Tinnitus aurium bezeichnet eine Erkrankung, bei der ein unbestimmtes Ohrgeräusch die Lebensqualität der betroffenen Patienten beträchtlich belastet. Das Klingeln der Ohren wird kurz auch einfach Tinnitus genannt. Während noch vor wenigen Jahren von einer Erkrankung des Innenohres ausgegangen wurde, spricht man heute beim Tinnitus von einer Symptomatik, welche vom kompletten Hörsystem verursacht werden kann. Die Deutsche Tinnitus-Liga geht davon aus, dass zwischen einem und drei Prozent der deutschen Bevölkerung unter einem Tinnitus leidet, welcher länger als drei Monate andauert.
Das Hören nimmt seinen Ausgang in Schallwellen. Diese werden erzeugt, wenn die Luft in Schwingung gesetzt wird. Die Wellen werden von unserer Ohrmuschel aufgefangen und in den Gehörgang weitergeleitet. Dort bringen sie die Gehörknöchelchen in Schwingung und werden über die Gehörschnecke im Innenohr (Cochlea) auf die Haarzellen übertragen. Der Schall wird dort in chemische Signale umgewandelt, welche über unseren Hörnerv elektrische Impulse an das Gehirn leiten. Erst dort entsteht das bewusste Wahrnehmen der Schallwellen in Form von unterschiedlichen Geräuschen.
Nach dem letzten Besuch in der Diskothek klingt es im Ohr. Doch die Freunde können dies nicht wahrnehmen. In vielen Fällen, vor allem im jungen Alter, verschwindet dieses unangenehme Geräusch rasch wieder. Die Haarzellen im Innenohr sind gereizt, das Ohr ist vorübergehend überlastet. Dies ist für manche die erste Begegnung mit einem Tinnitus. So wird ein Tinnitus aurium definiert als die Wahrnehmung von Geräuschen, ohne dass eine äußere Schallquelle vorhanden ist. Doch können die Betroffenen von unterschiedlichen Geräuscheindrücken berichten. Die Qualität reicht vom namengebenden Klingeln über Pfeifen, Piepen bis hin zu pochend-klopfenden Geräuschen. Manche Patienten berichten dagegen eher von einem undefinierbaren Ton. Ein solcher atonaler Tinnitus äußert sich beispielsweise durch ein Rauschen, Brummen oder Zischen.
Die Wahrnehmung kann einzeln oder in Kombination auftreten. Auch in seiner Häufigkeit und Dauer kann ein Tinnitus unterschiedlich in Erscheinung treten. Die Ohrgeräusche können nur ein Ohr betreffen oder auf beiden Ohren gleichzeitig wahrgenommen werden. Obwohl Tinnitus-Geräusche über der Hörschwelle höchstens mit lediglich 15 Dezibel, also der Lautstärke von raschelnden Blättern wahrgenommen werden, werden sie subjektiv teils als extrem störend beschrieben.
Das Fehlen äußerer Schallquellen hat zur Einteilung des Tinnitus in zwei Kategorien geführt.
Der sogenannte objektive Tinnitus kennzeichnet sich durch messbare Ursachen der Wahrnehmung aus. Ursächlich können hier Geräusche aus den Blutgefäßen ebenso sein wie Bewegungen, welche von Muskeln oder dem Atmen ausgelöst werden.
Dem eigentlichen, subjektiven Tinnitus liegen dagegen keine messbaren Schallquellen zugrunde. Dennoch beschreiben die Patienten ein für sie eindeutig wahrnehmbares Geräusch. Der subjektive Tinnitus aurium ist im Vergleich zum objektiven Tinnitus vergleichsweise häufig anzutreffen.
Gehen die Beschwerden über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus, spricht man von einem chronischen Tinnitus. Manche Veröffentlichungen verwenden zudem bei einer Dauer zwischen drei und zwölf Monaten den Begriff des subakuten Tinnitus.
Obgleich der vom Patienten wahrgenommene Schall mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln nicht messbar ist, müssen die Beschwerden ernst genommen werden. Als ursächlich für einen subjektiven Tinnitus müssen Störungen im gesamten auditiven System (audire = lateinisch: hören) angesehen werden. Hierzu zählen neben dem Außenohr, Mittelohr und Innenohr in gleichem Maße die Hörnerven und das Hörzentrum im Gehirn. Dieser sogenannte auditorische Cortex befindet sich in der Großhirnrinde am Ende der Hörbahn (Nervenfasern, die das Hörsignal weiterleiten). Die akustischen Signale werden im zentralen Nervensystem durch ein komplexes Miteinander verstärkt. Dabei kommt es bei Tinnitus-Patienten zu einer Störung und in der Folge zu einer überschießenden Reizantwort, die als Geräusch bemerkt wird.
Entscheidend für die Wahrnehmung eines Tinnitus ist darüber hinaus eine übersteigerte Aufmerksamkeit gegenüber den subjektiv wahrgenommenen Geräuschen. Angst und Schlafstörungen können dies zusätzlich verstärken.
Psychische Faktoren können ebenso wie Veränderungen der Nervenreizleitung aufgrund einer Schädigung der knöchernen Schnecke (Cochlea) zu einem ähnlichen Effekt führen, wie er beim Phantomschmerz bekannt ist. Beeinträchtigungen anderer Gehirnareale wie des limbischen Systems werden ebenfalls mit einem chronischen Tinnitus in Verbindung gebracht. Eine Bedeutung kommt vor allem einem Teil des limbischen Systems, der Amygdala, zu. Die Amygdala ist für die Steuerung unseres psychischen Erlebens und somit auch von Angst und Stress zuständig. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Stress gleichermaßen zu den auslösenden Faktoren eines Tinnitus zu zählen ist.
Wie eingangs erwähnt, variieren die wahrgenommenen Geräusche in ihrer Art von Patient zu Patient. Eine besondere Stellung bei der Beurteilung kommt der individuellen und von der Tageszeit abhängigen Wahrnehmung zu. Daraus können sich für die einzelnen Patienten unterschiedliche Behandlungsansätze ergeben. Dem behandelnden Arzt stehen eine Reihe gleichwertiger Verfahren zur Feststellung des Schweregrades eines Tinnitus aurium zur Verfügung. Am häufigsten wird die Beurteilung des aktuellen Schweregrades nach Biesinger herangezogen.
Im medizinischen Fachjargon findet sich bei unterschiedlichen Störungen und Erkrankungen wiederholt der Begriff der Dekompensation. Auch hinsichtlich der Beurteilung eines Tinnitus kann eine Einteilung zwischen einem kompensiertenund einemdekompensierten Tinnitus getroffen werden. Die oben aufgeführten Grade 1 und 2 entsprechen einem kompensierten Tinnitus. Dieser besteht bei Patienten, welche durch ihr Krankheitsgeschehen in ihrer Lebensqualität wenig oder nicht beeinträchtigt sind. Bei dekompensierten Patienten führen die wahrgenommenen Geräusche indes zu einem enormen Leidensdruck. Der eigene Körper ist nicht mehr in der Lage, das Klingeln im Ohr auszugleichen. Vielfach verschlimmert sich die Situation in der Folge durch Angst, Konzentrationsstörungen oder depressive Begleiterkrankungen.
Weitere Informationen zum Thema Tinnitus finden Sie auf der Seite der Deutschen Tinnitus-Liga e.V., Gemeinnützige Selbsthilfeorganisation gegen Tinnitus, Hörsturz und Morbus Menière: https://www.tinnitus-liga.de/
Deutsche Tinnitus-Liga e.V. – Ohrgeräusche, Ohrensausen oder Ohrenklingeln - Was ist Tinnitus?: https://www.tinnitus-liga.de/pages/tinnitus-sonstige-hoerbeeintraechtigungen/tinnitus.php (online, letzter Abruf: 22.06.2020)
Cochlear Deutschland – Wie wir hören: https://www.cochlear.com/de/startseite/hoeren-und-hoerverlust/hoeren-und-hoerverlust/wie-wir-hoeren (online, letzter Abruf: 22.06.2020)
Deutsches Ärzteblatt, Peter M. Kreuzer; Veronika Vielsmeier; Berthold Langguth – Chronic tinnitus: an interdisciplinary challenge: https://www.aerzteblatt.de/archiv/137200/Chronischer-Tinnitus-eine-interdisziplinaere-Herausforderung (online, letzter Abruf: 22.06.2020)
HNO-Ärzte im Netz – Tinnitus - Anzeichen und Verlauf: https://www.hno-aerzte-im-netz.de/krankheiten/tinnitus/anzeichen-verlauf.html (online, letzter Abruf: 22.06.2020)
Österreichische Schwerhörigen Selbsthilfe, Dr. Volker Kratzsch – Tinnitus und Schwerhörigkeit: https://www.oessh.or.at/hoerspuren/tinnitus (online, letzter Abruf: 22.06.2020)
AWMF online – S3-Leitlinie 017/064: Chronischer Tinnitus: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-064l_S3_Chronischer_Tinnitus_2015-02.pdf (online, letzter Abruf: 22.06.2020)
aktualisiert am 22.06.2020