Der Ausdruck Anastomose entstammt dem Griechischen und bezeichnet eine Öffnung oder Mündung. In der Medizin sind mit Anastomosen verbindende Gänge gemeint. Anastomosen können sich zwischen Blut- oder Lymphgefäßen bilden sowie verletzte Nervenbahnen wieder miteinander verbinden. Gezielte chirurgisch angelegte Verbindungen zwischen Nerven, Organen oder Blutgefäßen werden ebenso als Anastomosen bezeichnet.
Gelegentlich bilden sich Anastomosen auf natürlichem Weg. Im natürlichen Verlauf versucht der Organismus von sich aus, Umgehungskreisläufe zu schaffen. Dies dient der einwandfreien Funktion von Organen, Blutkreislauf und Nervensystem. Grundsätzlich gilt: Blutgefäße verbinden sich mit Blutgefäßen, Lymphbahnen mit Lymphbahnen und Nerven mit Nerven.
Natürlich gebildete Anastomosen treten häufig auf. Als natürliche Verbindungen zwischen kleinen Arterien und Venen dienen arteriovenöse Anastomosen dazu, die Durchblutung und die Wärmeabgabe zu steuern. Sie liegen in Organen und unter der Haut. Allerdings zählen auch arteriovenöse Malformationen zu den Anastomosen: Bei diesen Fehlbildungen der Blutgefäße sind Arterien direkt mit Venen verbunden. Die feinen Kapillargefäße zwischen den beiden Anteilen fehlen. Solche Direktverbindungen können zu Gefäßknäueln führen, die zum Teil erweitert sind, zum Teil geschwächte, schadensanfällige Gefäßwände aufweisen: Hier besteht die Gefahr von Gefäßrupturen (Gefäßrissen) und in der Folge von Blutungen.
Eine Anastomose kann entstehen, wenn beispielsweise eine Arterie verstopft. Ein Umgehungskreislauf entsteht. Mit dieser Verbindungsleitung wird die Versorgung des Gewebes hinter der undurchlässigen Stelle gesichert.
Eine natürliche Anastomose ist beispielsweise eine Verbindung von Arterien im Becken-, Bauch- und Oberschenkelbereich. Ist sie besonders ausgeprägt, wird sie Corona mortis genannt (wörtlich „Todeskrone“), da gefährliche Blutungen möglich sind. Ein weiteres Beispiel ist die Riolan-Anastomose (benannt nach einem französischen Arzt, der sie entdeckt hat). Durch die Riolan-Anastomose sind beide Dickdarm-Arterien miteinander verbunden, um die Durchblutung des Darmes sicherzustellen. Die Lage solcher Verbindungsstränge oder Umgehungs-Gefäße variiert von Mensch zu Mensch. Deshalb müssen Chirurgen bei Eingriffen in dieser Region besondere Vorsicht walten lassen.
Lymph- und Nervenbahnen bilden vergleichbare Verbindungsleitungen. Zahnärzte wissen, dass sie durch eine nicht akkurat gesetzte örtliche Betäubung (Lokalanästhesie) den jeweils gegenüberliegenden Unterkieferast zwangsläufig mit betäuben.
Einige spontan gebildete Anastomosen haben negative Auswirkungen oder sind als Krankheitserscheinung zu betrachten:
In den weitaus meisten Fällen lösen Anastomosen keine Erkrankungen aus und werden womöglich niemals bemerkt. Sie entstehen spontan bei Bedarf, um die einwandfreie Funktion von Organen sicherzustellen: Durchtrennte oder verletzte Nerven „heilen“, indem sie neue Verbindungen entstehen lassen. Auf diesem Weg kehren nach einiger Zeit Bewegungsfähigkeit oder Gefühl in stark beschädigte Bereiche zurück.
Sehr viel mehr Menschen würden an Lymphödemen (Wasser im Gewebe durch Lymphstau) leiden, hätte der Körper nicht die Fähigkeit, auch im Lymphsystem Umgehungskreisläufe zu bilden.
Chirurgisch herstellte Anastomosen eröffnen gute Therapiemöglichkeiten bei verschiedensten Erkrankungen.
Wichtige Beispiele für chirurgische Anastomosen sind:
Bei Herzfehlern sorgt eine zusätzliche „Leitung“ dafür, dass mehr sauerstoffreiches Blut in die betroffenen Körperregionen gelangt. Starke Mangeldurchblutung mit entsprechender Blaufärbung von Körperteilen (Zyanose) kann bereits bei Babys auftreten. Zusätzliche Verbindungen können die Situation entscheidend verbessern. Durch eine Anastomose (Blalock-Taussig-Anastomose) kann mehr Blut in den Lungenkreislauf geführt werden, um die Sauerstoffaufnahme zu verbessern.
Künstliche Umgehungskreisläufe im System der Blutbahnen verhindern das Absterben von Gewebe (Nekrosen) und Entzündungsprozesse. Sichergestellt werden auf diesem Weg die einwandfreie Funktion der Organe und die sichere Versorgung des Gehirns mit sauerstoffreichem Blut.
Anastomosen im System der Lymphgefäße können inzwischen mit mikrochirurgischen Methoden angelegt werden. Sie finden Anwendung, um Lymphödeme, Flüssigkeitsstau, zu verhindern.
Bei Verbindungen von Hohlorganen wie Magen und Darm gibt es zwei Ausführungsmöglichkeiten: Entweder werden beide Organe beziehungsweise eines davon seitlich geöffnet, um die Verbindung herzustellen (Seit-zu-Seit- oder Seit-zu-End-Anastomose) oder es werden zwei Enden von Strukturen verbunden (End-zu-End-Anastomose). Alle künstlichen Anastomosen müssen so ausgeführt werden, dass die Durchblutung im Verbindungsbereich gewährleistet ist. Die Verbindung muss dicht und frei von Spannungen sein.
Künstliche Umgehungs-Systeme und Verbindungen bergen Risiken. Tritt beispielsweise eine Undichtigkeit der Verbindung (Anastomosen-Insuffizienz) im Bereich des Magens oder Darms auf, können Inhalte der Organe in die Bauchhöhle entweichen. Hier lösen sie gefährliche Entzündungsprozesse aus: Eine Peritonitis (Bauchfellentzündung) droht. Des Weiteren kann sich ein örtlicher Abszess (Eiterhöhle) oder eine Fistel (entzündlicher Verbindungskanal) bilden. Die Schäden sind nur operativ zu beheben.
Ursache solcher Heilungsstörungen von künstlich geschaffenen Anastomosen können Mängel in der Ausführung sein. Häufiger kommen jedoch Durchblutungsstörungen in Frage: Werden die Wandbereiche der Organe oder Gefäße nekrotisch (sterben ab), entzündet sich die Umgebung der Naht und die zuvor geschaffene Verbindung wird undicht.
Reißen chirurgische Verbindungen von Blutgefäßen, liegt oft eine Gewebeschwäche der Gefäße selbst zugrunde. Problematisch ist auch eine längerfristige Gabe gerinnungshemmender Mittel wie Heparin. In der Folge treten womöglich anhaltende Blutungen in den Stichkanälen direkt an der Naht auf. Auch ein Nahtaneurysma kann ausgelöst werden: In diesem Falle bildet sich eine Aussackung des Gefäßbereichs. Manchmal reißt das Blutgefäß an der Schwachstelle spontan, eine starke, bedrohliche Blutung ist die Folge.
aktualisiert am 29.05.2020