Bis vor kurzem gab es keine Chance, die Sehkraft zu retten, wenn der Sehnerv erst geschädigt war. Ursachen für solche bislang irreversiblen Defekte des Sehnervs sind Infarkte, Verletzungen durch Schläge auf das Auge, Schlaganfälle oder Grüner Star. Die neue EBS-Stromtherapie kann helfen, den Sehnerv wieder zu regenerieren. Die Methode ist nach dem Berliner Biotech-Unternehmen EBS Technologies benannt, das das Therapiegerät ursprünglich zur nicht-invasiven Behandlung von Gehirnschäden beispielsweise nach Schlaganfällen entwickelte.
Dr. Amir-M. Parasta, Ärztlicher Leiter vom „augenzentrum“ in München, erklärt, wie die neue Therapie bei Gesichtsfeldausfällen und Erkrankungen des Sehnervs eingesetzt wird.
Herr Dr. Parasta, wie kommt es zu Gesichtsfeldstörungen und zum Verlust der Sehkraft durch Schädigungen des Sehnervs?
Dr. Parasta: Der Sehnerv oder „Nervus Opticus“ ist nur maximal fünf Zentimeter lang und setzt sich aus einem ganzen Bündel von Nervenfasern zusammen. Er dient dazu, über die Netzhaut empfangene elektrische Signale an das Sehzentrum im Gehirn weiterzuleiten. Dort werden diese Signale in Bilder umgewandelt. Leider ist der Sehnerv störanfällig. Gesichtsfeld-Ausfälle können plötzlich auftreten oder sich schleichend entwickeln. Mehrere Auslöser kommen in Frage.
Gesichtsfeldeinschränkungen und plötzliche Sehstörungen können durch ein akutes Trauma ausgelöst werden, beispielsweise durch einen Schlag aufs Auge bei einem Unfall. Grüner Star (Glaukom) geht mit einem erhöhten Augeninnendruck einher, und auch dadurch wird der Sehnerv geschädigt.
Häufig kommen solche Schädigungen als Folge von Durchblutungsstörungen vor. Dabei verschließt sich eine Augenarterie, die den Sehnerv versorgt.
Auch Augeninfarkte sind möglich - eine Ursache dafür ist Bluthochdruck. Dabei verstopfen Arterien, die bisher sauerstoffreiches Blut und Nährstoffe zum Auge transportiert haben. Der unterversorgte Nerv stirbt dann langsam und schrittweise ab. Zuerst stellt sich verschwommene Sicht ein, dann fallen ganze Teile des Gesichtsfeldes aus. Diese Art der Schäden breitet sich aus. Sie schädigen den Sehnerv schließlich so, dass er abstirbt.
Wie geht das vor sich und lässt es sich überhaupt aufhalten?
Dr. Parasta: Nervenzellen stehen alle untereinander in Verbindung. Sie dienen der Weiterleitung von Signalen. Fällt eine der Nervenzellen aus, „irritiert“ das die benachbarten Zellen: Sie erhalten keine neuen Tätigkeits-Impulse mehr, verkümmern und sterben nach und nach ab. Wir Mediziner nennen das eine „sekundäre Apoptose“ - übersetzt „nachrangiger Zelltod“. Bisher gab es keine Chance, das Absterben des Sehnervs beziehungsweise der Nervenzellen aufzuhalten. Es war daher auch nicht möglich, das Augenlicht zu erhalten oder wieder zu verbessern. Erst die neue EBS-Stromtherapie kann helfen, das Erblinden aufzuhalten.
Was ist eine EBS-Stromtherapie und wie wird sie eingesetzt?
Dr. Parasta: Die neue EBS-Stromtherapie basiert auf Erfahrungen und Beobachtungen von Neurologen und Augenärzten. Diese zeigen, dass bei einem geschädigten Sehnerv nicht immer das gesamte Nerven-Gewebe zerstört ist. Meistens bleiben intakte, wenn auch in ihrer Funktion gestörte Nervenzellen übrig.
Die EBS-Therapie hat offenbar eine zweifache Wirkung: Erstens verhindert sie den erwähnten „nachrangigen Zelltod“, indem sie die verbliebenen Nervenzellen stimuliert. Das Stichwort dafür lautet Neuroprotektion, also Zellschutz. In der Folge greift die zweite Wirkung, die Neuroregeneration: Die niedrigen Wechselstrom-Impulse kurbeln den Stoffwechsel der Nervenzellen an. Sie regen die Neubildung von Nervenzellen, also die Wiederherstellung von Nervengewebe an. Noch haben wir nicht alle Zusammenhänge verstanden oder erklären können - aber die Ergebnisse der Therapie sind vielversprechend.
Wann ist es sinnvoll, die EBS-Stromtherapie einzusetzen?
Dr. Parasta: Gute Aussichten hat die EBS-Stromtherapie in der akuten Situation nach Schlaganfällen am Sehnerv, Sehnerv-Infarkt und anderen Arten von Gefäßverschlüssen am Auge. Je eher wir eingreifen können, desto besser die Aussichten der Therapie. Leider greift die Methode nicht bei allen Patienten.
Wie läuft eine EBS-Behandlung ab und ist sie bei jedem Patienten gleich?
Dr. Parasta: Wir müssen für jeden Patienten die richtige Frequenz und Stromstärke finden. Dabei hilft er aktiv mit. Wir messen die Hirnströme (EEG) und nutzen dazu eine Messhaube und anschließend eine Stimulationsbrille. Damit leiten wir Stromimpulse durch den Sehnerv zum Gehirn. Wir stimulieren praktisch die Tätigkeit intakter, gesunder Sehnerven. Bisher nicht in Mitleidenschaft gezogene Zellen sterben nicht ab, sondern bleiben aktiv und gleichzeitig wird die Bildung neuer, intakter Nervenzellen angeregt. Die Stromimpulse „reanimieren“ den Sehnerv, vergleichbar mit der Wirkung eines Defibrillators bei Herzversagen. Nur sind die Stromimpulse vergleichsweise minimal. Wir beginnen mit den kleinsten Impulsen und steigern die Stromstärke. Der Patient teilt uns mit, wann er eine Art Flimmern im Gesichtsfeld wahrnimmt - etwa vergleichbar mit dem Testbild bei einem alten Schwarz-Weiß-Fernseher. Stellt sich dieses Flimmern ein, heißt das für uns, dass noch gesunde, reanimierbare Nervenbahnen da sind, die Signale ans Gehirn weiterleiten.
Bei kleinen Kindern beispielsweise können wir nicht so arbeiten, weil sie uns kein Feedback geben können.
Wie sehen die ersten Schritte der Behandlung aus und wie lange dauert sie?
Dr. Parasta: Bei einer gründlichen Voruntersuchung stellen wir fest, welche Ursachen oder Grunderkrankungen den Gesichtsfeldausfall herbeigeführt haben. Oft müssen wir eine Vorbehandlung durchführen. So wird beispielsweise bei Glaukom (grünem Star) der Augendruck durch eine Operation optimal eingestellt, oder es werden Bluthochdruck oder Durchblutungsstörungen behandelt. Wenn die nervenzerstörenden Faktoren weiter bestehen, macht die Behandlung wenig Sinn und ist nicht nachhaltig.
Wie lange eine solche vorbereitende Behandlung dauert, hängt natürlich vom Patienten und der Situation ab.
Anschließend überprüfen wir das Gesichtsfeld auf charakteristische Muster, die uns anzeigen, ob das Problem vom Sehnerv oder von anderen Auslösern ausgeht. Erst wenn das sichergestellt ist, starten wir hier im „augenzentrum“ mit der EBS-Therapie. Zehn Sitzungen, über zwei Wochen verteilt, sind die Regel. Jede dieser Sitzungen nimmt etwa 70 Minuten in Anspruch. Schmerzen oder Risiken sind keine zu befürchten.
Wann etwa lassen sich erste Erfolge beobachten?
Dr. Parasta: Wir können natürlich oft schon hier im „augenzentrum“ Verbesserungen im Gesichtsfeldmuster feststellen. Wenn ein Patient auf die Therapie gut anspricht, macht sich das bereits nach wenigen Sitzungen bemerkbar. Dann ist die visuelle Wahrnehmung deutlich besser, die Patienten können wieder schärfer sehen und bemerken das beispielsweise beim Fernsehen oder indem sie sich wieder besser in ihrer Wohnung und im Alltag zurechtfinden.
Sie erwähnten das Problem bereits - die Therapie greift nicht bei jedem Patienten?
Dr. Parasta: Das ist leider richtig. Ein Erfolg ist immer abhängig davon, wie lange und wie stark der Sehnerv bereits geschädigt ist. Die Therapie soll ja geschädigte, aber noch aktive Zellen erhalten und erneut aktivieren, damit Lichtreize über die Netzhaut ans Gehirn weitergeleitet werden können. Sind kaum noch aktive, reanimierbare Nervenzellen vorhanden, bringt die Therapie nur wenige oder gar keine Ergebnisse. Wie groß die vorhandenen Schäden am Sehnerv jeweils sind, lässt sich oft erst im Lauf der Behandlung feststellen. Auch eine Vorhersage über den Grad des Erfolges ist schwer zu treffen. Studienergebnisse zeigen, dass sich das Gesichtsfeld um durchschnittlich 24 Prozent vergrößert. Aber jede noch so kleine Verbesserung trägt wieder zu mehr Lebensqualität bei. Wie effektiv die Behandlung tatsächlich war, stellt sich etwa ein Jahr danach heraus.
In welchen Fällen ist die EBS-Therapie besonders erfolgversprechend?
Dr. Parasta: Der Zeitfaktor spielt eine wichtige Rolle. Nur wenn noch eine genügend große Anzahl intakter Nervenzellen vorhanden ist, können wir mit Erfolg eingreifen. Wir haben besonders gute Ergebnisse nach Unfällen. Eine meiner Patientinnen war beispielsweise auf einen Besen getreten. Der Stil hatte ihr Auge getroffen, wodurch ihre Sehfähigkeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Während wir früher wochenlang zum Abwarten gezwungen waren, können wir heute in solchen Fällen sofort mit Hilfe der Stromtherapie gegensteuern und die Heilung des geschädigten Sehnervs beschleunigen. Auch in diesem Fall konnten wir die Sehkraft auf dem geschädigten Auge wieder herstellen.
Auch bei Durchblutungsstörungen am Sehnerv sollte man früh mit einer Behandlung beginnen, um das Absterben von Nervenzellen zu verhindern, im besten Fall also spätestens vier bis sechs Wochen nach dem Ereignis, das die Schädigung ausgelöst hat. Patienten sollten sich nicht zu viel erhoffen und die konservative Behandlung ihrer Erkrankung weiter verfolgen.
Die Stromtherapie ersetzt die bisher bewährten Therapien in der Medizin keinesfalls. Dazu gehören medikamentöse Behandlungen oder Operationen.
Was kostet die Therapie und wer bezahlt sie?
Dr. Parasta: Eine Behandlungsfolge erstreckt sich über mindestens 10 Sitzungen. Das kostet insgesamt etwa 4000 Euro. Eigentlich ein geringer Preis, um das Augenlicht zu erhalten. Bisher zahlen leider nur wenige private Krankenkassen die EBS-Stimulationstherapie, weil dieses Konzept noch sehr neu und ein Erfolg nicht immer garantiert ist.
Wir bedanken uns für das informative und ausführliche Gespräch bei Dr. Parasta. Mehr Informationen erhalten sie unter:
Augenzentrum in München Haidhausen
Einsteinstr. 1-3 (Eingang Einsteinstr. 1)
81675 München
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Letzte Aktualisierung am 04.08.2020.