Prof. Braun: Parodontitis ist eine Entzündung des Zahnhalteapparats, also aller Bereiche, die an der Verankerung eines Zahns im Kiefer verantwortlich sind. Dabei handelt es sich um das Zahnfleisch, die Wurzelhaut, Wurzelzement und den Alveolarknochen. Somit lässt sich die Parodontitis von der bloßen Zahnfleischentzündung dadurch abgrenzen, dass zum Beispiel auch Anteile des Knochens um den Zahn herum verloren gegangen sind, was bei ausgeprägter Erkrankung zur Lockerung oder auch zum Verlust des Zahns führen kann.
Prof. Braun: „Parodontose“ ist ein umgangssprachlicher Begriff für „Parodontitis“, bezeichnet also die gleiche Erkrankung. Genau genommen ist der Begriff „Parodontose“ nicht korrekt, da Krankheitsbezeichnungen mit der Endung „…ose“ in der Regel nicht-entzündliche Erkrankungen und Zustände benennen. Die Parodontitis ist allerdings eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats (Parodont), sodass die korrekte Benennung die Endung „…itis“ haben sollte.
Prof. Braun: Zu den Symptomen gehören typische Beschwerden wie beispielsweise oft auftretendes Zahnfleischbluten sowie Rötungen und Schwellungen des Zahnfleischs, dass auch schmerzhaft sein kann. Bei länger andauernder Erkrankung kann es zu einem Zahnfleischrückgang mit Entblößung der Zahnwurzeln kommen. In diesem Zusammenhang kann auch eine Lockerung oder Stellungsänderung der betroffenen Zähne beobachtet werden. Auch Mundgeruch kann ein Zeichen für Parodontitis sein, ist aber nicht ausschließlich auf diese Erkrankung zurückzuführen.
Bei länger andauernder Erkrankung kann es zu einem Zahnfleischrückgang mit Entblößung der Zahnwurzeln kommen.
Prof. Braun: Betrachtet man die Daten der Deutschen Mundgesundheitsstudie, erkennt man eine Zunahme der Häufigkeit mit dem Alter. So kann bei mehr als 50% der Menschen ab 35 Jahren eine Parodontitis unterschiedlichen Schweregrads festgestellt werden. In der Gruppe der ab 65 Jahre alten Menschen sind über 60% betroffen und bei den älteren Senioren ab 75 Jahren sind sogar 90% von einer moderaten oder schweren Parodontitis betroffen.
Der Grund für die Altersabhängigkeit ist vielschichtig: So kann beispielsweise ein geschwächtes Immunsystems im Alter einer Entzündungsreaktion im Bereich des Zahnhalteapparats nicht adäquat begegnen, sodass hier der Vermeidung von Plaque-Ansammlungen in der Zahnfleischtasche eine besondere Bedeutung zukommt. Gerade bei hochbetagten Menschen können zunehmend auch Einschränkungen bei der regelmäßigen Mundhygiene hinzukommen, wodurch bakterielle Zahnbeläge weniger effektiv entfernt werden.
Prof. Braun: Neben der bakteriell bedingten Ursache der Parodontitis können sowohl individuell personenbezogene als auch Umweltfaktoren das Risiko der Erkrankung beeinflussen. So beeinflussen sich beispielsweise Parodontitis und Diabetes gegenseitig. In der Literatur konnte ein Zusammenhang zwischen der Höhe des Glukosespiegels und der Schwere der Parodontitis festgestellt werden. Dabei spielen Gefäßveränderungen und eine Beeinträchtigung der Wundheilung eine entscheidende Rolle.
Auch dem Rauchen wird eine Erhöhung des Risikos zugesprochen, an einer Parodontitis zu erkranken. Hier kann es neben der Beeinflussung auf Zellebene auch zu einer verminderten Durchblutung und damit einhergehender reduzierter Wundheilung im Bereich des Zahnhalteapparats kommen. Als weitere Risikofaktoren für Parodontitis werden beispielsweise Stress, Adipositas oder auch rheumatoide Arthritis angesehen.
Neben der bakteriell bedingten Ursache der Parodontitis können sowohl individuell personenbezogene als auch Umweltfaktoren das Risiko der Erkrankung beeinflussen.
Prof. Braun: Die Parodontitis entwickelt sich in der Regel auf dem Boden von Bakterien, Nahrungsresten sowie weichen und harten Zahnbelägen, die sich unterhalb des Zahnfleischs sammeln und nur unzureichend entfernt werden. Weiche Zahnbeläge können über die Zeit durch die Mineralien des Speichels auf den Zahnwurzel-Oberflächen erhärten und die Anlagerung und Vermehrung weiterer Bakterien begünstigen, wodurch chronische und akuten Entzündungsreaktionen des Zahnhalteapparats gefördert werden.
Weiterhin können aber auch andere Faktoren wie eine erblich bedingte Veranlagung, Rauchen, Stress oder Allgemeinerkrankungen wie zum Beispiel Diabetes dazu führen, dass sich entzündliche Prozesse im Bereich des Zahnhalteapparats entwickeln.
Prof. Braun: Die Behandlung zielt darauf ab, die Beläge und die darin enthaltenen Bakterien von den Zahnoberflächen zu entfernen, da diese Bakterien die entzündlich bedingten Veränderungen unterhalten. Dies geschieht in der Regel durch professionelle Zahnreinigungsmaßnahmen. Im nächsten Schritt werden mit speziellen Handinstrumenten oder auch mit maschinellen Systemen (zum Beispiel Schall-, Ultraschallsysteme oder Laser) die Wurzeloberflächen unterhalb des Zahnfleischs in den entstandenen Zahnfleischtaschen gereinigt. Dabei werden dann auch die dort anhaftenden mineralisierten fest anhaftenden Beläge entfernt und die Wurzeloberflächen geglättet.
Dies geschieht dann in der Regel unter örtlicher Betäubung. Sind die Zahnfleischtaschen zu tief und nicht kontrolliert erreichbar und zu reinigen, kann auch ein chirurgischer Eingriff notwendig werden. Dabei wird das Zahnfleisch gelöst, um eine bessere Sicht auf die Zahnwurzeln zu haben.
Prof. Braun: Über die Jahre haben sich die Therapieansätze von den offenen chirurgischen Eingriffen eher in die Richtung geschlossener nicht-chirurgischer Maßnahmen bewegt. Im Rahmen einer systematischen Behandlungsabfolge steht vor allem der antiinfektiöse nicht-chirurgische Anteil im Mittelpunkt und ermöglicht eine gewebeschonende Therapie, bei der auch die ästhetischen Beeinträchtigungen wie freiliegende Zahnhälse oder nicht vom Zahnfleisch bedeckte dunkle Dreiecke zwischen den Zähnen eher vermieden werden können.
Durch das steigende Bewusstsein, dass es sich bei der Parodontitis um eine Erkrankung handelt, die auch im Zusammenhang mit allgemeinmedizinischen Erkrankungen eine Rolle spielen kann, hat sich zunehmend eine stärkere wechselseitige Interaktion zwischen Zahn- und Allgemeinmedizin entwickelt.
Prof. Braun: Da es sich bei der Parodontitis um eine entzündliche Erkrankung handelt, deren Entzündungsursache in der Regel bakterienhaltige Zahnbeläge sind, zielt die Behandlung der Erkrankung auf eine Entfernung der Beläge und Glättung der Zahnwurzeloberflächen, um eine Wiederanlagerung von Belägen zu verhindern oder zu erschweren. Über solche Behandlungsmaßnahmen kann das Fortschreiben einer Parodontitis aufgehalten oder zumindest verlangsamt werden.
Eine Heilung im Sinne einer Wiederherstellung der Ausgangssituation vor dem Einsetzen der Erkrankung ist nicht zu erwarten, da sich die verlorengegangenen Gewebe des Zahnhalteapparats auch nach Entfernung der Entzündungsursachen nicht vollständig zurückbilden. Daher ist es wichtig, lebenslang auf eine regelmäßige Nachsorge zu achten, um bei einem Wiederaufflammen der Erkrankung zeitnah die entsprechende Therapie einzuleiten.
Eine Heilung im Sinne einer Wiederherstellung der Ausgangssituation vor dem Einsetzen der Erkrankung ist nicht zu erwarten...
Prof. Braun: Bezogen auf die betroffenen Zähne kann die Erkrankung fortschreiten und durch kontinuierlichen Abbau des Knochens zum Zahnverlust führen. Aber es sind auch Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit zu berücksichtigen: Die eine Parodontitis verursachenden und unterhaltenden Bakterien setzen Entzündungsbotenstoffe frei, die neben den Bakterien selber über die entzündete Zahnfleischtasche in die Blutbahn gelangen und im gesamten Körper verteilt werden können.
Somit kann beispielsweise das Risiko für Stoffwechselerkrankungen, Herz-, Kreislauferkrankungen, rheumatische Arthritis oder auch neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Alzheimer steigen. In der Literatur finden sich auch Hinweise, dass eine unbehandelte Parodontitis das Risiko von Frühgeburten erhöhen kann.
Prof. Braun: Das Risiko, an einer Parodontitis zu erkranken, ist individuell von Person zu Person unterschiedlich. Generell kann man selber auf eine gute und regelmäßige Mundhygiene achten, regelmäßige Kontrolluntersuchungen in der zahnärztlichen Praxis einhalten, auf eine ausgewogene Ernährung achten und bekannte Risikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen vermeiden. Bei bereits behandelter Parodontitis oder vorliegenden Allgemeinerkrankungen, die mit Parodontitis in Zusammenhang gebracht werden (wie zum Beispiel Diabetes) sollte man besonders aufmerksam und sorgfältig regelmäßige Kontrollen durchführen lassen, um nach ersten Krankheitsanzeichen unmittelbar eine entsprechende Therapie zu einzuleiten.
Prof. Braun: Grundsätzlich gibt es keine absoluten Einschränkungen für Parodontitis-Patienten in Bezug auf Nahrungsmittel oder Getränke. In der Literatur finden sich Studien zum Beispiel im Hinblick auf eine geringere Fettaufnahme, geringen Verzehr von Zucker und Salz oder einen verstärkten Verzehr von Gemüse- und Obst. Die Ergebnisse dieser Studien können in manchen Fällen einen positiven Effekt feststellen, anderen Studien wiederum zeigten keinen Effekt auf die Parodontitis.
Gemäß der aktuellen S3-Leitlinie zum Thema „Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III“ lässt die augenblickliche Studienlage keine eindeutige Empfehlung zu einer Ernährungsberatung zu, da eine mögliche positive Wirkung auf die Parodontitis nicht abgeschätzt werden kann.
Grundsätzlich gibt es keine absoluten Einschränkungen für Parodontitis-Patienten in Bezug auf Nahrungsmittel oder Getränke.
Prof. Braun: Parodontitis wird wissenschaftlich intensiv von verschiedenen Gesichtspunkten aus untersucht. Ein zurzeit sehr interessanter Aspekt ist die Betrachtung der Parodontitis im Zusammenhang möglicher einseitiger oder wechselseitiger Beeinflussung von Allgemeinerkrankungen.
Eine Veröffentlichung aus der eigenen Arbeitsgruppe konnte kürzlich den Einfluss antimikrobieller Vorbehandlungen von Zahnfleischtaschen auf die Ausschwemmung von Bakterien während der Parodontitistherapie in die Blutbahn aufzeigen. Da eine solche Bakteriämie Ausgangspunkt für Erkrankungen in anderen Körperbereichen sein kann, wäre eine Vermeidung der Ausschwemmung von Bakterien durch geeignete Maßnahmen von besonderer Bedeutung für Prävention von mundfernen Wirkungen durch parodontologische Behandlungen.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 25.06.2024.