Der Begriff der Neurofibromatose umfasst im Wesentlichen drei voneinander abzugrenzende Krankheiten. Die häufigste der drei wichtigen Formen ist die Neurofibromatose Typ 1, welche nach einem Mediziner, der sich eingehend damit befasste, auch Von-Recklinghausen-Krankheit genannt wird. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen (Inzidenz) liegt bei einer von 3000 Geburten. Noch seltener, mit einer Inzidenz von 1 zu 33.000, wird die Neurofibromatose Typ 2 diagnostiziert sowie die Schwannomatose mit einer Inzidenz von 1 zu 60.000.
Bei allen genannten Neurofibromatosen handelt es sich um Erkrankungen, welche durch meist gutartige Tumoren der Haut und des Nervensystems charakterisiert sind. Daneben kann eine Vielzahl weiterer Symptome in Erscheinung treten, welche imstande sind, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen. 20 Prozent aller Betroffenen entwickeln im Laufe der Erkrankung Beeinträchtigungen, welche sich auf die Lebenserwartung vermindernd auswirken können. Beim Großteil der Patienten verläuft die Neurofibromatose indes lediglich mit milden Symptomen und wirkt sich somit unwesentlich auf den Alltag aus.
Für die einzelnen Typen der Neurofibromatose gilt:
Neurofibromatosen werden autosomal dominant vererbt. Das bedeutet: Besitzen die Mutter oder der Vater die Veranlagung der Krankheit auf ihren Genen, geben sie die Krankheit zu 50 Prozent an ihre Kinder weiter. Eine Neurofibromatose kann weiterhin durch eine spontane Veränderung (Mutation) der Gene entstehen.
Die zu erwartende Lebenszeit wird von verschiedenen Einflussfaktoren bestimmt. Krankheiten sind dabei ein wichtiger Aspekt, ebenso wie der Lebenswandel. Da es sich bei den Neurofibromatosen um Erbkrankheiten handelt, sind vorbeugende Maßnahmen, welche den Ausbruch verhindern könnten, nicht vorhanden. Ebenso wenig lassen sich Spontan-Mutationen nach momentanem Wissensstand umgehen. Entsprechende Veränderungen auf einem Gen deuten mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, an einer Neurofibromatose zu erkranken. Über die Art und Schwere der Symptome lässt sich hingegen auch durch eine genetische Untersuchung keine eindeutige Aussage treffen. Manche Konstellationen und Muster auf den Erbanlagen lassen indes den Schluss auf einen schweren Krankheitsverlauf zu.
Im Zusammenhang mit den Neurofibromatosen wird bisweilen der Begriff genetisches Mosaik verwendet. Dabei handelt es sich um eine Veränderung auf den Genen, welche nicht in allen Körperzellen gleichermaßen vorhanden ist. Inwieweit sich dies auf das Krankheitsbild und die Lebenserwartung auswirkt, wird kontrovers diskutiert. Bestimmte Mosaike könnten zu einer milden Erscheinungsform führen, während andere Mosaike mit schweren Komplikationen verbunden sein könnten. Obgleich dies dazu beitragen könnte, in manchen Fällen schwere Verläufe vorherzusagen, ist die Lebenserwartung zu einem großen Anteil von der rechtzeitigen Erkennung und einem frühzeitigen Behandlungsbeginn abhängig.
Die Neurofibromatosen zeichnen sich durch eine große Zahl unterschiedlicher Symptome aus. Viele dieser Krankheitszeichen haben keinen Einfluss auf das eigentliche Krankheitsgeschehen. Hierzu zählen die Café-au-lait-Flecken. Dies sind hellbraune, unregelmäßig begrenzte Veränderungen der Haut, welche ab einer Anzahl von sechs Flecken als diagnostisches Kriterium für eine Neurofibromatose Typ 1 gelten. Abgesehen von kosmetischen Auswirkungen besitzen sie keinen Krankheitswert. Das Gleiche trifft für das sommersprossenartige Freckling und die Lisch-Knötchen in der Regenbogenhaut des Auges zu.
Tumoren sind das dominierende Krankheitszeichen der Neurofibromatose vom Typ 1 und Typ 2 sowie dem dritten Typ, der Schwannomatose. Obgleich die Tumoren in den meisten Fällen gutartig sind und damit die Lebenserwartung nicht einschränken, besteht das Risiko einer Entartung. Zudem erhöht eine Neurofibromatose die Gefahr zur Ausbildung anderer Tumoren. Wenn bösartige Tumoren (Krebs) entstehen, vermindert dies die Lebenserwartung. Das hängt aber vom Krankheitsverlauf, der Art des Tumors, dem Zeitpunkt der Diagnose und der Behandlung ab.
Bei der Neurofibromatose Typ 1 (NF1) überwiegt die Entstehung von Neurofibromen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um gutartige Tumoren von Nerven. Neurofibrome werden in kutane und plexiforme Typen eingeteilt. Die kutane Form (kutan = zur Haut gehörig) findet sich auf oder unter der Haut. Meist tritt sie ab der Pubertät in Erscheinung. Kutane Neurofibrome breiten sich entlang der Nervenbahnen über den gesamten Körper aus, werden jedoch als gutartig charakterisiert.
Plexiforme Neurofibrome stellen sich oft als Schwellung unter der Haut dar, sind aber auch tief im Körper anzutreffen. Diese Art der Tumoren ist ursprünglich ebenfalls gutartig und lässt sich bei 30 Prozent aller an NF1 Erkrankten nachweisen. Plexiforme Neurofibrome zeichnen sich durch ihr verdrängendes Wachstum aus und neigen dazu, in etwa 8 bis 13 Prozent zu entarten. Dies trifft insbesondere für die Tumoren zu, welche im Bereich des Körperstamms wachsen. Ein erhöhtes Risiko für eine bösartige Entwicklung zu den sogenannten malignen Nervenscheidentumoren (MPNST) besitzen vor allem diejenigen Kinder, welche frühzeitig kutane Neurofibrome aufweisen. Zudem muss bei den MPNST davon ausgegangen werden, dass sie früh in andere Gewebe streuen (metastasieren). Somit sollten NF1-Patienten in regelmäßigen Abständen hinsichtlich einer bösartigen Entartung der plexiformen Tumoren überwacht werden. Eine Heilungschance besteht nur, wenn der Tumor komplett chirurgisch entfernt wird. Eine alleinige oder zusätzliche Strahlentherapie scheint indes keinen Einfluss auf die Überlebenszeit zu besitzen. Eine Chemotherapie kann möglicherweise einen Überlebensvorteil erbringen: Nach zehn Jahren bleiben darunter mehr Betroffene ohne Krankheitsfortschritt als ohne Chemotherapie. Insgesamt kann der Anteil der Überlebenden jedoch lediglich um vier Prozent gesenkt werden. Nach fünf Jahren führen MPNST bei etwa der Hälfte der Betroffenen zum Tod. Dies erklärt die verringerte durchschnittliche Lebenserwartung der an einer Neurofibromatose Typ 1 erkrankten Patienten. Wissenschaftler arbeiten an neuen molekulargenetischen Methoden, um das Verhalten dieser Tumoren besser kennenzulernen und daraus therapeutische Ansätze zu entwickeln. Bislang ist nicht geklärt, welche Mechanismen zum bösartigen Wachstum der Neurofibrome beitragen.
Tumoren des Gehirns werden bei Patienten mit einer Neurofibromatose Typ 1 nicht selten beobachtet. Häufig handelt es sich dabei um ein sogenanntes Optikusgliom, welches den Sehnerv der Betroffenen beeinträchtigt. Optikusgliome zählen zu den niedriggradigen, langsam wachsenden Gehirntumoren und bleiben in ihrem Wachstum ab dem Schulalter oft stabil. Die Lebenserwartung ist günstig, jedoch können schwerwiegende Folgen wie ein Sehverlust die Folge sein.
Schwannome sind gutartige Tumoren, welche von Zellen der Nervenhüllen ausgehen. Sie entstehen bei 90 bis 95 Prozent aller Patienten mit einer Neurofibromatose Typ 2 am Hör- und Gleichgewichtsnerv. Dort werden sie Vestibularisschwannom oder Akustikusneurinom genannt. Mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) werden die meisten dieser Tumore frühzeitig erkannt und sind gut zu therapieren. Wenngleich der Tumor eine mögliche Hörminderung zur Folge hat, kann von einer normalen Lebenserwartung ausgegangen werden. Letzteres gilt auch für Schwannome an anderen Stellen im Körper, die bei NF2 oder bei der Schwannomatose entstehen können.
Etwa die Hälfte aller NF2-Patienten entwickelt Meningeome. Diese befallen die Gehirn- und Rückenmarkshäute. Meningeome zeichnen sich durch ein langsames, jedoch verdrängendes Wachstum aus. Die Heilungschancen richten sich nach Schweregrad und Lage des Tumors. Im Allgemeinen wird von einer Fünf-Jahres-Überlebensrate von 90 Prozent ausgegangen.
Menschen mit Neurofibromatose Typ 1 haben ein erhöhtes Risiko, an unterschiedlichen bösartigen Tumoren zu erkranken, die unabhängig von den Neurofibromen auftreten.
Die myeloische Leukämie ist eine Erkrankung, welche vor allem im Erwachsenenalter auftritt. Diese Form des Blutkrebses geht mit angeborenen Störungen wie der Neurofibromatose einher. Kinder, welche an NF1 erkrankt sind, besitzen ein um das Siebenfache erhöhtes Erkrankungsrisiko.
Ähnlich hoch (fünffach) wird die Wahrscheinlichkeit bei Patientinnen mit NF1 gegenüber anderen Frauen eingeschätzt, vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres an Brustkrebs zu erkranken.
Im Kindesalter kann das sogenannte Rhabdomyosarkom auftreten, bei welchem im Falle einer bestehenden NF1 die Muskulatur vor allem der Harnblase und Prostata betroffen ist. Die Überlebensrate liegt je nach Lokalisation des Tumors bei 50 bis 80 Prozent.
Ebenfalls erhöht ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Bindegewebstumor des Magen-Darm-Traktes (gastrointestinaler Stromatumor) zu erkranken. Die Überlebenschancen sind abhängig davon, ob der Tumor komplett entfernt werden kann und ob er Metastasen gebildet hat.
Die Entfernung von kutanen (die Haut betreffenden) Neurofibromen ist mehrheitlich eine kosmetische Entscheidung. Der Eingriff kann ambulant durchgeführt werden. Die plexiformen Fibrome führen hingegen zu teils erheblichen funktionellen Störungen und bedürfen in solchen Fällen eines operativen Eingriffs. Dies kann einen bis zu zweiwöchigen Klinikaufenthalt nach sich ziehen. Schwannome und Meningeome besitzen aufgrund ihrer Lage direkt am Nerv oder an funktionswichtigen Stellen im Gehirn und Rückenmark ein erhöhtes Risiko. Ein chirurgischer Eingriff kann nur von erfahrenen Spezialisten durchgeführt werden.
Operationen bergen stets die Gefahr von Komplikationen. Hierzu zählen vor allem Infektionen, Blutgerinnsel (Thrombosen), Blutungen oder Narkosezwischenfälle. Schwerwiegende, lebensbedrohliche Situationen treten indes selten auf.
Häufig wiederkehrende Operationen, mangelhaftes Verständnis vonseiten des sozialen Umfeldes oder der Verlust des Hörvermögens und damit einhergehende Kommunikationsstörungen können bei Patienten mit einer Neurofibromatose zu Niedergeschlagenheit und Depressionen führen. Im äußersten Fall kann dies mit Gedanken an Selbsttötung einhergehen. Bei schweren depressiven Zuständen sollten sich die Betroffenen Hilfe bei einem Facharzt oder Psychologen einholen.
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aktualisiert am 12.04.2021