Das Patellaspitzensyndrom, auch Springerknie (Jumper's Knee) genannt, ist ein Schmerzsyndrom am unteren Rand der Kniescheibe (Patella). Die Kniescheibe dient im Kniegelenk als sogenanntes Hypomochlion: Sie ermöglicht eine bessere Hebelwirkung des Oberschenkelstreckmuskels (Quadrizepsmuskels) auf den Unterschenkel. Die Kniescheibe ist in Sehnengewebe eingebettet. Oberhalb der Patella ist das die Quadrizepssehne und unterhalb die Patellasehne. Die Patellasehne verbindet den unteren Rand (Patellaspitze) der Kniescheibe mit einem Ansatzpunkt (Tuberositas tibiae) am oberen Ende des Schienbeins.
Durch Überlastungen kann es zu Reiz- und Schmerzzuständen am unteren Pol der Kniescheibe kommen. Auslöser des Patellaspitzensyndroms sind meist sportliche Aktivitäten wie Weitsprung, Hochsprung, Basketball, Tennis oder Joggen auf harten Bodenbelägen. Die Therapie ist oft langwierig. In der Regel kann konservativ (ohne Operation) behandelt werden. In manchen Fällen ist auch eine Operation notwendig.
Ursache für das Patellaspitzensyndrom ist eine Überlastung der Kniescheibensehne (Patellasehne) am unteren Rand der Kniescheibe durch große Zugbeanspruchungen. Diese Überlastung kann auf unterschiedliche Art und Weise zustande kommen. Übergewicht und Übertraining können genauso Auslöser sein wie ungewohnte Tätigkeiten, zum Beispiel das Erlernen einer neuen Sportart mit ungewohnten Bewegungsabläufen.
Bei den auslösenden oder begünstigenden Faktoren eines Patellaspitzensyndroms wird zwischen äußeren und inneren Faktoren unterschieden. Innere Faktoren liegen im menschlichen Körper selbst begründet. Hierzu zählen:
Äußere Faktoren hingegen beziehen sich vor allem auf die Anforderungen der jeweiligen Sportart oder Tätigkeit an die Sehne. Äußere Faktoren sind vor allem:
Das Patellaspitzensyndrom äußert sich vor allem durch Schmerzen am unteren Ende der Kniescheibe. Diese treten zu Beginn meist nach der Belastung der Sehne auf. Dabei kommt das Patellaspitzensyndrom besonders in Sportarten vor, die durch viele Sprünge, Start- und Stoppbewegungen oder Richtungswechsel gekennzeichnet sind.
Eine Einteilung aus dem Jahr 1978 unterscheidet vier verschiedene Ausprägungen des Patellaspitzensyndroms:
In manchen Fällen ist zusätzlich zu den Schmerzen eine Rötung oder Schwellung im unteren Bereich der Kniescheibe sichtbar. Zusätzlich ist Druck mit dem Daumen auf die Sehne unterhalb der Kniescheibenspitze oft schmerzhaft. Durch das Anspannen des Oberschenkelstreckers gegen Widerstand am Unterschenkel werden die Schmerzen normalerweise ebenfalls ausgelöst.
Das Patellaspitzensyndrom kann auch beidseitig auftreten und in einen chronischen (dauerhaften) Verlauf übergehen.
Zu Beginn der Diagnostik steht das ausführliche Arzt-Patienten-Gespräch, die Anamnese. Typische Fragen sind:
Im Anschluss an die Anamnese folgt die körperliche Untersuchung. Im Sichtbefund (Inspektion) können statische Auffälligkeiten wie Abweichungen der Beinachse (X-Bein, O-Bein, Senkfuß) oder Fehlstellungen der Kniescheibe festgestellt werden. Auch Schwellungen und Rötungen im Bereich des Kniegelenkes können auffallen. Der Tastbefund (Palpation) liefert Informationen über Temperaturerhöhungen oder Druckschmerzhaftigkeit der Sehne. Bei der Bewegungsprüfung wird die Beweglichkeit sowohl des Kniegelenkes als auch der Kniescheibe überprüft. Muskeltests auf Schmerz, Kraft und Verkürzung vervollständigen die körperliche Untersuchung.
Wird ein Patellaspitzensyndrom vermutet, können weitere Untersuchungsverfahren hilfreich sein. Hierzu zählen:
Eine Röntgendiagnostik ist nur angebracht, um knöcherne Ursachen oder einen Gelenkverschleiß (Arthrose) auszuschließen. Sehnengewebe ist auf dem Röntgenbild praktisch nicht sichtbar.
Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können wie das Patellaspitzensyndrom, sollten ausgeschlossen werden. Hierzu zählen:
Die Therapie richtet sich nach der Schwere und der Dauer der Symptomatik. Das Patellaspitzensyndrom ist oft sehr hartnäckig. Es kann Monate dauern, bis eine deutliche Besserung oder ein Verschwinden der Symptome eintritt.
Die Therapie erfolgt zunächst konservativ (ohne Operation). Eine wichtige Maßnahme ist die Reduzierung der Belastung, damit die Sehne sich erholen kann. Dabei kann es sein, dass das sportliche Training oder andere Belastungen ganz ausgesetzt oder deutlich reduziert werden müssen. In manchen Fällen werden zu Beginn schmerzlindernde Medikamente wie Diclofenac oder Ibuprofen verordnet.
Eine physiotherapeutische Begleitung ist wichtig. Muskelverkürzungen und Muskelschwächen werden hier durch Dehnübungen und Krafttraining gezielt ausgeglichen. Um die Belastbarkeit der Patellasehne zu trainieren und zu erhöhen, kommt vor allem ein exzentrisches Muskeltraining zum Einsatz. Dabei muss die Muskulatur des Quadrizeps unter Anspannung langsam nachgeben. Wann mit dieser Form des Trainings begonnen werden kann, ist von der Schmerzsymptomatik und der Freigabe durch den Arzt oder Therapeuten abhängig.
Spezielle Tapeanlagen (Kinesiotape) sind oft ebenfalls hilfreich und entlasten die Sehne. Spezielle Bandagen sind ebenfalls erhältlich.
Die Anwendung von Kälte-, Wärme- oder Elektrotherapie ist im Rahmen der Physiotherapie möglich. Bei Fußfehlstellungen kann eine Einlagenversorgung zusätzlich hilfreich sein. Auch die Anwendung einer extrakorporalen Stoßwellentherapie wird von manchen Ärzten empfohlen. Die Kontrolle vorhandener Einlagen und des beim Sport verwendeten Schuhwerkes ist sinnvoll. Wenn die sportliche Belastung wieder aufgenommen wird, sollte außerdem die Sporttechnik analysiert werden. Dabei sollte nach möglichen Schwachpunkten gesucht werden, die korrigiert werden können.
Wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichend helfen, kommt eine Operation in Betracht. Hierbei wird entzündetes Fettgewebe beseitigt, neugebildete Blutgefäße werden verödet und Sehnengewebe wird entfernt, das verschleißbedingt (degenerativ) verändert ist. Dieser Eingriff kann oft minimalinvasiv (über kleine Zugänge, arthroskopisch) stattfinden. Im Fall eines Teilrisses oder eines vollständigen Risses der Patellasehne muss die Sehne genäht beziehungsweise rekonstruiert werden. Hierfür kann eine offene Operation (mit größeren Schnitten) notwendig sein.
Es gibt einige Dinge, die man tun kann, um einem Patellaspitzensyndrom vorzubeugen. An erster Stelle steht ein angemessenes Körpergewicht. Übergewicht ist zu vermeiden oder zu reduzieren. Bei Achsfehlstellungen der Beine wie Senkfüßen oder X-Beinen sollte eine entsprechende Einlagenversorgung diese so gut wie möglich ausgleichen.
Vor dem Sport ist ein intensives Aufwärmtraining durchzuführen. Dadurch werden Sehnen, Muskeln und Bänder auf die bevorstehende Belastung vorbereitet. Die Muskulatur der Oberschenkelvorder- und -rückseite muss ausreichend flexibel sein, um Überlastungen der Patellasehne zu vermeiden. Ein regelmäßiges Dehnen ist hier entscheidend. Dieses ist vor und vor allem nach der Belastung angezeigt. Außerdem muss die kniegelenkstabilisierende Muskulatur kraftvoll genug sein, um den jeweiligen Anforderungen der Sportart oder im Alltag gerecht zu werden. Neue Bewegungsabläufe sollten langsam erlernt werden, um Überbelastungen zu vermeiden. Trainingspläne sollten ausreichend Regenerationszeiten beinhalten. Auch Pausen sind wichtig, um Überlastungen zu vermeiden.
Die Ausheilung eines Patellaspitzensyndroms kann langwierig sein und erfordert Geduld, gerade von Sportlern. Eine zu frühe Wiederaufnahme der Belastung führt oft zu Rückschlägen. Konservative Therapiemaßnahmen sind in den meisten Fällen erfolgreich. Wichtig ist, die Empfehlungen der Ärzte oder Therapeuten bezüglich Entlastung und erlaubtem Übungsprogramm einzuhalten. Mit zunehmendem Schmerzrückgang kann die Belastung wieder gesteigert werden. Nach Abklingen des Patellaspitzensyndroms sind vorbeugende Maßnahmen entscheidend, um Rückfälle zu verhindern. Hierzu zählen vor allem ausgewogene Trainingspläne, regelmäßige Dehnungs- und Kräftigungsübungen, ausreichend Regenerationsphasen, die Optimierung sportlicher Bewegungsabläufe und, wenn nötig, eine angemessene Einlagenversorgung.
MSD Manual, Frank Pessler – Patellaspitzensyndrom: https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/gesundheitsprobleme-von-kindern/bindegewebserkrankungen-bei-kindern/patellaspitzensyndrom (online, letzter Abruf: 01.11.2022)
aktualisiert am 01.11.2022