Prof. Herpertz: Verlässlichkeit, Korrektheit und Gewissenhaftigkeit gepaart mit hohen Leistungsstandards sind als Persönlichkeitszüge gewöhnlich sehr geschätzt, nicht zuletzt im Berufsleben. Allerdings können diese Persönlichkeitszüge langfristig für den Betroffenen zur Überforderung, chronischem Stress und Burnout führen. Das für die ZPS typische übermäßige Kontrollbedürfnis und die starke Rigidität einen einmal eingeschlagenen Weg nicht mehr zu verlassen führen oft zu interpersonellen Konflikten und beeinträchtigen das soziale Miteinander.
Prof. Herpertz: Die ZPS ist von der Zwangsstörung abzugrenzen, die sich durch einen inneren Zwang oder Drang auszeichnet, bestimmte Dinge zu denken oder – obwohl sie als unsinnig erkannt werden - zu tun. Kontrollzwänge sind besonders häufig.
Prof. Herpertz: Im Berufsleben ist die ZPS oft mit Erfolg, Anerkennung und beruflichem Aufstieg verbunden. Mit wachsender Verantwortung allerdings müssen Aufgaben an andere delegiert werden, was Menschen mit ZPS kaum möglich ist, sie müssen Aufgaben hierarchisieren können, nicht immer den Anspruch auf perfekte Erledigung an sich stellen. Hier drohen Überforderung, zwanghaftes Grübeln über mögliche Fehler und die Unfähigkeit zu entspannen.
Prof. Herpertz: In Beziehungen kann das hohe Kontrollbedürfnis zum Problem werden. Sie haben nicht nur extreme Ansprüche an die eigene Leistung, sondern auch an die der anderen, seien es Familienmitglieder, vor allem die eigenen Kinder oder Arbeitskollegen. Auch kann die gemeinsame Freude und das gemeinsame Entspannen stark beeinträchtigt sein. Schließlich haben sie oft Schwierigkeiten oder Angst davor, die eigenen Gefühle wahrzunehmen oder dem anderen mitzuteilen. Sie bleiben distanziert, spröde und unnahbar.
In Beziehungen kann das hohe Kontrollbedürfnis zum Problem werden.
Prof. Herpertz: Sie haben oft Leidensdruck, können nicht genießen, sind mit steigendem Lebensalter zunehmend erschöpft und können ihrem perfektionistischen Anspruch nicht mehr nachkommen. So kommen sie nicht selten mit Depressionen oder auch somatoformen Störungen in unsere psychiatrische Behandlung.
Prof. Herpertz: Die Erblichkeit der ZPS ist als eher hoch einzuschätzen. Oft haben sie in ihrer Kindheit einen sehr strengen Erziehungsstil der Eltern erlebt mit hohen moralischen Standards, hohen Leistungsansprüchen und strengen Wertmaßstäben. Vitalität und explorierendes Verhalten, wie es die Kindheit auszeichnet, waren oft nicht erlaubt und wurden kontinuierlich beschränkt oder gar bestraft.
Prof. Herpertz: Psychotherapie ist die Behandlung erster Wahl, sie kann im Falle ausgeprägten Leidens mit der Gabe von Selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) kombiniert werden. Patienten mit ZPS kommen allerdings eher selten in Psychotherapie, haben sie Angst vor emotionaler Nähe zu Therapeuten, aber auch vor Veränderung. In Psychotherapien wollen sie alles richtig machen, neigen zur Intellektualisierung, haben wenig Zugang zu ihren Gefühlen. Nach Aufbau einer therapeutischen Beziehung, die die Autonomie der Patienten ganz sensibel beachtet, werden die Schemata der Rigidität und des Perfektionismus zum Fokus der Behandlung. Vor allem in Gruppentherapien können konkrete Übungen einschließlich Rollenspiele durchgeführt werden und Lösungsstrategien in Konfliktsituationen entwickelt werden.
Patienten mit ZPS kommen allerdings eher selten in Psychotherapie, haben sie Angst vor emotionaler Nähe zu Therapeuten, aber auch vor Veränderung.
Prof. Herpertz: Die ZPS kann verändert werden, der Patient muss sich sicher in der Beziehung zum Therapeuten fühlen, auf Seite des Therapeuten braucht es viel Geduld und schrittweise Ermutigung zur Veränderung.
Prof. Herpertz: In Psychotherapien werden Techniken aus dem Improvisationstheater integriert, die es Patienten ermöglichen, sich in Rollen spielerisch auszuprobieren und das Erlebnis zu machen, dass Fehler dazu gehören und hierüber gelacht werden kann.
Prof. Herpertz: Leider wird auf diesem Gebiet wenig geforscht, vor allem gibt es bis heute keine Forschung zur Entwicklung spezifischer Psychotherapietechniken.
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 13.05.2024.