PD Dr. Marquaß: Oberarmbrüche können durch verschiedene Ursachen entstehen. Stürze und Unfälle sind die häufigsten, wobei gerade von Letzteren ältere Menschen betroffen sind. Der Bruch des oberen Anteils des Oberarms, die so genannte proximale Humerusfraktur, ist ein typischer osteoporosebedingter Bruch. Das heißt, mit abnehmender Knochendichte (Osteoporose) steigt das Risiko einer Verletzung. Bei Unfällen, insbesondere Sportunfällen, sind häufiger junge Menschen betroffen. Seltenere Ursachen sind eine direkte Krafteinwirkung, wie ein Schlag gegen den Arm oder Tumore, die zu einer Schwächung des Knochens geführt haben.
Der Bruch des oberen Anteils des Oberarms, die so genannte proximale Humerusfraktur, ist ein typischer osteoporosebedingter Bruch.
PD Dr. Marquaß: Oberarmkopfbrüche sind neben den Brüchen des distalen Radius (Bruch des körperfernen Endes der Speiche), des Schenkelhalses und Wirbelkörpern, typische Frakturen, die mit einer verminderten Knochendichte einhergehen. Durch den Verlust an Knochensubstanz im Alter, und der Entwicklung einer Osteoporose, kommt es zu einem Stabilitätsverlust und höherem Bruchrisiko bereits bei geringer Krafteinwirkung.
PD Dr. Marquaß: Man unterscheidet Brüche des unteren Anteils des Oberarms (distale Humerusfraktur), Schaftfrakturen und Brüche des oberen Anteiles des Oberarms (proximale Humerusfraktur). Sie unterscheiden sich erheblich in der Art der Entstehung, Versorgung und den damit verbundenen Ergebnissen.
PD Dr. Marquaß: Schmerzen und Symptome variieren je nach Art des Bruchs. Ein kompletter Schaftbruch geht mit erheblichen Schmerzen sowie dem Risiko einer Nervenverletzung einer, wohingegen ein eingestauchter Bruch des Oberarmkopfes mitunter auch relativ wenig Beschwerden verursachen kann. Allgemein sind jedoch Schmerzen und Schwellung mit einem Funktionsverlust des Armes Hinweise auf eine Verletzung, die durch einen Facharzt abgeklärt werden sollte.
PD Dr. Marquaß: Zu Beginn der Diagnostik steht neben einer klinischen Untersuchung, eine Röntgenuntersuchung des betroffene Armabschnitts. Bei komplexen Brüchen wird gerade im Gelenkbereich häufig zusätzlich ein Computertomogramm (CT) durchgeführt, um die Bruchsituation besser zu verstehen und gezielter behandeln zu können.
PD Dr. Marquaß: Das hängt von dem Ort des Bruchs, der Anzahl der Fragmente, der zu erwartenden Knochenqualität und dem Grad sowie der Art der Verschiebung (Dislokation) ab. So können nicht oder nur gering verschobene Oberarmkopfbrüche konservativ, also mit Ruhigstellung in einem Verband, behandelt werden. Aus diesem heraus können die Betroffenen dann bereits nach 1-2 Wochen mit Pendelübungen beginnen. Ein ähnlicher Bruch, der allerdings verschoben ist, wird in der Regel im Rahmen einer Operation gerichtet und dann mit einer winkelstabilen Platte stabilisiert.
So können nicht oder nur gering verschobene Oberarmkopfbrüche konservativ, also mit Ruhigstellung in einem Verband, behandelt werden.
PD Dr. Marquaß: Das Standardverfahren bei verschobenen Oberarmkopfbrüchen ist die winkelstabile Plattenosteosynthese. Dabei wird entweder der die Schulter bedeckende Muskel (Musculus Deltoideus) angehoben oder stumpf auseinander gedrängt, um an den darunterliegenden Oberarmkopf und Oberarm zu gelangen. Die Bruchfragmente werden nun ihrer ursprünglichen Anatomie entsprechend gerichtet (reponiert), also an ihre ursprüngliche Stelle gebracht.
An den Bruchfragmenten setzen die Sehnen der Rotatorenmanschette an, welche die Bruchstücke aus dem wiederhergestellten Verbund der Fragmente hinauszuziehen drohen. Daher wird nach der Reposition eine winkelstabile Plattenosteosynthese durchgeführt. Hierbei finden die Schrauben bereits in der Platte halt und können so den Bruch stabiler fixieren.
Bei Brüchen knapp unterhalb des Oberarmkopfes wird auch gerne eine sogenannte Nagelosteosynthese verwendet. Dabei wird der Oberarmkopf und der Schaft durch einen kräftigen, innerhalb des Röhrenknochens verlaufenden Stabs (Marknagel) aufgefädelt und ebenfalls mit Schrauben fixiert. Ein Verfahren, welches sich auch sehr gut bei Brüchen im Schaftbereich eignet.
Ein drittes operatives Verfahren bei Oberarmkopfbrüchen ist der Einbau eines künstlichen Schultergelenkes. Hierbei wird häufig auf die inverse Prothese zurückgegriffen, da diese für eine spätere gute Funktion im Schultergelenk, nicht auf die Sehnen der Rotatorenmanschette angewiesen ist. Diese ist ja an den Bruchfragmenten aus dem Verbund gerissen. Kann eine stabile Fixation dieser Fragmente nicht erreicht werden, besitzen die Sehnen später keine Funktion und der Arm kann nicht ausreichend aktiv bewegt werden. Daher die Entscheidung für ein Verfahren, das diese Sehnen für die spätere Beweglichkeit des Schultergelenkes nicht benötigt.
PD Dr. Marquaß: Nach einem Eingriff wird der Arm häufig für eine gewisse Zeit in einer Armschlinge ruhiggestellt, um ein Abheilen der Wunde und ein Zusammenheilen der Bruchfragmente bzw. das Anwachsen des Knochens an die Prothese zu erreichen. Der stationäre Aufenthalt dauert je nach Heilungsverlauf etwa 3-5 Tage. In diesem Zeitraum werden bereits erste Übungen im Rahmen der Physiotherapie durchgeführt und der Patient erlernt Eigenübungen.
PD Dr. Marquaß: Die erste Abheilungsphase dauert 6 Wochen. Danach wird der Arm zunehmend aktiv bewegt und im Alltag eingesetzt. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit richtet sich nach der Art des Berufes. So können Arbeiten am Computer teilweise schon nach 3 Wochen erledigt werden, wohingegen eine körperlich belastende Tätigkeit mit einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von 3 Monaten einhergehen kann.
PD Dr. Marquaß: In der ersten Phase helfen Pendelübungen eine übermäßige Einsteifung des Schultergelenkes zu verhindern. Ansonsten sind gerade die ersten 6 Wochen sehr abhängig von der Art der Versorgung. Nach 6 Wochen schließt sich in der Regel dann jedoch eine zunehmend aktive Phase an. Neben der Krankengymnastik sollte man auch selbst Übungen erlernen, damit die Beweglichkeit des Schultergelenks erhalten bleibt, welches man nun lange genug ruhiggestellt hat.
Nach 6 Wochen schließt sich in der Regel dann jedoch eine zunehmend aktive Phase an.
PD Dr. Marquaß: Das ist sehr von der individuellen Lebenssituation abhängig. Eine Einschränkung von 6 Wochen gilt fast für alle Arten der Behandlung und der Fraktur. In dieser Zeit kann auch die Nutzung des PKWs nicht oder nur eingeschränkt möglich sein. Wichtig ist jedoch den Blick nach vorne zu richten und eine bestmögliche Funktion zu erreichen. Nicht selten bleiben jedoch Bewegungseinschränkungen in der Rotation und der Abduktionsfähigkeit (Abspreizen des Armes) bestehen. In diesem Fall können im Rahmen einer späteren Entfernung der Platte auch Verwachsungen gelöst und eine Verbesserung der Beweglichkeit erreicht werden.
PD Dr. Marquaß: Neben den erwähnten häufigen Bewegungseinschränkungen, sind es gerade bei komplizierten Oberamkopfbrüchen sogenannten Osteonekrosen im Bereich des Oberarmkopfes, die als Langzeitfolge auftreten können. Dabei stirbt Knochengewebe durch mangelhafte Durchblutung ab. Die Folge können Schmerzen und die Entwicklung einer Arthrose sein.
PD Dr. Marquaß: Das Vermeiden von Stürzen ist eine der wichtigsten Maßnahmen. Entfernen Sie Stolperfallen in ihrer Umgebung und achten sie auf rutschfeste Oberflächen. Trainieren Sie zudem ihre Muskulatur und Koordination, um die Stabilität zu erhöhen und damit das Sturzrisiko zu verringern. Achten Sie auf eine ausreichende Zufuhr von Calcium und Vitamin D im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung zur Stärkung des Knochens. Bei risikoreichen Sportarten sollte auf das Tragen einer Schutzausrüstung geachtet werden.
Das Vermeiden von Stürzen ist eine der wichtigsten Maßnahmen.
PD Dr. Marquaß: Das Verständnis der inversen Schulterprothese hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Die guten Ergebnisse, gerade bei älteren Patienten, zeigen sich in einem Trend zu einem verstärkten Einsatz der Methode. Generell wird die Therapie zunehmend individualisiert auf die Ansprüche und Voraussetzungen des Patienten abgestimmt.
Bei älteren Patienten ist das Ziel eher eine frühe Mobilisation zum Erhalt der Selbstständigkeit, bei jüngeren wird eher eine anatomische Rekonstruktion angestrebt und dafür auch ein eventuell etwas längerer Phase der Ruhigstellung akzeptiert. Dank der guten Implantate gibt es für beide Patientengruppe jedoch generell einen Trend zur früheren Mobilisation. Trotz dieser positiven Entwicklungen hat aber auch die konservative Behandlungsmethode, gerade bei wenig oder nicht verschobenen Brüchen, nach wie vor ihren Stellenwert und bleibt hier die Therapie der Wahl.
PD Dr. Marquaß: Ein Ziel aktueller Forschungsansätze ist, eine höhere Primärstabilität durch Verwendung neuer Implantate zu erreichen. Dies würde eine frühe Mobilisation ermöglichen und das Risiko von sekundären Dislokation verringern. Auch wird die Verfügbarkeit von 3D-Darstellungen aus dem CT-Datensatz genutzt, um vor der OP das Verletzungsmuster besser zu verstehen und die Behandlungsstrategie gezielter zu planen. Spannend wird der Einsatz von Datenbrillen im OP um eine augmentierte Realität zu erhalten. Dies würde eine Verknüpfung von CT- und MRT-Daten mit der aktuellen OP Situation erlauben.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 09.07.2024.