Bei einem Tinnitus handelt es sich, ähnlich wie beim Schmerz, um das Symptom einer Erkrankung. Die vom Patienten wahrgenommenen Geräusche im Ohr werden in einen objektiven und subjektiven Tinnitus unterteilt. Beiden Formen gleich ist das Fehlen einer äußeren Schallquelle. Beim objektiven Tinnitus kann die Ursache der Geräusche festgestellt werden. Diese liegen meist in einem abnormen Strömungsgeräusch in den Blutgefäßen begründet. Kann keine Ursache nachgewiesen werden, spricht man von einem subjektiven Tinnitus.
In vielen Fällen verschwinden die typischen Klingel- oder Pfeiftöne ohne Zutun innerhalb 24 bis 48 Stunden. Halten diese jedoch länger an, sollte ein Arzt zurate gezogen werden. Die Einbußen der Hörqualität und die ständigen unangenehmen Empfindungen stellen die Betroffenen bisweilen vor eine große Herausforderung. Eine rasche und zuverlässige Besserung der Beschwerden ist somit das vorrangige Ziel.
Die Behandlung eines Tinnitus basiert auf einer mehrstufigen Strategie. Eine patientenbezogene Abstimmung der einzelnen Komponenten ist aufgrund der unterschiedlichen Qualität und Intensität der Geräusche eine wichtige Aufgabe. Zum aktuellen Zeitpunkt besteht keine wissenschaftlich nachgewiesene wirksame Behandlungsmöglichkeit mit Medikamenten. Grundlage für die Verwendung bestimmter Arzneimittel ist deren statistisch ermittelter erfolgreicher Einsatz.
Medikamente werden im Rahmen einer Erstversorgung verordnet, um eine Besserung der Durchblutung im Innenohr zu erreichen. Die verabreichten Substanzen sollen zudem die Verarbeitung der Signale vom Innenohr zum Hörnerv positiv beeinflussen sowie die Aktivität der Nerven im Gehirn (auditiver Cortex) wiederherstellen.
Die häufigste Form einer sofortigen Maßnahme besteht in einer Infusionstherapie. Hierbei kommen sogenannte Plasmaexpander zum Einsatz. Diese wirken sich auf die Fließfähigkeit (rheologische Eigenschaften) aus, indem das Volumen des Blutes gesteigert wird. Zum Einsatz kommt die mehrmalige Gabe einer physiologischen Kochsalzlösung.
Ein anderer Plasmaexpander mit der Bezeichnung Hydroxyethylstärke (HES) wird gerne in Kombination mit einem Betäubungsmittel (wie Lidocain) eingesetzt. Diese verringern meist nur vorübergehend die Intensität der Geräusche.
Neuere Studien arbeiten am Einsatz sogenannter Neurotransmitter-Antagonisten. Diese blockieren die Botenstoffe, welche für die Überleitung der Erregung von Nerv zu Nerv zuständig sind.
Um eine Durchblutung der kleinen Gefäße im Ohr zu erreichen, wird ein Medikament (Pentoxifyllin) hinzugegeben, welches in der Lage ist, die Gefäße zu erweitern. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Substanz besteht in seiner entzündungshemmenden Eigenschaft.
Für die Entstehung eines Tinnitus werden auch entzündliche Reaktionen vermutet. Handelt es sich um einen ausgeprägten Tinnitus, insbesondere bei gleichzeitiger Hörschädigung, wird die Infusion von Cortison-Präparaten in Erwägung gezogen. Dabei müssen indes die nicht unerheblichen Nebenwirkungen einer dauerhaften Gabe von Cortison abgewogen werden. Eine Cortison-Injektion (Spritze) direkt in das Mittelohr (intratympanal) wird aufgrund fehlenden Wirkungsnachweises nicht empfohlen.
Calcium-Antagonisten gehören zur Gruppe der Medikamente, welche im Rahmen der Behandlung eines Bluthochdrucks angewandt werden. Calcium ist zudem an der Erregung von Nervenzellen beteiligt. Bestimmte Medikamente der Gruppe der Calcium-Antagonisten besitzen auch im Gehirn eine bekannte Wirksamkeit. Sie sollen die überschießende Signalstärke auf ein normales Maß reduzieren und auf diese Weise den Tinnitus beruhigen.
Vielen ist Glutamat als Geschmacksverstärker ein Begriff. Weniger bekannt ist, dass Glutamat eine wichtige Substanz bei der Übermittlung von Signalen zwischen den Nerven darstellt. In der Gehörschnecke (Cochlea) wird bei einem Tinnitus vermehrt Glutamat ausgeschüttet. Hemmt man diese Freisetzung oder blockiert die Andockstellen (Rezeptoren) für Glutamat, kann eine Linderung der Beschwerden erreicht werden. Diese Glutamat-Antagonisten können zu Nebenwirkungen wie Schwindel oder Gedächtnisstörungen führen. Der Wirkstoff Caroverin ist aktuell in Deutschland nicht zugelassen, sodass auf andere Substanzen (Neramexane) ausgewichen werden muss.
Depressionen sind eine häufig anzutreffende Begleitkrankheit bei einem chronischen Tinnitus. Antidepressiva können bei diesen Krankheitsbildern nutzbringend angewandt werden. Eine symptombezogene Behandlung der Ohrgeräusche wird in Studien jedoch nur mit einer geringen Wirksamkeit beurteilt.
Dopamin-Agonisten (Mittel, die der Wirkung des Dopamin entsprechen) werden zur Behandlung von Morbus Parkinson eingesetzt. Doch auch hier ist die Studienlage hinsichtlich des Nutzens beim Tinnitus schwach. Eine Abschwächung der Geräusche kann lediglich bei einem Tinnitus erreicht werden, welcher im Zusammenhang mit einer Altersschwerhörigkeit auftritt.
Einen häufigen Ansatz bei der Behandlung eines Tinnitus bietet die Pflanzenheilkunde an. Zum Einsatz kommt vor allem ein Extrakt aus den Blättern des Ginkgobaumes. Obgleich eine Wirksamkeit wissenschaftlich nicht bewiesen ist, berichten viele Patienten über eine subjektive Linderung ihrer Ohrgeräusche. Im Handel existiert eine Reihe zugelassener Präparate, deren Kosten indes nicht von den Krankenkassen übernommen werden. In der Praxis wird Ginkgo häufig als alleinige Gabe oder in Kombination mit einer Infusionstherapie angeboten.
Die Bemühungen, eine Substanz gegen die Geräusche im Ohr zu finden, sind vielfach am fehlenden Nachweis der Wirksamkeit beziehungsweise aufgrund widersprüchlicher Aussagen in den Studien gescheitert. Sei es bei der Verabreichung von Zinkpräparaten, Vitaminen oder Spurenelementen – eine ursächliche Besserung der Beschwerden konnte allein hiermit nicht erreicht werden.
Allenfalls die Wirkung von Magnesium könnte eine Reduzierung der Beschwerden mit sich bringen. Magnesium wirkt durch eine Blockade von Calcium, welches bei einem Tinnitus vermehrt in die Sinneszellen des Ohres einfließt. Jedoch waren die Studien vor allem auf einen Tinnitus in Verbindung mit einem Hörsturz und hohen Lärmbelastungen zugeschnitten. Eine für den Tinnitus allgemeingültige Aussage kann daher nicht getroffen werden.
Homöopathie hat nicht den Anspruch, eine Heilmethode im wissenschaftlich-schulmedizinischem Sinn zu sein. Dennoch zielt die Anwendung verschiedener Globuli vielfach auf die Verbesserung typischer Ohrgeräusche ab.
Wer eine homöopathische Behandlung vorzieht, sollte einen Arzt aufsuchen, welcher Homöopathie und Schulmedizin auf hilfreiche Weise zusammenbringt. Dauert ein Tinnitus über einen Zeitraum von zwei Tagen hinaus an, ist es notwendig, dass ein Arzt nach möglichen Ursachen forscht, um schwerwiegende Folgeerkrankungen vermeiden zu können.
AWMF online – S3-Leitlinie 017/064: Chronischer Tinnitus: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-064l_S3_Chronischer_Tinnitus_2015-02.pdf (online, letzter Abruf: 03.07.2020)
Springer Medizin Verlag GmbH, R. F. F. Cima; B. Mazurek; H. Haider; D. Kikidis; A. Lapira; A. Noreña; D. J. Hoare – A multidisciplinary European guideline for tinnitus: diagnostics, assessment, and treatment: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00106-019-0633-7.pdf (online, letzter Abruf: 03.07.2020)
Tinnitus - endlich Ruhe im Ohr, Dr. med. Eberhard Biesinger – Tropfen und Tabletten gegen Tinnitus: https://books.google.de/books?id=Ur3Mxhd__M0C&pg=PA75&lpg=PA75&dq=Kalziumantagonisten+bei+tinnitus&source=bl&ots=ZcDQ7-eK3K&sig=ACfU3U3iIp65T4DuUd2SuTaz8A-NQTmXpw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjusPzk8anqAhWOXsAKHZkWD1kQ6AEwCnoECAkQAQ#v=onepage&q=Kalziumantagonisten%20bei%20tinnitus&f=false (online, letzter Abruf: 03.07.2020)
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Thieme – Ginkgo (Gingko) bei Tinnitus: https://www.thieme.de/de/gesundheit/ginkgo-gingko-tinnitus-45270.htm (online, letzter Abruf: 03.07.2020)
aktualisiert am 03.07.2020