Bei Morbus haemolyticus neonatorum handelt es sich um eine komplexe Erkrankung, die bereits bei Kindern vor der Geburt (Feten) eintritt und auch nach der Geburt zu teils schwerwiegenden Folgeerscheinungen beim Neugeborenen führt. Vor der Geburt wird dieses Krankheitsbild als Morbus haemolyticus fetalis bezeichnet. Die folgenden Begriffe werden für diese Krankheit ebenso verwendet:
Morbus haemolyticus neonatorum ist eine kindliche Blutarmut, die dadurch ausgelöst wird, dass sich mütterliche Antikörper an die roten Blutkörperchen des Kindes anlagern. Dazu kommt es infolge einer Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind. Die kindlichen roten Blutkörperchen werden von den Antikörpern als fremd erkannt und es kommt zu einer Zerstörung der Blutkörperchen (Hämolyse). Die Blutgruppenunverträglichkeit bezieht sich häufig auf das Rhesusfaktor-System, wenngleich auch andere Blutgruppenmerkmale von Bedeutung sein können. Mehr als 60 verschiedene Inkompatibilitäten (Unverträglichkeiten) des mütterlichen und kindlichen Bluts können zu Morbus haemolyticus neonatorum führen. In 95 Prozent der Fälle ist eine Rhesus- oder AB0-Inkompatibilität die Ursache.
Kinder, die von diesem Problem bereits im Mutterleib betroffen sind, entwickeln eine Blutarmut, die eine Sauerstoff-Unterversorgung ihres kompletten Organismus zur Folge hat. Daher ruft die Krankheit auch die folgenden Gesundheitsprobleme bei den betroffenen Kindern hervor:
Falls die Krankheit voll ausgeprägt ist, kommt es zu einem Zustand, der als Hydrops fetalis bezeichnet wird. Damit gemeint ist die allgemeine Flüssigkeitseinlagerung im kindlichen Organismus, die zur Schwellung führt. Sofern die Krankheit jedoch frühzeitig erkannt wird, kann Morbus haemolyticus neonatorum bereits im Mutterleib behandelt werden.
Wenn die kindlichen roten Blutkörperchen zugrunde gehen, ist von einer Hämolyse und in dem speziellen Fall von einem Morbus haemolyticus neonatorum die Rede. Die Ursache ist häufig eine Blutgruppenunverträglichkeit, die sich im Rhesus-System manifestiert. Neben den Blutgruppen 0, A, B und AB wird im Blutgruppensystem auch zwischen den Rhesusfaktoren Rh-negativ und Rh-positiv unterschieden. Entscheidend für die Krankheitsentstehung ist, dass die Mutter ein bestimmtes Merkmal nicht aufweist, die Blutzellen des Kindes jedoch schon. Sofern die Mutter des Kindes schon einmal Kontakt zu dem für sie fremden Blutgruppenmerkmal (zum Beispiel aus dem Rhesus-System/Rh+) hatte, kann ihr Abwehrsystem sensibilisiert sein. Dann besteht die Gefahr von Morbus haemolyticus neonatorum für das Kind.
Solch ein Kontakt ist möglich, wenn es bereits eine Schwangerschaft, Fehlgeburt oder eine Bluttransfusion von entsprechendem Blut bei der Mutter gab. Wenn die Mutter nun erneut mit dem fremden Blutgruppenmerkmal in Kontakt kommt, produziert sie Antikörper gegen dieses Merkmal. Für das Kind, das dieses Merkmal aufweist, kann dies einen Morbus haemolyticus neonatorum zur Folge haben. Denn die Antikörper gelangen auch in den Mutterkuchen (Plazenta) und treten in das kindliche Blut über. Dort lagern sie sich an die roten Blutkörperchen an und sorgen dafür, dass diese in der kindlichen Milz verstärkt abgebaut werden.
Um das Problem zu kompensieren, wird der Fetus vermehrt Blut produzieren. Dennoch kann es vorkommen, dass die roten Blutkörperchen schneller zugrunde gehen, als das ungeborene Kind diese neu bilden kann. Dann kommt es zu einer Blutarmut, die in der Fachsprache als Anämie bezeichnet wird. Eine Sauerstoffunterversorgung und eine allgemeine Gewebeschädigung sind die logischen Konsequenzen der Blutarmut.
Bei werdenden Müttern wird ein Antikörpersuchtest gemacht, um herauszufinden, ob die Gefahr von Morbus haemolyticus neonatorum für ihr Kind besteht. Durch diesen Test können Antikörper gegen für die Frau fremde Blutgruppenmerkmale nachgewiesen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass solch ein Test positiv ausfällt, ist jedoch sehr gering (nur bei 0,24 Prozent der schwangeren Frauen werden entsprechende Antikörper festgestellt). Dementsprechend klein ist auch die Zahl der Kinder, die an Morbus haemolyticus neonatorum leidet. Die Prophylaxe (Anti-D-Prophylaxe) sorgt in der heutigen Zeit dafür, dass die Erkrankungshäufigkeit der Rhesus-Unverträglichkeit sehr gering ist.
Noch dazu ist der Verlauf eines Morbus haemolyticus neonatorum nicht immer so stark ausgeprägt, dass eine Behandlung erforderlich ist. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Mutter AB-Antikörper aufweist und das Kind die Blutgruppe AB hat.
Bei erstgeborenen Kindern tritt Morbus haemolyticus neonatorum weniger häufig auf als bei Kindern, deren Mutter bereits mindestens ein Kind bekommen hat. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei der Mutter zunächst eine Sensibilisierung gegen bestimmte Blutgruppenmerkmale vorliegen muss. Nur dann besteht die Gefahr von Morbus haemolyticus neonatorum für einen Fetus, der genau diese Blutgruppenmerkmale aufweist. Eine Sensibilisierung gegen bestimmte Blutgruppenmerkmale ist immer erworben und nicht angeboren.
Die folgenden Symptome weisen bereits im Mutterleib auf diese Krankheit hin:
Diese Symptome lassen sich mittels einer Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft bereits beim ungeborenen Kind nachweisen. Im Anschluss an die Entbindung fallen folgende Symptome bei Kindern, die an Morbus haemolyticus neonatorum leiden, außerdem auf:
Während der Schwangerschaft unterziehen sich die werdenden Mütter einem sogenannten Antikörpersuchtest. Dieser wird mittels einer Blutentnahme durchgeführt. Über diesen Test kann nachgewiesen werden, ob die Mutter Antikörper gegen für sie fremde Blutgruppenmerkmale gebildet hat, so dass ein Risiko von Morbus haemolyticus neonatorum besteht. Dabei deckt dieser Test nicht nur die bereits beschriebene Rhesusunverträglichkeit ab. Vielmehr gibt es auch andere Blutgruppenmerkmale, die mit einer geringeren Frequenz für Morbus haemolyticus neonatorum relevant sind.
Der Test auf die irregulären Blutgruppenantikörper wird in der frühen Schwangerschaft durchgeführt. Zwischen der 24. und 27. Schwangerschaftswoche wird der Test erneut durchgeführt, falls der erste Test negativ ausgefallen ist. Noch dazu sind betroffene Mütter unter einer regelmäßigen Ultraschallüberwachung, bei denen Kinder mit einem Verdacht auf Morbus haemolyticus genau unter Beobachtung stehen. Dies ist dringend erforderlich, um gegebenenfalls nötige Behandlungsmaßnahmen noch im Mutterleib durchführen zu können. Eine Blutabnahme ist über die Nabelschnur möglich. So lässt sich die Anämie diagnostizieren.
Im Anschluss an die Geburt der Kinder mit einem Verdacht auf Morbus haemolyticus neonatorum wird ein Coombs-Test durchgeführt. Dazu wird dem Kind Blut abgenommen. Das Blutbild verrät, ob sich Antikörper auf den roten Blutkörperchen des Kindes befinden. Weitere Blutuntersuchungen können im Anschluss an die Diagnose angeordnet werden, um weitere Blutparameter zu bestimmen, die sich auf die Therapie von Morbus haemolyticus neonatorum auswirken.
Wenn Morbus haemolyticus neonatorum bereits während der Schwangerschaft als Problem erkannt wird, erfolgt die Behandlung noch im Mutterleib. Um die Kinder vor den weitreichenden Konsequenzen der Blutarmut zu schützen, kommt möglicherweise eine Blutübertragung zum Einsatz. Diese wird beim Kind im Mutterleib nur bei sehr schwerwiegendem Krankheitsverlauf durchgeführt. Die Bluttransfusion wird über die kindliche Nabelschnur durchgeführt und das Kind bekommt damit rote Blutkörperchen, die das Merkmal nicht aufweisen, gegen das sich die mütterlichen Antikörper richten. So soll sich ein Hydrops fetalis mit all seinen Gesundheitsrisiken gar nicht erst entwickeln können.
Im Anschluss an die Geburt müssen die betroffenen Kinder weiter behandelt werden. Häufig wird eine Phototherapie genutzt. Die Kinder werden mit einem blauen, kurzwelligen Speziallicht bestrahlt. Rund 50 Prozent der Kinder benötigen nach der Geburt keine Therapie. Bei vielen Kindern mit leichter Erkrankungsform ist zudem die Phototherapie ausreichend.
Bei anderen Kindern mit Morbus haemolyticus neonatorum kann eine Blutaustauschtransfusion zusätzlich erforderlich werden. Bei der Austauschtransfusion erhalten die Kinder, die von dieser Krankheit mit einer besonderen Schwere betroffen sind, nicht nur neues Blut, sondern ihr komplettes Blut wird ausgetauscht. Das kindliche Blut der Neugeborenen wird zu 100 Prozent mit Spenderblut ersetzt. Eventuell werden Immunglobuline (Antikörper-Präparate) gegen die Blutarmut verabreicht.
Diese Maßnahmen sind im Anschluss an die Geburt allerdings meist nur erforderlich, wenn keine vorbeugenden Maßnahmen ergriffen wurden und keine Therapie im Mutterleib stattgefunden hat. Es ist sehr selten, dass diese Behandlung im Anschluss an die Geburt nötig ist, sofern zuvor bereits vorbeugende und Behandlungsmaßnahmen im Mutterleib ergriffen wurden.
Falls die Kinder von einem schwerwiegenden Hydrops fetalis betroffen sind, handelt es sich um einen akuten Notfall. Verschiedene intensivmedizinische Maßnahmen müssen dann bereits im Kreißsaal ergriffen werden. Um das Leben der Kinder zu retten, werden sie sofort intubiert (mit einem Beatmungsschlauch versorgt) und anschließend künstlich beatmet. Bei solch einer Schwere der Krankheit hat die Bluttransfusion sofort zu erfolgen. Zur Linderung der Ergüsse in Bauch- und Brusthöhle werden die betroffenen Regionen punktiert, das heißt, es wird eine Kanüle eingeführt, um die Flüssigkeit abfließen zu lassen.
Je früher die Gefahr von Morbus haemolyticus neonatorum erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Bei einem großen Prozentsatz der Kinder klingt die Krankheit ohne eine Behandlung oder nur mit Einsatz der oben beschriebenen Lichttherapie ab. Allerdings kann Morbus haemolyticus neonatorum in besonders schweren Fällen ein lebensbedrohliches Ausmaß annehmen, insbesondere wenn keine Behandlung erfolgt. Es besteht die Gefahr, dass die Kinder an den Folgen von Morbus haemolyticus neonatorum versterben können.
Zur Prophylaxe gegen Morbus haemolyticus neonatorum kommen die regelmäßigen Antikörpersuchtests während der Schwangerschaft zum Einsatz. Somit können die gesundheitlichen Risiken für das Kind durch das rechtzeitige Ergreifen der erforderlichen Therapiemaßnahmen minimiert werden. Rh-negative Schwangere erhalten in der 28. SSW sowie spätestens drei Tage nach der Geburt von einem Rh-positivem Kind ein Mittel, welches Antikörper gegen das entsprechende Rhesus-Merkmal enthält. Damit soll die Mutter daran gehindert werden, eigene Antikörper zu bilden, die für ein mögliches weiteres Kind zum Problem werden könnten. Die Sensibilisierung, welche die Grundlage für Morbus haemolyticus neonatorum ist, kann auf diesem Weg vermieden werden. In folgenden Situationen wird gleichermaßen vorgegangen, um einer derartigen Sensibilisierung aus dem Weg zu gehen:
Sofern die betroffenen Frauen die sogenannte Anti-D-Prophylaxe erhalten haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind an Morbus haemolyticus neonatorum erkranken wird, sehr gering.
aktualisiert am 06.06.2019