Prof. Schroeder: Die Trigeminusneuralgie ist eine sehr schmerzhafte Erkrankung, die den sensiblen Gesichtsnerv (Nervus trigeminus) betrifft. Typischerweise strahlen die Schmerzen auf einer Gesichtshälfte in einen oder mehrere der 3 Äste des Nervus trigeminus aus. Bei der Trigeminusneuralgie handelt es sich um einen wiederkehrenden Schmerz, wobei die Abstände zwischen den Schmerzattacken sehr unterschiedlich sein können. Es kann auch vorkommen, dass die Trigeminusneuralgie spontan nach einigen Wochen abklingt und dann für mehrere Monate nicht präsent ist, um dann nach einiger Zeit wieder aufzutreten. Entsprechend der internationalen Kopfschmerzklassifikation unterscheidet man die klassische, idiopathische und sekundäre Trigeminusneuralgie.
Prof. Schroeder: Bei der klassischen Trigeminusneuralgie ist die Ursache der Schmerzsymptomatik eine Kompression des Gesichtsnerven, meist in Hirnstammnähe, durch eine Arterie oder Vene. Bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie findet man in der bildgebenden Diagnostik keine Ursache für die Beschwerden. Bei der sekundären Trigeminusneuralgie ist die Ursache eine andere Erkrankung, wie zum Beispiel eine Multiple Sklerose oder Tumoren, die den Nervus trigeminus alterieren, wie beispielsweise Meningeome, Epidermoide oder Schwannome. Entsprechend der Ursache der Trigeminusneuralgie erfolgt dann auch die spezifische Behandlung.
Prof. Schroeder: Die Trigeminusneuralgie ist durch einseitige, scharfe, elektrisierende starke Schmerzen im Ausbreitungsgebiet eines oder mehrerer Trigeminusäste gekennzeichnet. Es handelt sich hierbei um kurze Schmerzattacken von Sekunden bis maximal ein bis zwei Minuten Dauer. Bei einigen Formen der Trigeminusneuralgie besteht auch ein dumpfer Dauerschmerz, der assoziiert ist mit den kurzen Schmerzattacken. Die Trigeminusneuralgie tritt streng einseitig auf und überschreitet nicht die Mittellinie zur Gegenseite. Es bestehen keine Sensibilitätsstörungen. Typischerweise lassen sich die Beschwerden durch sogenannte „Triggerungen“ auslösen, wie zum Beispiel Rasieren, Berührung, Kauen, kalter Wind, Zähneputzen etc. Wichtig ist, die Trigeminusneuralgie von anderen Schmerzformen wie zum Beispiel der Trigeminusneuropathie oder dem atypischen Gesichtsschmerz abzugrenzen, da hier die Behandlung anders ist.
Die Trigeminusneuralgie ist durch einseitige, scharfe, elektrisierende starke Schmerzen im Ausbreitungsgebiet eines der Trigeminusäste gekennzeichnet.
Prof. Schroeder: Die Trigeminusneuralgie hat eine typische klinische Charakteristik und kann daher durch die Schmerzanamnese klar diagnostiziert werden, verbunden mit einer neurologischen Untersuchung zur Prüfung der Sensibilität im Gesicht. Zusätzlich wird bei jeder Neuerkrankung eine bildgebende Diagnostik in Form eines MRTs empfohlen, da sich hier Irritationen des Nervs durch andere Erkrankungen (sekundäre Trigeminusneuralgie oder auch eine vaskuläre Kompression, d. h. klassische Trigeminusneuralgie) zeigen kann.
Prof. Schroeder: Therapie der Wahl bei einer Trigeminusneuralgie ist die medikamentöse Therapie mit Carbamazepin. Die Mehrzahl der Patienten spricht auf diese Behandlung initial sehr gut an und hat eine deutliche Schmerzlinderung zu verzeichnen. Sollte diese Medikation allein nicht ausreichen, kann sie auch mit Phenytoin kombiniert werden, insbesondere, um eine Akutphase mit starken Schmerzen zu durchbrechen. Andere Medikamente, die eingesetzt werden, wenn Carbamazepin nicht ausreichend wirksam ist, sind Gabapentin, Pregabalin, Lamotrigin oder auch Baclofen. Weiterhin kann eine Injektion von Botulinumtoxin auch gelegentlich eine Schmerzlinderung herbeiführen.
Prof. Schroeder: Wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreichend effektiv ist oder die Dosierung sehr hoch ist und starke Nebenwirkungen verursacht, besteht die Möglichkeit, eine Operation durchzuführen. Dies trifft insbesondere für Fälle zu, bei denen man im MRT eine klare Ursache sieht, wie zum Beispiel bei einer sekundären Trigeminusneuralgie. Dann ist die Therapie der Wahl, die Ursache der Beschwerden zu behandeln und beispielsweise eine Tumorentfernung vorzunehmen. Bei der klassischen Trigeminusneuralgie, bei der man im MRT eine vaskuläre Kompression sieht, hat man ebenfalls eine gute Indikation für eine Operation. Allerdings stellen wir eine Operationsindikation mitunter auch, wenn im MRT keine vaskuläre Kompression zu sehen ist, da es manchmal Veränderungen gibt, die unterhalb der Auflösungsgrenze des MRT liegen und man trotzdem einen guten operativen Erfolg erreichen kann bei einer direkten operativen Inspektion. Es gibt aber auch Patienten, die von vornherein keine medikamentöse Dauertherapie wünschen und sich frühzeitiger für eine Operation entscheiden und nicht erst warten, bis die medikamentöse Therapie versagt.
Die Stellung der Operationsindikation erfolgt immer sehr individuell und ist mit jedem einzelnen Patienten konkret zu besprechen. Insbesondere muss berücksichtigt werden, wie der Allgemeinzustand ist und wie hoch das Narkoserisiko ist: Ist das Narkoserisiko durch Begleiterkrankungen von Herz und Lunge deutlich erhöht, würde man eine operative Therapie in Allgemeinnarkose möglichst nicht durchführen.
Alternative operative Verfahren neben der mikrovaskulären Dekompression, bei der die Trigeminuswurzel von einer vaskulären Kompression befreit wird, sind perkutane Verfahren, bei denen man mit einer Nadel in den Nervenknoten des Nervus trigeminus eingeht und dort dann medikamentös oder durch Wärmeapplikation die Schmerzfasern abtötet.
Ein weiteres Verfahren ist die sogenannte Ballonkompression, bei der ebenfalls durch die Haut des Patienten eine Sonde in den Nervenknoten eingeführt wird und dann durch Aufblasen eines Ballons die Nervenfasern gedrückt werden. Auch hier sind in der Literatur recht gute Ergebnisse mit Erfolgsraten über 60% berichtet worden.
Ein weiteres Verfahren, welches wir nur in Ausnahmefällen anwenden, ist die Bestrahlungstherapie, bei der die Schmerzfasern durch eine Bestrahlung abgetötet werden sollen. Häufig kommt es hierbei jedoch auch zur Mitbeteiligung der sensiblen Bahnen, sodass es dann unangenehme Kribbel-Missempfindungen im Gesicht geben kann, weshalb wir dieses Verfahren nur als Ultima Ratio betrachten.
Für uns ist die Therapie der Wahl die mikrovaskuläre Dekompression; insbesondere wenn man eine arterielle Kompression sieht, hat man eine Erfolgsrate nach der Operation von über 90%, die im Langzeitverlauf dann etwas nachlässt, aber immer noch deutlich erfolgreicher ist, als alle anderen Verfahren. Manchmal ergibt sich auch die Indikation, einen Teil der Nervenwurzel zu durchtrennen (partielle Rhizotomie). Dieses Verfahren wird angewendet, wenn persistierende starke Beschwerden vorliegen, die medikamentös nicht in den Griff zu bekommen sind und keine vaskuläre Kompression vorliegt, die die Ursache der Beschwerden erklärt. Insbesondere die Durchtrennung des 3. Astes (Unterkieferast) verursacht kaum Nebenwirkungen und wir haben hierbei sehr gute Ergebnisse in unserer Serie zu verzeichnen.
Prof. Schroeder: Die Schmerzen der Trigeminusneuralgie kommen häufig aus heiterem Himmel und der Patient kann leider nichts tun, um diese Attacken zu vermeiden. Das einzige ist, dass man eine Triggerung, also eine Berührung des Gesichtes, vermeidet, um diese Schmerzen nicht auszulösen. Stark betroffene Patienten sind kaum in der Lage, zu reden oder zu essen, da die Schmerzen bei jeder Bewegung der Gesichtsmuskulatur ausgelöst werden.
Die Schmerzen der Trigeminusneuralgie kommen häufig aus heiterem Himmel und der Patient kann leider nichts tun, um diese Attacken zu vermeiden.
Prof. Schroeder: Eine Trigeminusneuralgie kann geheilt werden, wenn man die Ursachen beseitigen kann, wie zum Beispiel bei der sekundären Trigeminusneuralgie durch Tumorentfernung oder bei der klassischen Trigeminusneuralgie durch Entfernung der vaskulären Kompression. Wir haben in unserer Serie sehr viele Patienten, die im Langzeitverlauf keine Schmerzen mehr nach einer mikrovaskulären Dekompressionsoperation haben.
Prof. Schroeder: Ja, es gibt auch Fälle, bei denen die Trigeminusneuralgie einmalig auftritt, dann medikamentös behandelt wird und nach Absetzen der Medikation nach etwa 3 bis 4 Monaten von allein wegbleibt. Häufiger ist es jedoch so, dass die Schmerzen dann doch wieder erneut auftreten, manchmal erst nach einem halben oder ganzen Jahr.
Prof. Schroeder: Leider bleibt nur die regelmäßige akkurate Einnahme der Schmerzmedikation entsprechend der ärztlichen Verordnung, um die Schmerzen zu durchbrechen. Auch die Vermeidung von Triggerung ist eine der wenigen Möglichkeiten, die die Patienten haben, um die Erkrankung zu beeinflussen. Ansonsten kann man leider selbst nicht viel tun. Wir als Chirurgen empfehlen bei persistierenden Beschwerden und Nachweis einer vaskulären Kompression eine frühzeitige mikrovaskuläre Dekompression, da die Erfolgsrate hierbei sehr hoch ist und das Risiko von Nebenwirkungen vergleichsweise gering.
Prof. Schroeder: Die operative Therapie der Trigeminusneuralgie ist sicher schon optimal entwickelt, sodass hier keine weiteren größeren neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Die mikroskopische und auch endoskopisch assistierte Inspektion der Trigeminuswurzel erlaubt die Untersuchung des gesamten Trigeminusnerven vom Hirnstamm bis zum Eintritt in die Schädelbasis, sodass man hier mögliche Irritationen sehr gut erkennen kann. Geforscht wird vor allem an neuen Medikamenten zur Behandlung der Trigeminusneuralgie. Gegenwärtig wird die Botulinumtoxin-Injektion in größeren Studien geprüft.
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 14.03.2024.