Dr. Jacob: Eine Rektusdiastase bezeichnet das Auseinanderweichen der geraden Bauchmuskeln, sodass die Mittellinie breiter wird. Zwischen unseren geraden Bauchmuskeln, die bei durchtrainierten Menschen als sogenanntes „Six pack“ dominieren, befindet sich eine Bindegewebslinie, die linea alba genannt wird. Bei jüngeren Menschen ist diese bis zu 2cm breit. Aufgrund einer Bindegewebsschwäche bzw. Überdehnung bei Übergewicht, oder dem Älterwerden kann diese Linie breiter werden, was als Rektusdiastase bezeichnet wird.
Bei Sportlern (z.B. Bodybildern) kann dieses durch übermäßiges Muskeltraining auch im jüngeren Alter ausgelöst werden. Bei Frauen während der Schwangerschaft ist die Lückenbildung hingegen physiologisch, da die Bauchdecke sich weiten muss. Ab einer Breite von über 2 cm sprechen wir von einer krankhaften Erweiterung, einer Rektusdiastase. Diese kann vom Oberbauch bis zum Schambeinknochen reichen, wobei die größte Ausdehnung meistens um den Nabel zu beobachten ist.
Eine Rektusdiastase bezeichnet das Auseinanderweichen der geraden Bauchmuskeln, sodass die Mittellinie breiter wird.
Dr. Jacob: Der Ort der Ausbildung zwischen Männern und Frauen ist unterschiedlich. So zeigt sich die Rektusdiastase bei den meist adipösen Männern mit einem „Bierbauch“ meistens im Liegen, wenn sie die Bauchmuskulatur zum Aufrichten anspannen. Dann wölbt sich die Mittelinie nur im Oberbauch vor. Bei den oft schlankeren Frauen beeinflusst die Rektusdiastase das Gesamtbild und führt im Stehen zu einer Vorwölbung des gesamten Bauches mit dem Hauptanteil im Nabelbereich. Es scheint, als hätten die Frauen ein „Bäuchlein“ oder wären schwanger, worunter viele Frauen sehr leiden. Auch berichten vermehrt Frauen über spürbare Darmbewegungen und bei großen Rektusdiastasen über Probleme beim Aufrichten und auch einer Beckenmuskulaturfunktionsstörung.
Dr. Jacob: Prinzipiell ist das Bindegewebe bei den Menschen unterschiedlich. Daher gibt es Menschen, die eher zu der Ausbildung von Rektusdiastsen oder Bauchwandbrüchen (Hernien) neigen. Es gibt viele Frauen mit mehreren Schwangerschaften, die keine Probleme mit der Rückbildung Ihrer Bauchdecke haben. Begünstigende Faktoren bei Frauen können Geburten und dabei insbesondere Mehrfach- oder Mehrlingsschwangerschaften sein. Auch sehr starkes Muskeltraining und Übergewicht zählen zu den Risikofaktoren. Aber auch hier ist die Stabilität des Bindegewebes wichtig. Es gibt Frauen, die eine Rektusdiastase von 3-4 cm haben mit einer stabilen Mittellinie, sodass der Bauch flach bleibt.
Dr. Jacob: Das ist schwierig zu beantworten, da es eigentlich keine Krankheit ist und keine Gefahr einer Einklemmung wie bei einer Bauchwandhernie besteht. Prinzipiell sollte auf eine gesunde Ernährung geachtet werden, um Verstopfung und starkes Pressen sowie Übergewicht zu vermeiden. Ansonsten kann alles gemacht werden. Sport schadet in der Regel nicht und führt zu einem besseren Körpergefühl.
Dr. Jacob: Ja, keine Einschränkungen, bis auf ein isoliertes Beüben der geraden Bauchmuskulatur. Dieses würde zu einer Verstärkung führen. Beckenbodengymnastik oder regelmäßige Pilates-Übungen, für die sogar ein geringer Benefit in einer Studie nachgewiesen wurde, sind durchaus sinnvoll. Wichtig ist auch die Haltung der Wirbelsäule, weil viele Patienten ein Hohlkreuz entwickeln und das Becken dadurch nach vorne gekippt ist, was die Vorwölbung des Bauches verstärkt. Hier kann eine gezielte Therapie eine Haltungs- und Stabilitätsverbesserung bewirken.
Dr. Jacob: Eine Gefährdung besteht nicht, da es keine Lücke gibt und damit auch keine Einklemmungsgefahr besteht. Wenn es keine Beschwerden gibt, muss eine Rektusdiastase auch nicht behandelt werden. Es ist eher ein ästhetisches Problem, was viele Frauen nicht besonders stört. Wenn aber eine Behandlung gewünscht oder erforderlich ist, besteht die sinnvollste Therapie in einer Operation. Bei Frauen ist oft auch eine Bauchdeckenhauterschlaffung mit der Rektusdiastase verbunden, sodass der Wunsch einer Bauchdeckenstraffung besteht. Wichtig ist dabei immer eine Bauchwandhernie auszuschließen, da diese oft mit Kunsstoffnetzen versorgt werden müssen, was die Expertise eines Hernienchirurgen erfordert. Daher führen wir in unserer Sprechstunde immer eine Ultraschalluntersuchung durch, um eventuelle Lücken auszuschließen, da hier Gewebe eingeklemmt werden kann.
Wenn es keine Beschwerden gibt, muss eine Rektusdiastase auch nicht behandelt werden.
Dr. Jacob: Die einzig sinnvolle Therapie bei ausgeprägten Befunden ist die Operation. Nun gibt es aber sehr verschiedene Varianten der Rektusdiastase. Das betrifft zum einen die Lokalisation bezogen auf den Bauchnabel. Ist die Ausweitung oberhalb und oberhalb des Nabels oder ist die gesamte Bauchdecke betroffen. Daneben ist die maximale Ausdehnung in der Breite sowie die Hautüberdehnung wichtig, da letztere immer nur durch eine Bauchdeckenstraffung korrigiert werden kann. Erst vor wenigen Jahren haben Bauchchirurgen eine Klassifikation entwickelt, in der die Ausdehnung, Breite und Hautbeschaffenheit dokumentiert wird, um verschiedene Operationsindikationen und Operationstechniken daraus abzuleiten.
Bisher war die Operation eine Domäne der plastischen Chirurgie, da Rektusdiastasen meistens Selbstzahlerleistungen sind und es sich eher um ästhetische Eingriffe handelt. Erst in den letzten 5 Jahren hat die Erkenntnis zugenommen, dass eine Rektusdiastase auch eine Bauchdeckeninstabilität bedingt, die zu nachfolgenden Beschwerden wie z.B. Rückenschmerzen und einer Beckenbodeninsuffizienz führen kann. Durch das gestiegene Interesse der Bauchchirurgie, haben sich neue Operationsmethoden entwickelt, die bei verschiedenen Befunden erfolgsversprechend angewendet werden.
So können kleinere Befunde mit einer Hernie aber ohne Hautüberdehnung durch die sogenannte ELAR-Technik kosmetisch ansprechend versorgt werden. Die Kosten werden hierbei von den Krankenkassen übernommen. Bei größeren Befunden und entsprechender Erfahrung kann die MILOS-Technik minimal-invasiv angewandt werden. Dieses Verfahren ist kosmetisch sicherlich am attraktivsten, da es nur einen kleinen Schnitt im Nabelniveau und seitlich in der Bauchdecke von 5 mm gibt.
Bei zusätzlichen Hautüberdehnungen und Hernien in der Bauchdecke ist die Hybrid-Technik zu überlegen, die wir auch bei uns sehr häufig durchführen. Dabei operieren ein plastischer Chirurg und ein Bauchchirurg gemeinsam, um das Optimum einer Bachdeckenstabilität und einer ästhetischer Bauchdecke zu erreichen. Wichtig ist aber immer, sich die Auswirkungen einer so großen Operation bewusst zu machen und sich nur an professionelle Anbieter zu wenden.
Dr. Jacob: In den ersten 6 Monaten nach einer Entbindung ist die Rückbildung natürlich und tritt bei den meisten Frauen ein. Wenn aber die Rektusdiastase bestehen bleibt, bildet sich diese nicht mehr zurück, da das Bindegewebe in der Mitte überdehnt ist. Natürlich kann die Muskulatur gestärkt werden, was zu einer besseren Haltung führt. Ebenso wichtig ist auch, auf eine korrekte Haltung der Wirbelsäule zu achten.
In den ersten 6 Monaten nach einer Entbindung ist die Rückbildung natürlich und tritt bei den meisten Frauen ein.
Dr. Jacob: Insbesondere in den letzten 5 Jahren hat sich die operative Behandlung deutlich verändert und es kann durch den zunehmenden Einsatz der Robotik in der Chirurgie in Europa von immer besseren Techniken mit kleinen Schnitten ausgegangen werden, die in den nächsten 10 Jahren auch bezahlbar sind. Aktuell sind diese Ansätze noch nicht etabliert.
Dr. Jacob: Eine gezielte Forschung auf dem Gebiet der Rektusdiastase ist mir unbekannt. Meistens gibt es retrospektive Studien, die z.B. Frauen mit Physiotherapie oder ohne sowie verschiedene Operationstechniken vergleichen. Da auf diesem Gebiet insgesamt nicht sehr viele Operationen erfolgen, im Gegensatz zu der Hernienchirurgie, sind die Daten nicht sehr aussagekräftig und daher mit Vorsicht zu interpretieren. Die größte Qualitätssicherungsstudie der Welt „Herniamed“ aus Deutschland, an der wir auch teilnehmen, erfasst aber seit 2 Jahren die Rektusdiastasen im Rahmen von Hernienoperationen, sodass zum ersten Mal eine größere Datenmenge vorhanden ist, aus der wir hoffentlich wertvolle Erkenntnisse erlangen, die auch in die Patientenversorgung einfließen wird. Die Studienlage wird sich jedoch erst deutlich verbessern, wenn die Rektusdiastase als eigenständige Krankheit bei den Krankenkassen akzeptiert und dadurch die operative Versorgung auch finanziell übernommen wird.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 04.03.2024.