erfahrenen Schmerztherapeuten weitere Möglichkeiten (wie Nervenblockaden, Schmerzkatheter, Schmerzpumpen) besprochen werden.
Die starken Schmerzspitzen von Durchbruchschmerzen erfordern darüber hinaus ein im Akutfall schnell wirksames Bedarfsmedikament. Hierfür werden rasch wirksame Opioide verwendet, deren Wirkung eine ausreichend lange Zeit anhält, um die Schmerzspitze abzufangen.
Wirkstoffe, die die Therapie mit schmerzlindernden Medikamenten unterstützen, werden Adjuvanzien genannt. Bei der Behandlung von Tumorschmerzen werden folgende Medikamente und Wirkstoffe bei Bedarf zusätzlich eingesetzt:
Die verordneten Schmerzmittel und Adjuvanzien können zu Nebenwirkungen wie Verstopfung oder Magenschleimhautreizungen führen. Daher werden bei Bedarf weitere Medikamente verordnet, um diesen Nebenwirkungen zu begegnen. Hierzu zählen:
Je nachdem, ob es sich um akute oder dauerhafte (chronische, länger als sechs Monate andauernde) Schmerzen handelt, müssen die eingesetzten Medikamente andere Anforderungen erfüllen. Für akute Beschwerden ist es wünschenswert, dass die Wirkung des Schmerzmittels schnell einsetzt. Sie muss aber nicht über lange Zeit aufrechterhalten werden. Bei chronischen Schmerzen hingegen ist das Ziel, eine gewisse Menge an wirksamem Schmerzmittel permanent im Körper zu haben. Das wird meist über Medikamente erreicht, die ihren Wirkstoff nach und nach (retardiert) an den Körper abgeben.
Schmerzmittel können in Tabletten- oder Kapselform, als Tropfen, als Spritzen oder Infusionen und auch über Pflaster auf der Haut (transdermale Pflaster) verabreicht werden.
Alle Schmerzen, die im Verlauf einer Tumorerkrankung auftreten, sollten zeitnah medizinisch abgeklärt werden. Es ist wichtig, rasch herauszufinden, was die Ursache ist und wie für Linderung gesorgt werden kann. Schmerzen im Rahmen einer Tumorerkrankung können Hinweise auf ein Fortschreiten der Erkrankung, aber auch für Nebenwirkungen der Therapie sein. Außerdem kann es sich um andere Erkrankungen handeln, die unabhängig vom Tumorleiden auftreten.
Zu Beginn steht das ausführliche Gespräch zwischen Arzt und Patient, die Anamnese. Ziel ist, sowohl mehr über die mögliche Ursache der Schmerzen zu erfahren als auch über die Stärke (Intensität) und die Art (akut oder chronisch/dauerhaft vorhanden). Über Intensität und Art der Schmerzen lässt sich einschätzen, wie stark der Betroffene dadurch in seinem Alltag beeinträchtigt wird. Das hat Auswirkungen auf die Art der Therapie. Übliche Fragen sind:
Nach der Anamnese folgt die körperliche Untersuchung. Je nachdem, wo die Schmerzen empfunden werden (Knochen, Weichteile, Nerven, Bauchraum), werden unterschiedliche Verfahren bei der körperlichen Untersuchung angewendet.
Je nach Vermutung, was den Schmerz verursacht, werden weitere Untersuchungen angeordnet. Möglich sind:
Im Rahmen der Diagnostik werden mehrere Fachdisziplinen mit einbezogen. Bei Nervenschmerzen ist eine neurologische Zusatzuntersuchung angezeigt. Bei Beschwerden im Rahmen von Knochentumoren oder Knochenmetastasen wird die Meinung eines Orthopäden eingeholt.
Für Schmerzpatienten ist es oft sinnvoll, ein Schmerztagebuch zu führen. Hierin wird festgehalten, wann die Schmerzen auftreten, wie sie sich anfühlen und wie stark sie empfunden werden. Normalerweise wird eine Schmerzskala von 0 bis 10 verwendet: 0 bedeutet kein Schmerz, 10 wäre der maximal vorstellbare Schmerz. Über ein Schmerztagebuch kann ein besserer Eindruck vom Schmerzgeschehen gewonnen werden.
Sie können selbst einiges tun, um sich und Ihren Körper in der Zeit der Krebserkrankung bestmöglich zu unterstützen. Hierzu zählen:
Neben der ärztlichen Therapie kann man selbst viel tun, um in der Zeit der Erkrankung gut für sich zu sorgen. Soziale Kontakte und der Austausch mit einem nahestehenden Menschen sind für viele Betroffene sehr unterstützend. Man ist nicht alleine mit der Situation und den Herausforderungen, die sie mit sich bringt. Alles, was Freude bereitet und weiterhin möglich ist, sollte man auch tun.
Rosenfluh, Dr. med. Peter Hügler; Susanne Stehr-Zirngibl – Management von Durchbruchschmerzen: https://www.rosenfluh.ch/media/arsmedici-dossier/2010/11/Management_von_Durchbruchschmerzen.pdf (online, letzter Abruf: 10.01.2023)
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V., Stefan Wirz – Tumorschmerzen: https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/schmerzerkrankungen/tumorschmerzen (online, letzter Abruf: 10.01.2023)
esmo.org (European Society For Medical Oncology) – Was sind Tumorschmerzen?: https://www.esmo.org/content/download/310712/6338480/1/DE-Tumorschmerz-Patientenleitlinie.pdf (online, letzter Abruf: 10.01.2023)
Deutsche Schmerzliga e.V., Dr. med. Marianne Koch – Tumorschmerzen: https://schmerzliga.de/tumorschmerzen/ (online, letzter Abruf: 10.01.2023)
Onko Internetportal – Was ist Schmerz?: https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/palliativtherapie/schmerzen-wirksam-bekaempfen/wie-schmerz-entsteht.html (online, letzter Abruf: 10.01.2023)
Anästhesisten im Netz, Sabine Ritter; Moni Traute – WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie: https://www.anaesthesisten-im-netz.de/schmerzmedizin/medikamentoese-schmerztherapie/who-stufenschema-zur-schmerztherapie/ (online, letzter Abruf: 10.01.2023)
aktualisiert am 10.01.2023