Als Hyperemesis gravidarum (übermäßiges Erbrechen während der Schwangerschaft) wird ein meist über den ganzen Tag und in der Nacht auftretendes unstillbares Erbrechen während der Frühschwangerschaft bezeichnet. Es tritt meist ab der 5. Schwangerschaftswoche auf und klingt mit der 14. Schwangerschaftswoche ab. Vereinzelt kommt es während der gesamten Schwangerschaft zu Erbrechen und Übelkeit. Weltweit leiden 0,5 bis 2 Prozent der schwangeren Frauen unter dieser sehr extremen Form des Erbrechens.
Die genaue Ursache für die extreme Form der Schwangerschaftsübelkeit ist bisher nicht eindeutig geklärt. Vermutlich spielen physiologische und psychologische Faktoren eine Rolle. Eine erhöhte Produktion von humanem Choriongonadotropin (hCG), ein in der Plazenta produziertes Hormon, steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit dieser extremen Form von Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft. Auch andere Hormone (Östrogen oder Progesteron) scheinen eine Hyperemesis auslösen zu können. Doch auch hier fehlen eindeutige Beweise. Studienergebnisse sind teilweise widersprüchlich. Dass Hormone eine Rolle spielen, gilt als gesichert. Aber es ist nicht klar, ob die hohe Hormonproduktion Auslöser der Hyperemesis gravidarum ist oder ob einige Frauen besonders empfindlich auf eine gesteigerte Hormonproduktion reagieren.
Eine weitere Vermutung ist, dass eine chronische Infektion mit dem Helicobacter pylori im Zusammenhang mit einer Hyperemis gravidarum steht. Bei 85 Prozent der betroffenen Patientinnen konnte eine solche Infektion nachgewiesen werden. Eine vorübergehende, selbstlimitierende Schilddrüsenüberfunktion kann ebenfalls an der Entstehung beteiligt sein. Diese besteht bis zur 18. Schwangerschaftswoche und ist nicht behandlungsbedürftig. Außerdem werden psychosomatische Ursachen vermutet, wie beispielsweise
Klinische Symptome sind meist unspezifisch. Die Patientinnen leiden unter anhaltenden, übermäßigem, ganztägigen Erbrechen. Der Flüssigkeitsmangel führt zu Austrocknung (Dehydration) und einem Gewichtsverlust von mehr als fünf Prozent des Körpergewichts. Grund ist der hohe Flüssigkeitsverlust durch das Erbrechen. Ständiges Erbrechen resultiert zudem in Elektrolytentgleisungen mit einer verminderten Konzentration von Chloridionen im Blut (Hypochlorämie), und einer gefährlichen Stoffwechselentgleisung mit Auftreten hoher Konzentration von Ketonkörpern im Blut (metabolische Ketoazidose und Ketonämie). Schwerwiegende Verlaufsformen können mit einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinbefindens, Temperaturerhöhungen und Leberbeteiligung mit Ikterus führen. Selten kommt es zur geistigen Verlangsamung, die bis ins Delirium reichen kann.
Neben den klinischen Symptomen spielen laborchemische Untersuchungen eine Rolle für die Diagnose. Richtungsweisend ist eine Blutuntersuchung (Hämatokrit, Bilirubin, Elektrolyte, Schilddrüsenwerte, Transaminasen) und der Urinstatus (Ketonkörper, Azidurie, spezifisches Gewicht). Außerdem werden Ultraschalluntersuchungen zur Bestätigung einer bestehenden Schwangerschaft in der Gebärmutter (intrauterinen Gravidität) sowie zur Untersuchung auf Mehrlingsschwangerschaft, Trophoblasterkrankung (unregelmäßige Blutungen und Unterbauchbeschwerden nach Eintritt der Schwangerschaft) oder Neoplasie (Neubildung von Körpergewebe) durchgeführt.
Differentialdiagnostisch sind andere schwangerschaftsbedingte Ursachen für Erbrechen zu nennen. Die häufig vorkommende Emesis gravidarum (Schwangerschaftsübelkeit), mit meist morgendlicher Übelkeit in deutlich niedriger Frequenz, ohne Gewichtsverlust oder Dehydration der Patientinnen. Außerdem Präeklampsie (frühes Stadium der Eklampsie im 2. oder 3. Trimenon) sowie akute Leberverfettung. Auch Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes (zum Beispiel Gastroenteritis, Blinddarmentzündung (Appendizitis), Leberentzündung (Hepatitis), Darmverschluss (Ileus), Leber- und Gallengangserkrankungen, Magengeschwür (Ulcus ventriculi)) sowie Erkrankungen außerhalb des Magen-Darm-Traktes (zum Beispiel urogenital oder metabolisch) sind abzugrenzen.
Übelkeit und Erbrechen sind in der Frühschwangerschaft meist selbstlimitierend und werden rein symptomatisch, in Abhängigkeit der klinischen Verlaufsform, behandelt. Leichte Fälle werden zunächst mit Ernährungsumstellung und eventueller Gabe leichter Antazida behandelt. Bewährte Medikamente sind Anticholinergika oder Antihistaminika mit Wirkstoffen wie Dimenhydrinat oder Diphenhydramin. Bei schwererem Verlauf können Ondansetron und Promethazin ohne negative Wirkungen auf den Fetus eingesetzt werden. Ondansetron wurde ursprünglich bei der Behandlung der Übelkeit von Krebspatienten eingesetzt. Die Gabe von Vitamin B6 scheint zusätzlich einen positiven Einfluss zu nehmen. Begleitend wird unabhängig von der Verlaufsform eine psychosomatische Unterstützung empfohlen. Auch die Einnahme von Ingwer und Akupressur können die Behandlung unterstützen.
Schwere Verlaufsformen mit Elektrolytentgleisungen sollten stationär behandelt werden. Betroffenen Patientinnen erhalten Volumen- und Elektrolytersatz bei Nahrungskarenz. Sie erhalten außerdem Antiemetika sowie intravenöse Infusionen mit Kohlenhydrat- und Aminosäurelösungen. Eine stationäre Betreuung sollte bis zum Sistieren (Stillstand) des Erbrechens dauern.
Da die Ursache der Hyperemsis gravidarum noch unbekannt ist, besteht die Behandlung aus einer rein symptomatischen Therapie, die oft nur unzureichend ist.
Für die Prognose spielen mögliche Folgeerscheinungen eine bedeutende Rolle. So kann sehr starkes, anhaltendes Erbrechen zu Speiseröhrenrissen (Speiseröhrenrupturen) führen. Auch Pneumothorax, Präeklampsie (Bluthochdruck in der Schwangerschaft), Neuropathien (Erkrankungen des peripheren Nervensystems) sowie eine Verzögerung des Wachstums des Fetus (fetale Wachstumsretardierung) verschlechtern die Prognose.
Letzte Aktualisierung am 11.12.2023.