Wer unter einem Tinnitus leidet, sollte nicht zu lange warten, einen Arzt aufzusuchen. Bei einem Großteil der Patienten verschwinden die Ohrgeräusche innerhalb von ein bis zwei Tagen von selbst. Halten diese über einen längeren Zeitraum an, besteht die Gefahr, dass bei den Betroffenen das Klingeln oder Rauschen im Ohr dauerhaft anhält. Übersteigt die Dauer einen Zeitraum von drei Monaten, wird von einem chronischen Tinnitus gesprochen. Wird der Tinnitus rasch erkannt und eine Behandlung eingeleitet, kann dies den Verlauf günstig beeinflussen. Insbesondere bei gleichzeitigem Auftreten einer Schwerhörigkeit oder eines Hörsturzes darf mit einer Therapie nicht abgewartet werden.
Von den meisten Betroffenen werden die Ohrgeräusche nicht als störend empfunden (kompensiertes Krankheitsbild). Einige Patienten werden durch den Tinnitus hingegen stark beeinträchtigt (dekompensierter Tinnitus).
Eine grundsätzliche Bereitschaft, sich mit der eigenen Krankheit kritisch auseinanderzusetzen und dabei offen für Veränderungen zu sein, ist eine Voraussetzung für eine mögliche Gesundung. Der Anspruch auf eine Heilung sollte weder an den Arzt noch an sich selbst gestellt werden. Eine achtsame Einstellung kann indes ein Schritt hin zur Akzeptanz und damit zur Verminderung der negativen Wahrnehmung sein. Hierzu gehört, den eigenen Körper kennenzulernen und auf vorhandene Warnsignale zu hören.
Hat sich das Klingeln im Ohr festgesetzt, kann dies den Alltag spürbar beeinflussen. Die Ohrgeräusche, welche in ihrer Lautstärke und Art individuell unterschiedlich sind, können von Betroffenen als unangenehm bis quälend empfunden werden. Psychische Erkrankungen und Auswirkungen wie Schlafstörungen, Konzentrationsmangel oder Depressionen werden bei Tinnitus-Patienten häufig beobachtet. Da ein Hörverlust in vielen Fällen mit einem Tinnitus einhergeht, kann die Kommunikation beeinträchtigt werden. Für diese Patienten kann es schwierig sein, die üblichen sozialen Kontakte aufrecht zu halten. Erschwerend wirkt sich aus, dass die Geräusche im Ohr von den Mitmenschen nicht wahrgenommen werden.
Insbesondere bei einem Tinnitus, dem keine erkennbare Ursache zugeordnet werden kann, ist eine wirksame Therapie auf die Mitarbeit der Patienten angewiesen.
Beim Tinnitus ist die Selbsteinschätzung durch den Betroffenen ein wichtiger Pfeiler für die ärztliche Diagnose und um selbst mögliche Auslöser zu finden. Der eigene Blick auf das Ohrgeräusch kann erleichtert werden, indem der Patient auf Fragebögen zurückgreift. Allerdings sollte die ausführliche Diagnostik stets einem Facharzt überlassen werden. Besonders bei einem akuten Tinnitus mit oder ohne Hörverlust kann der Versuch, sich selbst zu behandeln, die Prognose verschlechtern.
Persönliche Auswirkungen und mögliche Auslöser vermag indes nur der Betroffene selbst zu benennen. Eine Hilfe bei der Forschung nach den Ursachen kann ein Tinnitus-Tagebuch sein. Hierzu genügt ein Heft, in das über einen bestimmten Zeitraum die Art und Lautstärke des Tinnitus sowie Begleiterscheinungen, Alltagssituationen oder der Konsum von Genussmitteln eingetragen werden. Das Tagebuch soll für die Zusammenhänge zwischen den Ohrgeräuschen und möglichen auslösenden Momenten sensibel machen. Wesentlich bei der Führung der Aufzeichnungen ist, die Aufmerksamkeit lediglich einmal während der Eintragung auf den Tinnitus zu lenken.
Tinnitus kann als ein Alarm des Körpers verstanden werden, wenn wir uns körperlich oder psychisch übernommen haben. Bei einem Tinnitus kommen ähnliche chemische Veränderungen vor, wie sie bei langanhaltendem Stress beobachtet werden. Stress ist in der Lage, die innere Balance ins Wanken zu bringen. Infolgedessen kann es zu einer Veränderung unserer Wahrnehmung und zur gesteigerten Aufmerksamkeit gegenüber dem Tinnitus kommen. Oberstes Ziel ist somit, die Situationen in ihre Schranken zu verweisen, welche augenscheinlich für die Überlastung zuständig sind. Leistungsdruck, Doppelbelastung durch Familie und Beruf, mangelnde Erholung oder fehlende sportliche Betätigung – die Liste ließe sich unendlich weiterführen, doch muss jeder für sich selbst spüren, welche Faktoren in seinem Leben eine belastende Rolle spielen.
Ebenso umfangreich zeigen sich die Strategien zur Stressvermeidung. Der heute häufig gebrauchte Begriff der Achtsamkeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Achtsamkeit hat als Therapieform unter dem Namen Mindfulness Based Stress Reduction hierzulande viele Anhänger. Auch Yoga oder Meditationsübungen lassen sich nach entsprechender Anleitung leicht in den Alltag integrieren.
Widersprüchlich mag der Aspekt des absichtlichen Hinhörens für Tinnitus-Patienten erscheinen. Gemeint ist hier indes, sich nicht weiter mit dem Tinnitus als unerwünschtem Ton zu beschäftigen. Vielmehr soll die Wahrnehmung auf angenehmere Aspekte gelenkt werden. Das Hören von Geräuschen ist oft mit Emotionen verbunden. So können die Tinnitus-Geräusche mit negativen Gefühlen belegt sein. Yoga oder andere Übungen wie progressive Muskelentspannung, Atemtherapie oder autogenes Training sind geeignet, das Gehirn zu motivieren, den Tinnitus nicht mehr zu bewerten. Im Gegensatz zur Schmerztablette wird sich ein Erfolg nicht nach wenigen Minuten einstellen. Vielleicht ist auch die Ungeduld einer der Faktoren, welche zu vermehrten Stresssituationen führt.
Längst geben wir uns nicht mehr damit zufrieden, Dinge in Ruhe zu Ende zu bringen. Leistungsdenken und Multitasking sind oft geforderte Fähigkeiten in unserem Leben. Doch kommt dabei das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Erholung ins Hintertreffen. Die Umsetzung im Alltag ist nicht immer einfach. Ein andauerndes Klingeln im Ohr kann auf Dauer jedoch zusätzliche Krankheiten nach sich ziehen. Im Anschluss an einen anstrengenden Tag kann eine Massage, Joggen im Wald oder einfach nur Nichtstun die Balance wiederherstellen.
Eines scheint sicher, der Tinnitus wird nachts nicht lauter als am Tag. Dennoch klagen Tinnitus-Patienten häufig über Schlaflosigkeit. Beim Einschlafen herrscht meist Ruhe, störende Alltagsgeräusche fallen weg, sodass die Aufmerksamkeit der Ohren sich vermehrt und ungestört dem Tinnitus zuwenden kann.
Schlafstörungen können bekanntermaßen auch bei Menschen ohne Tinnitus auftreten. Entscheidend für einen erholsamen Schlaf ist eine gute Schlafhygiene. Diese beginnt bei allen Menschen bereits im Verlauf des Tages. Ein aufreibender Tag verlangt bisweilen andere Schlafrituale, als dies im Urlaub der Fall ist. Unbedingt einschlafen zu müssen, ist mit großer Sicherheit ein Schlafräuber. Ebenfalls vermögen Kaffee oder schwarzer Tee das Einschlafen zu erschweren, während Alkohol zu schlechterer Schlafqualität und vermehrtem Aufwachen führt. Da der Schlaf spontan eintritt, kann ein Buch oder leise Musik auf angenehme Weise zum Schlaf hinführen. In gleicher Weise sind positive Gedanken oder Erinnerungen geeignet, die Geräusche im Ohr zu vergessen und einzuschlafen.
Lärm ist als der häufigste Auslöser des Tinnitus bekannt, wogegen bei Stille das Klingeln im Ohr unerträglich werden kann. Bewusstes Hören kann in beiden Fällen dazu beitragen, einen Tinnitus zu vermeiden beziehungsweise erträglich zu gestalten. Obgleich dies nicht in jeder Situation umsetzbar ist, sollten Orte mit hoher Lautstärke sowie andauernd hohe Hintergrundgeräusche umgangen werden. Der Umgang mit richtigem Hören kann dazu führen, die für sich angenehme Geräuschkulisse selbst zu erschaffen.
Wer an einem Tinnitus leidet, wird diesen an stillen Orten vermehrt wahrnehmen. Helfen können gegebenenfalls angenehme Hintergrundgeräusche, die den Tinnitus weniger auffällig erscheinen lassen oder ihn überdecken. Dazu gehören sogenanntes weißes Rauschen oder rosa Rauschen, in denen die Ohrgeräusche ganz oder teilweise aufgehen. Auf ähnliche Weise wirken sich plätscherndes Wasser, andere Klangkulissen der Natur oder beruhigende Musik aus. Der Tinnitus wird durch die Umgebungsklänge von vielen Patienten als weniger störend empfunden und kann im Laufe der Zeit auch psychologisch in den Hintergrund treten. Diesen Behandlungsansatz machen sich auch Geräte (Tinnitus-Masker, Noiser) zunutze, die vom Patienten ähnlich wie ein Hörgerät getragen werden können.
Im Rahmen einer Selbsthilfe kommt den Selbsthilfegruppen ein wichtiger Stellenwert zu. Im Gegensatz zu gesunden Mitmenschen wissen die Betroffenen sehr genau, wovon Tinnitus-Patienten reden. Die Vielfalt an Therapien erscheint im ersten Moment unübersichtlich. Der Austausch in Selbsthilfegruppen wurde sogar wissenschaftlich untersucht. Heilen oder die Ohrgeräusche vermindern kann eine Zugehörigkeit nicht, wenngleich ein Viertel der Befragten angab, das die Teilnahme die eigene Tinnitus-Belastung gesenkt habe. Der Erfahrungsaustausch und eine Veränderung im Umgang mit dem Tinnitus wird indes als Hauptmotivation beschrieben.
Um einen Tinnitus zu bessern, werden verschiedene Hausmittel beschrieben. Ginkgo, Knoblauch, Zwiebeln, Ingwer oder Obstsorten, die Antioxidantien enthalten, gehören zu den angegebenen Mitteln. Eine Wirkung solcher Lebensmittel oder Präparate gegen die Ohrgeräusche ist indes nicht wissenschaftlich belegt. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, viel Flüssigkeit zu trinken, Alkoholkonsum zu vermeiden und sich gesund zu ernähren.
Weiterführende Informationen zum Thema Tinnitus finden Sie auf diesen Webseiten:
Deutsche Tinnitus-Liga e.V.: https://www.tinnitus-liga.de/
Patienten-Selbsthilfeorganisation Vereinigung Akustikus Neurinom e.V.: https://www.akustikus.de/
AWMF online – S3-Leitlinie 017/064: Chronischer Tinnitus:– S3-Leitlinie 017/064: Chronischer Tinnitus: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-064l_S3_Chronischer_Tinnitus_2015-02.pdf (online, letzter Abruf: 17.08.2020)
Deutsche Tinnitus-Liga e.V., Knut Jöbges – Achtsamkeit und Tinnitus: https://www.tinnitus-liga.de/media/tf/TF_4_16_Joebges.pdf (online, letzter Abruf: 17.08.2020)
AHG-Zentrum für Verhaltensmedizin – Tinnitusfibel - Handeln, nicht behandeln lassen: https://www.median-kliniken.de/fileadmin/user_upload/A_Standorte/bad-pyrmont-zentrum/Bad_Pyrmont/3_K150-Tinnitusfibel.pdf (online, letzter Abruf: 17.08.2020)
Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG), Christopher Kofahl; Gerhard Goebel; Silke Werner – Kommen Tinnitus-Betroffene in Selbsthilfegruppen besser mit ihren Ohrgeräuschen zurecht als andere Betroffene?: https://www.dag-shg.de/data/Fachpublikationen/2016/DAGSHG-Jahrbuch-16-Kofahl-etal.pdf (online, letzter Abruf: 17.08.2020)
aktualisiert am 17.08.2020