Unter einer Recurrensparese versteht man die Lähmung des Nervus recurrens, die sogenante Stimmbandlähmung. Seinen Namen hat der Nervus recurrens durch seinen Verlauf bekommen. Er stellt einen abzweigenden Nerv des Nervus vagus dar. Der N. vagus beginnt im Gehirn. Am Hals zweigt sich der N. Recurrens von ihm ab. Er zieht durch die Halsweichteile bis in der Brustkorb. Dort angekommen verläuft er einmal um die großen Gefäße (recurrierend) und zieht dann an der Seite der Luftröhre wieder hoch zum Kehlkopf. Am Kehlkopf innerviert der N. recurrens den Muskel der die beiden Stimmbänder öffnet. Dieser Muskel wird auch Posticus genannt. Er ist aber auch für den gerichteten Schluss der beiden Stimmlippen zuständig.
Um die Folgen einer Stimmbandlähmung zu verstehen, muss man die Funktion der beiden Stimmbänder oder Stimmlippen kennen. Für eine klare Stimme (ohne Heiserkeit) ist es notwendig, dass die beiden Stimmlippen sich bis auf wenige Millimeter annähern. Für die ungestörte Atmung müssen sich die beiden Stimmlippen möglichst weit voneinander entfernen, um genug Luft zwischendurch zu lassen.
Die Ursachen für eine Stimmbandlähmung sind vielfältig. Im Prinzip kann der Nerv an jeder Stelle seines Verlaufs geschädigt werden. Am häufigsten wird der Nerv bei Operationen an der Schilddrüse verletzt. Er verläuft an der hinteren Schilddrüsenkapsel entlang und ist hier so dünn wie ein Seidenfaden, so dass er bei Operationen übersehen werden kann.
Dank neuartiger Behandlungsmethoden, bei denen der Nerv während einer Operation sichtbar gemacht werden kann, ist eine N. recurrens Verletzung unter der Operation erheblich seltener geworden. Ist die Schilddrüse von Krebs befallen, kann der Krebs die Kapsel der Schilddrüse durchbrechen und den N. recurrens schädigen.
Auch in Folge von Jodmangel kann die Schilddrüse immense Ausmaße annehmen und den dünnen N. recurrens zwischen sich und der Luftröhre zerquetschen. Da der N. recurrens auch durch den Brustkorb zieht, können Verletzungen oder Operationen an dieser Stelle Ursache einer Lähmung sein.
Weiten sich die Gefäße auf um die der Nerv wieder nach oben zieht, wie bei einem Aneurysma, kann der Nerv auch geschädigt werden. Der Nerv kann aber nicht nur in der Peripherie geschädigt werden. Blutungen im Gehirn oder ein Schlaganfall können das Ursprungsgebiet des Nervs betreffen. Hier spricht man dann von einer zentralen Recurrensparese.
Neben den möglichen körperlichen Ursachen, die eine Lähmung des Nervs bedingen, kann auch durch die Psyche eine Lähmung hervorgerufen werden. Diese Patienten erkennt man daran, dass sie mit einer sehr heiseren Stimme sprechen, aber laut Husten können.
Die Symptome einer Recurrensparese hängen davon ab, ob nur ein Nerv oder beide betroffen sind.
Man unterscheidet eine einseitige Stimmbandlähmung von einer doppelseitigen Stimmbandlähmung. Außerdem macht es einen Unterschied, ob der Nerv lediglich gereizt oder entzündet ist oder ob er im Rahmen einer Operation durchtrennt wurde.
Der N. recurrens ist für die Öffnung der Stimmbänder verantwortlich. Er koordiniert aber auch den gerichteten Schluss. Der schlimmste Fall einer Stimmbandlähmung ist die komplette beidseitige Lähmung der Stimmbandöffner. Hierbei stehen beide Stimmlippen eng nebeneinander. Sie können bei der Einatmung (Inspiration) nicht genug auseinander weichen. Es entsteht ein ganz charakteristisches Geräusch bei der Einatmung, der so genannte inspiratorische Stridor. Die Patienten haben Atemnot, teils so stark, dass sie mittels einem Schlauch in der Lunge (Intubation) beatmet werden müssen.
Da für die Phonation (das Bilden von Tönen) eine enge Stimmritze notwendig ist, kann bei einer Lähmung der Stimmbandöffner die Stimme unbeeinträchtigt sein. Ist nur ein Nerv geschädigt, steht die eine Stimmlippe in paramedian Stellung. Das heißt, sie steht fast in der Mitte. Hier hängt die Qualität der Phonation davon ab, wie weit sich die beiden Stimmlippen aneinander annähern können. Ist eine Annäherung der Stimmlippen zueinander nur schlecht möglich, entsteht Heiserkeit (Dysphonie). Die Atmung ist bei einer einseitigen Stimmbandlähmung nur wenig beeinträchtigt.
Die Diagnose einer Stimmbandlähmung wird von einem Hals- Nasen-Ohrenarzt gestellt. Im Rahmen eines ersten Gespräches (Anamnese) fragt der Arzt nach möglichen Risikofaktoren einer Stimmbandlähmung. Erkrankungen und Operationen an der Schilddrüse spielen hier eine wichtige Rolle. Um die Lähmung des N. recurrens von einem möglichen Krebs des Kehlkopfes (Larynxkarcinom) abzugrenzen, fragt der Arzt auch nach Risikofaktoren für die Krebserkrankungen. Hier spielen Tabakrauch und eine familiäre Belastung eine wesentliche Rolle.
Im Anamnesegespräch möchte der Arzt auch wissen, wie lange die Heiserkeit besteht und ob der Patient einen stimmlich sehr belastenden Beruf (LehrerIn oder SängerIn) ausübt. Nach der Anamnese erfolgt die körperliche Untersuchung. Hierbei sucht der Arzt gezielt nach Erkrankungen und Zuständen, die eine Stimmbandlähmung bedingen können.
Er untersucht die Schilddrüse um eine Größenzunahme feststellen zu können. Die Schilddrüse muss aber nicht unbedingt nach außen wachsen, sie kann auch durch ihr Wachstum nach innen den N. recurrens und die Luftröhre (Trachea) verdrängen. Ein Wachstum nach innen kann mit einem Ultraschallgerät (Sonographie) festgestellt werden. Mittels eines Laryngoskopes kann der Arzt sich die Stimmlippen direkt ansehen. Dieses Laryngoskop wird durch den Mund in der Rachen eingeführt. Der Patient bekommt vorher einen betäubenden Spray in den Hals gesprüht um den Würgereflex auszuschalten. Eine weitere Betäubung ist meist nicht notwendig. Während der Arzt die Stimmbänder betrachtet, fordert er seinen Patienten auf, unterschiedliche Laute abzugeben. Hierdurch werden die Stimmbänder bewegt und der Arzt sieht mögliche Lähmungen.
Sieht der Arzt während der Laryngoskopie eine Wucherung auf einer Stimmlippe wird als Nächstes eine Probe (Biopsie) dieser Wucherung entnommen. Diese Biopsie wird von einem Pathologen histologisch unter dem Mikroskop untersucht um einen Kehlkopfkrebs auszuschließen.
Differenzialdiagnostisch müssen bei einer Recurrensparese alle Krankheiten abgegrenzt werden, die eine Heiserkeit oder Luftnot machen, ohne dass der Nerv geschädigt ist. Am wichtigsten ist es hier den Kehlkopfkrebs abzugrenzen. Der Kehlkopfkrebs kann durch sein tumoröses Wachstum die Stimmlippen verlegen. Hier entsteht Atemnot. Er kann aber auch durch Infiltration einer oder beider Stimmlippen diese lähmen. Kehlkopfkrebs ist in den Anfangsstadien sehr gut zu therapieren. Hat der Krebs erst einmal gestreut (metastasiert) sind die Chancen auf Heilung schlechter.
Grade deswegen ist es außerordentlich wichtig, jede Heiserkeit die länger als drei Wochen andauert genaustens zu untersuchen.
Es gibt auch harmlose Erkrankungen wie die Halsentzündung oder die Kehlkopfentzündung die zur Heiserkeit führen können. Bei Entzündungen in diesem Bereich findet sich meist auch eine gerötete Schleimhaut. Die häufigste Krankheit die neben der Stimmbandlähmung eine Atemnot verursacht, ist das Asthma bronchiale. Beim Asthma kommt es zu einer Verengung der kleinen Bronchien. Hier ist das charakteristische Atemgeräusch während der Ausatmung (Exspiration) hörbar. Es entsteht der exspiratorischeStridor.
Die Therapie der Stimmbandlähmung sollte zuerst die Behandlung der auslösenden Erkrankungen beinhalten. Eine Schilddrüse, die zu groß ist und den Nerv quetscht, kann entweder durch eine Operation oder durch eine medikamentöse Therapie verkleinert werden.
Kann keine Ursache für die Lähmung gefunden werden oder kann die Ursache nicht behoben werden, richtet sich die Therapie danach, ob beide oder nur eine Stimmlippe betroffen ist. Ist nur eine Stimmlippe betroffen, liegt das Problem darin, dass diese Stimmlippe der gesunden Stimmlippe nur unzureichend angenähert werden kann. Es resultiert eine zu große Stimmritze die bei der Phonation zu viel Luft durchlässt. Um die gelähmte Stimmlippe der gesunden anzunähern, wird zunächst konservativ (ohne Operation) therapiert.
Durch logopädische Stimmübungen ist es möglich, das Stimmband so weit zu trainieren, dass es sich der anderen Seite ausreichend annähern kann. Eine konservative logopädische Therapie sollte mindestens sechs Monate durchgeführt werden.
Stellt sich aber nach sechs Monaten kein Therapieerfolg ein, muss operiert werden. Ziel einer Operation ist es, das Stimmband so zu unterfüttern, dass die für die Phonation benötigte Stimmritze, möglichst eng werden kann. Die Operationsmethoden unterscheiden sich dahingehend, welches Material zur Unterfütterung des erkrankten Stimmbandes genommen wird. Die Problematik dieser Operation liegt darin, dass das Material welches zur Unterfütterung benutzt wird, meist im Laufe der folgenden Jahre vom Körper abgebaut wird. Häufig ist eine zweite Operation notwendig.
Sind beide Stimmbänder von der Lähmung betroffen, ist das Ziel der Therapie, die Stimmritze zu vergrößern, um die Atemnot zu mildern. Tritt die beidseitige Stimmbandlähmung akut auf, kann eine Atemnot gefährlichen Ausmaßes entstehen. In diesem Fall ist rasches Handeln notwendig. Um den Patienten vor dem Ersticken zu schützen, kann der Arzt eine Tracheotomie durchführen. Dabei wird die Luftröhre einige Zentimeter unterhalb der Stimmlippen durchtrennt. Es entsteht hierbei eine Verbindung zwischen der Luftröhre unter der Umwelt unter Umgehung der Stimmbänder und des Hals-Nasen-Rachenraumes. Der Patient kann durch diese Verbindung atmen. Eine Tracheotomie ist eine Notfalllösung und keinesfalls eine Dauerlösung.
Um eine Dauerlösung zu schaffen, werden die Stimmbänder in einer Operation auseinander gezogen und in dieser Stellung fixiert. Der Mediziner spricht bei dieser Methode von einer Lateralfixation. Eine andere Möglichkeit der Stimmritzenerweiterung liegt darin, die Stimmlippen in der Mitte mit einem Laser zu verkleinern.
Da für eine klare Stimme eine enge Stimmritze erforderlich ist, haben die Operationen, die die Stimmritze erweitern, häufig einen negativen Effekt auf die Phonation. Die Stimme wird heiser. In einigen spezialisierten Zentren werden sowohl einseitige als auch beidseitige Stimmbandlähmungen durch das Einbringen von Implantationen therapiert. Implantate haben den Vorteil, dass sie in Form und Größe genau der jeweiligen Situation angepasst werden können. Sie werden vom Körper nicht abgebaut und sollen ein Leben lang halten. Allerdings sind die Erfahrungen mit Implantationen bisher nur gering da diese Behandlungsmethode sehr neuartig ist.
Die Prognose einer Stimmbandlähmung ist sehr unterschiedlich. Konnte die verursachende Erkrankung behandelt werden (etwa durch das Verkleinern einer zu großen Schilddrüse) kann sich der gequetschte Nerv ganz von alleine regenerieren. Wurde der Nerv aber durch eine Krebserkrankung der Schilddrüse zerstört, oder im Rahmen einer Schilddrüsen Operation durchtrennt, ist die Prognose schlechter.
Ganz entscheidend für das Wiedererlangen einer klaren Stimme ist eine konsequente und regelmäßig durchgeführte logopädische Therapie. Zeigt diese Art der Behandlung auch keinen Erfolg, können die meisten Menschen eine Verbesserung der Phonation durch eine Operation erlangen.
Hinter einer länger als drei Wochen andauernden Heiserkeit kann eine ernst zunehmende Erkrankung stecken. Deswegen sollte in so einem Fall eine rasche Abklärung erfolgen.
aktualisiert am 12.12.2022