Pfeifgeräusche oder ein Klingeln im Ohr haben die meisten von uns bereits erlebt. Üblicherweise schenken wir diesen Geräuschen keine große Aufmerksamkeit, denn vielfach sind sie nach kurzer Zeit wieder verschwunden. Bleibt der Tinnitus indes über einen Zeitraum von zwei Tagen durchgehend bestehen, sollte ein Arzt zurate gezogen werden. Schätzungen zufolge leiden über 1,5 Millionen Menschen in Deutschland unter solchen quälenden Ohrgeräuschen. Die Beeinträchtigungen können zu erheblichen psychischen Problemen führen. Ein Tinnitus, welcher zusätzlich mit Depressionen oder Schlafstörungen einhergeht, erschwert das alltägliche Leben wie das gesellschaftliche Miteinander zunehmend. Eine rasche und wirksame Behandlung im Anfangsstadium muss daher das vorrangige Ziel sein.
Welche Therapie zur Anwendung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Liegt eine nachweisliche Schallquelle vor, welche nicht von außen an das Ohr dringt, sondern innerhalb des Körpers liegt, wird dies als objektiver Tinnitus bezeichnet. Die Geräusche können in vielen Fällen durch eine Behandlung des Auslösers beseitigt werden. Von einem subjektiven Tinnitus ist hingegen die Rede, wenn der Arzt keine Ursache für die Beschwerden feststellen kann.
Das Leitsymptom eines Tinnitus sind Geräusche im Ohr, welche sich von Patient zu Patient in Qualität und Intensität unterscheiden. Bei der Therapie eines Tinnitus arbeiten verschiedene medizinische Fachrichtungen sowie Psychologen, Psychotherapeuten und Hörtherapeuten zusammen.
Die Behandlung mit Medikamenten wird unterschiedlich bewertet. Die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde macht in ihren Leitlinien darauf aufmerksam, dass eine wirksame Behandlung mit Arzneimitteln derzeit nicht vorhanden ist.
Interessanterweise ist eine Infusion dennoch in vielen Praxen für die Sofort-Therapie üblich. Es stellt sich somit die Frage, welchen Gewinn sie für den Tinnitus-Patienten bringt.
Unter einer Infusion wird die Verabreichung von Flüssigkeiten in die Vene verstanden. Mit einer speziellen Infusionsnadel legt der Arzt einen Zugang in das Blutgefäß. Dem Körper werden auf direktem Weg ins Blut Salz, Nährstoffe sowie Medikamente zugeführt. In manchen Fällen genügt schon die Gabe von Flüssigkeit, um beispielsweise das Volumen des Blutes zu erhöhen. Sind der Flüssigkeit Kohlenhydrate oder Eiweiße zugesetzt, wird von einem Plasmaexpander gesprochen. Eine solche Infusion kommt zur Anwendung, wenn eine Verbesserung des Blutflusses erreicht werden soll.
Bei der Verabreichung von Medikamenten wird beim Tinnitus die Infusion der Darreichung von Tabletten vorgezogen. Auf diese Weise gelangen die Wirkstoffe ohne den Umweg über den Verdauungstrakt unmittelbar in die Blutgefäße am Ohr.
Bei etwa der Hälfte aller Betroffenen kommt es nach ein bis zwei Tagen zu einer Normalisierung der Beschwerden. Doch wenn das Klingeln oder Pfeifen zur täglichen Qual wird, sollten die Betroffenen rasch einen Facharzt aufsuchen. Eine medikamentöse Infusionstherapie erscheint nur wirksam, wenn sie innerhalb der ersten drei Monate nach dem Auftreten der Symptome begonnen wird. Tritt ein Tinnitus in Kombination mit einer Schwerhörigkeit, insbesondere einem Hörsturz auf, wird gemäß den Leitlinien zum Hörsturz ebenfalls eine Infusionsbehandlung empfohlen.
Nur in wenigen Fällen kann die Ursache eines Tinnitus einer tatsächlich existierenden Schallquelle innerhalb des Körpers zugeordnet werden. Inwiefern eine Therapie mit Medikamenten in diesem Fall wirksam sein kann, muss mit einer ausführlichen Diagnose abgeklärt werden.
Kommt eine Infusionstherapie infrage, sollte die Anwendung fünf Behandlungseinheiten sowie die Dauer von zehn Tagen nicht überschreiten. Einige Medikamente sowie auch der Plasmaexpander Hydroxyäthylstärke (HAES) können bei längerer Anwendung unangenehme Nebenwirkungen mit sich bringen.
Die Einteilung in einen akuten oder chronischen Tinnitus ist vor allem hinsichtlich möglicher Behandlungsstrategien von Interesse. Obgleich die meisten Tinnitus-Geräusche innerhalb weniger Minuten bis Stunden von selbst abklingen, sollte bei einem längeren Anhalten mit einem Arztbesuch nicht abgewartet werden. Von einem akuten Tinnitus wird gesprochen, wenn die Ohrgeräusche länger als 48 Stunden anhalten. Ab drei Monaten nach Einsetzen der ersten Anzeichen bezeichnet man das Krankheitsgeschehen als chronisch.
Je eher eine Infusionstherapie während des akuten Stadiums begonnen wird, desto höher werden die Erfolgsaussichten angegeben. Doch auch hier gelten Einschränkungen hinsichtlich der Wirksamkeit. So lässt sich anhand von Studien davon ausgehen, dass ein Tinnitus ohne begleitenden Hörverlust medikamentös lediglich für einen kurzen Zeitraum beruhigt werden kann. Zudem erscheinen Infusionen mit dem Ziel einer Verbesserung der Durchblutung des Innenohrs nicht sinnvoll.
Bei einem akuten Tinnitus, welcher infolge oder gleichzeitig mit einem Hörsturz auftritt, gilt die Infusionstherapie indes noch immer als der goldene Standard. Die Studienlage stellt sich insgesamt uneinheitlich dar, zumal für manche Behandlungsmethoden der Vergleich mit Placebosubstanzen (Medikamenten ohne Wirkstoff) aussteht. Es handelt sich hier somit im Wesentlichen um Vorschläge, welche durch weitere Behandlungsmöglichkeiten ergänzt werden sollten. Die Therapie eines Tinnitus mit einhergehendem Hörverlust lehnt sich weitestgehend an den Leitlinien zur Behandlung des Hörsturzes an. Überwiegend kommen hier Glukokortikoide (Cortison-Präparate) zum Einsatz. Deren Wirksamkeit ist allerdings erst ab einer höheren Dosierung zu erwarten. Alternativ kann die Verabreichung direkt in das Mittelohr (intratympanal) erfolgen. Doch ist hier ebenso keine eindeutige Aussage hinsichtlich einer Verbesserung bei Tinnitus-Patienten möglich.
Sind mehr als sechs Wochen nach dem ersten Auftreten eines Tinnitus vergangen, erscheint die Gabe von Medikamenten durch eine Infusion nicht mehr zielführend. Nach der Durchsicht einer Vielzahl von Substanzen wurde bei keiner eine echte Verminderung der Ohrgeräusche erreicht. Dies betrifft sowohl das häufig verwendete Cortison als auch Dopamin-Agonisten oder Psychopharmaka. Allerdings zeigt es sich, dass eine Vielzahl der Studien mit methodischen Mängeln behaftet sind oder eine nur geringe Patientenzahl berücksichtigt wurde. Eine abschließende Bewertung kann somit nicht gegeben werden.
Eine fachübergreifende Behandlung ist bei der Vielfalt möglicher Symptome und Begleiterkrankungen anzustreben. Die Infusionstherapie sollte dementsprechend nicht die alleinige Therapie bei einem Tinnitus darstellen.
ÄrzteZeitung, Dr. Thomas Meißner Tinnitus – Bei messbarem Hörverlust ist systemische Kortisontherapie eine Option: https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Tinnitus-Bei-messbarem-Hoerverlust-ist-systemische-Kortisontherapie-eine-Option-215290.html (online, letzter Abruf: 06.08.2020)
AWMF online – S3-Leitlinie 017/064: Chronischer Tinnitus:– S3-Leitlinie 017/064: Chronischer Tinnitus: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-064l_S3_Chronischer_Tinnitus_2015-02.pdf (online, letzter Abruf: 06.08.2020)
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aktualisiert am 06.08.2020