Der Morbus Scheuermann, oder auch Adoleszenzkyphose, ist eine Erkrankung, die sich im Jugendalter in Wachstumsstörungen der Wirbelsäule bemerkbar macht. Die Krankheit wurde nach ihrem Erstbeschreiber, dem dänischen Arzt Holger W. Scheuermann (1877-1960), benannt.
Die Erkrankung zeigt sich typischerweise in einem Alter von 11 bis 14 Jahren. Es kommt zu einer schmerzhaften Fehlhaltung mit Rundrücken, der überwiegend die Brustwirbelsäule betrifft. Zudem ist die Beweglichkeit der Wirbelsäule vermindert. Der Morbus Scheuermann ist die häufigste Wirbelsäulenerkrankung bei Jugendlichen. Bei Jungen findet sich die Scheuermann-Erkrankung etwa doppelt so häufig wie bei Mädchen.
Warum es zu dem schmerzhaften Rundrücken kommt, konnten Mediziner bisher nicht genau herausfinden. Das Wachstumsverhalten der Wirbelkörper ist jedenfalls verändert, so dass sie im vorderen Bereich zeitweise schlechter wachsen (niedriger sind) als weiter hinten. Somit kommt es zu einer keilförmigen Veränderung der Wirbelkörper, die normalerweise recht ebene und waagerechte Ober- und Unterflächen aufweisen. Beim Morbus Scheuermann summiert sich die Verformung der Wirbelkörper zu einer so genannten Kyphose, also einer Krümmung nach vorne. Die Veränderungen zeigen sich in der Brustwirbelsäule und bei wenigen Betroffenen auch einmal in der Lendenwirbelsäule.
Die Ober- und Unterseitenplatten der Wirbelkörper sind vermutlich geschwächt. Möglicherweise spielt Gewebe der Bandscheiben eine Rolle, das in die wachsenden Wirbelkörper hineingelangt. Doch auch weitere Erklärungen sind denkbar, etwa eine genetische Veranlagung oder Abweichungen der Wirbelkörperstruktur. Wenn ein Jugendlicher lange mit vorgebeugtem Rücken sitzt, kann dies die Entstehung des Morbus Scheuermann begünstigen. Auch geschwächte Rückenmuskeln spielen eine Rolle. Sobald der Betroffene nicht mehr wächst, schreitet auch die Scheuermann-Erkrankung nicht weiter voran.
Bei der Scheuermann-Erkrankung bestehen in vielen Fällen keine größeren Beschwerden. Die typischen Symptome können in geringer Ausprägung vorliegen oder sich deutlicher bemerkbar machen.
An der Brustwirbelsäule ist eine Rundung nach vorne auffällig (Kyphose). Manchmal kommt eine Formveränderung zusätzlich in der Lendenwirbelsäule vor, die dort als so genannter Flachrücken bemerkt werden kann. Die Lendenwirbelsäulenveränderungen können sich auch unabhängig von der Brustwirbelsäulenkrümmung finden, dann wirkt der Rücken des Patienten auffallend gerade. Bei der ansonsten typischen Haltung von Patienten mit Morbus Scheuermann stehen die Schultern nach vorne, und das knöcherne Becken ist entsprechend ebenfalls verkippt. Die Brustwirbelsäule ist bei Scheuermann-Betroffenen schlechter beweglich als bei Vergleichspersonen. Dies gilt insbesondere für die Drehung (Rotation) im oberen Rumpf. Bei vielen Betroffenen zeigt sich zusätzlich aufgrund der Wirbelveränderungen eine seitliche Krümmung der Wirbelsäule (Skoliose).
Einige Patienten mit Morbus Scheuermann leiden an Rückenschmerzen. Bei Jugendlichen sind sie noch eher selten (rund 20 Prozent), doch finden sie sich bei erwachsenen Betroffenen vermehrt. Die Schmerzen können in der Brustwirbelsäule und auch in der Lendenwirbelsäule vorkommen. Die Wirbelsäule von Betroffenen kann nur noch im geringeren Ausmaß Belastungen aufnehmen. Dies wird hauptsächlich dann bemerkt, wenn schwere Arbeiten verrichtet werden oder Krafttraining ausgeübt wird.
Bei einem Morbus Scheuermann kommen zudem oft Bandscheibenveränderungen und -schäden vor. Anteile der Bandscheibe werden in Richtung der Wirbelkörper gepresst und können dort zu richtigen Dellen im Knochen führen. Weitere Folgen der Erkrankung können Verschleißerscheinungen an den Wirbelsäulengelenken (Wirbelsäulen-Arthrose) sowie Schäden an Bändern und Muskeln sein.
Das Erkrankungsgeschehen des Morbus Scheuermann ist beendet, sobald das Wachstum der Person abgeschlossen ist. Die bereits erworbenen Veränderungen bleiben allerdings bestehen.
Die Diagnose geschieht vor allem über die charakteristischen Veränderungen, die der Arzt bei der körperlichen Untersuchung sieht. In der Anamnese (Befragung des Patienten) interessiert den Arzt unter anderem, ob Rückenschmerzen vorhanden sind und ob es früher schon Veränderungen oder Erkrankungen gab. Bei der Beurteilung des Rückens fällt besonders die Kyphose (Rundung nach vorne) in der Brustwirbelsäule auf, auch ist die Beweglichkeit vermindert. Um eine genaue Diagnose zu ermöglichen, wird eine Röntgenaufnahme oder auch eine Computertomographie (CT) angefertigt. Auf den Bildern sind Veränderungen der Wirbel zu sehen wie die Keilform, die Einbuchtungen von Knorpel in die Wirbelkörper (Schmorl-Knötchen) oder auch Verflachungen der Wirbelzwischenräume. Ein besonders frühzeitiges Erkennen der Scheuermann-Erkrankung ist im MRT (Kernspintomographie) möglich, die aber keine Routineuntersuchung darstellt. Es kommt vor, dass ein Morbus Scheuermann als erstes während einer Röntgenuntersuchung aus anderen Gründen auffällig wird.
Zur Diagnostik gehört auch die Bestimmung des Schweregrades des Morbus Scheuermann. Die Einteilung geschieht nach der Cobb-Methode, eine Winkelmessung, die anhand der Röntgenaufnahme gelingt. In vielen Fällen werden auch noch weitere Messungen an der Wirbelsäule durchgeführt (Schober-Methode, Ott-Methode).
Die Grenze zum Normalbefund kann schwer zu ziehen sein, manchmal finden sich nur leichte Veränderungen im Sinne eines Morbus Scheuermann ohne echten Krankheitswert. Vor allem bei Erwachsenen kann als zu unterscheidende Diagnose ein Morbus Bechterew (eine rheumatische Erkrankung mit Wirbelsäulenverkrümmung) in Frage kommen. Außerdem sind Erkrankungen mit Schwächung der Knochensubstanz wie beispielsweise Osteoporose auszuschließen.
Die Scheuermann-Krankheit wird mit dem Ziel behandelt, das Krankheitsgeschehen aufzuhalten und möglichst auch eine Korrektur bereits eingetretener Verkrümmungen zu erreichen. Gerade wenn sich der Patient noch im Wachstum befindet, helfen einfache Methoden. Eine Operation ist in der Regel nur dann notwendig, wenn sich ausgeprägte bleibende Veränderungen gebildet haben. Der Eingriff wird normalerweise beim schon erwachsenen Patienten durchgeführt, wenn das Körperwachstum beendet ist.
Im Wesentlichen besteht die Behandlung der Scheuermann-Erkrankung aus einer Entlastung des Rückens. Bereits eine Krankengymnastik mit Rückenmuskeltraining hilft, die Wirbelsäule beweglich zu halten und zu unterstützen. Sportarten wie z. B. Schwimmen sorgen ebenfalls für eine schonende Stärkung des Rückens. Zu starke Rückenbelastungen (Tragen von größeren Gewichten, schwere Arbeit, Kraftsport) sollten dagegen vermieden werden. Wichtig ist es, im Alltag darauf zu achten, eine aufrechte Sitzhaltung einzunehmen.
Bei einem stark verkrümmten Rücken sowie auch bei Schmerzen durch den Morbus Scheuermann kann sich die Therapie mit einem Korsett anbieten. Das Korsett zieht die Wirbelsäule in eine bessere Haltung und stützt sie dabei. Das Stützkorsett wird meist erst Tag und Nacht getragen (außer z. B. zum Waschen), später reicht es, es nur in der Nacht anzulegen.
Falls Schmerzen auftreten, können entsprechend Schmerzmedikamente gegeben werden. Bisweilen werden auch andere Methoden aus der Schmerztherapie beziehungsweise physikalische Maßnahmen angewendet.
Bei einem beträchtlichen Rundrücken wird im Erwachsenenalter eine Operation zur Korrektur der Wirbelsäule durchgeführt. Die Wirbelsäule wird aufgerichtet, indem Knochenstückchen entfernt oder eingesetzt werden, und mit Metallstäben verstärkt.
Die Aussichten bei einer Scheuermann-Krankheit sind in den meisten Fällen günstig. Mit einer konsequenten Behandlung und Beachtung der Verhaltensregeln kann das Krankheitsgeschehen oft weitgehend aufgehalten werden. Manchmal handelt es sich jedoch auch um eine schwere Verlaufsform, die schon früh zu einem Rundrücken und zu Beschwerden führt. In diesem Fall ist die Prognose verschlechtert.
Das Fortschreiten der Erkrankung stoppt mit dem Erreichen des Erwachsenenalters. Die Veränderungen, die bis zu diesem Zeitpunkt entstanden sind, gehen von alleine nicht wieder zurück. Dann muss gegebenenfalls eine Operation erfolgen. Meist lässt sich die Wirbelsäule gut aufrichten und stabilisieren, jedoch verhilft auch der Eingriff nicht in jedem Fall zum kompletten Erfolg.
aktualisiert am 08.11.2022