Die Neurofibromatose ist eine Gruppe vererbbarer Erkrankungen, welche durch meist gutartige Tumoren von Nerven- und Bindegewebszellen charakterisiert sind. Symptomatisch zeigen sich vor allem Veränderungen der Haut sowie Störungen im Nervensystem. Zudem können die Knochenstruktur sowie das Skelettsystem betroffen sein. Die Neurofibromatose Typ 2 (NF2) kennzeichnet sich vor allem durch das Auftreten gutartiger Tumore am Hör- und Gleichgewichtsnerv, sogenannter Akustikusneurinome. Unabhängig davon werden Lern- und Entwicklungsstörungen beobachtet. Die Erkrankung prägt sich häufig erst bei Erwachsenen aus, oft kommt es aber schon bei betroffenen Kindern zu anfänglichen Symptomen. Die Neurofibromatose Typ 2 ist eine seltene Erkrankung, die Häufigkeit entspricht etwa einem Zehntel der Fälle von Neurofibromatose Typ 1.
Neurofibromatosen sind nach aktuellem medizinischem Wissensstand nicht heilbar. Somit kommt der Behandlung der Krankheitszeichen die hauptsächliche Bedeutung zu.
Der medizinische Fortschritt ermöglicht heutzutage eine genauere Unterscheidung der Neurofibromatosen. Auf diese Weise konnte das Krankheitsbild der NF2 einheitlich als Diagnose festgelegt werden.
Für den Patienten selbst macht sich die NF2 fast immer durch eine Hörminderung bemerkbar. In mehr als zwei Drittel aller Fälle kommen ein Tinnitus (Ohrgeräusch) und eine Störung des Gleichgewichtssinnes hinzu. Gelegentlich treten Unsicherheiten im Gang sowie Kopfschmerzen oder Lähmungen im Gesichtsbereich auf. Hörprobleme sowie bekannte Fälle einer Neurofibromatose Typ 2 im familiären Umfeld sind der häufigste Anlass, einen Arzt aufzusuchen.
Sogenannte Vestibularisschwannome, die beidseitig auftreten, gelten als das entscheidende Kriterium für die Neurofibromatose Typ 2. In der Fachliteratur werden sie bisweilen noch als Akustikusneurinom bezeichnet. Bei einem Vestibularisschwannom handelt es sich um einen gutartigen Tumor der sogenannten Schwann-Zellen. Diese Schwannschen Hüllzellen bieten den Nerven einen Schutz vor mechanischen Störeinflüssen und wirken wie ein Isolator für die elektrische Energie in den Nervenzellen. Das Vestibularisschwannom entwickelt sich ausgehend vom Gleichgewichtsnerv. Zusammen mit dem Hörnerv bildet dieser den achten Hirnnerv, der für die Weiterleitung der Hörimpulse sowie der Informationen des Gleichgewichtsorgans an das Gehirn verantwortlich ist. Vestibularisschwannome neigen zu einem langsamen Wachstum. Ein Hörsturz ist in den meisten Fällen das erste Anzeichen. Dieser geht mit einer einseitigen Verschlechterung des Hörvermögens einher und wird vielfach von einem Tinnitus begleitet.
Eine Aussage hinsichtlich des Zeitpunkts oder des Grades der Hörminderung lässt sich nicht treffen. Schwindel sowie Gleichgewichtsstörungen zählen zu den am zweithäufigsten angegebenen Krankheitszeichen. Große Vestibularisschwannome können die Funktion benachbarter Hirnnerven einschränken. Dies macht sich durch Bewegungsstörungen oder einer Lähmung des Gesichts bemerkbar. Weiterhin wird eine Beeinträchtigung der Tränen- oder Speichelbildung beobachtet. Zudem berichten Patienten über Schluckbeschwerden sowie Heiserkeit. Erst im späten Stadium sind durch das Wachstum des Vestibularisschwannoms Lähmungserscheinungen der Arme und Beine zu beobachten.
Neben den beschriebenen Vestibularisschwannomen können NF2-Patienten Schwannome (Neurinome) an anderen Stellen sowie sogenannte Meningeome entwickeln. Die Häufigkeit von solchen Tumoren im Bereich des Rückenmarks wird mit etwa 90 Prozent angegeben, wobei sich allerdings nur ein Drittel durch Symptome bemerkbar macht.
Neurinome (auch Schwannome genannt) sind bei NF2 häufig entlang des Rückenmarks angesiedelt. Eine Schädigung der Nervenwurzeln verursacht oftmals Funktionsstörungen der Blase und des Enddarms. Außerdem kann es zu Schmerzen sowie einem Taubheitsgefühl und Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen kommen. Ein weiteres Krankheitszeichen besteht in einer Abnahme der Muskelmasse (Muskelatrophie).
Meningeome (Wucherungen der Hirnhäute) äußern sich meist spät und mit uncharakteristischen Symptomen. Dennoch berichten Patienten, die ein Meningeom innerhalb des Schädels haben, über Kopfschmerzen sowie Seh- und Sprachstörungen. Möglich sind auch epileptische Anfälle oder eine Veränderung der Persönlichkeit. Bei Meningeomen im Bereich der Rückenmarkshäute kann es zu Auswirkungen wie Lähmungen oder Sensibilitätsstörungen der Arme oder Beine oder zu Problemen mit der Darm- und Blasenfunktion kommen.
Andere Tumoren, die sich entwickeln können, gehören zu den sogenannten Gliomen. Sie treten innerhalb des Gewebes des Rückenmarks oder im Gehirn auf.
Neurofibrome, eine weitere Art von Wucherungen, können bei Menschen mit NF2 an der Haut auffällig werden. Sie treten jedoch deutlich seltener auf als bei der Neurofibromatose Typ 1.
Schmerzen sind für den Körper ein Warnsignal. Bei der NF2 können unterschiedliche Auslöser verantwortlich sein. Meist werden Schmerzen durch das Wachstum der Tumoren verursacht, welche auf die Nerven drücken oder zur Blockade großer Blutgefäße führen.
Der Liquor ist eine Flüssigkeit, welche um das Gehirn sowie das Rückenmark herum zu finden ist. Das „Nervenwasser“ dient dort dem Gehirn und Rückenmark als Schutz vor mechanischen Kräften und der Versorgung der Nervenzellen. Die gesamte Menge von etwa 150 Milliliter wird täglich drei bis fünf Mal ausgetauscht. Überflüssiger Liquor wird durch spezielle Öffnungen in die Blutbahn abgeleitet. Sind diese Kanäle eingeengt, staut sich der Liquor. Tumore im Gehirn, wie sie bei der NF2 auftreten, verursachen auf diese Weise einen erhöhten Hirndruck. Starke Schmerzen im gesamten Kopfbereich, vor allem im Nacken und Hinterkopf, sind ein ernstzunehmender Hinweis. Häufig steht ein solches Geschehen im Zusammenhang mit Sehstörungen, Übelkeit und Erbrechen. In diesem Fall sollte rasch ein Arzt hinzugezogen werden.
Die Neurofibromatose Typ 2 selbst sowie die Folgen einer Operation können zu Schwindelanfällen führen. Der Ursprung der Vestibularisschwannome, die charakteristisch für NF2 sind, liegt in dem Bereich, der für die Weiterleitung der Informationen des Gleichgewichtsorgans zuständig ist. Auslöser der Beschwerden können ein Druck auf den entsprechenden Nerv sowie eine verminderte Durchblutung sein. Schwindel kann sich auf unterschiedliche Weise bemerkbar machen. Benommenheit, Taubheit sowie eine Neigung zum Fallen sind ebenfalls Teil der Symptomatik wie Schweißausbrüche, Übelkeit oder Ohnmacht. Bei einer NF2 sind diese Beschwerden in den meisten Fällen nicht rückgängig zu machen.
Neben einer Hörminderung kommt es bei der NF2-Erkrankung häufig zu Problemen mit den Augen. Das Nachlassen der Sehkraft beruht hierbei auf unterschiedlichen Ursachen. Vielfach tritt schon in jungen Jahren eine Trübung der Augenlinse, der graue Star, auf. Zunehmend wird das Bild unklar und verschwommen wahrgenommen. Der graue Star führt im fortgeschrittenen Stadium zu einer Einschränkung der Sehschärfe bis hin zur Erblindung.
Seltener verursacht die NF2 ein Schielen oder Zittern der Augen. Eine Sonderform des Schielens kommt durch die Schädigung eines Hirnnerven zustande. Dieses Lähmungsschielen (Abduzens-Parese) äußert sich durch das Auftreten von Doppelbildern.
Patienten mit einer Neurofibromatose Typ 2 leiden oftmals unter Entwicklungsstörungen, welche sowohl einzelne Organe als auch den gesamten Organismus betreffen können. Typisch für das Krankheitsbild der NF2 sind Muskelatrophien. Darunter wird der Schwund an Muskelgewebe mit einer damit verbundenen Muskelschwäche verstanden. Die Folge ist eine Verformung von Gelenken und Knochen, welche Fehlstellungen und Schmerzen verursacht.
Viele der genannten Symptome bei NF2-Patienten können psychische Probleme nach sich ziehen. Äußerlich wahrnehmbare Krankheitszeichen wie Fehlstellungen des Skelettes oder Funktionsstörungen (Blase, Darm) können den Selbstwert der Betroffenen mindern. Beeinträchtigungen der Sinneswahrnehmung durch Hörverlust, Sehstörungen oder eine Veränderung der Stimme sind ein möglicher Grund für den sozialen Rückzug der Patienten. Die Gefahr einer sich allmählich entwickelnden Depression äußert sich durch Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten oder das Gefühl einer inneren Leere.
Da es sich bei der NF2 um eine erblich bedingte Krankheit handelt, ist eine Heilung mit den heute gegebenen Mitteln nicht möglich. Erste Symptome können bereits in jugendlichem Alter auftreten. Das rechtzeitige Erkennen und ein früher Behandlungsbeginn sind für den weiteren Verlauf der Krankheit entscheidend. Vorbeugende Maßnahmen existieren aktuell nicht, sodass sich die Therapie auf neu auftretende Symptome konzentrieren muss.
Das hauptsächliche Augenmerk bei der Behandlung der Neurofibromatose Typ2 liegt auf der Entfernung der Tumore. Obgleich das Risiko eines chirurgischen Eingriffs im Gehirn und Rückenmark nicht unterschätzt werden darf, ist eine Operation der Tumoren noch immer die Methode der Wahl. Im Vorfeld werden die Risiken einer Operation ebenso betrachtet wie das subjektiv empfundene Leiden des Patienten.
Schnell wachsende Tumoren und solche, welche bereits eine Schädigung von Nerven verursacht haben, werden bevorzugt operativ entfernt. Hierzu zählen auch medizinische Notfallsituationen, welche einen erhöhten Hirndruck zur Folge haben oder den Hirnstamm einzuengen drohen. Mit der Mikrochirurgie steht dem Operateur eine Methode zur Verfügung, mit der insbesondere Vestibularisschwannome bei noch wenig fortgeschrittenem Wachstum hörerhaltend entfernt werden können. Diese Operationsmethode erlaubt es dem Arzt, unter Verwendung eines Mikroskops auch an schwer zugänglichen Bereichen im zentralen Nervensystem zu operieren.
Ziel einer Bestrahlungstherapie ist es, den Tumor zu verkleinern sowie das Auftreten neuer Beschwerden zu vermeiden. Eine Bestrahlung wird vorwiegend dann in Erwägung gezogen, wenn ein Tumor die Hörfähigkeit auf einem noch verbliebenen leistungsfähigen Ohr bedroht. Dieses Verfahren kommt ebenso zum Einsatz, wenn Vestibularisschwannome bei beiden Ohren gleichzeitig auftreten. Ausschlaggebend sind weiterhin das Alter des Patienten sowie dessen Allgemeinzustand.
Durch eine Bestrahlungstherapie ist jedoch der Erhalt der Hörleistung nicht gesichert. Vor allem besteht ein erhöhtes Risiko, auch benachbartes Gewebe zu zerstören. Obgleich eine bis zu 30-prozentige Verkleinerung des Tumors erwartet werden kann, wird die Mikrochirurgie und damit eine mögliche vollständige Entfernung als die effizientere Variante angesehen.
Die Behandlung von Schmerzen im Verlauf einer NF2-Erkrankung ist ein wichtiger Pfeiler der Therapie. Vielfach kann die Ursache der Schmerzen nicht eindeutig zugeordnet werden, ein Aushalten führt indes leicht zu chronischen Symptomatik. Ein auf diese Weise entstandenes Schmerzgedächtnis kann dazu führen, die Empfindlichkeit für Schmerzreize zu erhöhen. Zusätzlich zu schmerzlindernden Medikamenten können stimmungsstabilisierende Mittel oder Antidepressiva verabreicht werden.
In den letzten Jahren wurden vermehrt Substanzen entwickelt, welche das Wachstum von Tumoren verhindern können. Zunehmend haben dabei monoklonale Antikörper an Bedeutung gewonnen, welche die Versorgung der Tumoren mit Blutgefäßen unterbinden. Bisher fehlen indes Langzeiterfahrungen bei der Behandlung bei NF2-Patienten. Erste Informationen weisen auf eine Wirksamkeit bei Akustikusneurinomen hin. Eine Alternative könnte sich durch die Forschung mit pflanzlichen Wirkstoffen sowie Mikronährstoffen ergeben.
Eines der häufigsten Probleme bei der NF2 betrifft die Lähmung des Gesichtsnervs und den damit verbundenen mangelhaften Verschluss des Augenlids. Überwiegend wird von einer spontanen Heilung ausgegangen. Um das Austrocknen des Auges zu verhindern, kommen Augensalben zur Verwendung. Ist nicht mit einer Heilung zu rechnen, kann versucht werden, durch eine Operation und gezielte Übungen einen Nerv der Zunge mit den Aufgaben des gelähmten Gesichtsnerven vertraut zu machen.
Die technische Weiterentwicklung der Cochlea-Implantate (Hörprothesen) kann vollständig ertaubte NF2-Patienten in die Lage versetzen, wieder mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Voraussetzung ist, das Gerät weiter innen als am geschädigten Teil des Hörnervs anzuschließen (Hirnstamm-Implantat, ABI-Implantat). Eine Wiedererlangung des Hörens ist für den Patienten jedoch mit hohen Herausforderungen verbunden. Ein spezielles elektronisches Gerät (AMI-Implantat) bietet NF2-Patienten eine zusätzliche Alternative zur Wiederherstellung des Hörvermögens.
Hat sich eine Linsentrübung (Grauer Star) im Auge entwickelt, kann diese durch eine augenärztliche Operation entfernt werden. Die getrübte Linse wird durch eine Kunstlinse ersetzt.
Die Forschung über die Genetik der Neurofibromatose Typ 2 befasst sich unter anderem mit dem Eiweiß Merlin, welches mit dem Wachstum von Fibromen in Verbindung gebracht wird. Andere Studien versuchen den Verlauf der Krankheit als Gesamtbild zu verstehen, um ein rechtzeitiges Eingreifen zu ermöglichen. Große Hoffnungen werden in die Erprobung neuer Medikamente gelegt. Daneben laufen Studien, welche zu einem besseren Verständnis bereits bekannter Mittel wie Bevacizumab verhelfen sollen.
Bundesweite Selbsthilfegruppe für NF2-Betroffene (Bundesverband Neurofibromatose e.V.) – Krankheitsbilder der Neurofibromatose Typ 2: https://www.nf2.de/krank-krank (online, letzter Abruf: 04.02.2021)
Bundesweite Selbsthilfegruppe für NF2-Betroffene (Bundesverband Neurofibromatose e.V.), Prof. Dr. Victor-F. Mautner; Sabine Schmidt-Brücken – Informationen über Neurofibromatose Typ 2: https://www.nf2.de/files/Informationen.pdf (online, letzter Abruf: 04.02.2021)
Dr-Gumpert.de – Erhöhter Hirndruck: https://www.dr-gumpert.de/html/erhoehter_hirndruck.html (online, letzter Abruf: 04.02.2021)
MSD Manuals, Michael Rubin – Lähmung des 6. Hirnnervs (Nervus abducens): https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/neurologische-krankheiten/neuroophthalmologische-erkrankungen-und-st%C3%B6rungen-der-hirnnerven/l%C3%A4hmung-des-vi-hirnnerven (online, letzter Abruf: 04.02.2021)
Springer Link, L. Kluwe; Victor-F. Mautner – Neurofibromatose Typ 2 Klinik und Genetik: https://link.springer.com/article/10.1007/s11825-009-0204-5 (online, letzter Abruf: 04.02.2021)
Bundesweite Selbsthilfegruppe für NF2-Betroffene (Bundesverband Neurofibromatose e.V.) – Therapie der Neurofibromatose Typ 2 - Bestrahlung: https://www.nf2.de/bestrahlung (online, letzter Abruf: 04.02.2021)
orpha.net, Prof. Dr. Victor-Felix Mautner; Dr. Said Farschtschi – Schwannomatose: https://www.orpha.net/data/patho/Pub/Ext/de/NeurofibromatoseTyp3_DE_de_PUB_ORPHA93921.pdf (online, letzter Abruf: 04.02.2021)
aktualisiert am 04.02.2021