Prof. Herzig: Als Stoffwechsel werden alle chemischen Umwandlungen von Stoffen im Körper von Lebewesen bezeichnet. Diese biochemischen Vorgänge sind darauf ausgerichtet, Körpersubstanz auf- oder abzubauen bzw. zu erhalten sowie Energie bereitzustellen, damit das Lebewesen alle wesentlichen Körperfunktionen aufrechterhalten kann. Stoffwechsel ist daher die Grundlage für das Leben eines Organismus.
Prof. Herzig: Hormone sind Botenstoffe, die in speziellen Organen, sogenannten Drüsen, gebildet und von dort in den Blutkreislauf ausgeschüttet werden. Über das Blut erreichen sie dann andere Organe und lösen dort bestimmte Wirkungen aus, z.B. Änderungen des Stoffwechsels des jeweiligen Organs.
Die Ausschüttung von Hormonen unterliegt einer Vielzahl von Signalen aus der Umwelt, z.B. Nahrung, Bewegung oder Entzündungsvorgängen, sodass Hormone ein direktes Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und der Stoffwechselreaktion des Körpers sind. Sie nehmen daher eine wichtige Rolle in der Stoffwechselkontrolle ein.
Prof. Herzig: Über die Lebensspanne hinweg ändert sich der Energie-Grundumsatz. Während der Energieverbrauch zunächst im Neugeborenenalter bis zur Pubertät ansteigt, sinkt er dann leicht auf ein Erwachsenenniveau, das zwischen ca. 20 bis 60 Jahren relativ konstant bleibt. Ab dem Alter von ca. 60 Jahren sinkt dann der Grundumsatz. Diese Änderungen sind zum Teil mit einer Änderung der Körperzusammensetzung zu erklären.
Ab dem Alter von ca. 30 nimmt die Muskelmasse kontinuierlich ab, die Fettmasse steigt. Da Muskeln mehr Energie verbrauchen als Fett, sinkt auch der Ruhe-Energieumsatz. Es fällt einem also schwerer, sein Gewicht im Alter zu halten.
Ab dem Alter von ca. 60 Jahren sinkt dann der Grundumsatz. Diese Änderungen sind zum Teil mit einer Änderung der Körperzusammensetzung zu erklären.
Prof. Herzig: Ob man sein Gewicht hält, zu- oder abnimmt, hängt mit einer einfachen Gleichung zusammen. Immer, wenn man mehr Kalorien zu sich nimmt als man verbraucht, nimmt man an Gewicht zu – und umgekehrt. Dabei setzt sich der Kalorienverbrauch grob gesagt aus dem Grundumsatz und dem Verbrauch durch körperliche Aktivität zusammen.
Hohe körperliche Aktivität und wenig Kalorienzufuhr führen also zu Gewichtsabnahme. Wenn man nur seine Kalorienzufuhr einschränkt, ohne seine körperliche Aktivität zu ändern, wird man auch zunächst abnehmen. Allerdings stellt sich der Körper auf eine reduzierte Kalorienzufuhr mit einer Erniedrigung des Grundumsatzes ein, d.h. der Stoffwechsel wird verlangsamt. Isst man dann wieder normal, nimmt man wieder zu, wobei das Gewicht dann zumeist höher als vor der Diät ist. Man spricht hier vom berühmten Jo-Jo Effekt, der also im Wesentlichen auf der Verringerung des Grundumsatzes bei einer Diät basiert.
Prof. Herzig: Stress hat einen großen Einfluss auf den Stoffwechsel, z.B. über die Ausschüttung von sogenannten Stresshormonen, die wichtige Funktionen des Zucker- und Fettstoffwechsels und auch den Appetit regulieren. Schlaf spielt dabei eine kritische Rolle. Man weiß aus Studien mit Schichtarbeitern, dass unregelmäßige Schlafrhythmen z.B. mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht oder Diabetes einhergehen.
Schon eine einmalige kurze Schlafdauer von 4-5 Stunden kann zu einer akuten Resistenz gegenüber dem Hormon Insulin führen, das wesentlich unseren Blutzucker kontrolliert. Viele Stoffwechselvorgänge sind auf molekularer Ebene mit unserer inneren, molekularen Uhr verknüpft, die in jeder unserer Körperzellen funktioniert. Wird diese aus dem Zeitrhythmus gebracht, führt das auch zur Entgleisung von Stoffwechselprozessen und langfristig zu Stoffwechselerkrankungen.
Die Vermeidung von Stress und ausreichend Schlaf sind also wichtig, um auch den Stoffwechsel gesund zu halten.
Prof. Herzig: Man sollte nicht von gutem oder schlechtem Stoffwechsel sprechen. Jeder Mensch besitzt seinen individuellen Stoffwechsel, den er/sie aufgrund der genetischen Veranlagung in sich trägt. Jeder Mensch wird im Laufe des Lebens feststellen, ob er/sie viel oder wenig essen kann, ohne zuzunehmen oder eher nicht. Insofern ist es nur ratsam, ab und zu ein Blutbild erstellen zu lassen, in dem die Standardparameter untersucht werden, die dem Arzt Aufschluss über den Stoffwechsel geben können, wie z.B. der Blutzuckerspiegel, die Spiegel von Triglyzeriden und Cholesterin oder bestimmte Nieren- und Leberwerte.
Erkrankungen wie z.B. Diabetes werden zu oft zu spät erkannt, weil sie über eine lange Zeit symptomlos ablaufen können und zumeist durch Zufall entdeckt werden. Eine gelegentliche Routinekontrolle schadet also nicht und hilft, die eigene Stoffwechsellage in bestimmten Abständen beurteilen zu können.
Prof. Herzig: Unfreiwillige Gewichtszu oder -abnahme, Schmerzen im Bauchbereich, Müdigkeit, Erbrechen, ungewöhnliche Hunger- oder Durstgefühle - dies sind allerdings alles recht unspezifische Symptome, die beim Auftreten immer ärztlich abgeklärt werden sollten.
Prof. Herzig: Viel Bewegung, kein Fahrstuhl, Rolltreppe oder Auto nutzen, sondern lieber die Treppe und das Fahrrad. Daneben hilft eine ausgewogene und leichte Ernährung. Es gilt: Man kann von allem essen, aber immer in Maßen. Hört sich banal an, ist aber tatsächlich so.
Es gilt: Man kann von allem essen, aber immer in Maßen.
Prof. Herzig: Die Forschung hat in den letzten Jahren eine Vielzahl der molekularen Grundlagen von Stoffwechselkontrolle identifiziert und charakterisiert. Damit sind wir jetzt in der Lage, z.B. die Wirkung bestimmter Hormone auf unsere Erbinformation und das An- und Abschalten von Genen, die für den Stoffwechsel in bestimmten Organen wichtig sind, zu verstehen und zu erklären. Diese Erkenntnisse liefern jetzt Ansatzpunkte für die Entwicklung neuartiger pharmakologischer Therapien für schwere Erkrankungen, wie z.B. Übergewicht und Diabetes.
Daneben konnten aber auch Teile der molekularen Grundlagen von Lifestyle-Interventionen, wie z.B. Sport oder Intervallfasten, charakterisiert werden, sodass unser grundlegendes Verständnis der Stoffwechselkontrolle in bestimmten Bereichen bereits sehr tiefgreifend ist. Diese molekularen und biochemischen Erkenntnisse haben letztlich auch die Entwicklung neuer Medikament-Klassen wie z.B. den Inkretin-Wirkstoffen ermöglicht, die jetzt eine große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit genießen, da sie Übergewicht in einem Grad bekämpfen können, wie es bisher nur durch chirurgische Eingriffe möglich war.
Prof. Herzig: Spannend ist im Moment die Erkenntnis, dass Stoffwechselerkrankungen, wie z.B. Diabetes, nicht uniform sind, sondern aus verschiedenen Untertypen bestehen, die jeweils spezifisch behandelt werden sollten, da sie mit unterschiedlichem Risiko für Folgeerkrankungen assoziiert sind. Die Ursachen für bestimmte Unterformen von Stoffwechselerkrankungen sind noch relativ unverstanden und damit Gegenstand jetziger und künftiger Forschung.
Dies gilt auch für den Bereich der sogenannten Epigenetik, d.h. der Frage, ob und wie Umwelteinflüsse über die Eltern (z.B. eine bestimmte Ernährung) auf die Nachfahren übertragen werden können und somit in den Nachkommen das Risiko für Stoffwechselerkrankungen erhöhen. Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass dies tatsächlich so ist. Das Risiko für Übergewicht könnte also in bestimmten Fällen von den Eltern durch deren Nahrungsgewohnheiten übertragen worden sein.
Weiterhin sind in der Stoffwechselforschung eine Reihe von neuartigen Medikamenten in der Entwicklung, entweder im Bereich von Eiweiß- oder RNA-Wirkstoffen, bei denen man verschiedene Moleküle kombiniert, um eine gesteigerte Wirksamkeit bei gleichzeitig verringerten Nebenwirkungen zu erzielen. Es wird hier sehr spannend sein, zu verfolgen, welcher Ansatz am Ende am ehesten eine individualisierte Therapie und/oder Prävention ermöglicht, die wir in der Zukunft benötigen werden, um die verschiedenen Untertypen von Erkrankungen wirksam zu verhindern oder zu therapieren.
Wenn wir schließlich nicht nur auf die Therapie, d.h. Symptombehandlung, abzielen, sondern Stoffwechselerkrankungen wie z.B. Diabetes heilen wollen, müssen schadhafte Körperzellen dauerhaft ersetzt werden können. In diesem Bereich der sogenannten Zell-Ersatz-Therapie gibt es momentan große Fortschritte im Bereich des Typ-1-Diabetes, verbunden mit der Hoffnung, diese Technologie langfristig auch auf andere Fälle von Stoffwechselerkrankungen anwenden zu können.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 10.07.2024.