Die WHO definiert Frühgeborene als lebend geborene Kinder vor der Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche und mit einem Geburtsgewicht über 500 Gramm. Gleichermaßen gelten alle Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 2500 Gramm als Frühgeborene. Ein Kind, das nach der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt und zu wenig wiegt, wird oft als Mangelgeborenes oder mit dem englischen Ausdruck "small for gestational age" (klein für die bisherige Schwangerschaftsdauer) bezeichnet. Die moderne Medizin ermöglicht es, dass vereinzelt Kinder mit einem Geburtsgewicht von unter 500 Gramm zur Welt kommen. Hierfür fehlt eine Definition.
In Deutschland werden etwa sechs Prozent der Kinder zu früh geboren. Ein Prozent der Kinder hat ein Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm. Frühgeburten sind für den größten Anteil der Säuglingssterblichkeit in Deutschland verantwortlich.
Es gibt sehr viele unterschiedliche Ursachen für eine Frühgeburt. Die häufigsten Ursachen sind Infektionen. Ist die Vagina der Mutter mit bestimmten Keimen besiedelt (z. B. Gardnerella vaginalis, Streptokokken der Gruppe B), können diese Keime den Geburtskanal hinaufwandern. Während ihrer Wanderung produzieren sie als eine Art Stoffwechselprodukt die Prostaglandine. Prostaglandine sind allerdings auch Stoffe, die der Körper der Mutter bildet, um eine Geburt einzuleiten. Normalerweise würden diese Prostaglandine gebildet, wenn nach 40 Schwangerschaftswochen der Zeitpunkt für eine Geburt gegeben ist und die Gebärmutter sich zusammenziehen soll, also die Frau Wehen bekommen soll. Bei einer entsprechenden Infektion erzeugen die Bakterien die Prostaglandine und dem Körper der Mutter wird sozusagen eine vollendete Schwangerschaft vorgespielt. Gleichzeitig bedroht aber eine Infektion der Mutter auch als solche das Kind. Eine Infektion, die bei einem erwachsenen Menschen ohne größeren Schaden abläuft, kann bei einem Kind stärker und schlimmer verlaufen.
Das Risiko einer Infektion der Vagina steigt mit ihrem pH-Wert. Normalerweise sollte in der Vagina ein saures Milieu (niedriger pH-Wert) herrschen. Dafür sorgen die so genannten Döderlein-Bakterien, die zur normalen und gesunden Vaginalflora gehören. In einer Schwangerschaft vermindert sich die Anzahl der Döderlein-Bakterien und die Gefahr für eine Infektion mit pathogenen (krankmachenden) Keimen steigt.
Ein weiterer Grund für eine Frühgeburt kann Platzmangel sein. Nimmt der Platz in der mütterlichen Gebärmutter zu sehr ab, beginnen Wehen. Gründe für einen Platzmangel können Erkrankungen der Mutter, Erkrankungen des Kindes und Mehrlingsgeburten sein.
Leidet die Mutter unter Geschwülsten der Gebärmutter (z. B. Myome) oder unter Fehlbildungen der Gebärmutter, ist der zur Verfügung stehende Platz geringer und es kann zur Frühgeburt kommen.
Erkrankungen des Kindes, die eine Frühgeburt provozieren können, betreffen vorwiegend den Magen-Darm Trakt. Normalerweise trinkt das Kind das Fruchtwasser in der Gebärmutter. Bei Fehlbildungen des Magen-Darm Traktes wird vom Kind weniger Fruchtwasser getrunken. Die Fruchtwassermenge nimmt zu und der Platz in der Gebärmutter nimmt ab.
Wird das Kind im Bauch der Mutter unzureichend mit Nährstoffen versorgt, kommt es zum Schutz des Kindes oft zur Frühgeburt. Eine Unterversorgung mit Nährstoffen liegt z. B. dann vor, wenn der Mutterkuchen (Plazenta) erkrankt ist.
Generell können Erkrankungen der Mutter, die auch ganz andere Körperteile betreffen, zu einer Frühgeburt führen. So erblicken z.B. Kinder einer an Zucker (Diabetes mellitus) erkrankten Mutter, statistisch gesehen früher das Licht der Welt. Weitere Risikofaktoren sind Zigaretten rauchen, Drogenkonsum, Stress und ein besonders niedriges oder besonders hohes Alter der Mutter. Alle hier aufgeführten Faktoren können zu einer Frühgeburt führen, müssen es aber nicht zwingend.
Vorzeitige Wehentätigkeit, Blutabgang aus der Scheide und ein vorzeitiger Blasensprung sind die Vorboten einer Frühgeburt. Vorzeitige Wehen machen sich meist in Form von ziehenden Schmerzen im Bereich des Kreuzes bemerkbar.
Symptome einer vaginalen Infektion entwickeln sich häufig sehr spät, oftmals erst dann, wenn die Infektion schon Schaden angerichtet hat. Ein Zeichen einer Infektion ist der steigende pH-Wert in der Vagina. Normalerweise liegt der pH-Wert unter 4,5; durch die Verdrängung der normalen Bakterien steigt der pH-Wert.
Probleme der Frühgeborenen resultieren daraus, dass Organe noch nicht fertig ausgereift sind. Der Grad der Ausreifung hängt vom Schwangerschaftsalter ab.
Eines der häufigsten Probleme ist die Atmung. Während der Schwangerschaft wird von der kindlichen Lunge ein Stoff gebildet, der so genannte Surfactant. Surfactant ist ein Faktor, der dafür sorgt, dass sich die Lungen entfalten können. Kommt das Kind zu früh zur Welt, ist noch nicht genug Surfactant gebildet worden. Die Lungen kollabieren bei der Geburt. Deswegen werden die Kinder mit einem Schlauch in der Lunge beatmet. Die Beatmung ist für das Überleben notwendig, kann aber auch Nebenwirkungen hervorrufen.
Die Form, in der dem Kind Sauerstoff zugeführt wird, kann die Augen schädigen. Deswegen haben viele Frühgeborene später Folgeschäden an den Augen. Um die Augen zu schonen, wird versucht, mit möglichst wenig Sauerstoff zu arbeiten.
Eine weitere Problematik kann sich aus den Krankheitskeimen ergeben. Die Infektion der Mutter, die zu einer Frühgeburt geführt hat, kann auf das Kind übergreifen. Da das Immunsystem des Kindes noch nicht ausgereift ist, führt die harmlose Infektion der Mutter oft zu ernsthaften Erkrankungen des Kindes wie Hirnhautentzündung oder Lungenentzündung.
Die Blutgefäße im Gehirn des Kindes sind noch nicht so gut entwickelt und widerstandsfähig wie die eines Erwachsenen. Das führt dazu, dass die Blutgefäße bei Blutdruckschwankungen leicht einreißen. In diesem Fall entstehen Gehirnblutungen. Die Möglichkeiten, einer Gehirnblutung vorzubeugen, sind gering. Ebenso gibt es wenig Möglichkeiten, dem Kind bei einer Gehirnblutung zu helfen.
Bei Hinweisen auf eine drohende Frühgeburt (vorzeitige Wehen, vorzeitiger Blasensprung) macht der Arzt einen Ultraschall. Er kann bei einem Ultraschall das Alter des ungeborenen Kindes anhand seiner Länge bestimmen. Er sieht im Ultraschall auch, ob das Herz des Fötus schlägt. Das Aussehen des Gebärmutterhalses (Zervix) gibt einen Hinweis darauf, ob bald eine Frühgeburt ansteht. Ist die Zervix verlängert und trichterförmig ausgeweitet, kann es zur Frühgeburt kommen. Mit einem Wehenschreiber (CTG, Cardiotokographie) können vorzeitige Wehen sichtbar gemacht werden. Hierbei wird auch die kindliche Herzfrequenz abgebildet, die bei einer Gefährdung des Kindes verändert ist. Um den Grad der kindlichen Lungenreifung in der Gebärmutter zu bestimmen, kann auch Fruchtwasser entnommen und untersucht werden (Amniozentese). Im Fruchtwasser befinden sich die beiden Stoffe Lecithin und Sphingomyelin. Ist das Verhältnis der Menge an Lecithin zur Menge an Sphingomyelin größer als 2,0, so kann von einer ausreichenden Lungenreife ausgegangen werden.
Nach der Geburt wird das frühgeborene Kind auf seine Reife hin untersucht. Die Anspannung der Muskulatur, die Bewegungen, das Aussehen der Genitalien und viele weitere Faktoren werden von einem Kinderarzt eingehend untersucht. Der APGAR-Punktewert, der bei einer normalen Geburt erhoben wird und vorne in den Mutterpass eingetragen wird, ist bei einem Frühgeborenen nur eingeschränkt beurteilbar.
Durch die moderne Medizin ist es heute möglich, Frühgeborene ab einem Geburtsgewicht von etwa 500 Gramm (entspricht ungefähr der 23. Schwangerschaftswoche) am Leben zu halten. Auch bei noch geringerem Gewicht gibt es noch Chancen, das Kind zu retten. Ist die Schwangerschaft noch nicht in der 22.-23. Schwangerschaftswoche, muss allerdings versucht werden, die Schwangerschaft zu erhalten. Würde das Kind zu diesem Zeitpunkt zur Welt kommen, ist die Überlebenswahrscheinlichkeit gering.
Bei einem Infekt der Mutter werden Antibiotika, die das Ungeborene nicht schädigen, gegeben.
Sind vorzeitige Wehen vorhanden, müssen diese durch ein wehenhemmendes Mittel gestoppt werden (Tokolyse). Medikamente zur Tokolyse enthalten als Wirkstoff Magnesium, Fenoterol oder Atosiban. Magnesium wirkt an der Gebärmutter genauso entspannend auf die Muskulatur wie z. B. bei Wadenkrämpfen. Fenoterol wirkt ähnlich wie der so genannte Symphatikus. Er führt über das vegetative Nervensystem zur Entspannung der Gebärmutter. Atosiban blockiert Rezeptoren, die normalerweise durch das körpereigene Oxytocin besetzt werden. Oxytocin wird vom Körper der Mutter ausgeschüttet, um Wehen zu erzeugen.
Liegt eine Schwäche des Gebärmutterhalses (häufig bei Mehrlingsschwangerschaften) vor, kann um den Gebärmutterhals ein Faden gelegt werden, der diesen verschließt. Diese Methode wird Cerclage genannt.
Bei einer drohenden Frühgeburt nach der 23. und vor der 34. Schwangerschaftswoche besteht eine Zwickmühle. Einerseits sollte die Geburt möglichst lange hinausgezögert werden, um eine weiterer Reifung der Lunge zu erlangen, andererseits besteht das Risiko, dass das Kind geschädigt wird. Die Mutter erhält in diesem Fall ein Medikament, dass die Lungenreifung und die Bildung von Surfactant anstößt.
Frühgeborene werden in der Regel mittels Kaiserschnitt (Sectio) zur Welt gebracht, da dadurch der Stress einer normalen Geburt für das Kind entfällt. Im Anschluss wird das Kind von einem auf Neugeborene spezialisierten Kinderarzt (Neonatologen) versorgt. Je nach Zustand des Kindes wird es im Anschluss an die Geburt beatmet. Die Ernährung erfolgt meist über eine Nadel in einer Vene und über eine Magensonde. Durch die Magensonde wird Muttermilch gegeben, da sie wichtige Nährstoffe für das Kind enthält.
Hatte die Mutter eine Infektion, erhält das Kind prophylaktisch ein Antibiotikum. Frühgeborene brauchen neben intensiver medizinischer Betreuung auch sehr engen Kontakt zu den Eltern. Auf Frühchenstationen werden Eltern bewusst mit in die Pflege ihres Kindes einbezogen. Eine Entlassung des Kindes nach Hause erfolgt frühestens ab einem Gewicht von 2500 Gramm. Dieses Gewicht erreichen die meisten Kinder kurz nach ihrem errechneten Geburtstermin.
Die Prognose eines Frühgeborenen hängt in aller erster Linie von der Schwangerschaftswoche ab, in der das Kind geboren wurde. Das Geburtsgewicht spielt erst in zweiter Linie eine Rolle.
Wird ein Kind vor der 22. Schwangerschaftswoche geboren, hat es kaum Überlebenschancen. Die Organe sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereift. Nur 10 Prozent der Frühgeborenen in der 22. Schwangerschaftswoche überleben, 20 Prozent der Frühgeborenen in der 23. Schwangerschaftswoche. Ab der 24. vollendeten Schwangerschaftswoche überleben bereits 60 Prozent der Kinder. Das liegt daran, dass schon ein wesentlicher Schritt der Lungenreife vollendet wurde. Ab der 25. Schwangerschaftswoche überleben ca. 80 Prozent der Frühgeborenen.
Von den überlebenden extrem früh geborenen Kindern (vor der 26. Schwangerschaftswoche) hat ein Drittel schwere geistige und körperliche Schäden. Ein weiteres Drittel hat leichte Schäden, und nur ein Drittel entwickelt sich normal. Hier spielt auch das Gewicht eine Rolle. Ab einem Geburtsgewicht von 1000 Gramm steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit auf 95 Prozent und das Risiko einer Behinderung sinkt unter 10 Prozent.
Um einer Frühgeburt vorzubeugen, muss während einer Schwangerschaft auf Nikotin und Alkohol unbedingt verzichtet werden. Ebenso sollten körperlicher und psychischer Stress vermieden werden. Die Ernährung der Schwangeren sollte ausgewogen sein. Die vorgeschriebenen Schwangerschaftsuntersuchungen sind Pflicht für eine werdende Mutter. Vorzeitige Wehen müssen ernst genommen werden. Hier kann verstrichene Zeit das Leben kosten.
Um eine bakterielle Infektion der Vagina möglichst früh zu erkennen, wird der pH-Wert der Vagina zweimal pro Woche gemessen. Bei einem auffällig hohen pH (über 4,4) wird eine Kontrolle bei einem Gynäkologen durchgeführt. Gleiches gilt für Symptome wie Brennen beim Wasserlassen, Juckreiz in der Vagina und Ausfluss.
Ist es bereits einmal in der Familie zu einer Frühgeburt gekommen, muss der behandelnde Arzt das wissen. Es kann ein erhöhtes Risiko für eine erneute Frühgeburt bestehen.
Frühgeborene sollten immer in einer Klinik mit spezialisierter Abteilung (Neonatologie) entbunden werden, keinesfalls in einem Geburtshaus oder zu Hause. Das Kind braucht intensive medizinische Betreuung vom ersten Atemzug an.
Die Mutter sollte intensiven körperlichen Kontakt mit dem Frühgeborenen pflegen, soweit die Umstände es zulassen. Studien haben gezeigt, dass Körperkontakt und elterliche Fürsorge die Sterblichkeit der Kleinen signifikant senken.
Ein frühgeborenes Kind kann das Leben einschneidend verändern. In Selbsthilfegruppen finden sich Menschen zusammen, denen es ähnlich ergeht.
aktualisiert am 07.05.2019