Unter einer Querschnittslähmung versteht man die Folge einer Schädigung des Rückenmarks. Eine Querschnittslähmung ist also keine Krankheit im eigentlichen Sinne sondern vielmehr ein Symptom.
Das Rückenmark befindet sich im Wirbelkanal. Es enthält zum einen die motorischen Nerven die vom Gehirn zu den Muskeln laufen und dafür verantwortlich sind dass wir eine Bewegung willkürlich und gezielt durchführen können. Zum anderen enthält das Rückenmark aber auch sensible Nerven die uns zum Beispiel die Information über eine Berührung vermitteln können.
Zudem verlaufen im Rückenmark autonome Nerven. Autonome Nerven sind verantwortlich für alle Abläufe im Körper, die relativ unbewusst verlaufen. Sie steuern zum Beispiel die Verdauung oder das Schwitzen bei Hitze. Generell müssen alle Nerven, die von der Peripherie des Körpers das Gehirn erreichen wollen oder vom Gehirn in die Peripherie verlaufen, das Rückenmark durchqueren. Bei einer Schädigung des Rückenmarkes ist also viel mehr betroffen als nur die Motorik (Bewegung).
Deswegen erscheint der begriff Querschnittslähmung eher ungeeignet und sollte durch den Begriff Querschnittssyndrom ersetzt werden. Da innerhalb des Rückenmarkes ganz genau festgelegt ist, wo welcher Nerv verläuft, kann allein der Ausfall einer bestimmten Funktion Aufschluss darüber geben, wo sich die Schädigung befindet.
Die Ursachen für ein Querschnittssyndrom sind sehr vielfältig. Letztendlich kann alles, was zu einer Schädigung des Rückenmarks führt, einen Querschnitt verursachen. Die häufigste Ursache ist der Unfall. Bei einem Unfall kann das Rückenmark auf jeder Höhe durchtrennt werden. Eine komplettes Durchtrennen bedingt einen kompletten Querschnitt, eine inkomplette Durchtrennung bewirkt einen inkompletten Querschnitt.
Meist wird das Rückenmark bei einem Unfall nicht direkt durchtrennt, sondern ein gebrochener Wirbelknochen durchtrennt das Rückenmark. Deswegen ist es so wichtig, Patienten mit einem gebrochenen Wirbel sehr schonend und mit einer Stütze für die Wirbelsäule vom Unfallort zu bergen. Rettungswagen verfügen über Vakuummatratzen, bei denen eine Bewegung der Wirbelsäule fast ausgeschlossen wird. Zur Schonung der Halswirbelkörper wird dem Patienten bei einer Unfallrettung immer eine Halskrause aus Plastik, der so genannte Stiff neck umgelegt.
Es kann aber auch sein, dass ein gebrochene Wirbelknochen lediglich auf das Rückenmark drückt. Hier hängt die Schädigung von der Zeit ab, die das Rückenmark gequetscht wird. Wird der Wirbelkörper in kürze operativ rekonstruiert (wiederhergestellt), sind Schädigungen wie z.B. Lähmungserscheinungen zum Teil reversibel. Die Behandlung von eingebrochenen Wirbeln ist eine ausgesprochen schwierige Operation. Sie wird nur in geeigneten Zentren von Neurochirurgen in Zusammenarbeit mit Orthopäden und Unfallchirurgen durchgeführt. Der Unfallarzt untersucht seinen Patienten schon direkt am Unfallort auf mögliche Querschnittszeichen, so dass schnellstmöglichst geeignete Hilfe geleistet werden kann.
Eine weitere große Gruppe an Erkrankungen die zu einem Querschnittssyndrom führen können, sind entzündlicher Genese. Eine bekannte und gefürchtete Erkrankung ist die Kinderlähmung (Poliomyelitis). Gegen die Kinderlähmung wird im Rahmen der kindlichen Vorsorgeuntersuchungen geimpft. Lange Jahre war die Kinderlähmung in Deutschland komplett unbekannt. Leider sind aufgrund der Impfmüdigkeit der Bevölkerung in letzter Zeit wieder vermehrt Fälle aufgetreten.
Es gibt aber auch entzündliche Erkrankungen bei denen kein Erreger vorliegt und die auch zu einer Querschnittslähmung führen. Beim Guillan-Barre-Syndrom oder bei der Multiplen Sklerose greift das Immunsystem des eigenen Körpers das Rückenmark an. Es kommt sozusagen zu einer selbst Verdauung. Der Mediziner spricht hier von einer Autoimmunkrankheit.
Das Rückenmark kann auch durch einen Bandscheibenvorfall (Discus Prolaps) geschädigt werden. Eine Bandscheibe liegt zwischen den Wirbelkörpern. Verliert sie ihren Halt, rutscht sie in den Wirbelkörper vor und drückt auf das Rückenmark. Das passiert, wenn die Bandscheibe unelastisch und spröde wird, also gehäuft im Alter. Normalerweise verursacht ein Bandscheibenvorfall nur Lähmungen einzelner Muskeln, da er das Rückenmark nicht komplett durchtrennt. Unter unglücklichen Umständen kann aber auch ein Bandscheibenvorfall das Rückenmark zerquetschen.
Eine Lähmung kann auch das Symptom eines Tumors sein, der im Spinalkanal wächst. Durch seine zunehmende Größe drückt er auf das Rückenmark.Genauso wie das Gehirn einen Gehirninfarkt erleiden kann, können auch die Arterien des Rückenmarks durch einen Thrombus verlegt sein. Hier entsteht auch eine Querschnittssymptomatik.
Da eine Lähmung ohne Unfall meist das Symptom einer schweren Erkrankung ist, muss sie schnellst möglichstuntersucht werden.
Die Symptome eines Querschnittssyndroms hängen davon ab, auf welcher Höhe das Rückenmark geschädigt ist. Ebenso relevant ist die Frage, ob das Rückenmark komplett, oder nur teilweise zerstört wurde.
Generell finden sich Ausfallerscheinungen in den Bereichen, die unter der Höhe des geschädigten Rückenmarksbereichs liegen. Leitsymptom ist hier der Ausfall der Muskulatur in Form von Lähmungen. Zu Beginn eines Querschnittssyndroms sind diese Lähmungen meist schlaff. Das heißt, die Muskeln können nicht angespannt werden und die Gliedmaßen hängen schlaff herab. Besteht eine Querschnittsproblematik längere Zeit, dann resultieren meist spastische Lähmungen. Damit ist gemeint dass der Muskeltonuns der betroffenen Extremität dauerhaft erhöht ist. Die Muskeln sind angespannt, ohne dass der Betroffenen dagegen etwas machen kann. Die Pathophysiologie, die hinter einer Spastik steckt ist höchst komplex und noch nicht in allen Teilen erforscht. Sind die Lähmungen vollständig, dann spricht man von Plegie, im Gegensatz zur Parese.
Bei einer Parese funktionieren noch Teile des Rückenmarkes, so dass ein Muskel noch willkürlich angespannt werden kann. Hierbei ist lediglich die Kraft vermindert. Bei einem Querschnitt kommt es auch zum Ausfall der Sensibilität unterhalb des entsprechenden Abschnitts. Ebenso fallen auch komplexe Funktionen des sympathischen und des parasympathischen Nervensystems aus. Betroffene Patienten können unter vermehrtem Schwitzen und unter einem vermehrten Haarwachstum der Körperbehaarung leiden. Die Blasen und Darmfunktion wird bei entsprechender Schädigung ebenfalls ausfallen. Das bedeutet aber keinesfalls dass ein Querschnittspatient immer inkontinent sein muss. Häufig besteht das Problem darin, dass er den Verschlussmuskel der Blase nicht aktiv entspannen kann. Es kommt zum Harnstau mit Schädigung der Nieren.
Das Rückenmark steuert auch wesentliche Anteile des Sexuallebens. Da Erektion und Ejakulation aber teils als Reflex (das heißt, ohne Verschaltung im Gehirn) ablaufen, kann in vielen Fällen der Geschlechtsakt ohne Probleme durchgeführt werden.
Bei einer Schädigung des unteren Halsmarkes kann begleitend eine Schädigung des cervicalen sympathischen Nervensystems hinzu kommen. Diese Schädigung des Sympathicus führt zu einem eingefallenen Augapfel, einem herab hängendem Augenlied und einer Pupillenverengung. Diese Symptomtrias wird auch Horner Syndrom genannt.
Die Diagnose eines Querschnittssyndroms wird meist schon vom Patienten selbst gestellt. Können Beine oder Arme nicht mehr bewegt werden, wird ein Arzt aufgesucht.
Aufgabe des Arztes ist es jetzt, die Ursache der Querschnittslähmung festzustellen. Liegt ein Unfallgeschehen vor, wird meist schon bei Einlieferung in das Krankenhaus eine Computertomographie (CT) gemacht. Hierdurch erhält der Arzt Schnittbilder des Körpers auf denen zum Beispiel der traumatische Bruch eines Wirbelkörpers mit Quetschung des Rückenmarks sichtbar wird. Hat sich das Krankheitsbild langsam entwickelt, ist die Diagnose meist schwieriger zu stellen. Um genauen Aufschluss über die Symptomatik zu erhalten, wird der Arzt im Rahmen der Anamnese nach Beginn und Dauer der Symptomatik fragen. Er wird Fragen über die Blasen und Mastdarmkontinenz stellen und sich die Vorerkrankungen des Patienten ansehen. In der anschließenden neurologischen Untersuchung möchte der Arzt auch die neurologischen Defizite aufdecken, die dem Patienten noch nicht aufgefallen sind. Dafür gibt es eine Reihe neurologischer Tests, die zum Teil recht komisch erscheinen (z.B. das Balancieren auf einem imaginären Seil).
Zur Prüfung der Muskelkraft misst der Arzt quasi in einer Art Arm drücken seine Kraft mit der des Patienten. Zur Prüfung der Sensibilität muss der Patient mit geschlossenen Augen beurteilen, wo der Arzt die Haut berührt hat.
Um eine Entzündung auszuschließen, wird das Blut untersucht. Eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule kann gebrochene Wirbelkörper darstellen. Nicht immer bricht ein Wirbelkörper akut und mit schlagartig einsetzender Symptomatik. Beim Knochenschwund (Osteoporose) kann der Wirbelkörper langsam in sich zusammenfallen. Hierbei entwickelt sich die Symptomatik auch langsam.Eine Kontrastmitteluntersuchung des Spinalraums, die Myelographie, ist bei Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall induziert.
Differenzialdiagnostisch müssen jene Erkrankungen abgegrenzt werden, die zu Lähmungserscheinungen führen, deren Ursache aber nicht in einer Schädigung des Rückenmarks zu finden ist. Die Nerven, die durch das Rückenmark verlaufen und deren Schädigung die typischen Lähmungserscheinungen verursachen, beginnen im Gehirn. Werden diese Nerven im Gehirn geschädigt, können sie ein ähnliches Bild wie eine Rückenmarksschädigung hervorrufen. Bei einer Schädigung im Gehirn kommen aber nur selten die typischen sensiblen Schädigungen mit hinzu.
Eine Lähmung eines Muskels kann auch durch eine Erkrankung des Muskels bedingt sein. Hierbei verläuft der Nerv auch ungestört durch das Rückenmark. Bei einer Erkrankung des Muskels ist die Sensibilität fast immer ungestört.
Die Therapie einer Querschnittslähmung richtet sich nach der zu Grunde liegenden Ursache. Bei Unfällen mit Verletzung der Wirbelsäule werden operativ die gebrochenen Wirbelkörper wiederhergestellt. Knochenfragmente, die auf das Rückenmark drücken werden entfernt. Zur Stabilisierung der Wirbelsäule können Metallteile in die gebrochenen Wirbel eingebracht werden.
Ähnliches gilt für einen Bandscheibenvorfall. Drückt der Kern einer Bandscheibe auf den Spinalkanal, kann der Kern oder die ganze Bandscheibe entfernt werden und durch künstliches Material ersetzt werden.
Liegt eine entzündliche Erkrankung des Rückenmarks vor, wird der Arzt versuchen, die Entzündung einzudämmen. Bei der Multiplen Sklerose gibt es komplexe Therapieschemata, bei denen Medikamente nach einem genau festgelegten Schema gegeben werden.
Die Anteile des Rückenmarks, die durch einen Unfall oder eine Erkrankung bereits zerstört wurden, werden durch die oben genannten Maßnahmen nicht beeinflußt. Zerstörtes Rückenmark regeneriert nicht mehr. Wahrscheinlich existieren hier bestimmte Faktoren, die das Rückenmark daran hindern, wieder zusammenzuwachsen. Diese Faktoren sind Inhalt medizinischer Forschung. Es wurden bereits Medikamente entwickelt, die diese Faktoren hemmen und somit eventuell eine Regeneration des Rückenmarks ermöglichen. Einige dieser Medikamente werden bereits im Rahmen von klinischen Studien getestet.
Die Prognose einer Querschnittssymptomatik hängt von der zu Grunde liegenden Ursache ab. Ist der Querschnitt durch eine Krankheit entstanden, können durch die frühzeitige Therapie der Erkrankung häufig die kompletten motorischen Funktionen wiederhergestellt werden. Ist das Rückenmark aber durch einen Unfall komplett durchtrennt worden, können motorische Funktionen nur vereinzelt durch intensive Physiotherapie über Jahre wiedererlangt werden.Hier hängt die Prognose entscheidend vom Umgang des Patienten mit seiner Erkrankung ab. Umfangreiche Rehabilitationsmaßnahmen erleichtern die ersten Schritte.
Da ein Querschnitt nach einem Unfall meist irreversibel erhalten bleibt, sollten die Gefahren des Straßenverkehrs nicht unterschätzt werden. Bei gefährlichen Sportarten, wie z.B. dem Motorradfahren, ist auf geeignete Schutzkleidung zu achten.
aktualisiert am 24.04.2023