Die Neurofibromatose vom Typ 1 (NF1, Von-Recklinghausen-Krankheit) zählt zur Gruppe der Neurofibromatosen, ist jedoch eine eigenständige Erkrankung. Namensgebend sind Veränderungen, welche in Form von Tumoren (Neurofibromen), häufig auf oder in der Haut, in Erscheinung treten. Neben diesen gutartigen Fibromen sind zahlreiche weitere Symptome der Haut sowie Lern- und Verhaltensstörungen charakteristisch.
Die NF 1 wird durch Veränderungen an den Erbanlagen hervorgerufen. Besteht eine solche Mutation bei einem Elternteil, wird diese mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit an das Kind weitergegeben. Inwiefern die Krankheit beim Kind auftritt, kann im Rahmen einer genetischen Untersuchung festgestellt werden. Jedoch ist zu diesem Zeitpunkt noch keine Aussage hinsichtlich der späteren Ausprägung möglich. Die Tatsache, dass es sich um eine Erbkrankheit handelt, schließt eine Heilung nach jetzigem Wissensstand aus. Für die Eltern betroffener Kinder ist es vielfach schwer, dieses Schicksal anzuerkennen. Doch bedeutet dies nicht, dass der Mutter oder dem Vater irgendeine Schuld zukommt. Betroffene Eltern können die genetische Beratung als Möglichkeit sehen, die für die Geburt sowie das Leben des Kindes wichtigen Entscheidungen mit medizinisch und psychologisch geschultem Personal gemeinsam zu entwickeln.
Mehr als ein Drittel aller Erkrankungen mit Neurofibromatose Typ 1 werden innerhalb des ersten Lebensjahres diagnostiziert. Bei etwa 80 Prozent aller NF1-Patienten kommt es zu keinen oder lediglich milden Krankheitszeichen, sodass diese in ihrem Leben kaum beeinträchtigt werden. Bei einem Fünftel ist mit ernsteren Symptomen zu rechnen. Schwere Krankheitsverläufe werden indes selten beobachtet. Bei Neugeborenen kommt es in nur wenigen Fällen zu sichtbaren körperlichen Krankheitszeichen. Auffälligkeiten beim Lernen und im Verhalten können hingegen bereits im Kleinkindalter auftreten.
Zu den auffälligsten und ersten Zeichen einer Neurofibromatose Typ 1 gehören die Café-au-lait-Flecken. Es handelt sich hierbei um eine Störung der Pigmentierung der Haut. Die hellbraunen, unregelmäßig begrenzten Flecken erinnern an die Farbe von Milchkaffee, was ihnen den Namen Café-au-lait-Flecken einbrachte. Eine solche Überpigmentierung der Haut kommt bei zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung vor und besitzt keinen Krankheitswert. Mehr als sechs Café-au-lait-Flecken werden indes als eindeutiges Kriterium für eine NF1 gewertet. Bis zur Pubertät erreichen sie meist eine Größe von etwa fünf Millimetern und nehmen in der Folge an Größe zu.
Neurofibrome hingegen werden im Kleinkindalter selten beobachtet. Darunter werden gutartige Tumoren verstanden, welche entlang der Nerven wachsen. Eine Form der Fibrome, die sogenannten plexiformen Neurofibrome, können indes bereits bei Neugeborenen diagnostiziert werden. Sie machen sich als weiche Schwellung unter der Haut bemerkbar und entwickeln sich schon während der Schwangerschaft. Im Verlauf der ersten Jahre können sie deutlich an Größe zunehmen und zu Schmerzen und Taubheitsgefühlen führen. Häufig geht dies mit einer sichtbaren Veränderung der Hautoberfläche einher, sodass es neben der körperlichen auch zu einer psychischen Belastung kommt.
Bei einigen Kindern kann es zu einer Fehlbildung des Keilbeins kommen. Dieser Knochen formt den Bereich hinter dem Auge. Erstes Zeichen einer solchen Keilbeindysplasie ist ein leicht pulsierendes Auge. Im weiteren Krankheitsverlauf können eine Asymmetrie des Gesichts und ein hervorstehendes Auge hinzukommen. Eine weitere, aber seltene Komplikation sind plexiforme Neurofibrome, welche hinter der Augenhöhle auftreten.
Eine sporadisch auftretende Problematik stellt die Fehlstellung des Schienbeins (Tibiadysplasie) dar. Falls diese Schienbeinfehlbildung besteht, sind Kinder bereits vor der Geburt betroffen. Sie fällt durch eine Krümmung des Unterschenkels auf und wird mittels einer Röntgenuntersuchung festgestellt. Die Knochen neigen bei dieser Fehlbildung leicht zu Brüchen, welche oftmals schwer heilen. Die Behandlung sollte daher einer Spezialklinik vorbehalten bleiben.
Kinder mit einer NF 1 weisen darüber hinaus möglicherweise Auffälligkeiten des Herz- und Gefäßsystems auf. So konnte ein Zusammenhang zwischen NF 1 und angeborenen Herzfehlern hergestellt werden. Zu den weiteren möglichen Gefäßveränderungen gehört auch eine Verengung der Nierenarterie (Nierenarterienstenose). Daraus kann sich bei fortschreitendem Funktionsverlust ein erhöhter Blutdruck entwickeln.
Bis zu einem Alter von fünf bis sechs Jahren nehmen Café-au-lait-Flecken sowohl an Größe als auch in ihrer Anzahl zu. Weisen Kinder bis zu diesem Zeitpunkt keine Café-au-lait-Flecken auf, kann eine Neurofibromatose mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Café-au-lait-Flecken können in ihrer Farbintensität je nach Sonnenbestrahlung zu- oder abnehmen. Als Freckling werden kleine, den Sommersprossen ähnliche Pigmentpunkte unter der Achsel oder an der Leiste bezeichnet, welche ebenfalls in jungen Jahren auftreten.
Neurofibrome im Vorschulalter werden selten beobachtet. Treten diese dennoch auf, muss dies kein Zeichen dafür sein, dass sich schwere Komplikationen entwickeln. Neurofibrome fallen als kleine, nicht schmerzhafte Beulen auf, welche bei Berührung rosa bis fliederfarben erscheinen.
Ein besonders bei Kindern beobachtete Form von Tumoren innerhalb des Schädels stellt das Optikusgliom dar. Beim Optikusgliom handelt es sich um eine Erkrankung des Sehnervs. Wenngleich der Tumor bei der Mehrzahl der betroffenen Kinder zu keinen Beschwerden führt, sollte dessen Wachstum wenigstens einmal im Jahr kontrolliert werden. Vielfach handelt es sich lediglich um eine Verdickung des Sehnervs. Schreitet das Wachstum jedoch fort, kommt es zu einer Einschränkung des Gesichtsfeldes und einem zunehmenden Verlust der Sehkraft.
Insbesondere bei Kindern im Vorschulalter kann manchmal ein auffälliges Größenwachstum des Kopfes beobachtet werden. Als besorgniserregend muss die Situation lediglich dann eingestuft werden, wenn der Kopfumfang unregelmäßig an Größe zunimmt. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung wird der Umfang des Kopfes stets gemessen, sodass Unregelmäßigkeiten sofort auffallen. Vor dem Schuleintritt kann ebenso eine Verringerung im Größenwachstum augenscheinlich werden. Die Gründe hierfür sind noch nicht eindeutig geklärt, allerdings wird der Mangel eines Wachstumshormons diskutiert.
Eine Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose) kann sich aufgrund der Wachstumsphasen bei Kindern rasch weiterentwickeln. Eine regelmäßige röntgenologische Abklärung ist notwendig. Die Verkrümmung der Wirbelsäule im Rahmen einer NF 1 ist eine häufige Komplikation, führt indes nur in wenigen Fällen zu schweren Deformierungen. Während die Wirbelsäule bei leichten Formen mit einem Korsett gestützt werden kann, ist bei einer schweren Skoliose die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs nicht auszuschließen.
Eine gesicherte NF-1-Diagnose bedarf zeitlebens einer engmaschigen Kontrolle. Phasen des Wachstums und der Hormonumstellung während der Pubertät führen zu einem verstärkten Wachstum von Neurofibromen. Plexiforme Neurofibrome können in jedem Lebensalter bösartig werden, die Gefahr liegt bei circa zehn Prozent. Die bösartige Entwicklung zeigt sich in einem veränderten Wachstum oder durch Schmerzen des Tumors.
Entwicklungsverzögerungen bei Kindern mit Neurofibromatose Typ 1 können sich ab einem Alter von zwei Jahren zeigen. Insbesondere bei vorhandenen Krankheitssymptomen und einer gesicherten NF1-Diagnose sollten die Eltern mit erhöhter Aufmerksamkeit auf altersentsprechende Entwicklungsschritte des erkrankten Kindes achten. Störungen im Reifungsprozess zeigen sich in den körperlichen Bewegungsabläufen, den sprachlichen Fähigkeiten sowie der geistigen Entwicklung.
In einem veränderten sozialen Umfeld wie im Kindergarten oder der Schule fallen bereits vorhandene Beeinträchtigungen leichter auf. Lernstörungen bei Schulkindern mit NF1 lassen sich aufgrund ihrer Vielschichtigkeit nicht leicht erkennen. Während Lernstörungen mit 40 bis 60 Prozent häufig zu beobachten sind, ist eine leichte geistige Behinderung eher selten. Auffälligkeiten, welche auf eine Lernstörung hindeuten, machen sich durch Kontaktschwierigkeiten gegenüber Fremden, einem Mangel an Konzentrationsfähigkeit oder durch körperlich ungeschicktes Verhalten bemerkbar. Ebenso können eine Lese- und/oder Schreibschwäche (Legasthenie, Dyskalkulie) auf eine Lernschwäche hinweisen. Zu dieser Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses zählen weiterhin der Mangel, Sätze inhaltlich zu verstehen, sowie die verminderte Fähigkeit, Aufgaben problemorientiert zu lösen. Schwierigkeiten können weiterhin hinsichtlich der räumlichen Orientierung auftreten. Erkennbar wird dies durch eine fehlende Koordination von Sehen und der Umsetzung in Bewegungsabläufe.
Die Häufigkeit von ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) in der Normalbevölkerung wird je nach Diagnosekriterium mit etwa fünf Prozent angegeben. Betrachtet man die Symptomatik von Kindern mit NF1, so finden sich eine Reihe von Zeichen wieder, welche den Kriterien für ADHS entsprechen. Bei mehr als der Hälfte aller Kinder mit NF1 wird eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung diagnostiziert. Eine Hyperaktivität wird bei NF1-Kindern weniger oft beschrieben, dagegen stehen Aufmerksamkeitsschwierigkeiten im Vordergrund.
Insbesondere während und nach der Pubertät nimmt das äußere Erscheinungsbild im Bewusstsein von Jugendlichen an Bedeutung zu. Körperliche Einschränkungen, das Aussehen und mentale Beeinträchtigung führen zu sozialen Problemen. Ein wichtiger Schritt für die Patienten sowie auch deren Eltern ist die Akzeptanz und das Annehmen der Krankheit. Ebenso wie eine medizinische Begleitung und regelmäßige Kontrolle der körperlichen Beschwerdebilder notwendig sind, sollten die Betroffenen gleichermaßen bei psychischen und mentalen Schwierigkeiten fachliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Weiterführende Links:
Bundesverband Neurofibromatose e.V.: https://bv-nf.de/
Nothing is forever e.V.: https://www.nothing-is-forever.de/
NF Kinder – Hilfe für Neurofibromatose-PatientInnen und Angehörige Österreich: https://www.nfkinder.at/
orpha.net, Prof. Dr. Victor-Felix Mautner – Neurofibromatose Typ 1 - Patientenorientierte Krankheitsbeschreibung aus dem ACHSE Netzwerk: https://www.orpha.net/data/patho/Pub/Ext/de/NeurofibromatoseTyp1_DE_de_PUB_ORPHA637.pdf (online, letzter Abruf: 12.02.2021)
NF Kinder – Hilfe für Neurofibromatose-PatientInnen und Angehörige Österreich – Über Neurofibromatose 1 - Informationen für Teenager: https://www.nf-zentrum.at/wp-content/uploads/2018/07/NF1_Info_Teenager.pdf (online, letzter Abruf: 12.02.2021)
LMU (Ludwig-Maximilians-Universität München), Florian Bofinger – Aufmerksamkeitsstörungen bei Neurofibromatose Typ 1 (Kindes- und Erwachsenenalter): https://edoc.ub.uni-muenchen.de/12726/1/Bofinger_Florian.pdf (online, letzter Abruf: 12.02.2021)
AWMF online, Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski u.a. – Kurzfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie „Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-045k_S3_ADHS_2018-06.pdf (online, letzter Abruf: 12.02.2021)
aktualisiert am 12.02.2021