Prof. Keilmann: Die Stimmlippen werden hauptsächlich über den unteren Kehlkopfnerven, den Nervus recurrens, gesteuert. Über diesen Nerven ist die Öffnung der Stimmlippen zum Atmen und der Schluss der Stimmlippen zum Sprechen und Singen möglich. Der Nerv hat einen komplizierten Verlauf. Er verläuft vom Hirnstamm entlang des Halses bis in den oberen Brustkorb. Der linke Rekurrensnerv umschlingt sogar die Aorta. Deswegen kommt es häufig bei Operationen am Hals oder im oberen Brustkorb zu Verletzungen oder Druckschäden des Nerven, insbesondere bei Operationen an der Schilddrüse, an der Halswirbelsäule an der Aorta oder einer Herzoperation.
Eine noch häufigere Ursache einer Stimmlippenlähmung ist nach den meisten Statistiken jedoch eine Virusinfektion. Die Abklärung, die dann medizinisch erforderlich ist, ergibt keine nachweisbare Ursache der Lähmung. Wir sprechen in diesem Fall von einer idiopathischen Stimmlippenlähmung. Seltener ist die Stimmlippenlähmung das erste Anzeichen einer bedrohlichen Erkrankung, etwa einer Lymphkrebserkrankung, bei Lungen- oder Speiseröhrenkrebs.
Tritt eine Stimmlippenlähmung ohne vorausgegangene Operation auf, dann muss immer eine Abklärung erfolgen. Meist stellt sich nichts heraus, dann liegt eine idiopathische Stimmlippenlähmung vor. Außer den hier erwähnten gibt es eine Vielzahl weiterer Ursachen, die man in der Leitlinie „Diagnostik und Therapie von Störungen der Stimmfunktion (Dysphonien)“ nachlesen kann (AWMF, 2023).
Deswegen kommt es häufig bei Operationen am Hals oder im oberen Brustkorb zu Verletzungen oder Druckschäden des Nerven, insbesondere bei Operationen an der Schilddrüse, an der Halswirbelsäule an der Aorta oder einer Herzoperation.
Prof. Keilmann: Die Symptome einer Stimmlippenlähmung hängen von der Position der gelähmten Stimmlippe ab. Bei normaler Funktion nähern sich die Stimmlippen zum Sprechen und Singen und entfernen sich voneinander zum Atmen. Bei einer einseitigen Lähmung, bei der die Stimmlippe so steht wie zum Atmen, ist die Atmung nicht behindert, die Stimme ist hingegen stark beeinträchtigt, der Patient ist vollkommen tonlos.
Häufiger steht bei einer einseitigen Stimmlippenlähmung die gelähmte Stimmlippe ungefähr so, wie es zur Stimmgebung sinnvoll wäre. Die Betroffenen können die Stimme nutzen, die Stimme ist aber in der Regel zunächst behaucht und schwach. Häufig kann die Stimme durch eine Stimmtherapie so weit verbessert werden, dass keine großen Einschränkungen bleiben. Selten steht die gelähmte Stimmlippe von Anfang an genau so, wie sie zur Tongebung gebraucht wird, dann ist die Stimme wenig beeinträchtigt.
Bei beidseitigen Stimmlippenlähmungen stehen die Stimmlippen häufig eng beieinander, dann können die Betroffenen relativ gut sprechen, sie bekommen aber nur sehr schlecht Luft, sodass unter Umständen sogar eine sofortige Operation oder ein Luftröhrenschnitt notwendig sind.
Bei normaler Funktion nähern sich die Stimmlippen zum Sprechen und Singen und entfernen sich voneinander zum Atmen.
Prof. Keilmann: Die Art und das Ausmaß der Beeinträchtigungen durch eine Stimmlippenlähmung hängen wiederum von der Position der gelähmten Stimmlippe ab. Steht die gelähmte Stimmlippe bei einer einseitigen Lähmung in Atemposition, dann steht die Stimmstörung im Vordergrund. Bei einer einseitigen Lähmung der Stimmlippe in der Position, wie sie zum Sprechen gebraucht wird, ist die Stimme weniger beeinträchtigt, die Atmung ist bei einer einseitigen Lähmung meist nur für größere körperliche Anstrengungen beeinträchtigt.
Die meisten Personen, bei denen eine beidseitige Stimmlippenlähmung vorliegt, haben eine deutliche Atemnot, oft schon in Ruhe. Körperliche Arbeit ist meist nur sehr eingeschränkt möglich.
Prof. Keilmann: Eine Stimmlippenlähmung führt nicht automatisch zu einer Schluckstörung. Häufig sind Lähmungen der Stimmlippe jedoch von Gefühlsstörungen im Kehlkopfeingangsbereich begleitet. Dann können die Nahrung oder die Getränke beim Schlucken nicht gut kontrolliert werden, sodass sie oft die Schluckstraße verlassen und in den Kehlkopf eindringen. Das Essen kommt „in den falschen Hals“, man hat sich verschluckt. Ist das Essen sehr scharf und dringt es in den Kehlkopf ein, dann kommt es gleichfalls zu heftigem Husten.
Können die Stimmlippen aufgrund der Lähmung nicht gut geschlossen werden, dann ist das Husten nicht effektiv. Wenn man sich also verschluckt hat, dann hat man große Schwierigkeiten, das Verschluckte aus den Atemwegen zu entfernen. Am gefährlichsten ist es, wenn man nicht merkt, dass man sich verschluckt, das nennt man „stille Aspiration“.
Häufig sind Lähmungen der Stimmlippe jedoch von Gefühlsstörungen im Kehlkopfeingangsbereich begleitet.
Prof. Keilmann: Die Wahrscheinlichkeit einer Besserung einer Stimmlippenlähmung hängt natürlich von ihrer Ursache ab. Musste zum Beispiel bei einer Tumoroperation am Hals der Stimmlippennerv durchtrennt werden, dann besteht keine Chance der Besserung der Atembeweglichkeit, die Funktion kann man jedoch meist trotzdem verbessern. Bei den meisten Betroffenen tritt die Stimmlippenlähmung aber durch Druck während einer Operation oder durch eine virale Infektion ein. Dann erholt sich die Atembeweglichkeit der Stimmlippen bei 2/3 der Betroffenen.
Prof. Keilmann: Bei den meisten Menschen mit einer Stimmlippenlähmung liegt eine Stimmstörung vor und bei den meisten Betroffenen kann die Stimmstörung durch eine Stimmübungstherapie, am häufigsten bei einem Logopäden oder einem Sprechwissenschaftler, deutlich gebessert werden. Viele Personen, die unter Atemnot leiden, können durch eine bessere Strategie beim Atmen eine Linderung erfahren. Eine intensive, interdisziplinäre Therapie ist im Rahmen einer Stimmrehabiliation möglich, am häufigsten wird diese Möglichkeit bei beruflicher Betroffenheit genutzt.
Manchmal ist aber auch eine Operation erforderlich. Nähern sich die Stimmlippen bei der Stimmgebung nicht ausreichend, dann stehen operative Verfahren zur Verfügung, um den Stimmlippenschluss zu verbessern. Liegt eine permanente Atemnot vor, dann können Operationen zum Einsatz kommen, die die Stimmritze erweitern.
Prof. Keilmann: Bei einer akuten Luftnot durch eine beidseitige Lähmung muss sofort gehandelt werden, häufig durch eine Intubation, dann ist jedoch eine Narkose nötig. Alternativ kann auch ein Luftröhrenschnitt oder eine Operation am Kehlkopf, am häufigsten eine „temporäre Laterofixation“, also eine „vorübergehende Fixierung der Stimmlippe zur Seite“, erfolgen.
Meist kann jedoch in Ruhe überlegt werden, ob bei einer Stimmlippenlähmung eine Operation durchgeführt wird, denn dies hängt wesentlich auch von den Bedürfnissen der Betroffenen ab. So kann es sein, dass eine Operation zur Verbesserung des Stimmlippenschlusses bei jemanden, der die Stimme beruflich in hohem Maße braucht, durchgeführt wird, während jemand anderes mit derselben leichten Beeinträchtigung der Stimmfunktion aufgrund der Erfolge der Stimmtherapie auskommt.
Am häufigsten wird bei einem nicht ausreichenden Stimmlippenschluss eine Stimmlippenunterfütterung (Augmentation) eingesetzt, wofür unterschiedliche Materialien, z.B. Hyaluronsäure oder Eigenfett, genutzt werden. Eine Augmentation kann auch schon bald nach der Diagnose einer Lähmung erfolgen, wenn noch die Hoffnung besteht, dass sich der Nerv erholt. Reicht der Effekt einer Augmentation nicht aus und besteht keine Hoffnung einer Besserung (mehr), dann stehen noch eine Reihe weiterer phonochirurgischer Verfahren (Operationen zur Verbesserung der Stimme) zur Verfügung, die jedoch durch Erfahrene durchgeführt werden sollten. Näheres ist ebenfalls der Leitlinie „Diagnostik und Therapie von Störungen der Stimmfunktion (Dysphonien)“ zu entnehmen (AWMF, 2023).
Bei einer akuten Luftnot durch eine beidseitige Lähmung muss sofort gehandelt werden, häufig durch eine Intubation...
Prof. Keilmann: Zur Reinnervation stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung, allerdings werden alle Verfahren bis heute sehr selten eingesetzt. In der Hoffnung auf eine Reinnervation wird ein verletzter Stimmlippennerv genäht, sodass der ursprüngliche Verlauf des Nerven wiederhergestellt wird. Manchmal werden auch andere Nerven zur Versorgung der Kegelkopfmuskulatur herangezogen. Schließlich werden auch kleine Muskelabschnitte mit den zugehörigen Nerven, die vorher eine andere Funktion hatten, in die Stimmlippe transplantiert, um zum einen das Volumen der Stimmlippe zu vergrößern, zum anderen aber möglichst auch eine motorische Funktion zu erreichen.
Prof. Keilmann: Kehlkopfschrittmacher werden derzeit nur im Rahmen von Studien eingesetzt, sie haben noch keine Zulassung. Sie eignen sich vorwiegend für Patienten, bei denen eine noch nicht zu lange bestehende beidseitige Stimmlippenlähmung vorliegt. Dann kann durch die elektrische Reizung des Muskels, der die Stimmritze öffnet, eine deutliche Verbesserung der Funktion hervorgerufen werden. Die Operierten können durch die Aktivität des Schrittmachers besser atmen, trotzdem ist die Stimmfunktion nicht relevant beeinträchtigt.
Kehlkopfschrittmacher werden derzeit nur im Rahmen von Studien eingesetzt, sie haben noch keine Zulassung.
Prof. Keilmann: Länger bestehende Stimmlippenlähmungen führen bei den meisten Patienten zu einer bleibenden Beeinträchtigung von Stimmklang und stimmlicher Belastbarkeit, bei nicht wenigen Betroffenen ist dadurch auch ein Wechsel des beruflichen Betätigungsfelds notwendig. Die Arbeit als Opernsolist oder Telefonistin ist in der Regel nicht mehr möglich. Einschränkungen der Atmung wirken sich auf die körperliche Leistungsfähigkeit aus, körperlich schwerere Arbeiten sind nicht mehr möglich.
Menschen, die sich bei Störgeräuschen aufgrund einer Stimmlippenlähmung nicht mehr unterhalten können, sind häufig nicht nur beruflich beeinträchtigt, sondern ziehen sich oft auch im Privatleben zurück, weil es sehr frustrierend ist, sich am Gespräch nicht mehr beteiligen zu können. Andauernde Stimmstörungen können also nicht nur finanzielle Auswirkungen haben, sondern auch zur sozialen Isolation führen.
Prof. Keilmann: Die operativen Verfahren, die zur Verbesserung des Stimmlippenschlusses oder zur Verbesserung der Atmung eingesetzt werden, sind vielfältiger geworden. So kann für den Einzelfall noch besser eine geeignete Methode vorgeschlagen werden. Die bedeutsamste Änderung ist sicherlich die Einführung des Kehlkopfschrittmachers, dessen Einführung in die klinische Routine jedoch noch nicht verwirklicht ist.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 08.07.2024.