Die reaktive Arthritis (früher auch Reiter-Syndrom) ist eine entzündliche Erkrankung, die vor allem die Gelenke betrifft. Sie tritt einige Tage bis wenige Wochen als Folge einer bakteriellen Infektion des Magen-Darm-Traktes oder der Harnwege auf.
Die reaktive Arthritis wird zu den sogenannten Spondylarthritiden gezählt. Dabei handelt es sich um fünf verschiedene entzündliche Erkrankungen von Gelenken oder der Wirbelsäule, die sich klinisch ähneln, aber eine unterschiedliche Ursache haben. Alle zählen zu den Autoimmunerkrankungen: Es kommt zu einem Angriff des Immunsystems gegen körpereigene Zellen. Im Falle der reaktiven Arthritis greift das Immunsystem Bestandteile der Bakterien an, die sich während der Infektion von Magen-Darm-Trakt oder Harntrakt in die Gelenke absiedeln.
Betroffen von der reaktiven Arthritis sind am häufigsten hellhäutige Männer im Alter von 15 bis 35 Jahren. Außerdem scheint eine genetische Besonderheit das Erkrankungsrisiko deutlich zu erhöhen.
Der früher verwendete Begriff Reiter-Syndrom bezieht sich auf den Erstentdecker der Erkrankung, den deutschen Bakteriologen Hans Reiter. Er lebte von 1881 bis 1969 und war im Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 Präsident des Reichsgesundheitsamtes. Unter anderem war er an der Planung von Typhusexperimenten an Häftlingen im Konzentrationslager in Buchenau beteiligt. Daher wird die Bezeichnung Reiter-Syndrom heutzutage durch den Begriff reaktive Arthritis ersetzt.
Andere Bezeichnungen für das Krankheitsbild sind Arthritis urethritica oder venerische Arthritis (bei Ursprung als Geschlechtskrankheit), Polyarthritis enterica (bei Ursprung durch eine Darminfektion) oder Fiessinger-Leroy-Syndrom.
Die reaktive Arthritis tritt als Folgeerkrankung nach einer bakteriellen Infektion auf, meist von Magen-Darm-Trakt oder Harnröhre. Nach Bekämpfung der Ersterkrankung gelangen Bausteine der Erreger in die Gelenke und werden vom körpereigenen Immunsystem als fremd erkannt. Das Immunsystem greift das betroffene Gewebe an. Die reaktive Arthritis wird daher zu den Autoimmunerkrankungen gezählt (Erkrankungen, bei denen das Immunsystem Antikörper gegen körpereigene Zellen bildet).
Die Reaktion des Immunsystems führt zu einer Entzündung mit Schwellung, Rötung, Wärmebildung und Schmerzen. Die Erreger selbst sind in der Gelenkflüssigkeit betroffener Gelenke meist nicht nachweisbar, aber Bausteine ihrer Erbsubstanz wie DNA oder RNA.
Entsprechend der zugrundeliegenden Erkrankung kommen folgende Erreger als ursprüngliche Auslöser der Infektion in Frage, die eine reaktive Arthritis zur Folge hat:
Dies bedeutet keinesfalls, dass man nach einer Darm- oder Harnwegsinfektion mit einer reaktiven Arthritis rechnen muss. Nur etwa eine von 30.000 Personen erkrankt daran pro Jahr. Bestimmte Bakterien wie Chlamydien erhöhen das Risiko allerdings deutlich.
Außerdem geht man davon aus, dass die Entwicklung einer reaktiven Arthritis durch eine genetische Veranlagung verursacht wird. Etwa 75 Prozent der Betroffenen sind im Bluttest HLA-B27-positiv. HLA-B27 zählt zu einer Gruppe von Proteinen, die auf der Oberfläche von fast allen Zellen im menschlichen Körper sitzen. Solche Proteine sind an der Immunreaktion des Körpers beteiligt. Ist ein Mensch HLA-B27-positiv, bedeutet das, dass er ein Gen hat, das zu der Bildung von HLA-B27 als Oberflächenstruktur von Zellen führt.
An einer reaktiven Arthritis kann grundsätzlich jeder erkranken. Jedoch betrifft sie am häufigsten Menschen zwischen 15 und 35 Jahren und eher Männer als Frauen. Hellhäutige Menschen sind öfter betroffen als Personen mit dunkler Hautfarbe. Ein weiterer Risikofaktor ist die genetische Veränderung auf dem HLA-B27-Gen. Betroffene entwickeln häufiger Autoimmunerkrankungen als Menschen ohne diese genetische Besonderheit.
Ein erhöhtes Risiko, an einer Infektion von Magen-Darm-Trakt oder Harnwegen zu erkranken, aus welcher sich eine reaktive Arthritis entwickeln kann, ergibt sich durch:
Eine reaktive Arthritis entwickelt sich als Folge einer bakteriellen Entzündung von Darm oder Harnorganen. Je nach Ursache treten zunächst die Symptome der jeweiligen Infektion auf, beispielsweise:
In vielen Fällen wird die ursprüngliche Infektion vom Patienten jedoch nicht wahrgenommen.
Wenige Tage bis mehrere Wochen später kommt es zu den Symptomen der reaktiven Arthritis. Dazu können typischerweise gehören:
Weitere mögliche Symptome sind:
Eine Verdachtsdiagnose kann anhand der typischen Symptome Gelenkentzündung (Arthritis), Bindehautentzündung (Konjunktivitis) und Harnleiterentzündung (Urethritis) gestellt werden. Häufig geben auch Hautveränderungen durch die Erkrankung entscheidende Hinweise auf eine reaktive Arthritis. Besonders, wenn Patienten eine vorhergehende Darm- oder Harnwegsentzündung hatten, fällt der Verdacht auf eine reaktive Arthritis.
Ist der Patient in der Blutuntersuchung HLA-B27-positiv und leidet an den beschriebenen Symptomen, spricht dies für die Diagnose. Mit Hilfe von Röntgenuntersuchungen kann das Ausmaß der Gelenkentzündung bildlich dargestellt werden.
Zum Erregernachweis insbesondere auf Chlamydien, die die reaktive Arthritis auslösen können, werden Abstriche der Harnröhre oder Urinproben untersucht. Dies ist wichtig, um die Therapie mit einem geeigneten Antibiotikum einzuleiten. In der Gelenkflüssigkeit können in der Regel keine Erreger nachgewiesen werden.
Die Behandlung richtet sich einerseits gegen die zugrundeliegende Darminfektion oder Harnwegserkrankung. Die Erreger werden gezielt mit Antibiotika bekämpft, falls ein Erregernachweis erbracht werden kann.
Die Therapie der reaktiven Arthritis selbst erfolgt symptomatisch. Die Beschwerden an den Gelenken können folgendermaßen behandelt werden:
Bei einem Befall der Augen werden Augentropfen mit entzündungshemmenden, schmerzlindernden Wirkstoffen angewendet. Besonders bei Erkrankung im Augeninneren wird Cortison gegeben.
Verläuft die reaktive Arthritis chronisch, dann kann die Gabe von Medikamenten erforderlich sein, die das Immunsystem unterdrücken (Immunsuppressiva wie Methotrexat).
Die Prognose einer reaktiven Arthritis ist sehr unterschiedlich. Bei einigen Patienten verschwinden die Symptome nach einigen Wochen bis Monaten vollständig. Bei der Hälfte der Betroffenen treten sie aber nach einiger Zeit erneut auf. Dann handelt es sich meist nur um einzelne Symptome wie Bindehautentzündungen.
Etwa 20 Prozent der Patienten entwickeln einen chronischen Krankheitsverlauf und haben längerfristig Gelenkbeschwerden, Rückenschmerzen oder Sehnenschmerzen. Von einem schwerwiegenden Krankheitsverlauf sind besonders Patienten mit einem HLA-B27-Gendefekt betroffen.
Die Entwicklung einer reaktiven Arthritis ist eine Folge von bakteriellen Magen-Darm- oder Harnwegsinfektionen. Hiervor kann man sich beschränkt schützen durch:
Die prophylaktischen Maßnahmen empfehlen sich besonders für Menschen, bei denen ein Vorliegen des HLA-B27-Gens bekannt ist.
Um einem schwerwiegenden Verlauf der reaktiven Arthritis vorzubeugen, sollte die Entzündung ausreichend behandelt werden. Bei länger bestehender Gelenksentzündung besteht die Gefahr, dass die Gelenke dauerhaft geschädigt werden. Wenn eine Entzündung tieferer Augenschichten nicht therapiert wird, können Schäden bis zur Blindheit daraus entstehen.
WebMD – Reactive Arthritis: https://www.webmd.com/arthritis/arthritis-reactive-arthritis#1 (online, letzter Abruf: 17.02.2020)
Orphanet – Arthritis, reaktive: https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/Disease_Search.php?lng=DE&data_id=8778&Disease_Disease_Search_diseaseType=ORPHA&Disease_Disease_Search_diseaseGroup=29207&Disease(s)/group%20of%20diseases=Reiter-s-syndrome&title=Reiter-s-syndrome&search=Disease_Search_Simple (online, letzter Abruf: 17.02.2020)
Netdoktor, Sophie Matzik – Morbus Reiter: https://www.netdoktor.de/krankheiten/morbus-reiter/ (online, letzter Abruf: 17.02.2020)
NCBI, S. Eppinger; J. Schmitt; M. Meurer – Reiter disease or reactive arthritis?: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17419129 (online, letzter Abruf: 17.02.2020)
Amboss – Reaktive Arthritis: https://www.amboss.com/de/wissen/Reaktive_Arthritis (online, letzter Abruf: 17.02.2020)
Deutsche Rheuma-Liga, Prof. Dr. Andreas Krause – Reaktive Arthritis: https://www.rheuma-liga.de/fileadmin/public/main_domain/Dokumente/Mediencenter/Publikationen/Merkblaetter/1.15_Reaktive_Arthritis.pdf (online, letzter Abruf: 17.02.2020)
aktualisiert am 17.02.2020