Prof. Issing: Natürlich gibt es verschiedene Gründe, warum sich der menschliche Körper im Laufe des Lebens verändert. Dies betrifft auch das Gehör. Einer der Gründe ist, dass vor allem in jungen Jahren berufliche Tätigkeiten mit hohen Lärmpegeln die Ohren belasten. Ähnliches gilt für die Haut und die Sonneneinstrahlung. Dies führt zu einer kumulativen Belastung, die im Laufe der Zeit zu einer Verschlechterung des Gehörs führen kann. Deshalb ist Schwerhörigkeit bei älteren Menschen häufiger als bei jüngeren.
Prof. Issing: Nehmen wir als Beispiel die typische Altersschwerhörigkeit. Dieser Prozess vollzieht sich in der Regel schleichend. Die Betroffenen selbst merken es oft nicht bewusst und werden erst von ihren Angehörigen darauf aufmerksam gemacht, dass der Fernseher zu laut ist oder dass sie öfter nachfragen müssen, um das Gesagte zu verstehen. Ein Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt, kann sein, dass man den Gesprächen auf einer Geburtstagsfeier nicht mehr folgen kann und häufiger nachfragen muss. Dies ist ein erster Hinweis auf eine Hörschwäche und in diesem Fall sollte ein Hörtest in Betracht gezogen werden.
Prof. Issing: Die berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit ist trotz aller Maßnahmen zum Schutz des Gehörs nach wie vor eine häufig anerkannte Berufskrankheit. Das bedeutet, dass Lärmbelastung am Arbeitsplatz, z.B. auf Baustellen oder in Stahlwerken, ein wichtiger Faktor ist, der im Laufe der Zeit zu Gehörverlust führen kann. Es gibt jedoch auch andere Ursachen für Gehörschäden. Es muss nicht immer Lärm am Arbeitsplatz sein, auch laute Musik und das Tragen von Kopfhörern, vor allem in jungen Jahren, können dazu beitragen.
Ich versuche es oft so zu erklären: Unsere Ohren werden mit einer bestimmten Ausstattung geboren, vergleichbar mit einem Bankkonto mit einem bestimmten Guthaben. Im Laufe der Zeit wird von diesem Konto immer wieder Geld abgehoben, aber es kommen keine neuen Einzahlungen hinzu. Das bedeutet, dass sich der Ausgangswert nur verschlechtern kann. Deshalb ist es wichtig, die beeinflussbaren Faktoren wie Lärm so gut wie möglich zu kontrollieren. So ist es z.B. sinnvoll, bei lauten Aktivitäten wie Silvesterfeuerwerk, Schießübungen im Schützenverein oder beim Einsatz von lauten Maschinen wie Rasenmähern oder Baumaschinen auf Gehörschutz zu achten. Diese vermeintlichen Kleinigkeiten können sich im Laufe der Zeit zu erheblichen Gehörschäden summieren.
Es gibt aber auch Faktoren, auf die wir keinen Einfluss haben, wie zum Beispiel unsere genetische Veranlagung, die wir von unseren Eltern geerbt haben. Leider können wir diese genetische Ausstattung bisher nicht beeinflussen. Umso wichtiger ist es, die beeinflussbaren Faktoren in den Griff zu bekommen.
Die berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit ist trotz aller Maßnahmen zum Schutz des Gehörs nach wie vor eine häufig anerkannte Berufskrankheit.
Prof. Issing: Dieses Problem wird anfangs vielleicht nicht sehr bewusst wahrgenommen, da es sich langsam entwickelt. Generell ist zu beobachten, dass Menschen mit Hörproblemen weniger Freude am sozialen Austausch haben. Sie ziehen es oft vor, nicht in Gesellschaft zu sein, weil sie nicht alles verstehen. Manchmal führen Missverständnisse zu unangenehmen oder peinlichen Situationen. Am Anfang fragt man vielleicht nach und versucht, die Information doch aufzuschnappen, aber oft hört man damit auf, weil die Umgebung nicht immer Rücksicht auf die Hörbehinderung nimmt. Die meisten vergessen es schnell und kehren zur gewohnten Lautstärke zurück, wenn jemand darum gebeten hat, lauter zu sprechen. Dieser soziale Rückzug spielt eine große Rolle, da sich die Betroffenen in der Gesellschaft anderer Menschen zunehmend unwohl fühlen.
Ein weiterer Aspekt ist die Einschränkung des Musikgenusses, da Schwerhörigkeit oft mit lästigen Ohrgeräuschen einhergeht. Diese können besonders störend sein, wenn vor allem der Schlaf beeinträchtigt wird. Dieser schleichende Prozess kann sehr unangenehm sein. Schließlich ist es wichtig zu wissen, dass Schwerhörigkeit inzwischen als ein gut untersuchter Faktor für die Entwicklung von Demenz gilt. Wenn weniger Reize zwischen den Ohren ankommen, kann dies den kognitiven Verfall fördern. Es ist daher ratsam, Maßnahmen zu ergreifen, um diesem Problem entgegenzuwirken.
Schließlich ist es wichtig zu wissen, dass Schwerhörigkeit inzwischen als ein gut untersuchter Faktor für die Entwicklung von Demenz gilt.
Prof. Issing: Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen - und nicht nur ältere Menschen - oft zögern, ein Hörgerät zu tragen. Die Kennzeichnung als Hörgeschädigter ist nicht besonders attraktiv, im Gegensatz zur Brille, die oft als modisches Accessoire angesehen wird. Hörgeräte machen einen Menschen nicht unbedingt attraktiver, weshalb viele versuchen, sie zu verstecken. Hörgeschädigte haben manchmal das Stigma, nicht verstanden zu werden, was zu Vorurteilen führen kann. Dies führt zu dem gemeinsamen Wortstamm "deaf" für „taub“ oder "doof". In der Antike wurden blinde Menschen als Seher akzeptiert, während hörgeschädigte Menschen sozial weniger integriert sind. Deshalb versuchen viele Hörgeschädigte, ihre Behinderung nicht zu zeigen, was ein Grund dafür sein kann, dass sie nur ungern ein Hörgerät tragen.
Ein weiterer Grund ist, dass ein Hörgerät das Problem der Schwerhörigkeit, das oft vom Innenohr, genauer gesagt von der Cochlea, ausgeht, nicht vollständig ausgleichen kann. Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass sie nur die Lautstärke erhöhen müssen, um wieder normal hören zu können. Das liegt an der besonderen Funktionsweise des Innenohrs und an der Unbehaglichkeitsschwelle, die bei Schwerhörigen paradoxerweise nicht im gleichen Maße zunimmt. Das erklärt, dass Innenohrkranke lärmempfindlicher als Normalhörende sind. Hörgeräte können nur die Lautstärke erhöhen, was oft zu Problemen führt, da sie schnell zu laut werden. Daher können Hörgeräte den Hörverlust nicht immer wirksam ausgleichen. Das liegt aber nicht an den Hörgeräten selbst, sondern an Phänomen im Innenohr, die die Schwerhörigkeit verursachen.
Prof. Issing: Wir können heute sagen, dass wir von der Ohrmuschel bis zum Hirnstamm, also der gesamten Hörbahn, eine breite Palette von Möglichkeiten haben, Menschen mit Hörschwierigkeiten zu helfen. Zunächst ist es wichtig, den Ort der Schwerhörigkeit genau zu diagnostizieren. Handelt es sich um mechanische Probleme im Gehörgang oder im Mittelohr? In vielen Fällen können wir das Hörvermögen durch chirurgische Eingriffe verbessern, zum Beispiel im Gehörgang oder an den Gehörknöchelchen. Wenn zum Beispiel der Steigbügel im Mittelohr festgewachsen ist, kann ein Mittelohrimplantat eingesetzt werden, um das Hörvermögen wiederherzustellen. Dies ist oft sehr zufriedenstellend und für den Patienten eine hervorragende Lösung, da er keine externen Hörgeräte mehr benötigt.
Die meisten Menschen mit Hörproblemen haben Schwierigkeiten im Bereich der Cochlea (Innenohr). In diesen Fällen ist ein Hörgerät meist die erste Wahl. Wir empfehlen grundsätzlich, zunächst ein Hörgerät auszuprobieren, um zu sehen, ob es hilfreich ist. Es gibt jedoch Fälle von hochgradiger Schwerhörigkeit, bei denen Hörgeräte aufgrund der eingeschränkten Hörschwelle nicht mehr ausreichen. In solchen Fällen, insbesondere im Hochtonbereich, können Cochlea-Implantate eine sehr hilfreiche Option sein, um das Hörvermögen und das Sprachverstehen wiederherzustellen.
Prof. Issing: Das hängt ein wenig von der individuellen Hörkurve ab. Es gibt Hörkurven mit relativ gleichmäßigem Abfall, die oft gut mit Hörgeräten ausgeglichen werden können. Moderne Hörgeräte sind erstaunliche, kleine technische Wunderwerke, die in der Lage sind, den Hörverlust eines Patienten frequenzabhängig genau auszugleichen und zu verstärken. Möglich wird dies durch die fortschrittliche Digitaltechnik, die heute viel effizienter ist als früher.
Es gibt Menschen mit einem gut behandelbaren Hörverlust. Auf der anderen Seite gibt es Menschen mit extremen Hörverlusten im Hochtonbereich, bei denen der Einsatz von Hörgeräten problematisch ist. Diese Menschen hören in der Regel gut in den tiefen und mittleren Frequenzen und benötigen hierfür kein Hörgerät. Im Hochtonbereich hören sie jedoch fast nichts. Diesen steilen Abfall mit einem Hörgerät auszugleichen, ist schwierig und kann zu Unbehagen führen, da das Ohr dann bei Verstärkung schnell die Unbehaglichkeitsschwelle erreicht. In solchen Fällen können diese Personen Kandidaten für ein Cochlea-Implantat sein.
Menschen, die körperlich arbeiten, stark schwitzen, Helme oder Gehörschutz tragen müssen oder Hautprobleme im Gehörgang haben, können ebenfalls Schwierigkeiten haben, ein Ohrpassstück zu tragen. Das Hörgerät erzeugt eine Art Verschluss im Gehörgang, der für seine Funktion notwendig ist. Dieser Verschlusseffekt kann subjektiv als unangenehm empfunden werden und zu Entzündungen des Gehörgangs führen, die die Verwendung von Hörgeräten unmöglich machen.
In solchen besonderen Fällen kann der Einsatz eines aktiven Mittelohrimplantats in Erwägung gezogen werden. Diese Entscheidung sollte jedoch erst nach eingehender Beratung durch einen HNO-Arzt getroffen werden. Es gibt heute viele Möglichkeiten, Menschen mit unterschiedlichen Hörverlusten erfolgreich zu helfen.
Prof. Issing: Ein Hörgerät funktioniert im Prinzip wie ein Lautsprecher, indem es das Nutzsignal, also die Sprache, die Sie gerade hören, akustisch verstärkt. Dadurch wird der Klang lauter. Wir haben bereits erwähnt, dass jedes Ohr, sowohl das Geschädigte als auch das Gesunde, eine Schwelle hat, bei der der Betroffene sagt, dass es jetzt zu laut ist. Wenn Sie einen Hörverlust der Schallempfindung haben, müssen Sie das Signal sehr stark verstärken, um überhaupt etwas wahrnehmen zu können. Dabei wird jedoch oft eine Schwelle erreicht, bei der es unangenehm wird. Obwohl der Ton lauter ist, wird das Verstehen nicht unbedingt besser.
Das Cochlea-Implantat verfolgt einen ganz anderen Ansatz. Es verstärkt den Schall nicht akustisch, sondern stimuliert den Hörnerv praktisch direkt mit elektrischen Impulsen. Dabei spielt der Hörverlust im Prinzip keine Rolle und auch die Struktur des Innenohrs, die Cochlea, ist weniger relevant, da der Hörnerv direkt elektrisch gereizt wird. Dadurch ist ein vom Dynamikbereich ein annähernd normales Hören wieder möglich und das Problem der Unbehaglichkeitsschwelle entfällt weitgehend. Das ist der wesentliche Unterschied.
Ein Hörgerät funktioniert im Prinzip wie ein Lautsprecher, indem es das Nutzsignal, also die Sprache, die Sie gerade hören, akustisch verstärkt.
Prof. Issing: Dies ist in der Tat eine relativ komplexe Angelegenheit, die aber heute in den entsprechenden Einrichtungen sehr routiniert durchgeführt wird. Wichtig ist eine ausreichende Erfahrung, insbesondere bei der Beratung der Patienten vor der Operation. Das heißt, man muss die Indikation sorgfältig prüfen, welches Implantat für den Patienten geeignet ist.
Die eigentliche Operation dauerte etwa eine Stunde. Der Eingriff läuft sehr standardisiert ab. Die Patienten bleiben in der Regel etwa 2 Tage stationär in der Klinik und können dann in der Regel relativ unbeeinträchtigt nach Hause gehen. Vor der Operation ist es wichtig, die Patienten darüber aufzuklären, dass sie nach dem Einsetzen des Implantats das Hören praktisch neu erlernen müssen. Das heißt, sie müssen üben, denn der Höreindruck ist ein anderer und das, was unser Gehirn wahrnimmt, wird bei diesem Lernprozess in Sprache übersetzt. Das klappt in der Regel sehr gut. Im Durchschnitt verstehen unsere Patienten zwischen 60 und 70 Prozent der Einsilber bei normaler Sprechlautstärke. Das ist ein sehr guter Wert und führt dazu, dass immer mehr nicht nur gehörlose, sondern auch resthörige Patienten mit einem solchen Implantat versorgt werden, wenn sie mit Hörgeräten nicht zufrieden sind.
Prof. Issing: Es wird versucht, die Elektroden z.B. bei Cochlea-Implantaten immer kleiner und weicher zu machen. Ziel ist es, das Resthörvermögen der Patienten zu erhalten. Ein weiterer Fokus liegt darauf, das Einführen der Elektroden in das Innenohr, das heute noch weitgehend manuell erfolgt, in Zukunft vielleicht Robotern zu überlassen. Diese könnten die Aufgabe äußerst präzise und gleichmäßig ausführen, um das Gewebe zu schonen.
Es wird auch an der Entwicklung eines vollständig implantierbaren Cochlea-Implantats gearbeitet, das keine externen Komponenten mehr benötigt. Dies ist jedoch ein langfristiges Forschungsprojekt und in naher Zukunft nicht zu erwarten.
Ein interessanter Forschungsansatz, der derzeit in Göttingen von Professor Moser verfolgt wird, besteht darin, das akustische System nicht mehr mit elektrischem Strom, sondern mit Licht zu stimulieren. Dies könnte viele Vorteile bieten, da sehr feine Lichtleiter in die Cochlea eingeführt werden können. Allerdings müssen die Nervenzellen erst für diese Art der Stimulation empfindlich gemacht werden, bevor sie wirksam wird.
Langfristiges Ziel der Medizin ist es oft, verloren gegangene Haarzellen im Innenohr wiederherzustellen, so dass möglicherweise weder Hörgeräte noch Cochlea-Implantate benötigt werden. Dies ist jedoch ein ehrgeiziges Ziel, das wahrscheinlich nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre erreicht werden kann.
Letzte Aktualisierung am 23.11.2023.