Die Neurofibromatose besteht aus einer Gruppe unterschiedlicher, voneinander abgegrenzter Krankheiten. Alle drei Krankheitsbilder unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf ihre Entstehung als auch ihre Häufigkeit sowie den Beginn der Erkrankung. Gleiches gilt für die Art und Stärke möglicher Krankheitszeichen. Selbst innerhalb der einzelnen Formen der Neurofibromatose gibt es zwischen den Patienten enorme Unterschiede in der individuellen Ausprägung. Eine einheitliche Aussage hinsichtlich des Krankheitsverlaufes lässt sich daher nicht treffen.
Neurofibromatosen sind nach aktuellem Wissensstand nicht heilbar. Da alle Formen auf einer Veränderung des menschlichen Erbgutes beruhen, begleitet eine Neurofibromatose die betroffenen Patienten von Geburt an – ein Leben lang.
Die Neurofibromatosen sind genetisch bedingte Erkrankungen. Jeweils die Hälfte der Neurofibromatosen Typ 1 und Typ 2 wird vererbt, die andere Hälfte tritt als neue Mutation, das heißt eine neu entstandene Veränderung auf dem Erbmaterial (DNA), auf. Dagegen scheint die Schwannomatose (der dritte Typ der Neurofibromatosen) vorwiegend auf einer spontanen Mutation zu beruhen, eine erbliche Vorbelastung in der Familie wird bei nur 10 bis 15 Prozent angenommen. Bei familiären Neurofibromatosen ist das Risiko einer Weitergabe der Erkrankung an ein Kind eines betroffenen Menschen kalkulierbar. Es liegt bei allen drei genannten Typen bei 50 Prozent.
Nicht jeder Patient, dessen Erbanlagen die Krankheit NF1 tragen, entwickelt im Laufe seines Lebens Symptome. In 60 Prozent der Fälle verläuft die Erkrankung ohne eine ernsthafte Beeinträchtigung. Weitere 20 Prozent weisen lediglich milde und leicht behandelbare Symptome auf. Bei einem Fünftel muss jedoch mit einem ernsthaften Verlauf gerechnet werden. Der Zeitpunkt, zu dem die ersten Krankheitszeichen der Neurofibromatose festgestellt werden, weist auf den zu erwartenden Krankheitsverlauf hin
Bei 70 Prozent aller Patienten wird die Diagnose der Neurofibromatose Typ 1 noch vor dem Ende des ersten Lebensjahres gestellt. In einem Alter von acht Jahren sind bei 97 Prozent der Betroffenen eindeutige Symptome nachzuweisen. Mit Beendigung des zweiten Lebensjahrzehnts haben sich bei allen Patienten eindeutige Zeichen der Erkrankung eingestellt.
Die meisten erwachsenen Patienten werden durch die Neurofibromatose Typ 1 gesundheitlich jedoch nicht eingeschränkt. Lebensbedrohliche Probleme treten in wenigen Fällen auf und sind meist gut behandelbar. Nach aktuellem Kenntnisstand ist die Lebenserwartung bei nur 10 Prozent der Betroffenen vermindert. Anders stellt sich die Situation bei Kindern dar. Ein früher Krankheitsbeginn erhöht die Wahrscheinlichkeit zur Ausprägung auch schwerer Komplikationen. Solche Krankheitsbilder sind indes selten anzutreffen.
Der zeitliche Verlauf bei der Neurofibromatose Typ 2 hängt vom Erscheinungsbild der Erkrankung (Phänotyp) ab. Unterschieden werden dabei zwei Typen. Beim Wishart-Phänotyp treten Tumoren vor dem 20. Lebensjahr auf, wogegen der Krankheitsbeginn beim Feiling-Gartner-Phänotyp durch ein Tumorwachstum ab einem Alter von 20 Jahren gekennzeichnet ist. Vor allem ein früher Beginn kann einen schweren Krankheitsverlauf nach sich ziehen.
Für die Schwannomatose beträgt das durchschnittliche Alter bei erstmaligem Auftreten von Symptomen etwa 30 Jahre. Typisch ist daher eine Diagnose im Erwachsenenalter.
Die Art und der Schweregrad der Krankheitszeichen bestimmt zu einem großen Anteil den Verlauf der Krankheit. Während eine Vielzahl von Symptomen bei den Fibromatosen keinen Einfluss auf den Verlauf besitzen, sind es insbesondere die Tumoren, welche den Patienten beeinträchtigen. Aufgrund verfeinerter Operationstechniken und medikamentöser Therapieansätze verläuft die Krankheit selten mit schweren gesundheitlichen Schäden.
Pigmentflecken, sogenannte Café-au-lait-Flecken, sind bei der Neurofibromatose Typ 1 meist das erste Anzeichen der Erkrankung. Bei 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung sind Café-au-lait-Flecken vorhanden und haben keinen Krankheitswert. Selbst Neugeborene können bis zu drei dieser Pigmentstörungen aufweisen, ohne dass dies bedenklich wäre. Zwölf Monate nach der Geburt weisen fast alle Patienten mit einer NF1-Erkrankung sechs oder mehr dieser Hautveränderungen auf. Bei der NF1 ist ein Größenwachstum im Verlauf der ersten Jahre festzustellen. Sind die Café-au-lait-Flecken vor der Pubertät meist noch kleiner als fünf Millimeter, können sie im Erwachsenenalter auf über 15 Millimeter anwachsen. Mit Eintritt ins Schulalter erscheinen bei circa 40 Prozent der Kinder zusätzlich kleine, den Sommersprossen ähnliche Punkte (Freckling) an der Achselhöhle oder an der Leiste. Ebenso wie kleine warzenförmige Knötchen auf der Regenbogenhaut (Lisch-Knötchen) besitzen diese lediglich diagnostischen Wert. Vom Erscheinen dieser ersten Krankheitszeichen bis zum Auftreten von Tumoren vergehen in der Regel mehrere Jahre.
Alle anderen Neurofibromatose-Typen sind von Pigmentstörungen seltener betroffen.
Charakteristische Tumoren bei der NF1 sind die Neurofibrome. Neurofibrome unterscheiden sich voneinander, beschrieben werden kutane und plexiforme Neurofibrome. Darüber hinaus kommen weitere Tumoren vor.
Der Ursprung kutaner Neurofibrome liegt in den Zellen der Haut oder Unterhaut. Sie entstehen überwiegend im Verlauf der Pubertät und können beim erwachsenen Patienten zahlenmäßig zunehmen. Eine Vorhersage hinsichtlich ihrer Anzahl kann selbst innerhalb einer Familie nicht getroffen werden.
Plexiforme Fibrome sind Tumoren der Nerven, welche größtenteils schon bei der Geburt vorhanden sind. Ein Entstehen neuer Tumoren ist später nicht zu erwarten. Allerdings können sie beträchtlich an Größe gewinnen und zu Problemen wie Taubheitsgefühlen und Lähmungserscheinungen führen. Während einer Schwangerschaft kann beispielsweise mit einer Größenzunahme der plexiformen Tumoren gerechnet werden. Aus fünf bis zehn Prozent der plexiformen Neurofibrome entwickelt sich ein bösartiger Tumor.
Unter einem Optikusgliom wird ein Tumor des Sehnervs verstanden, welcher mit zunehmendem Wachstum zu Ausfällen des Gesichtsfeldes bis zur Erblindung sowie einem Schielen führen kann. Das Optikusgliom kommt bei Kindern mit NF1 mit einer Häufigkeit von 15 Prozent vor. Er kann ab dem sechsten Lebensmonat bis zum achten Lebensjahr entstehen. Nach der Pubertät ist bei NF1-Patienten indes kaum mehr mit neuen Tumoren dieser Art zu rechnen.
Zu den häufigsten Problemen von Kindern mit Neurofibromatose Typ 1 zählen Störungen im Denk- und Aufmerksamkeitsvermögen. Da diese Beschwerden Auswirkungen bis in das Erwachsenenalter haben können, ist eine frühzeitige Diagnose und Behandlungsbeginn besonders wichtig. Inwiefern solche neuropsychologischen Symptome auftreten, kann nicht vorhergesagt werden. Ebenso wenig können die Schwere und Art der Beeinträchtigung eingeschätzt werden. Die Symptome eines Aufmerksamkeitsdefizits sind mit zunehmendem Alter rückläufig. Bei Erwachsenen können sie sich durch Konzentrationsstörungen im Berufsleben äußern und sich negativ auf eine partnerschaftliche Beziehung auswirken.
Im Vorschulalter lassen sich besonders zwei Fehlbildungen des Knochenbaus feststellen, die bei NF1-Patienten auftreten können. Ein möglicher Minderwuchs sowie Veränderungen des Schädelknochens wirken sich ein Leben lang belastend aus. Schwerwiegende Verformungen des Skeletts werden selten beobachtet und liegen schon bei der Geburt vor. Davon betroffen sind vorwiegend die Wirbelsäule (Skoliose) sowie die knöcherne Augenhöhle. Veränderungen im Aufbau der Knochen führen bei langen Röhrenknochen (Oberschenkel, Oberarm) zeitlebens zu einer erhöhten Bruchgefahr.
Die NF 2 wird durch zwei Verlaufsformen bestimmt. Der Wishart-Typ macht sich durch eine Vielzahl von schnell wachsenden Tumoren im Bereich des Gehirns und Rückenmarks bemerkbar. Beim Feiling-Gartner-Typ handelt es sich hingegen um einzelne Tumoren, welche durch ein langsames Wachstum gekennzeichnet sind.
Als Erstsymptome bei Kindern mit einer NF2 werden vorwiegend sogenannte Schwannome der Haut und Sehstörungen diagnostiziert. Die charakteristischen Akustikusneurinome (Vestibularisschwannome) führen aufgrund ihres langsamen Wachstums oft erst nach der Pubertät zu der für die NF2 typischen Beeinträchtigung der Hörnerven. Unbehandelt kommt es zu einer Abnahme des Hörvermögens bis hin zur Taubheit. Des Weiteren können Gleichgewichtsstörungen und eine Lähmung des Gesichtsnervs dazukommen. Solche Krankheitsfolgen lassen sich nicht bei allen Betroffenen vermeiden. Belastend wirken sich außerdem die wiederholt notwendigen Operationen aus.
Die Schwannomatose verläuft bei der Mehrheit der Patienten mit wenigen und meist nicht belastenden Symptomen. Zudem kann von einem langsamen Wachstum der Tumoren ausgegangen werden. Die Krankheit macht sich zum Großteil erst im Alter von etwa 30 Jahren bemerkbar. Namensgebend für die Erkrankung sind die Schwannome, bei denen es sich um Tumoren handelt, die von den Nervenscheiden ausgehen. Obgleich die Tumoren bei der Schwannomatose vorwiegend an den äußeren Nerven zu finden sind, können sie in seltenen Fällen die Hirnnerven betreffen. Dies geht häufig mit einer Beeinträchtigung des Gesichts- und Trigeminusnervs (Stirn, Ober- und Unterkiefer) einher. Ebenso gering ist die Neigung zum Entstehen von Meningeomen (Tumoren der Hirnhäute). Neurologische Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Taubheits- und Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen können die Folge sein.
Ein großer Teil der der Schwannomatose-Patienten leidet unter einer Schmerzsymptomatik. Eine Vorhersage hinsichtlich der Schmerzintensität ist schwer zu treffen. Allerdings gibt es Hinweise, dass die Intensität der Schmerzen von der erblichen Veranlagung abhängen könnte. So ist bei einer familiären Schwannomatose und einer großen Anzahl von Tumorzellen nicht zwingend mit stärkeren Schmerzen zu rechnen als bei wenigen Tumoren.
Die Entwicklung hin zu chronischen Schmerzzuständen ist bei Schwannomatose-Patienten oft zu beobachten. Anhaltende oder ständig wiederkehrende Schmerzen prägen das Schmerzgedächtnis, wodurch eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber den auslösenden Faktoren eintritt. Chronische Schmerzen haben darüber hinaus einen großen Einfluss auf das seelische Wohlbefinden und können sich negativ auf das soziale Erleben auswirken.
Die Lebenserwartung von Schwannomatose-Patienten scheint nicht verkürzt. Dennoch besteht das Risiko einer bösartigen Entartung der Tumoren, sodass eine regelmäßige Kontrolluntersuchung empfohlen wird.
orpha.net, Prof. Dr. Victor-Felix Mautner; Dr. Said Farschtschi – Patientenorientierte Krankheitsbeschreibung aus dem ACHSE Netzwerk: https://www.orpha.net/data/patho/Pub/Ext/de/NeurofibromatoseTyp3_DE_de_PUB_ORPHA93921.pdf (online, letzter Abruf: 01.03.2021)
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aktualisiert am 01.03.2021