Schwindel, auch Vertigo genannt, ist ein Symptom, das durch verschiedene multisensorische und sensomotorische Syndrome unterschiedlicher Ursache hervorgerufen wird. Sowohl physiologischer als auch pathologischer Schwindel äußern sich durch ähnliche Symptome wie Nystagmus, Übelkeit und Fallneigung, die auf eine Störung des vestibulären Systems hinweisen. Schwindel kann durch periphere oder zentrale Ursachen, funktionelle Störungen oder andere Erkrankungen wie Blutdruckprobleme oder neurodegenerative Erkrankungen verursacht werden. Die Therapie variiert je nach Ursache und kann physikalische, medikamentöse oder psychotherapeutische Maßnahmen umfassen.
Prof. Strupp: Schwindel ist keine Krankheitseinheit, sondern ein Leitsymptom, das verschiedene multisensorische und sensomotorische Syndrome unterschiedlicher Pathophysiologie und Ätiologie umfasst. Sowohl physiologischer Schwindel (z.B. Drehschwindel beim Karussellfahren) als auch pathologischer Schwindel (z.B. akute unilaterale Vestibulopathie) sind trotz der unterschiedlichen Pathomechanismen durch eine ähnliche Symptomkombination – bestehend aus Schwindel, Nystagmus, Fallneigung und/oder Übelkeit – charakterisiert. Diese Störungen im Bereich der Wahrnehmung (Schwindel), der Blickstabilisation (Nystagmus), der Haltungsregulation (Fallneigung) und des Vegetativums (Übelkeit) entsprechen den Hauptfunktionen des vestibulären Systems und können unterschiedlichen Orten im Hirn zugeordnet werden.
Prof. Strupp: Es lassen sich im Wesentlichen drei Formen unterscheiden:
Die sechs häufigsten peripheren vestibulären Schwindelformen sind in abnehmender relativer Häufigkeit: Benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel, Morbus Menière, Akute unilaterale Vestibulopathie/Neuritis vestibularis, Bilaterale Vestibulopathie, Vestibularisparoxysmie, Syndrome des „dritten mobilen Fensters“ (vor allem Bogengangsdehiszenzen, insbesondere des anterioren Bogengangs). Zentrale vestibuläre Schwindelformen entstehen durch Läsionen/Störungen der Verbindungen zwischen dem Eintritt des 8. Hirnnervens in den Hirnstamm, den Vestibulariskernen, dem Vestibulozerebellum, den vestibulären/okulomotorischen Strukturen des Hirnstamms bis zum Thalamus und/oder dem vestibulärem Kortex.
Prof. Strupp: Leitsymptom des benignen peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindels (BPPV), der häufigsten Ursache peripher vestibulären Schwindels, sind rezidivierende, durch Kopflageänderungen relativ zur Schwerkraft ausgelöste kurze Drehschwindelattacken mit gleichzeitigem Lagerungsnystagmus. Ursache sind meist freibewegliche Otokonien, die im betroffenen Bogengang bei Lageänderung zu einer Auslenkung der Kupula führen. Der BPPV geht am häufigsten vom posterioren Bogengang (ca. 85-95%), seltener vom horizontalen Bogengang aus. Mit den diagnostischen Lagerungsmanövern lassen sich sowohl die betroffene Seite als auch der Bogengang identifizieren. 95% der Fälle sind idiopathisch. Therapie der Wahl sind Befreiungsmanöver, mit denen man praktisch alle Patienten erfolgreich behandeln kann. Das kumulative individuelle Rezidiv-Risiko liegt bei 50%.
Mit den diagnostischen Lagerungsmanövern lassen sich sowohl die betroffene Seite als auch der Bogengang identifizieren.
Prof. Strupp: Bei erstmaligem akutem Schwindel sollte man in eine Klinik gehen, da ein Schlaganfall die Ursache sein kann. Bei immer wieder auftretenden Schwindelepisoden oder dauernden Beschwerden zuerst den Hausarzt aufsuchen, der dann eventuell zu einem Neurologen oder HNO- Arzt überweist.
Prof. Strupp: Ein sogenanntes Schwindeltagebuch dient zur Dokumentation der Beschwerden im gesamten Verlauf. Mit Hilfe dieser Dokumentation kann der behandelnde Arzt das Ansprechen auf eine Behandlung beurteilen.
Prof. Strupp: Die Behandlung der verschiedenen Schwindelsyndrome umfasst in Abhängigkeit von der Ursache physikalische, medikamentöse, psychotherapeutische und operative Maßnahmen (heute nur noch selten). Vor Beginn der Therapie sollte der Patient auf die meist gute Prognose vieler Schwindelsyndrome hingewiesen werden, da diese oft einen günstigen Spontanverlauf haben (z.B. durch Besserung der peripheren vestibulären Funktion bei der akuten unilateralen Vestibulopathie und zentrale Kompensation der vestibulären Tonusimbalance oder spontane Heilung bei BPPV) und die meisten heute erfolgreich therapiert werden können.
Grundvoraussetzung einer wirksamen Therapie sind: korrekte Diagnose, spezifische Therapie je nach Ätiologie, eine ausreichende Dosierung und Behandlungsdauer bei Pharmakotherapie sowie grundsätzlich Verlaufskontrollen durch den Arzt, um den Therapieeffekt und mögliche unerwünschte Wirkungen beurteilen, die Behandlung dementsprechend anpassen und das Auftreten eines funktionellen Schwindels frühzeitig erkennen zu können.
Prof. Strupp: Gleichgewichtstraining führt sowohl zur Verbesserung der zentralen Kompensation akuter peripherer und zentraler vestibulärer Störungen als auch zur visuellen und somatosensorischen Substitution. Die wichtigsten Indikationen für die vestibuläre Rehabilitation sind akute und chronische vestibuläre Defizite und zentrale Schwindelsyndrome z.B. nach Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkten sowie zerebellärer Schwindel.
Prof. Strupp: Man sollte sich selbst Ruhe geben und die Dauer und Art der Beschwerden zunächst einmal beobachten. Zudem sollten mögliche Auslöser und begleitende Beschwerden festgehalten werden, um die Diagnose stellen zu können. Bei erstmaligem akutem Schwindel sollte eine Klinik aufgesucht werden.
Man sollte sich selbst Ruhe geben und die Dauer und Art der Beschwerden zunächst einmal beobachten.
Prof. Strupp: Die Vestibuläre Migräne ist die häufigste Ursache für rezidivierende spontan auftretende Schwindelepisoden bei Erwachsenen und Kindern. Wie bei der Migräne ohne Aura basiert die Diagnose vor allem auf der Anamnese. Mindestens 5 Episoden mit vestibulären Symptomen mittlerer oder starker Intensität und einer Dauer von 5 min. bis 72 Std. aktive oder frühere Migräne müssen dabei auftreten. Außerdem sollte(n) ein/mehrere Migränesymptome während mindestens 50% der vestibulären Episoden vorhanden sein. Dazu gehören Kopfschmerzen mit mindestens 2 der folgenden Merkmale: einseitige Lokalisation, pulsierender Charakter, mittlere oder starke Schmerzintensität, Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten. Auch eine Photophobie und Phonophobie sowie visuelle Aura können auftreten.
Prof. Strupp: Sehr viele! Es gibt derzeit Studien zur Genetik bei Schwindel, z.B. der vom Kleinhirn ausgeht bis hin zu vielen Behandlungsstudien zu eigentlichen allen Schwindelformen mit dem Ziel, spezielle und wirksame Verfahren zu erarbeiten. Es gibt also noch viel zu tun. Das Wichtigste ist aber, dem Patienten zuzuhören und ihn sorgfältig zu untersuchen, um erst einmal eine richtige Diagnose zu stellen. Diese ist die Grundvoraussetzung einer gezielten Therapie.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 21.10.2024.