Ein Sturz beim Sport oder ein Autounfall gehören zu den Ursachen, die ein Schädel-Hirn-Trauma (kurz SHT) herbeiführen. Während die leichteste Form des Schädel-Hirn-Traumas, die Gehirnerschütterung, meist ohne Folgen bleibt, können schwerere Traumata ernste Folgeerkrankungen herbeiführen. Wichtig ist, dass der Patient sofort untersucht und angemessen behandelt wird, damit die Folgen möglichst gering bleiben.
Das menschliche Gehirn besteht aus zwei Hälften, die auch unter dem Fachbegriff „Hemisphären“ bekannt sind. Die meisten Funktionen werden von nur einer Gehirnhälfte übernommen, bei einigen wenigen sind jedoch beide Hälften für die Ausführung der Aufgaben verantwortlich. So findet sich die Fähigkeit zur Sprache bei den meisten Menschen in der linken Hemisphäre, Kreativität und Musikalität befinden sich dagegen in der rechten Hemisphäre. Darüber hinaus gibt es zentrale Aufgaben, die das Stammhirn übernimmt. Dazu gehören beispielsweise die Atmung, der regelmäßige Herzschlag sowie die Verdauung. Die Auswirkungen eines Schädel-Hirn-Traumas ergeben sich im Wesentlichen aus den Anteilen des Gehirns, die am stärksten davon betroffen sind.
Kommt es zu einem starken Schlag oder Sturz auf den Kopf, so prallt das Gehirn gegen die harte Schädelwand, die es eigentlich schützen soll. Auf diese Weise kann das Gewebe innerhalb des Schädels beschädigt werden: Die Fortsätze von Nervenzellen können reißen und Blutgefäße platzen. Insbesondere ist aber eine Schwellung des Hirngewebes möglich. Je nachdem, wie stark die Verletzung ausgeprägt ist und welche Region betroffen ist, kann es zu ganz unterschiedlichen Folgeerkrankungen kommen. Diese können bereits nach einigen Stunden oder Tagen überstanden sein, andere Leiden zeigen sich dagegen als Langzeitfolgen des Unfalls. Viele unterschiedliche Arten von Störungen können als Folge eines SHT auftreten. In einigen Fällen leiden die Patienten unter mehreren Auswirkungen gleichzeitig.
Patienten, die unter einer Gehirnerschütterung leiden, was einem leichten SHT entspricht, sollten einige Tage Bettruhe genießen. Andernfalls ist die Gefahr eines postkommotionellen Syndroms erhöht. Dieses ist zwar sehr selten, schränkt die Lebensqualität jedoch deutlich ein. Die Patienten leiden über Wochen bis Monate hinweg unter Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen und Müdigkeit. Zusätzliche Symptome sind Gereiztheit sowie der Hang zu vermehrtem Schwitzen. Im Normalfall ist das postkommotionelle Syndrom nach einigen Wochen überstanden, in einigen Fällen kann sich das Leiden jedoch über Jahre hinziehen. Eine spezielle Therapie gibt es derzeit noch nicht.
Direkt nachdem das Gehirn gegen die Schädelwand geprallt ist, ist es nicht ungewöhnlich, dass die Patienten kurz das Bewusstsein verlieren. Dieser Verlust kann von wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Tagen oder Wochen andauern. In diesem Fall spricht man vom Koma, das eine akute Erkrankung des Gehirns darstellt. Häufig ist ein erhöhter Druck im Schädelinneren für das Koma verantwortlich. Bestimmte Regionen im Gehirn können damit keine Funktionen mehr übernehmen, sodass einzelne Stoffwechselvorgänge nicht mehr möglich sind. Wacht der Patient aus dem Koma auf und ist im Besitz seiner geistigen Fähigkeiten, ist das Leiden meist überstanden. Es ist allerdings auch möglich, dass die Patienten ihre Augen öffnen, aber nichts fixieren können und die Anzeichen für geistige Fähigkeiten nicht zurückkehren. In diesem Fall sprechen Mediziner vom sogenannten Wachkoma (Coma vigile). Ärzte gehen zwar von einer Bewusstlosigkeit der Betroffenen aus, dennoch können diese zum Teil auf äußere Reize reagieren. Wie lange das Wachkoma andauert, lässt sich zu Beginn des Leidens nur schwer feststellen. In einigen Fällen kann das Wachkoma über Jahre oder sogar bis zum Lebensende bestehen bleiben.
Wurde das Gehirn im Rahmen des SHT schwer geschädigt, so kann es im Anschluss zu einer posttraumatischen Hirnleistungsschwäche kommen. Diese äußert sich in unterschiedlichen Symptomen, zu denen gehören:
Untersuchungen haben gezeigt, dass beinahe alle Personen, die ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, im Anschluss eine geringere Leistungsfähigkeit zeigen. Die Betroffenen müssen öfter Ruhepausen einlegen, haben eine reduzierte Belastungsfähigkeit und denken langsamer.
Gleichzeitig kommt es zu Gedächtnisstörungen und Lernschwierigkeiten. Die Patienten haben einerseits Schwierigkeiten, sich an Sachverhalte zu erinnern, andererseits können sie sich neue Dinge nur schwer einprägen. Weiterhin leiden einige Patienten unter Orientierungsstörungen, sodass sie sich nicht über Zeit, Ort und derzeitige Situation im Klaren sind. Gerade in der Frühphase des SHT zeigt sich die Hirnleistungsschwäche am deutlichsten.
Ebenso sind nach einigen schweren Schädel-Hirn-Traumata Veränderungen der Persönlichkeit beobachtet worden. Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Veränderungen unterscheiden: Werden die Betroffenen im Anschluss an das SHT aggressiver und verlieren die Distanz, wurde zu hoher Wahrscheinlichkeit eine Region im Stirnhirn verletzt, die sich über den Augenhöhlen befindet. Genauso kann der Patient allerdings im Anschluss an den Unfall apathisch und antriebslos wirken. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine andere Region des Stirnhirns verletzt worden ist. Überdies verlieren einige Betroffene die Fähigkeit, Probleme im Alltag zu erkennen und zu bewältigen. Einige der Betroffenen sehen die Einschränkungen bei sich selbst und reagieren darauf vermehrt mit Resignation und Trauer. Es ist zudem keine Seltenheit, dass sich Betroffene nach einem SHT zurückziehen und den Kontakt zu Freunden und Bekannten abrupt abbrechen.
Nach schweren Schädel-Hirn-Traumata sind außerdem Sprachstörungen häufig. Diese werden als „Aphasie“ bezeichnet. Die Folgeschäden treten meist ein, nachdem bestimmte motorische (die Bewegung steuernde) oder sensorische (Sinnesreize verarbeitende) Regionen in der linken Hemisphäre geschädigt worden sind. Die Patienten zeigen in diesem Fall oftmals folgende Krankheitsanzeichen:
Es ist außerdem möglich, dass Aphasie-Patienten andere Menschen ungewollt beleidigen oder beschimpfen. Auch unkontrollierte Wutausbrüche, bei denen sie fluchen, können auftreten.
Die Sprechstörung (Dysarthrie) äußert sich etwas „milder“. Betroffene können immer noch problemlos lesen und ausgesprochene Wörter verstehen. Allerdings haben sie Schwierigkeiten, bestimmte Laute zu bilden und Wörter korrekt zu artikulieren. Zusätzlich kann es zu einer Beeinträchtigung von Atmung und Stimmbildung kommen, für die eine heisere, schwache oder nasal klingende Stimme ganz typisch ist.
Ist dagegen die Fähigkeit zu rechnen oder Zahlen zu verstehen eingeschränkt, sprechen Experten von einer Rechenstörung, der sogenannten Dyskalkulie.
Nach einem schweren SHT haben einige Menschen Schwierigkeiten, eine Tasse Kaffee zuzubereiten oder andere Menschen korrekt zu begrüßen. Sie wissen zwar, wie die einzelnen Handlungsschritte aussehen, können diese aber nicht praktisch umsetzen. Diese Störungen werden in der Medizin als Apraxien bezeichnet. Es kann sogar passieren, dass Patienten mit einigen Gegenständen überhaupt nichts mehr anfangen können, sodass Betroffene womöglich versuchen, ihr Fleisch mit der Gabel statt dem Messer zu schneiden. Alltägliche Aufgaben wie das Anziehen der eigenen Kleidung, die Zubereitung des Frühstücks oder der Lebensmitteleinkauf müssen erneut erlernt und stetig wiederholt werden.
Sollte es im Rahmen der SHT zu Blutungen im Hinterhauptlappen gekommen sein, leiden die Patienten womöglich unter einer halbseitigen Gesichtslähmung (Hemianopsie). Die Patienten sehen beispielsweise nur noch auf dem linken oder rechten Auge, was zu großen Schwierigkeiten beim Gehen führt. Als Folge dieser Einschränkung kann es passieren, dass der Patient eine Körperhälfte vernachlässigt. Er wäscht beispielsweise nur seine rechte Körperhälfte und vergisst dabei die komplette linke Körperseite. Die Erkrankung hat auch Auswirkungen auf den Raum, sodass Betroffene beispielsweise nur noch die Hälfte des Tellers aufessen oder Seiten eines Buchs nur noch bis zur Mitte lesen können.
Neben Sprachstörungen sind auch Lähmungen sehr häufige Folgen eines schweren Hirn-Traumas. In vielen Fällen treten beide Leiden gleichzeitig auf. Betroffene verlieren das Gefühl in einer Körperseite und können diese nicht mehr bewegen. Nicht immer sind sich die Patienten über den Verlust bewusst. Es kann ebenso zu einer erhöhten Muskelspannung in verschiedenen Körperregionen kommen, die sich als sogenannte spastische Lähmungen äußern. Die Patienten leiden unter unerwünschten Bewegungen und Schmerzen in den betroffenen Körperpartien.
Sind die Störungen weniger stark ausgeprägt, können sie auch nur die Feinmotorik betreffen. Die Patienten haben zum Beispiel Schwierigkeiten bei präzisen Bewegungen wie Greifen oder Schreiben.
Zeigen die Patienten nach einem schweren SHT Schwierigkeiten beim Essen und Trinken, so leiden sie wahrscheinlich unter Schluckstörungen. Als Folge der Hirnverletzung ist das Zusammenspiel von Mund-, Gesichts- und Schlundmuskulatur beeinträchtigt, sodass der Kau- und Schluckvorgang nicht mehr korrekt durchgeführt werden kann. Neben Lähmungen können dabei auch Sensibilitätsstörungen eine Rolle spielen. Eindeutige Hinweise auf das Leiden sind eine feucht klingende Stimme sowie das Gefühl, dass das Essen im Hals stecken bleibe. Die Schluckstörung sollte unbedingt behandelt werden, da sie sonst zu ernsten Folgen führen kann. Die Nahrung kann beispielsweise in die Luftröhre gelangen und diese lebensgefährlich verschließen oder eine Lungenentzündung begünstigen.
Wahrnehmungsstörungen können sich nach einem schweren SHT unterschiedlich zeigen. Häufig können Betroffene den Raum nicht mehr richtig wahrnehmen. Sie verlieren die Fähigkeit, Distanzen und Perspektiven richtig einzuschätzen. Ebenso können Patienten aber auch das Gefühl für sich selbst verlieren. Sie sehen ihren Körper beispielsweise nicht mehr als zusammenhängenden Organismus, sondern können nur noch bestimmte Körperteile wahrnehmen. Eine andere Form der Wahrnehmungsstörung ist die Beeinträchtigung der Hör- und Sehfähigkeit. Sind die jeweiligen Nervenbahnen geschädigt, können die Patienten beispielsweise einen Teil oder das komplette Hör- bzw. Sehvermögen verlieren.
Neben den zahlreichen Aktionen, die wir kontrollieren können, übernimmt der menschliche Organismus auch viele Aufgaben, auf die wir keinen Einfluss haben. Bei einem schweren SHT können Regionen geschädigt werden, die für den Säure-Basen-Haushalt, den Blutkreiskauf, die Verdauung oder die Körpertemperatur verantwortlich sind. Liegt eine sogenannte Regulationsstörung vor, ist der Patient normalerweise auf Medikamente oder mitunter auf bestimmte Maschinen im Krankenhaus angewiesen.
Andere Spätfolgen, die aus einem schweren SHT resultieren, sind verletzungsbedingte Narben am Gehirn. Je nachdem, wo sich diese Narben befinden, können sie epileptische Anfälle herbeiführen oder begünstigen. Die Gefahr, dass es zu einer solchen Narbenbildung kommt, ist bei offenen Verletzungen deutlich höher als bei geschlossenen. In einigen Fällen kann die Narbe operiert werden, sodass die Patienten nicht mehr unter deren Auswirkungen leiden müssen.
aktualisiert am 30.09.2022