Prof. Hummel: Als Riechstörung bezeichnet man den Verlust des Geruchssinns, also die Unfähigkeit, Gerüche wahrzunehmen. Dabei gehen nicht nur die eigentlichen Gerüche verloren, sondern auch die Fähigkeit, verschiedene Aromen zu unterscheiden. Die Ursachen sind vielfältig. Mit dem Verlust des Geruchssinns wird das Essen oft weniger interessant, da neben den Grundgeschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter feine Nuancen wie Koriander, Zitronengras oder Minze fehlen. Dieser Prozess verläuft oft langsam und wird vor allem bei älteren Menschen nicht sofort bemerkt, da es sich um einen schleichenden Verlust handelt. Mit zunehmendem Alter lässt in der Regel der Geruchssinn nach. Im Durchschnitt nimmt die Geruchsempfindlichkeit ab dem 40. Lebensjahr ab.
Es gibt auch klinische Ursachen für Riechstörungen, wie z.B. die chronische Rhinosinusitis, eine Entzündung der Nase- und Nasennebenhöhlen, die zu einem Geruchsverlust führen kann. Auch postvirale Störungen, wie sie z.B. nach einer Infektion mit dem Coronavirus auftreten können, können zu einem Verlust des Geruchssinns führen. Es wird vermutet, dass das Coronavirus die Stützzellen der Riechschleimhaut angreift, was wiederum zum Verlust der Funktion der Riechzellen führen kann.
Weitere Ursachen für Riechstörungen sind posttraumatische Störungen nach Schädel-Hirn-Trauma, neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer, die zu einem frühzeitigen Verlust des Geruchssinns führen können. Es gibt auch hypothetische Erklärungen auf neurologischer Ebene, wie eine Schädigung der Riechzentren nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Insgesamt sind die Ursachen für Riechstörungen vielfältig und reichen von altersbedingten Veränderungen über entzündliche Prozesse bis hin zu neurodegenerativen Erkrankungen.
Mit zunehmendem Alter lässt in der Regel der Geruchssinn nach.
Prof. Hummel: Geruchshalluzinationen oder Phantom-Gerüche sind nicht selten und kommen auch bei Menschen mit normalem Riechvermögen vor. Sie können krankhafte Ursachen haben. Häufig sind sie bei posttraumatischem Riechverlust. Diese Phantom-Gerüche können sehr störend und unangenehm sein, z.B. rauchig, verbrannt oder sogar gefährlich und alarmierend. Sie können Sekunden oder sogar Tage andauern. Stellen Sie sich vor, Sie haben tagelang ein Geruchsphantom in der Nase, das einfach nicht verschwindet und Sie ständig begleitet. Das ist aus unserer Erfahrung klinisch ungünstig, obwohl nicht ganz klar ist, was das genau bedeutet. Ursache dieser Phantome könnte ein Deafferenzierungssyndrom sein, bei dem der Input zum primären olfaktorischen Kortex oder zum Bulbus olfactorius fehlt und es daher zu Spontanaktivierungen kommt.
Prof. Hummel: Quantitative Riechstörungen bezeichnen den fortschreitenden Verlust des Geruchssinns. Ein normales Riechvermögen wird als Normosmie bezeichnet. Bei vermindertem Riechvermögen spricht man von Hyposmie, bei fehlendem Riechvermögen von Anosmie. Im Gegensatz dazu stehen die qualitativen Riechstörungen, zu denen die Parosmie und die Phantosmie gehören. Phantosmie bezeichnet olfaktorische Halluzinationen, die wir bereits angesprochen haben, während Parosmie eine Verzerrung der tatsächlichen Gerüche beschreibt. Es kann vorkommen, dass bekannte Gerüche anders wahrgenommen werden, z.B. Kaffee riecht plötzlich rauchig oder verbrannt. Besonders häufig treten diese Veränderungen bei postinfektiösen Riechstörungen auf, und können hier bei etwa 40 bis 60 Prozent der Betroffenen vorkommen. Solche Geruchsverzerrungen können schon in ihrer geringsten Ausprägung sehr störend sein, da die Wahrnehmung nicht den Erwartungen entspricht. Es ist vergleichbar mit dem Bellen eines Hundes, das plötzlich wie ein Pfeifen klingt oder jemand spricht zu einem und es ist keine normale Sprache, wie erwartet, sondern nur ein pfeifender Ton. Diese Verunsicherung durch die Beeinträchtigung der Sinne betrifft relativ viele Menschen und kann sehr belastend sein.
Ein normales Riechvermögen wird als Normosmie bezeichnet. Bei vermindertem Riechvermögen spricht man von Hyposmie, bei fehlendem Riechvermögen von Anosmie.
Prof. Hummel: Sinunasale Riechstörungen sind am häufigsten durch die chronische Rhinosinusitis verursacht. Dazu gehören auch die allergischen Rhinitiden, die anhand ihrer Symptome unterschieden werden können. Ein Beispiel für eine nicht-sinunasale Riechstörung ist die postvirale Riechstörung. Ein typischer Patient mit einer chronischen Sinusitis zeigt einen schleichenden Verlust des Geruchssinns über die letzten Jahre, der sich immer wieder verschlechtert. Die Nase ist häufig verstopft, die Nasenatmung behindert und der Rachen verschleimt. Bei der Untersuchung kann oft eine Polyposis nasi festgestellt werden, die die Nasengänge verengt und Entzündungszeichen aufweist.
Im Gegensatz dazu verläuft eine postvirale Riechstörung anders. Hier tritt der plötzliche Geruchsverlust quasi über Nacht auf und bessert sich im Laufe der Zeit langsam, manchmal auch gar nicht. Die Nasenwege sind frei, es gibt keine Entzündungsanzeichen und die Nasenatmung ist nicht behindert. Diese Unterschiede sind wichtig und helfen bei der Diagnose.
Prof. Hummel: Etwa 3-5% der Bevölkerung können überhaupt nichts riechen. Dazu kommen noch etwa 15%, die einen eingeschränkten Geruchssinn haben. Das ist ziemlich viel. Wenn man bedenkt, dass etwa 5% überhaupt nicht riechen können, bedeutet das, dass etwa jeder Zwanzigste betroffen ist - vor allem ältere Menschen. Bei den über 80-Jährigen ist es etwa ein Drittel, vielleicht sogar die Hälfte, die nicht riechen kann. Dann gibt es neben dem Alter noch andere häufige Ursachen, wie die chronische Nasennebenhöhlenentzündung, die ich schon erwähnt habe. Das sind die beiden Hauptursachen für den Verlust des Geruchssinns.
Prof. Hummel: Das erste Anzeichen ist natürlich ganz klar, dass man nicht mehr gut oder gar nichts mehr riecht. Wenn wir unseren Geruchssinn verlieren, wissen wir nicht einmal, dass z.B. etwas in der Nähe brennt, was besonders gefährlich sein kann, wenn man es eben nicht wahrnehmen kann. Viele Menschen haben schon einmal beim Kochen vergessen, den Topf vom Herd zu nehmen. Normalerweise würde sie der Geruch warnen, aber wenn sie nicht riechen können, passiert das nicht. Die Kartoffeln brennen an, bis der Topf verkohlt ist und man merkt es nicht einmal. Solche Erlebnisse sind einschneidend. Plötzlich merkt man, dass etwas nicht stimmt. Man hat einen Mangel an Sinneswahrnehmung. In anderen Situationen merken wir es erst, wenn uns jemand darauf hinweist, dass etwas komisch riecht. Dann merkt man, dass man es selbst nicht bemerkt hat. Das sind typische Situationen, die uns darauf aufmerksam machen, dass unser Geruchssinn nicht richtig funktioniert.
Plötzlich merkt man, dass etwas nicht stimmt. Man hat einen Mangel an Sinneswahrnehmung.
Prof. Hummel: Der Geruchsverlust geschieht meist langsam und wird oft gar nicht bemerkt. Viele Menschen, die nicht mehr riechen können, nehmen es erstmal gar nicht wahr. Ein plötzlicher Verlust des Geruchssinns, z.B. nach einer Corona-Infektion oder nach einem Schädel-Hirn-Trauma, bei dem sich ein gut funktionierendes System abrupt verändert, hat andere Auswirkungen als ein System, das allmählich und langsam fortschreitend weniger gut funktioniert. Es gibt verschiedene kontextuelle Situationen und dementsprechend variieren auch die Symptome.
Der plötzliche Verlust des Geruchssinns wird von vielen Menschen, insbesondere von jüngeren Frauen, als sehr belastend empfunden. Die Unfähigkeit, z.B. den Partner zu riechen, ist dann eine sehr unschöne Situation für die Betroffenen. Solche Erfahrungen können das Leben stark beeinträchtigen und zu einem erheblichen Verlust an Lebensqualität führen. Typischerweise ist auch die Nahrungsaufnahme betroffen, wenn es nicht mehr schmeckt und die Betroffenen deswegen nicht mehr kochen oder die Mahlzeiten, die einen wichtigen Teil ihres sozialen Lebens ausmachen, nicht mehr genießen können. Sie müssen dann quasi immer so tun, als ob sie etwas merken, wenn alle sagen, dass das Essen lecker schmeckt und gut riecht, obwohl sie nichts wahrnehmen können. Das kann sehr belastend sein und zu depressiven Verstimmungen führen.
Was oft übersehen wird, ist die Sexualität. Sie ist stark mit Gerüchen verbunden, vor allem bei jüngeren Menschen, bei denen Sexualität typischerweise eine größere Rolle spielt als bei älteren. Veränderungen in diesem Bereich werden oft stark beklagt, wenn man danach fragt.
Prof. Hummel: Natürlich ist die Anamnese der erste Schritt zur Diagnose. Wir verwenden psychophysische Tests wie die Sniffin' Sticks-Methode, um die Riechfunktion objektiv zu überprüfen. Dabei messen wir u.a. die Geruchserkennungsschwelle und die Unterscheidungsfähigkeit zwischen verschiedenen Gerüchen. Durch das Auftragen von Geschmackspulvern können wir auch die Aromawahrnehmung testen. Mit Hilfe von olfaktorisch evozierten Potenzialen können wir die Reaktionen des Gehirns auf Geruchsreize analysieren. Die strukturelle Untersuchung mit Hilfe der Kernspintomographie ermöglicht es uns, anatomische Strukturen wie Riechkolben und Nasenwege zu untersuchen. Die endoskopische Untersuchung der Nasenhöhle spielt eine sehr wichtige Rolle. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Anamnese, klinische Untersuchung und psychophysische Tests die wesentlichen Bausteine der Diagnostik von Riechstörungen darstellen.
Prof. Hummel: Die Behandlungsmöglichkeiten sind vielfältig, besonders gut entwickelt sind sie jedoch bei Erkrankungen der Nasennebenhöhlen und der Nasenhöhle. Nasenspülungen können helfen, ebenso bestimmte Nasensprays wie Mometason, Budesonid oder Fluticason. Es gibt verschiedene Produkte, wobei Mometason bei uns am häufigsten verwendet wird und sehr gut verträglich ist. Zur kurzfristigen Entzündungshemmung können auch systemische Steroide eingesetzt werden. Chirurgische Eingriffe sind immer eine Option bei Nasenatmungsbehinderungen, ebenso der Einsatz von monoklonalen Antikörpern wie Dupilumab, Omalizumab, Mepolizumab und anderen, die in den letzten 10 Jahren immer häufiger eingesetzt werden.
Besonders wichtig ist das Riechtraining. Dabei sollen sich die Betroffenen verschiedene Düfte, am besten Duftöle besorgen und diese etwa 10 Zentimeter vor die Nase halten. Es geht darum, an jedem der 4 Düfte morgens und abends 20 bis 30 Sekunden lang zu riechen, über einen Zeitraum von 4 bis 6 Monaten.
Andere Möglichkeiten sind z.B. die topische Verabreichung von Vitamin A in die Nase oder die Einnahme von Omega-3 in sehr hohen Dosen über einen Zeitraum von 3 Monaten. Weitere diskutierte Optionen sind z.B. der Stellatum-Block, der meines Wissens in Deutschland nicht angewendet wird, sowie die Injektion von plättchenreichem Plasma in die Nasenschleimhaut, die ebenfalls in Deutschland bisher nicht angeboten wird und für die noch mehr Evidenz benötigt wird.
Die Dauer bis zu einer Verbesserung hängt von der Ursache für die Riechstörung ab. Bei chronischen Entzündungen tritt die Besserung in der Regel relativ schnell ein, oft innerhalb weniger Tage, wenn die Entzündung behandelt wird. Bei postviralen oder posttraumatischen Störungen geht es in erster Linie darum, die Regeneration zu fördern. Diese Prozesse können Monate oder sogar Jahre dauern. Wie lange es dauert, bis eine Besserung eintritt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Besonders wichtig ist das Riechtraining.
Prof. Hummel: Bei allen Störungsursachen kann es zu einem dauerhaften Verlust des Geruchssinns kommen, dies ist natürlich sehr individuell. Bei 20 bis 30% der Fälle kommt es im Laufe von Monaten oder Jahren zu einer Besserung, aber nicht zur vollständigen Heilung. Eine vollständige Heilung ist selten, aber eine Besserung ist durchaus möglich.
Bei postviralen Riechverlusten, wie sie bei Corona auftreten können, sind spontane Besserungen häufig. Je nach Betrachtungsweise kommt es bei über 95%, zumindest über 80% der Fälle, zu einer deutlichen Besserung. Auch bei altersbedingten Riechverlusten kann man den Patienten ein Training anbieten, das in etwa 10-20% der Fälle tatsächlich zu einer Besserung führt, vielleicht sogar noch häufiger. Allerdings sind auch hier die Verbesserungsmöglichkeiten begrenzt.
Prof. Hummel: Das Virus ist sehr aggressiv und greift direkt die Stützzellen an, die die Riechzellen umgeben. Die Stützzellen sind für die Ernährung und Unterstützung der Riechzellen unerlässlich. Wenn diese Stützzellen nicht funktionieren, können auch die Riechzellen selbst nicht richtig arbeiten. Wenn nur die Stützzellen vorübergehend angegriffen werden, kann die Regeneration schnell erfolgen. Eine Hypothese besagt, dass die Riechfunktion nur für kurze Zeit unterbrochen wird und dann schnell wieder einsetzt. Werden jedoch die Stützzellen zerstört, kommt es zu einer lokalen Entzündung, die auch die eigentlichen Riechzellen in Mitleidenschaft zieht. Die Regeneration der Zellen kann dann Wochen bis Jahre dauern, und es ist möglich, dass einige Zellen dauerhaft verloren gehen.
Das Virus ist sehr aggressiv und greift direkt die Stützzellen an, die die Riechzellen umgeben. Die Stützzellen sind für die Ernährung und Unterstützung der Riechzellen unerlässlich.
Prof. Hummel: Die Zustände sind sehr variabel, am häufigsten ist ein vorübergehender Geruchsverlust, der nur für kurze Zeit auftritt und dann wiederkehrt. Bei fortschreitendem Verlust des Geruchssinns ist nach unseren Untersuchungen bei den meisten Menschen nach etwa drei Jahren eine deutliche Besserung zu erwarten. Gott sei Dank ist das so! Es ist jedoch bedauerlich, dass eine kleine, aber signifikante Anzahl von Menschen keine Besserung erfährt. Was zu einem dauerhaften Verlust des Geruchssinns führt, wissen wir nicht genau. Wir können nur vermuten, dass ältere Menschen, die ohnehin schon weniger Riechzellen haben, eher zu solchen dauerhaften Riechverlusten neigen. Dies deckt sich mit der klinischen Realität, die wir beobachten, nämlich dass ältere Menschen, insbesondere Frauen, eher zu lang anhaltenden Riechverlusten neigen. Dies ist ähnlich wie bei anderen Riechverlusten nach Virusinfektionen.
Prof. Hummel: Wir versuchen gerade eine Studie mit plättchenreichem Plasma zu starten, um seine Wirksamkeit zu untersuchen. Wir arbeiten auch an einem Projekt mit Teams aus Frankreich, der Schweiz, Griechenland und Italien. Dabei geht es um Riechimplantate. Unser Ziel ist es, die Voraussetzungen für den klinischen Einsatz dieser Implantate zu schaffen. Wir sind zwar noch nicht am Punkt der klinischen Anwendung, aber wir machen Fortschritte. Darüber hinaus denken viele Kollegen auch über zukünftige Möglichkeiten nach, wie z.B. die Verwendung von Transplantaten, bei denen Riechzellen entnommen, außerhalb des Körpers vermehrt und dann wieder implantiert werden. Diese Ideen werden durch Tierversuche gut unterstützt und deuten darauf hin, dass sie realisierbar sind. Insgesamt wird auf verschiedenen Ebenen gearbeitet und ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen werden. Die COVID-19-Pandemie hat auch dazu beigetragen, dass sich auf dem Gebiet der Riechtherapie wirklich etwas bewegt.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 03.05.2024.