Eine längere Beschallung durch laute Musik oder Flugzeuglärm „bringt die Ohren zum Klingeln“. Die meisten Menschen haben bereits Erfahrung mit diesem Pfeifen, Rauschen oder Zischen im Ohr. Rühren die Geräusche nicht von einer äußeren Schallquelle und hält das Schallerlebnis über eine längere Zeit an, wird von einem Tinnitus gesprochen. Die Ursachen für diese Erkrankung können jedoch vielfältiger Natur sein. Eine seltene Variante wird als pulssynchroner Tinnitus bezeichnet. Bei weniger als zehn Prozent aller Tinnitus-Patienten wird von einem pulssynchronen Tinnitus ausgegangen.
Patienten erleben einem pulssynchronen Tinnitus als pochende und klopfende Geräusche, welche dem Pulsschlag folgen. Die Wahrnehmung entspringt, anders als bei anderen Formen des Tinnitus, einer tatsächlich vorhandenen Schallquelle. Voraussetzung ist ein ansonsten nicht zu stark geschädigtes Gehör. Ein pulssynchroner Tinnitus ist meist nur im rechten oder im linken Ohr vorhanden. Allerdings kann auch ein beidseitiges Auftreten solcher pulsierenden Geräusche vorkommen. Sowohl in ihrer Qualität wie auch der Intensität können die Töne im Ohr von Patient zu Patient voneinander abweichen.
Neben den klinisch offenkundigen Symptomen entwickeln viele Betroffene zusätzlich psychische Probleme. Das quälende, zu jeder Zeit anwesende Geräusch beeinträchtigt das Alltagsleben und wird als ständige Gefährdung der Gesundheit angesehen. Die Betroffenen werden anfällig für negative Gedanken und neigen aufgrund ihres Leidens zu Depressionen und Angstzuständen. Äußerungen wie „ich halte das nicht aus“ oder gar Selbsttötungsgedanken sind ernstzunehmende Reaktionen auf die Empfindungen. Entscheidend für diese schwerwiegenden psychischen Symptome kann die mangelnde Fähigkeit sein, die Tinnitus-Geräusche zu überhören beziehungsweise sie in die normale Wahrnehmung einzubeziehen.
Der erste Weg bei Symptomen eines Tinnitus führt meist zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Eine genaue Abklärung der Ursachen bedarf in der Regel einer weiterführenden Diagnostik. So kann es durchaus sein, dass Patienten an einen Neurologen oder einen Spezialisten für Gefäßkrankheiten überwiesen werden.
Verantwortlich für einen pulssynchronen Tinnitus sind überwiegend Strömungsgeräusche. In einem gesunden Gefäß fließt das Blut gleichmäßig und ohne Verwirbelungen. Ist der Blutfluss gestört, gerät das Blut, ähnlich einem Wasserstrudel, in Turbulenzen. Befindet sich ein solcher turbulenter Blutfluss in der Nähe des Innenohres, wird dies als pulssynchrones Ohrgeräusch wahrgenommen.
Weiter kann die Wahrnehmung eines pulssynchronen Tinnitus durch Veränderungen im Innenohr begünstigt werden. Auf diese Weise kann sich die Schallleitung der Schädelknochen verstärken. Eine Form der Schwerhörigkeit, die sogenannte Schallleitungsschwerhörigkeit, ist ebenfalls als Ursache denkbar. Verschiedene Krankheiten wie ein Bruch des Felsenbeins (härtester Knochenbereich des Schläfenbeins) oder die entzündliche Krankheit des Mittelohres (Otitis media) verhindern hierbei die Weiterleitung des Schalls. Somit treten Geräusche, welche vom Blutfluss ausgehen, vermehrt in den Vordergrund im Vergleich zum Schall, der sich außerhalb des Körpers abspielt.
Das kompliziert klingende Krankheitsbild der kranialen Durafistel gehört laut einer kleinen Untersuchung mit 27 Prozent zu den häufigsten Ursachen für einen pulssynchronen Tinnitus. In diesem Fall handelt sich um eine krankhafte Verbindung zwischen Arterien und Venen (arteriovenöse Fistel = AV-Fistel) im Bereich der Schädelgrube am Innenohr. Meist kommt es zu einem ganzen Netz von ungewollten Gefäßen. Der Blutfluss strömt von unterschiedlichen Abzweigungen der Halsschlagader (Arteria carotis) hin zu speziellen Venenabschnitten (Sinus), die in die Halsvene (Vena jugularis, Drosselvene) münden. Derartige AV-Fisteln entstehen im Normalfall über einen längeren Zeitraum. Die für den pulssynchronen Tinnitus typischen Symptome können sich mit dem wachsenden Netz der Fistel verstärken. Eine Gefahr der AV-Fisteln besteht je nach Ausprägung bei einem Rückstrom in die Venen im Schädel. Hierbei können die Venen überlastet werden und eine gefährliche Hirnblutung kann auftreten.
Besonders häufig für die Entstehung eines pulssynchronen Tinnitus werden krankhafte Veränderungen der Gefäßwände von Arterien angesehen. Aufgrund der hohen Verbreitung in der Bevölkerung kommt vor allem der Arteriosklerose (Arterienverkalkung) eine hohe Bedeutung zu. Ebenso kann eine Aufspaltung der inneren Gefäßwand von Arterien (Dissektion) zu einer Strömungsänderung führen. Ähnliche Turbulenzen im Blutfluss bewirkt ein überschießendes Wachstum von Bindegewebe oder von glatter Muskulatur im Inneren arterieller Gefäße (fibromuskuläre Dysplasie).
Venen sind vergleichsweise selten an der Entstehung eines pulsabhängigen Tinnitus beteiligt. In Betracht kommt indes eine Veränderung im Verlauf der Halsvene. Dieser sogenannte Bulbus-Hochstand der Vena jugularis superior ist eine Besonderheit, welche mit einer Häufigkeit von zwei bis sieben Prozent der Menschen angetroffen wird. Als Ursache wird diese Variante überwiegend erst im Alter diagnostiziert.
Tumore als Quelle für einen pulssynchronen Tinnitus kommen vor allem dann infrage, wenn diese gut durchblutet sind. Darunter fallen insbesondere die sogenannten Paragangliome (Glomustumore), welche am Trommelfell oder der Halsvene vorkommen.
Darüber hinaus sind Geschwülste in der Lage, Arterien und Venen durch ihre Raumforderung einzuengen. Dies kann ebenfalls zu hörbaren Strömungsgeräuschen führen. Verantwortlich hierfür sind weitgehend Tumore an der Schädelbasis.
Pulsierende Geräusche im Ohr können ebenso anderen, nicht gefäß- oder tumorbedingten Ursprungs sein. Ein Überdruck im Schädel, dessen Ursache bisher nicht bekannt ist (benigne intrakranielle Hypertension), kann zu Ausfällen von Nerven und einem daraus resultierenden Tinnitus führen. Als möglich werden überdies Bluthochdruck sowie eine Unterfunktion der Schilddrüse diskutiert.
Kann keine klinische Ursache gefunden werden, ist eine Übertragung psychischer Belastungsfaktoren auf den Körper (Somatisierung) als denkbar anzusehen. Hierbei kann die Symptomatik eines pulsierenden Tinnitus stellvertretend für eine fehlende Konfliktbewältigung vorhanden sein.
In erster Linie muss geprüft werden, inwiefern es sich tatsächlich um ein pulssynchrones und somit dem Herzschlag angepasstes pulsierendes Geräusch im Ohr handelt. Bisweilen genügt es, dieses durch das Auflegen des Stethoskops (Gerät zum Abhören der Herztöne) zu überprüfen. Ist an bestimmten Stellen am Hals oder hinter dem Ohr ein Pulsschlag festzustellen, kann dies als Hinweis auf einen pulssynchronen Tinnitus bewertet werden. Neben der Beantwortung von Fragen im Rahmen einer ausführlichen Anamnese kann der Patient selbst seine Beschwerden einordnen. Dies kann erreicht werden, indem er herausfindet, ob sein ertasteter Puls mit dem Pochen im Ohr übereinstimmt.
Bereits in der Eingangsuntersuchung vermag der Arzt mittels einfacher manueller Verfahren (zervikale Kompression) zu erkennen, ob es sich um eine Störung arterieller oder venöser Gefäße handelt. Ebenfalls kann eine Ohrenspiegelung (Otoskopie) rasch einen ersten Anhaltspunkt ergeben.
Eine Sicherung der Diagnose kann erst mit bildgebenden Verfahren stattfinden. Die Durchführung einer speziellen Ultraschalluntersuchung (Doppler-Untersuchung) hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren.
Standard bei der bildgebenden Diagnostik ist heute die Durchführung einer Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT). Dem CT kommt vermehrt die Darstellung der knöchernen Strukturen zu, während das MRT eine Beurteilung der Gefäße sowie vor allem möglicher Tumore zulässt. Mit einer sogenannten CT-Angiografie kann eine zusätzliche Aussage hinsichtlich des Blutflusses getroffen werden.
Die Behandlung eines Tinnitus richtet sich nach dem Grad der individuellen Beeinträchtigung und der Gefährdung durch die Ursache. Handelt es sich um eine lebensbedrohliche Situation, sei es durch abnorme Gefäße, die Blutungen hervorrufen können, durch einen Tumor oder aufgrund einer psychischen Ausnahmesituation, ist die Beseitigung der auslösenden Risiken notwendig.
Tumore im Bereich des Innenohrs neigen häufig zur Ausbildung vieler Blutgefäße. Aus diesem Grund werden diese durch ein spezielles Verfahren (Tumorembolisation) im Vorfeld behandelt, um die Durchblutung zu reduzieren. Hiermit wird das Risiko einer verstärkten Blutung im Schädelbereich während der Operation verringert.
In vielen Fällen lässt sich ein gefäßbedingter pulssynchroner Tinnitus durch minimalinvasive Eingriffe beseitigen. Engstellen (Stenosen) können durch einen Mikroballon geweitet und mit einem Stent (röhrenartiges Material im Gefäß) gestützt werden. Zur Beseitigung einer abnormen Arterien-Venen-Verbindung (AV-Fistel) greift der Chirurg ebenfalls zu einem Mikrokatheter. Bei diesem Eingriff wird die Verbindung zwischen Arterie und Vene mit einem medizinischen Klebstoff verschlossen (Embolisation). Begleitend wird die Gabe von gerinnungshemmenden Substanzen (Heparin, Acetylsalicylsäure) empfohlen, um möglichen Gefäßverschlüssen vorzubeugen.
Ärzteblatt, Michael Forsting – Pulssynchroner Tinnitus: Von Ohrgeräuschen, die nicht im Ohr entstehen: https://www.aerzteblatt.de/archiv/23533/Pulssynchroner-Tinnitus-Von-Ohrgeraeuschen-die-nicht-im-Ohr-entstehen (online, letzter Abruf: 23.06.2020)
Ärzteblatt, Erich Hofmann; Robert Behr; Tobias Neumann-Haefelin; Konrad Schwager – Leitsymptom pulssynchrones Ohrgeräusch: https://www.aerzteblatt.de/archiv/141429/Leitsymptom-pulssynchrones-Ohrgeraeusch (online, letzter Abruf: 23.06.2020)
Thieme, Isabel Wanke; Michael Forsting; Daniel A. Rüfenacht – Pulssynchroner Tinnitus–radiologische Diagnostik und Therapie: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0033-1359182?device=desktop&innerWidth=412&offsetWidth=412&lang=de (online, letzter Abruf: 23.06.2020)
aerztezeitung.at, Irene Mlekusch – Kraniale Durafistel: https://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2016/oeaez-20-25102016/kraniale-durafistel-pulssynchroner-tinnitus-univ-prof-christian-czerny-univ-prof-elke-r-gizewski.html (online, letzter Abruf: 23.06.2020)
GMS German Medical Science, Rakan Saadoun; Angela Wenzel; Karl Hörmann; Ulrich Sommer – Bulbus-Hochstand der Vena jugularis superior. Ein otologischer Kolibri: https://www.egms.de/static/de/meetings/hno2017/17hno385.shtml (online, letzter Abruf: 23.06.2020)
aktualisiert am 23.06.2020