Bei der Neurofibromatose handelt es sich genau genommen um drei voneinander abzugrenzende Krankheiten. Unterschieden wird zwischen der
Bei allen dreien handelt es sich um eine gutartige Tumorerkrankung, welche die Haut sowie die inneren Organe betrifft. Ursächlich für diese genetisch bedingten Erkrankungen ist die Entstehung von veränderten Nerven- und Bindegewebszellen. Symptomatisch bedeutsam sind Fehlfunktionen des Nervensystems und der mögliche Übergang von einem gutartigen Tumor hin zu einem bösartigen Wachstum (Malignisierung). Viele Betroffene empfinden ihre Krankheit zudem als psychisch belastend und fühlen sich von ihrem sozialen Umfeld ausgegrenzt.
Die Neurofibromatose Typ 1 (NF1) wird nach seinem Entdecker auch Von-Recklinghausen-Krankheit genannt. In etwa 80 Prozent der Fälle verläuft die Erkrankung ohne eine ernsthafte Beeinträchtigung oder weist lediglich leichte Symptome auf. Diese milden Verlaufsformen sowie die Vielfalt möglicher Krankheitszeichen gestalten eine Erkennung und Diagnose vielfach schwer.
Namensgebend sind Hautveränderungen, welche als bindegewebige Knoten, die Fibrome, in Erscheinung treten. Frühzeitig fällt die Neurofibromatose vom Typ 1 indes durch farbliche Veränderungen der Hautoberfläche auf. Die hellbraunen, unregelmäßig begrenzten Flecken erinnern an die Farbe von Milchkaffee, was ihnen den Namen Café-au-lait-Flecken einbrachte. Diese können bereits bei der Geburt vorhanden sein. Sie sind jedoch nicht zwingend ein Hinweis auf die Von-Recklinghausen-Krankheit. Bei zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung kommt eine solche Überpigmentierung der Haut vor und hat keinen Krankheitswert. Die Größe und Anzahl der Pigmentflecke gibt einen ersten Hinweis auf die Erkrankung. Café-au-lait-Flecken liegen ohne erkennbares Muster über den Körper verteilt. Vor der Pubertät bleiben sie meist kleiner als fünf Millimeter. Später können sie eine Größe von über 15 Millimeter aufweisen.
Ein weiteres Kriterium für die Diagnose der Neurofibromatose Typ 1 ist das sogenannte Freckling. Darunter werden sommersprossenartige Pigmenthäufungen verstanden. Sie treten vor allem an Stellen auf, welche nicht der Sonne ausgesetzt sind. Häufig sind sie unter der Achselhöhle und in der Leistengegend zu finden. Diese Art der Hautveränderung tritt im Wesentlichen um das zehnte Lebensjahr auf.
Typisch für die Von-Recklinghausen-Krankheit sind gutartige Tumore, sogenannte Neurofibrome. Es wird zwischen kutanen und plexiformen Neurofibromen unterschieden. Bei der kutanen Form handelt es sich um kleine Tumore, welche auf der Haut oder im Unterhautfettgewebe entstehen. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang ihrer Entstehung mit Stadien hormoneller Umstellung, was das gehäufte Auftreten zu Beginn der Pubertät erklären könnte. Plexiforme Neurofibrome dagegen werden meist schon bei Neugeborenen beobachtet. Die hervorstehenden Hautveränderungen fühlen sich weich an und verschwinden bei Druck in die Tiefe (Knopflochphänomen). Überwiegend heben sich diese Tumore nicht von der Hautfarbe ab, können jedoch auch rötlich bis bläulich in Erscheinung treten. Plexiforme Fibrome finden sich vor allem im Gesicht, dem Nacken sowie der Hüfte und an den Beinen. Die Tumore erreichen teilweise eine beträchtliche Größe, wogegen ein Größenwachstum mit zunehmendem Alter selten beobachtet wird. Tiefer liegende plexiforme Neurofibrome können auf die Nerven drücken und Schmerzen verursachen.
Als Komplikationen sind bei der NF1 gutartige Hirntumore (Optikusgliome) bekannt, welche aufgrund ihrer Lage am Sehnerv und an der Sehbahn zum Verlust der Sehkraft führen können. Symptome dieser Art treten typischerweise in den ersten Lebensjahren auf.
Neben den genannten Optikusgliomen finden sich häufig sogenannte „unidentified bright objects“ (UBOs). Diskutiert wird, inwiefern diese Verletzungen der Nervenknoten im Gehirn für eine Minderung der Intelligenz verantwortlich sein könnten. Lernschwierigkeiten werden indes bei über der Hälfte der Kinder mit NF1 beobachtet.
Das Vorhandensein von Iris- oder Lisch-Knötchen deutet überwiegend auf eine Von-Recklinghausen-Krankheit hin. Bei nahezu allen Patienten werden diese bräunlichen, warzenähnlichen Erhebungen auf der Regenbogenhaut beobachtet. Mit zunehmendem Alter nehmen die Veränderungen zu, sie haben allerdings keine Auswirkung auf die Sehkraft. Vom Patienten selbst können die Lisch-Knötchen nicht wahrgenommen werden.
Abgesehen von den Fibromen führen Veränderungen des Skeletts sowie im Knochenaufbau zu einer teils erheblichen Beeinträchtigung. Bei etwa drei Prozent der Betroffenen kann bereits in frühen Jahren eine auffällige seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose) festgestellt werden. Mit zunehmendem Alter ist eine zusätzliche Krümmung nach vorne mit Buckelbildung möglich. Ebenso typisch ist eine Verformung des Keilbeinflügels. Da dieser Knochen hinter der Augenhöhle liegt, kann das Auge unnatürlich hervortreten.
Patienten mit NF1 sind häufig von einer krankhaften Veränderung ihres Knochenstoffwechsels betroffen. In zehn Prozent aller Fälle zeigt sich dies in einer verminderten Knochendichte. Mehr als die Hälfte der gemessenen Blutproben weist zudem eine zu niedrige Vitamin-D-Konzentration auf. Patienten mit einer NF1 weisen aufgrund dessen eine erhöhte Neigung zu Knochenbrüchen auf. In einigen Fällen ist die NF1 zudem mit einem Minderwuchs oder einem übergroßen Kopf (Macrocephalus) verbunden.
Aufgrund der äußeren Krankheitszeichen, einer Störung der körperlichen Entwicklung sowie Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten erfahren insbesondere Kinder eine soziale Ausgrenzung. Depressionen, Angststörungen und ein vermindertes Selbstwertgefühl können zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führen. Ein Konzentrationsmangel führt möglicherweise zu Problemen am Arbeitsplatz. Im besonderen Maß sind von den Auswirkungen der NF1 Partnerschaften betroffen. Die körperlichen Besonderheiten der Erkrankung können vor allem beim Auftreten neuer sowie plexiformer Fibrome das Selbstbild der Patienten beeinträchtigen.
Nach aktuellem medizinischem Wissensstand ist die Neurofibromatose vom Typ 1 derzeit nicht heilbar. Dementsprechend kann eine Therapie lediglich darauf ausgerichtet sein, die vorhandenen Beschwerden zu verbessern. Von großer Bedeutung sind eine frühzeitige Diagnose und genetische Beratung. Paare, bei welchen eine familiäre Vorbelastung anzunehmen ist, können eine vorgeburtliche Diagnostik in Erwägung ziehen. Dies kann für einen frühzeitigen Behandlungsbeginn von Vorteil sein. Zudem gibt es den Eltern die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf infrage kommende Therapien einzustellen. Insbesondere können Maßnahmen zur Förderung von Lernschwächen und Verhaltensauffälligkeiten beizeiten angegangen werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt in der Entfernung der Neurofibrome. Entscheidend für einen chirurgischen Eingriff sind starke und chronische Schmerzen. Auch psychischer Leidensdruck ist als Grund für eine operative Entfernung anzusehen. In diesen Fällen steht dem Arzt die moderne Laserchirurgie zur Verfügung. Der Hinweis auf eine bösartige Veränderung der Fibrome ist in jedem Fall ein Anhalt für eine Operation.
Für Fibrome, welche für einen chirurgischen Eingriff aufgrund ihrer Größe oder Lokalisation nicht geeignet sind, steht eine medikamentöse Behandlung mit MEK-Inhibitoren zur Verfügung. Inwiefern ein Tumor im Gehirn behandelt werden muss, ist abhängig vom Risiko einer bösartigen Entwicklung und seiner Lage. Gehirntumore, welche bereits zu einer Einschränkung der Sehkraft führen (Optikusgliome), können auf eine Chemotherapie ansprechen. Ein chirurgischer Eingriff am Nerven birgt stets die Gefahr, diesen zu beschädigen und die entsprechende Körperfunktion zu beeinträchtigen.
Eine Fehlbildung des Keilbeines bedarf in der Regel keiner Behandlung. Da die Sehfähigkeit überwiegend nicht beeinträchtigt wird, genügt in den meisten Fällen eine kosmetische Korrektur.
Besteht eine Verformung der Wirbelsäule (Skoliose), kommen in erster Linie konservative Methoden (Maßnahmen ohne OP) wie Krankengymnastik oder ein Korsett zum Einsatz. Das Tragen eines Korsetts ist vor allem bei Kindern angezeigt. Da bei Erwachsenen das Knochenwachstum abgeschlossen ist, reduziert sich der Nutzen eines Korsetts auf die Stabilisierung der Wirbelsäule.
Liegt eine starke Krümmung vor und muss von einem raschen Fortschreiten der Skoliose ausgegangen werden, kann die Wirbelsäule operativ durch Stäbe begradigt und gestützt werden.
Die Verabreichung von Vitamin D wirkt sich auch bei Patienten mit einer NF1 positiv auf die Knochenstruktur aus.
Ein wesentliches Augenmerk muss auf die Therapie psychischer Beschwerdebilder und Entwicklungsstörungen gelegt werden. Hier sollte die Behandlung durch einen Psychologen oder Facharzt frühzeitig in Angriff genommen werden. In einer Psychotherapie oder Selbsthilfegruppe können Strategien entwickelt werden, mit den negativen Aspekten der Krankheit umzugehen. Ein offener Umgang mit der Krankheit kann die Voraussetzung bieten, ohne Beeinträchtigungen am sozialen Leben teilzuhaben.
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aktualisiert am 12.02.2021